OGH 14Os67/08x

OGH14Os67/08x8.7.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Juli 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp, Hon.-Prof. Dr. Schroll und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärters Mag. Harammer als Schriftführer in der Auslieferungssache des Cihan Y*****, AZ 8 Ur 73/07k des Landesgerichts Klagenfurt, über den Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO der betroffenen Person gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 21. Februar 2008, AZ 9 Bs 34/08f (ON 108), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Beim Landesgericht Klagenfurt ist gegen den türkischen Staatsangehörigen Cihan Y***** ein Auslieferungsverfahren zur Strafverfolgung in der Türkei anhängig. Nach dem Inhalt des angefochtenen Beschlusses ist er verdächtig, als bewaffnetes Mitglied der Hisbollah, deren Ziel es war, durch bewaffneten Aufstand die verfassungsmäßige Ordnung der Türkischen Republik zu zerstören und einen auf islamischen Rechtsgrundsätzen basierenden Staat zu gründen, für die Terrororganisation in der Türkei fünf Personen ermordet zu haben, und zwar am 27. Juni 1992 Mehmet Nesim O***** und Masum E*****, am 4. September 1993 den Abgeordneten Mehmet S***** sowie (dessen Schutzmann) Metin „Ozdemir" (Özdemir) und am 6. März 1994 Alaattin K*****.

Das von der Festnahme verständigte Justizministerium der Türkei ersuchte mit Note vom 21. September 2007 (ON 65) sowie ergänzend vom 7. Dezember 2007 (ON 88) das österreichische Bundesministerium für Justiz aufgrund des Europäischen Auslieferungsübereinkommens um Auslieferung des türkischen Staatsangehörigen Cihan Y***** zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl sowie dem Nachtragsersuchen (hinsichtlich Metin Ö***** S 453/II) beschriebenen Straftaten. Das Landesgericht Klagenfurt erklärte mit Beschluss vom 21. Jänner 2008 (ON 99) die Auslieferung für zulässig.

Das Oberlandesgericht Graz gab der Beschwerde teilweise Folge, indem es die Auslieferung wegen der Verletzung des Fuat Ön***** am 27. Juni 1992 für unzulässig erklärte (ON 108).

Begründend führte das Rechtsmittelgericht aus, dass sich eine an den Kriterien eines konkreten (historischen) nach Zeit, Ort und Objekt individualisierten Tatgeschehens orientierte Verdachtslage mit Blick auf die Tötung der im Spruch genannten Personen aus den Auslieferungsunterlagen bzw deren Ergänzung ableiten lasse, und verwies den Beschwerdeführer mit seinem bestreitenden Vorbringen darauf, dass das Auslieferungsverfahren ein Formalverfahren sei, welches lediglich die grundsätzlichen Voraussetzungen anhand internationaler Vertragsbestimmungen zu prüfen habe, der sofortige Beweis der Unmöglichkeit der Tatbegehung jedoch nicht erbracht wurde. Seinem Einwand, Anfang der 90er Jahre habe es sich bei der türkischen Hisbollah um keine Terrororganisation gehandelt, die gegen den Staat gekämpft habe, „sondern eine vom Staat als Gegengewicht zur PKK organisierte vom Geheimdienst durchsetzte Einheit, die vor allem gegen PKK bzw das kurdische Volk eingesetzt wurde", entgegnete das Beschwerdegericht unter Hinweis darauf, dass die der Auslieferung unterliegenden Handlungen keine solchen seien, die als politisch strafbare Handlungen nach Art 3 Abs 1 EuAusliefÜbk zu bewerten wären, vielmehr handle es sich um der Auslieferung nicht entgegenstehende kriminelle Handlungen aus politischen Beweggründen, bei denen der kriminelle Charakter überwiege.

Dem - soweit vorliegend von Interesse - weiteren Beschwerdevorbringen, wonach Cihan Y***** bei Auslieferung an die türkische Justiz der Gefahr unmenschlicher Behandlung, Verfolgung, Misshandlung und Folter ausgesetzt werde, hielt das Oberlandesgericht das Gutachten des Sachverständigen Mehmet O***** im Asylverfahren entgegen, wonach zwar die Haftbedingungen in der Türkei den internationalen Bedingungen nicht entsprächen, allerdings habe der Beschwerdeführer nicht mit einer Erschwerung der Lage zu rechnen, sodass Art 3 Abs 2 EuAusliefÜbk der Auslieferung nicht entgegenstehe. Es fehle an Anhaltspunkten, dass das Strafverfahren und der Strafvollzug in der Türkei, die die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten unterzeichnet habe, nicht den Grundsätzen der Art 3 und Art 6 MRK entsprechen. Unter Berücksichtigung der Schwere der Auslieferungstaten falle die mit der Auslieferung verbundene Einschränkung familiären Kontakts zur Gattin und den gemeinsamen Kindern nicht relevant ins Gewicht (Art 8 MRK). Der Ausgang des Asylverfahrens, in welchem derzeit eine Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde (der im Übrigen aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde) anhängig ist, sei für die Zulässigkeit der Auslieferung nicht präjudiziell.

Mit der Behauptung einer Verletzung verfassungsrechtlich gewährleisteter Rechte (Art 2, 3, 6 und 8 MRK), weil das Oberlandesgericht trotz des Umstands der Zuerkennung aufschiebender Wirkung der Beschwerde gegen den negativen Bescheid des Bundesasylamts durch den Verwaltungsgerichtshof den Standpunkt eingenommen habe, dass Strafverfahren und Strafvollzug in der Türkei den Grundsätzen der Art 3 und 6 EMRK entsprächen, und auch Ehegattin sowie Kinder um Asyl angesucht hätten, deren Verfahren gleichfalls vor dem Verwaltungsgerichtshof anhängig seien, und gestützt auf eine Reihe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), mit welchen beginnend mit den Erkenntnissen vom 26. Februar 2008 (Mansuroglu gegen Türkei, ApplNr 43443/98) und vom 21. Februar 2008 (Usta u.a. gegen Türkei, ApplNr 57084/00) der Gerichtshof eine Verletzung des Art 2 MRK durch die diesen - das gegenständliche Auslieferungsverfahren weder betreffenden noch inhaltlich ähnlichen - Beschwerdefällen zu Grunde gelegenen Verurteilungen feststellte, und dem weiteren bloßen Behaupten, der Auszuliefernde könne „insbesondere auch aufgrund der derzeitigen Situation in der Türkei nicht mit einem fairen Verfahren rechnen", beantragt die betroffene Person, gemäß § 363a StPO die Erneuerung des Strafverfahrens anzuordnen.

Rechtliche Beurteilung

Dem Erneuerungsantrag kommt keine Berechtigung zu:

Voranzustellen ist, dass das Oberlandesgericht Graz die durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2004 (BGBl I 2004/15) in den §§ 31, 33 und 34 ARHG vorgenommene Klarstellung, dass die rechtliche Prüfung des Auslieferungsbegehrens ausschließlich den Gerichten obliegt, zwar nicht hinreichend betonte, doch im Ergebnis zutreffend löste. Die Bundesministerin für Justiz, die wie schon bisher an alle die Auslieferung für unzulässig erklärende Entscheidungen der Gerichte gebunden ist, kann aufgrund dieser geänderten Bestimmungen eine Auslieferung nur mehr aus allgemeinen politischen oder die Rechtsstellung der auszuliefernden Person nicht unmittelbar betreffenden völkerrechtlichen Erwägungen ablehnen. Grundsätzlich besteht ein paralleler Prüfmaßstab sowohl im verwaltungsbehördlichen Asylverfahren als auch im gerichtlichen Auslieferungsverfahren nach § 33 Abs 3 ARHG, sodass der entsprechende Informationsstand über die Menschenrechtssituation im ersuchenden Staat als Entscheidungsgrundlage von wesentlicher Bedeutung ist. Selbst bei einer Anerkennung als politischer Flüchtling im Asylverfahren hat aber das Gericht unabhängig von der Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu prüfen, ob eine politische Verfolgung iSd Art 3 Abs 2 EuAusliefÜbk vorliegt (vgl § 33 Abs 3 ARHG) oder sonstige Auslieferungshindernisse bestehen. Allerdings kann der Entscheidung der Verwaltungsbehörde eines Vertragsstaats der Genfer Konvention eine indizielle Wirkung zukommen (Schomburg/Hackner in:

Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen4 § 6 RN 43, 47 und 48; OLG Jena NJW 2007, 1700 f), deren Bedeutung und Gewicht maßgeblich davon abhängt, welche Gründe der Verfolgte im Asylverfahren zur Begründung seiner politischen Verfolgung angegeben hat. Der bloßen „Stellung als Asylwerber" kann im Auslieferungsverfahren keine besondere Bedeutung beigemessen werden, weil weder die MRK noch eines ihrer Zusatzprotokolle ein Recht auf politisches Asyl in einem Konventionsstaat garantiert (RIS-Justiz RS0123232).

Eine Auslieferung kann für den Aufenthaltsstaat eine Konventionsverletzung bedeuten, wenn die betroffene Person im Zielstaat einer Strafe oder Behandlung ausgesetzt wird, welche die Schwelle zur unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung erreicht und daher mit Art 3 MRK unvereinbar ist (vgl 11 Os 46/08m mit ausführlichen Nachweisen). Den nach ständiger Rechtsprechung des EGMR erforderten schlüssigen Nachweis erheblicher Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr hat der Beschwerdeführer indes nicht erbracht. Zu Recht hob das Rechtsmittelgericht hervor, dass es sich bei der Türkei um einen Konventionsstaat der MRK handelt, sodass die Verantwortlichkeit des ausliefernden Staats eingeschränkt ist, weil der Betroffene im Zielstaat Rechtsschutz gegen Konventionsverletzungen erlangen kann. Eine Mitverantwortung des ersuchenden Staats besteht nur dann, wenn dem Betroffenen nach seiner Auslieferung Folter oder sonstige schwere oder irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den EGMR - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Meyer-Ladewig, EMRK2 Art 3 Rz 25b, Grabenwarter, EMRK3 § 20 Rz 30 - jeweils mwN, insbesondere 11 Os 46/08m auch unter Verweis auf 13 Os 150/07v). Der Antragsteller vermag mit dem Hinweis auf eine größere Zahl von Entscheidungen des EGMR, welche Übergriffe bzw Fehler im Rahmen polizeilicher Ermittlungen bzw Maßnahmen in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts (Usta u. a. gegen Türkei: 1992) und somit Verletzungen des Art 2 MRK betreffen, keine Anhaltspunkte für derartige Befürchtungen aufzuzeigen.

In Bezug auf Art 6 MRK behauptet der Erneuerungswerber unsubstantiiert „zusätzliche Verurteilungen" der Türkei. Ein inhaltliches Eingehen auf diesen Einwand ist daher nicht möglich. Betreffend Art 8 MRK bringt er gleichfalls substratlos vor, „für den Fall, dass der Ehegattin und den Kindern des Auszuliefernden der Asylstatus zuerkannt wird", hätten diese keine Möglichkeit, mit ihm persönlich in Kontakt zu treten, weil seine Familie nicht mehr in die Türkei reisen könnte. Abgesehen davon, dass diese Voraussetzung nicht gegeben ist, begründet ein Eingriff in das Familienleben nur dann eine Verletzung von Art 8 MRK, wenn er nicht gesetzlich vorgesehen ist oder kein legitimes Ziel verfolgt oder nicht als notwendig in einer demokratischen Gesellschaft angesehen werden kann. Bei der entsprechend dem Eingriffsvorbehalt des Art 8 Abs 2 MRK vorzunehmenden Notwendigkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung einer das Familienleben beschränkenden Maßnahme prävaliert in Anbetracht der Schwere der Auslieferungstaten vorliegend ein Überwiegen der öffentlichen Interessen (siehe insbesondere EGMR 28. 6. 2007, ApplNr 31753/02, Kaya gg Deutschland, in welchem Fall ein kaum der türkischen Sprache mächtiger Jugendlicher, dessen gesamte Familie in Deutschland wohnhaft ist, wegen Straffälligkeit in die Türkei abgeschoben wurde, TZ 71: „... the Court finds that a fair balance was struck in this case in that the applicant's expulsion was proportionate to the aims pursued and therefore necessary in a democratic society"), sodass dem Oberlandesgericht keine Fehlbeurteilung anzulasten ist, wenn es einen unzulässigen Eingriff in Art 8 MRK verneinte.

Der Erneuerungsantrag war daher gemäß § 363b Abs 2 Z 2 StPO bereits bei nichtöffentlicher Beratung als unzulässig zurückzuweisen.

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