OGH 11Os46/08m

OGH11Os46/08m1.4.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. April 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp, Dr. Danek, Dr. Schwab und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Klaus als Schriftführer, in der Auslieferungssache des Kachaberi K*****, AZ 234 Ur 325/07x des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der betroffenen Person auf Erneuerung des Auslieferungsverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Beim Landesgericht für Strafsachen Wien ist zum AZ 234 Ur 325/07x (früher: 282 Ur 82/07i) ein Verfahren über den Antrag auf Auslieferung des georgischen Staatsangehörigen Kachaberi K***** an Georgien anhängig.

Auf Grund eines Ersuchens von Interpol Tiflis wurde der mit Haftbefehl des Stadtgerichts Tiflis (Tbilissi) vom 22. Juni 2006 gesuchte K*****, der in Österreich um Asyl angesucht hatte, am 10. Juli 2007, 10.40 Uhr in Wien festgenommen (S 55, 89) und am selben Tag in die Justizanstalt Josefstadt eingeliefert (S 103), mit Beschluss des Untersuchungsrichters vom 12. Juli 2007 über ihn gemäß §§ 29 ARHG iVm § 180 Abs 2 Z 1 StPO die Auslieferungshaft verhängt (ON 6) und diese jeweils nach Durchführung von Haftverhandlungen (ON 19, 34) mit Beschlüssen vom 24. Juli 2007 (ON 20) und 24. August 2007 (ON 35) fortgesetzt.

Der von der Festnahme verständigte Generalstaatsanwalt von Georgien ersuchte gestützt auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen mit Note vom 9. August 2007 (Übersetzung S 191 ff) das österreichische Bundesministerium für Justiz um Auslieferung des Kachaberi K***** zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl des Stadtgerichts Tiflis und der Anklageschrift vom 16. Juni 2006 (beglaubigte Übersetzungen S 207 ff) beschriebenen Straftaten.

Demzufolge soll der am 5. November 1974 in Kutaisi/Georgien geborene georgische Staatsangehörige Kachaberi K***** im Jahr 2004 in Belgien zwei Fahrzeuge der Marke Mercedes Benz, Typen 250 D bzw 220, in Kenntnis des Umstands, dass die Fahrzeuge gestohlen waren, gekauft, unter Verwendung falscher bzw gefälschter Urkunden nach Georgien eingeführt und nach polizeilicher Registrierung um 8.500 US-Dollar bzw 7.400 US-Dollar verkauft haben.

Mit Beschluss vom 20. September 2007 (ON 43) erklärte der Untersuchungsrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien mit eingehender Begründung die begehrte Auslieferung nicht für unzulässig. Nach österreichischem Recht seien die Taten als Verbrechen der Hehlerei nach § 164 Abs 2 und 4 zweiter Fall StGB und der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB zu beurteilen.

Das Oberlandesgericht Wien gab der dagegen von K***** ergriffenen Beschwerde mit Beschluss vom 20. November 2007 nicht Folge (AZ 22 Bs 289/07x, ON 52 der Ur-Akten).

Begründend führte es aus, dass der Tatverdacht, dessen abschließende Beurteilung dem ersuchten Staat nicht zukomme, von der Beschwerde nicht entkräftet worden wäre. Dem weiteren Beschwerdevorbringen, wonach die georgische Justiz nicht unabhängig und Folter an der Tagesordnung wäre, Korruption regieren würde und Haftbedingungen - ob des Überbelags in den Haftanstalten - lebensbedrohlich wären, hielt es den Menschenrechtsbericht des US State Department sowie die Feststellungen des UN Anti-Folter-Komitees vom Mai 2006 entgegen, wonach die Korruption bekämpft würde, die Unabhängigkeit der Justiz und die Beachtung der Menschenrechte in der georgischen Verfassung verankert wären und Bestrebungen bestünden, die problematische Gefängnissituation insbesondere durch den Bau neuer Justizanstalten zu verbessern. Zudem hätte Georgien im Auslieferungsverfahren zugesichert, Kachaberi K***** keiner psychischen oder physischen Gewalt zu unterwerfen und ihn im Falle der Auslieferung in ein Gefängnis europäischen Standards einzuliefern sowie ihm die nötige medizinische Versorgung zuteil werden zu lassen.

Demzufolge teilte die Bundesministerin für Justiz dem georgischen Justizministerium am 28. November 2007 mit, dass sie - auf Basis der angeführten Gerichtsentscheidungen - die Auslieferung des Kachaberi K***** bewilligt habe.

Gegen diese Erledigung richtete sich eine am 1. Februar 2008 beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachte Beschwerde des Kachaberi K*****, der mit Beschluss dieses Gerichts vom 5. Februar 2008, Zl AW 2008/06/0004-6, vorläufig aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde (ON 62 der Ur-Akten). Mit Erkenntnis vom 7. März 2008, Zl 2008/06/0019-13 (ON 63), wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde zurück.

Rechtliche Beurteilung

Mit am 13. März 2008 beim Obersten Gerichtshof eingelangtem Antrag begehrt Kachaberi K***** gemäß § 363a StPO (vgl 13 Os 135/06m, EvBl 2007/154, 832) unter Behauptung der Verletzung seiner Rechte auf Asylgewährung sowie jener aus Art 3 und Art 6 MRK die Erneuerung des Auslieferungsverfahrens.

Zur Asylfrage:

Dem Standpunkt des Antragstellers zuwider garantiert weder die MRK noch eines ihrer Zusatzprotokolle ein Recht auf politisches Asyl in einem Konventionsstaat (EGMR 30. 10. 1991, Nr 13163/87, 13164/87, 13165/87, 13447/87, 13448/87, Vilvarajah gegen das Vereinigte Königreich, ÖJZ 1992/13 (MRK), 309; EGMR 17. 12. 1996, Nr 71/1995/577/663, Ahmed gegen Österreich, ÖJZ 1997/6 (MRK), 231; jüngst EGMR 28. 2. 2008, Nr 37.201/06, Saadi gegen Italien; Grabenwarter, EMRK³ § 20 Rz 26, § 21 Rz 3 und § 24 Rz 13; Zimmermann in Grote/Marauhn, EMRK/GG Kap 27 Rz 1; Villiger, EMRK² § 15 Rz 297 f; Meyer-Ladewig, EMRK² Art 3 Rz 19).

Allein darauf bezogene Ausführungen können im Erneuerungsverfahren, das der Sanierung von Grundrechtsverletzungen dient, nicht geltend gemacht werden und sind daher auch nicht erwiderungsbedürftig.

Zu Art 3:

Eine Auslieferung kann für den Aufenthaltsstaat eine Konventionsverletzung bedeuten, wenn die betroffene Person im Zielstaat einer Strafe oder Behandlung ausgesetzt wird, welche die Schwelle zur unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung erreicht und daher mit Art 3 MRK unvereinbar ist (vgl insbesondere die Leitentscheidung des EGMR 7. Juli 1989, Nr 14038/88, Soering gegen Vereinigtes Königreich, EuGRZ 1989, 314; weitere Nachweise bei Frowein/Peukert, EMRK² Art 3 Rz 18, Villiger, EMRK² § 15 Rz 297; Grabenwarter, EMRK³ § 20 Rz 26; jüngst neuerlich das Saadi-Urteil des EGMR).

Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR hat der Beschwerdeführer die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr schlüssig nachzuweisen, wobei der Nachweis hinreichend konkret sein muss. Die bloße Möglichkeit drohender Folter und unmenschlicher oder niedriger Behandlung reicht nicht aus (EGMR 15. 11. 1996, Nr 22414/93, Chahal gegen Vereinigtes Königreich, ÖJZ 1997/20 (MRK), 632; EGMR 30. 10. 1991, Nr 13163/87 ua, Vilvarajah ua gegen Vereinigtes Königreich, ÖJZ 1992/13 (MRK), 309; Grabenwarter, EMRK³ § 20 Rz 30; Meyer-Ladewig, EMRK² Art 3 Rz 21; Villiger, EMRK² § 15 Rz 302).

Demnach muss ein reales, an Hand stichhaltiger Gründe belegbares Risiko bestehen, die betreffende Person würde im Empfangsstaat der tatsächlichen Gefahr einer Art 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein. Angesichts des individualschützenden Charakters der Konvention sind stets alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (vgl Zimmermann in Grote/Marauhn, EMRK/GG Kap 27 Rz 53, zum Ganzen jüngst 13 Os 150/07v und wiederum das Saadi-Urteil des EGMR).

Grundsätzlich ergibt sich kein Hinderungsgrund für die Auslieferung, wenn den Betroffenen im Verfolgerstaat ein Strafverfahren mit oder ohne Untersuchungshaft erwartet oder wenn er wegen einer strafrechtlichen Verurteilung in Haft genommen werden soll, solange die Umstände der Haft selbst nicht gegen Art 3 MRK verstoßen (Villiger, EMRK² Art 3 Rz 301).

Haftbedingungen können eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung sein, auch wenn sie nicht darauf abzielen, den Gefangenen zu demütigen oder zu erniedrigen. Sie verletzen Art 3 MRK, wenn sie erhebliches psychisches oder physisches Leid verursachen, die Menschenwürde beeinträchtigen oder Gefühle von Demütigung und Erniedrigung erwecken (EGMR 15. 7. 02, Nr 47095/99, Kalashnikov gegen Russland). Zu berücksichtigen sind dabei alle Umstände, so zB Überbelegung, mangelhafte Heizung oder Lüftung, übergroße Hitze, sanitäre Verhältnisse, Schlafmöglichkeit, Ernährung, Erholung und Außenkontakte sowie gegebenenfalls ihr kumulativer Effekt (vgl Meyer-Ladewig, EMRK² Art 3 Rz 12).

Bei Abschiebungen in Konventionsstaaten ist zudem die Verantwortlichkeit des abschiebenden Staates eingeschränkt, weil der Betroffene im Zielstaat Rechtsschutz gegen Konventionsverletzungen erlangen kann. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Staates besteht nur dann, wenn dem Betroffenen nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere oder irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den EGMR - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Meyer-Ladewig, EMRK² Art 3 Rz 25b, Grabenwarter, EMRK³ § 20 Rz 30 - jeweils mwN; neuerlich 13 Os 150/07v).

Im Gegenstand vermag der Antragsteller unter Hinweis auf die sich aus auf der Internetseite www. ecoi.net abrufbaren Berichten ergebende gestiegene Zahl Verurteilter, die Überbelegung georgischer Gefängnisse und die „verheerenden" Zustände in diesen mit „oftmaliger unmenschlicher und erniedrigender Behandlung" allerdings nicht aufzuzeigen, dass im Verfahren über die Zulässigkeit seiner Auslieferung ein ihn im speziellen treffendes, konkretes Gefährdungspotential im Zielstaat übergangen worden wäre (vgl wiederum 13 Os 150/07v). Die prüfenden Gerichte haben sich nämlich grundrechtskonform mit den erreichbaren einschlägigen Informationsquellen eingehend auseinandergesetzt (vgl Grabenwarter, EMRK² § 20 Rz 34; Meyer-Ladewig, EMRK² Art 3 Rz 21); eine gesetzwidrige, mangelhafte, willkürliche oder erheblich bedenkliche Beurteilung dabei behauptet der Antragsteller nicht einmal.

Ebenso wenig gelingt ihm der Nachweis, dass die Gerichte seine Grundrechtssphäre bei der Bejahung der Frage verletzt hätten, ob Georgien im Fall seiner Auslieferung die im Auslieferungsersuchen zugesicherten Haftbedingungen gewährleisten würde.

Zu Art 6 MRK:

Zwar fällt das Auslieferungsverfahren selbst nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 MRK, doch können dessen Verfahrensgarantien für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung dann (ausnahmsweise) Relevanz erlangen, wenn die betroffene Person nachweist, dass ihr im ersuchenden Staat eine offenkundige Verweigerung eines fairen Verfahrens („a flagrant denial of justice") droht (vgl neuerlich das Soering-Urteil des EGMR [Z 113] sowie Meyer-Ladewig, EMRK² Art 6 Rz 60b; Villiger, EMRK² § 18 Rz 401; Frowein/Peukert, EMRK² Art 16 Rz 52 11. Anstrich).

Die Verfahrensgarantien des Art 6 MRK beziehen sich demnach, soweit es um die Auslieferung geht, nur auf das gerichtliche Strafverfahren im Zielland, in dem über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage entschieden werden wird (neuerlich 13 Os 150/07v).

Demnach geht die Bestreitung des im Auslieferungsersuchen dargestellten Tatverdachts ebenso ins Leere wie die unsubstantiierte Behauptung des Antragstellers, dieser wäre durch „Einsichtnahme in Interpol-Dateien" zu widerlegen gewesen. Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, dass der Antragsteller nach den Verhandlungsprotokollen weder vor dem Untersuchungsrichter (ON 42) noch vor dem Oberlandesgericht (ON 51) konkrete Beweise angeboten hat, durch die der Verdacht ohne Verzug entkräftet werden hätte können (§ 33 Abs 2 ARHG). Im Übrigen vermögen selbst fehlende internationale Fahndungsmaßnahmen auf einen Diebstahls- oder Hehlereiverdacht keinen derartigen Einfluss zu entfalten.

Letztlich legt der Beschwerdeführer nicht dar, weshalb aus dem ihm zugetragenen Angebot einzelner georgischer Polizeibeamter, wonach bei Zahlung von 20.000 US-Dollar von seiner weiteren Verfolgung abgesehen würde, zu erschließen wäre, dass das - dennoch durchgeführte - gerichtliche Strafverfahren in Georgien konkret gegen ihn unter Bedingungen stattfinden würde, die offenkundig Art 6 MRK zuwiderliefen, mögen auch bis in jüngste Zeit Bedenken gegen die Unabhängigkeit georgischer Richter geäußert worden sein.

Der Erneuerungsantrag war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, aber entgegen der dazu vom Erneuerungswerber erstatteten Äußerung gemäß § 363b Abs 1, Abs 2 Z 3 StPO bereits in nichtöffentlicher Sitzung als offenbar unbegründet zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte