OGH 9ObA61/07x

OGH9ObA61/07x10.4.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dkfm. Dr. Otto G*****, Angestellter, *****, vertreten durch die Freimüller/Noll/Obereder/Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B***** AG, *****, vertreten durch die Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen Anfechtung der Versetzung in den Ruhestand (Streitwert 50.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Februar 2007, GZ 7 Ra 167/06i-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 24. März 2006, GZ 13 Cga 98/04g-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung ist die in einem Kollektivvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Einzelvertrag festgelegte einseitige Ruhestandsversetzung (Pensionierung) in der Regel als Kündigung zu qualifizieren (RIS-Justiz RS0030344 ua). Davon geht nunmehr auch die Revisionswerberin zutreffend aus. Typischerweise soll nämlich durch die Versetzung in den Ruhestand das Arbeitsverhältnis aufgelöst werden (9 ObA 94/01s ua). Qualifiziert man aber die einseitige Ruhestandsversetzung als Kündigung, dann kann kein Zweifel daran bestehen, dass sie grundsätzlich auch der Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit gemäß § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG unterliegt. Dies wird auch von der Revisionswerberin nicht mehr in Frage gestellt.

Bei der Lösung der Frage, ob eine Kündigung (Ruhestandsversetzung) sozial ungerechtfertigt ist, muss nach ständiger Rechtsprechung vorerst ohne Rücksicht auf andere Anfechtungsvoraussetzungen und ohne Koppelung mit anderen Tatbeständen oder Tatbestandsmerkmalen geprüft werden, ob durch sie wesentliche Interessen des betroffenen Arbeitnehmers beeinträchtigt werden (RIS-Justiz RS0051640 ua). Bei der Untersuchung dieser Frage ist die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers einzubeziehen (RIS-Justiz RS0051741 ua). Das Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen ist nach ständiger Rechtsprechung dann erfüllt, wenn die durch die Kündigung bewirkte finanzielle Schlechterstellung des Arbeitnehmers ein solches Ausmaß erreicht, dass sie eine fühlbare, ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage zur Folge hat, ohne dass aber schon eine soziale Notlage oder Existenzgefährdung eintreten muss (RIS-Justiz RS0051727, RS0051753 ua). Dabei kommt es auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls an, deren Beurteilung regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet (8 ObA 127/03i ua). Den Ansatz, dass hier von einem bloßen Einzelfall schon deshalb keine Rede sein könne, weil bei der Beklagten potentiell 11.000 Mitarbeiter in den Ruhestand versetzt werden können, relativierte die Beklagte bereits in erster Instanz dahin, dass seit dem Jahr 2000 nur zwei Arbeitnehmer zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr „gekündigt" worden seien, wovon einer der Kläger gewesen sei. Bei den Einkommenseinbußen ist nicht auf starre Prozentsätze abzustellen (9 ObA 174/01f ua). Der Vergleich mit den Prozentsätzen in anderen Entscheidungen ist daher wenig zielführend und nicht geeignet, eine in ihrer Bedeutung über den vorliegenden Fall hinausgehende erhebliche Rechtsfrage zu begründen. Dass es für das Ausmaß der Interessenbeeinträchtigung des Arbeitnehmers keine Rolle spielt, auf welcher Rechtsgrundlage - Arbeitsvertrag, Gesetz oder Akt kollektiver Rechtsgestaltung - die Kündigung beruht, liegt auf der Hand. Wenn die Revisionswerberin aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 9 ObA 8/05z abzuleiten glaubt, der Arbeitnehmer habe im Fall der auf einem Kollektivvertrag beruhenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine gröbere Beeinträchtigung seiner Interessen (dh höhere Einkommenseinbuße) in Kauf zu nehmen als in einem anderen Fall (zB Kündigung aufgrund des Gesetzes), kann ihr nicht gefolgt werden. Derartiges kann auch nicht für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Betriebsvereinbarung angenommen werden. Das Vorliegen einer Vereinbarung zwischen Betriebsinhaber und Betriebsrat enthebt das Gericht nicht der Prüfung der individuellen wirtschaftlichen und sozialen Umstände des jeweiligen Arbeitnehmers, sobald dieser geltend macht, dass die Auflösung des Arbeitsverhältnisses in seinem Fall sozialwidrig sei. Dass der Betriebsrat der Kündigung des Klägers zugestimmt habe, wurde von der Beklagten nicht geltend gemacht. Der von der Revisionswerberin angesprochene Fall 9 ObA 8/05z war besonders gelagert. Insbesondere wies dort das dem Arbeitnehmer nach der Kündigung verbleibende Einkommen eine so außergewöhnliche Höhe auf, dass es immer noch deutlich über jenem Einkommen lag, das der Kläger hier bei der Beklagten vor seiner Versetzung in den Ruhestand bezogen hat. Das Einkommen, das dem Kläger hier für sich und seine Ehegattin, für die er sorgepflichtig ist, nach der Versetzung in den Ruhestand verbleibt, ist nicht annähernd mit dem Einkommen zu vergleichen, das dem anderen Arbeitnehmer zur Verfügung stand. Die von der Revisionswerberin angestrebte Gleichschaltung der beiden Fälle greift daher nicht. In 9 ObA 8/05z gelangte der Senat unter Berücksichtigung der außergewöhnlichen Einkommenshöhe zur rechtlichen Beurteilung, dass allein aus der Brutto-Einkommensverminderung von 40 % nicht schon auf eine wesentliche Beeinträchtigung geschlossen werden könne. Bei einer Bruttopension von 8.000 EUR monatlich sei nämlich klar, dass der betroffene Arbeitnehmer auch weiterhin in der Lage sein werde, nicht nur durchschnittliche, sondern auch darüber liegende Lebensbedürfnisse zu befriedigen.

Im vorliegenden Fall ging das Berufungsgericht in Bestätigung des klagestattgebenden Ersturteils davon aus, dass bei einem weit niedrigeren Einkommensniveau als in 9 ObA 8/05z eine Brutto-Einkommensminderung von 47 % eine durchaus fühlbare, ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage des Klägers darstelle. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass insgesamt unter Berücksichtigung der Sorgepflicht des Klägers für seine Ehegattin von einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG auszugehen sei, ist jedenfalls vertretbar. Dass der Kläger und dessen Ehegattin bei betont sparsamer Lebensweise in Bezug auf die Verpflegung und Bekleidung monatlich etwas ansparen können, entspricht ihrer individuellen Lebensführung, ändert aber nichts an der Bejahung der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen aufgrund der erfolgten Einkommenskürzung. Richtig ist, dass bei der Beurteilung der wesentlichen Interessenbeeinträchtigung nicht auf „Luxusaufwendungen" abzustellen ist. Was darunter fällt, ist vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Bei Arbeitnehmern mit höherem Einkommen ist zu erwarten, dass auch Bedürfnisse befriedigt werden, die über die Grundbedürfnisse hinausgehen (vgl 9 ObA 244/01z ua). Nicht alles, was über eine sparsame Lebensführung hinausgeht, fällt bereits unter Luxus.

Die Argumentation der Revisionswerberin wird vom Wunsch nach möglichster Schematisierung bei der Ermittlung der Grenzen der Sozialwidrigkeit von Kündigungen bzw Ruhestandsversetzungen beherrscht. Wie bereits ausgeführt, ist jedoch gerade nicht auf starre Prozentsätze oder Beträge abzustellen. Der Ansatz der Revisionswerberin, das Ausmaß der Einkommensminderung überhaupt zu vernachlässigen und allein auf die Lebenshaltungskosten abzustellen, entfernt sich von der bisherigen Rechtsprechung, die auf die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des betroffenen Arbeitnehmers abstellt. Von einer Verkennung der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs durch das Berufungsgericht kann hier keine Rede sein. Sonderzahlungen (13. und 14. Pensionszahlung), von deren Bezug nicht nur im Fall des Klägers, sondern auch in den meisten Vorentscheidungen auszugehen ist, führen als potentielles Deckungskapital für besondere Ausgaben weder zwangsläufig zu einer anderen Beurteilung der Sozialwidrigkeit, noch begründen sie eine erhebliche Rechtsfrage. Wie schon ausgeführt, muss die Schlechterstellung des Arbeitnehmers zwar eine fühlbare, ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage zur Folge haben; eine soziale Notlage oder Existenzgefährdung wird jedoch nicht vorausgesetzt, um das Vorliegen einer sozialwidrigen Kündigung annehmen zu können.

Auf betriebliche Erfordernisse, die gemäß § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG einer Weiterbeschäftigung des Klägers - trotz Beeinträchtigung wesentlicher Interessen - entgegenstehen, beruft sich die Revisionswerberin zwecks Begründung der Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision nicht mehr. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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