OGH 1Ob208/07f

OGH1Ob208/07f26.2.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ.-Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** Handelsgesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Andreas Mauhart, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei B***** Kommandit-Erwerbsgesellschaft, *****, vertreten durch Mag. Hans Teuchtmann, Rechtsanwalt in Linz, wegen Feststellung (Feststellungsinteresse 36.300 EUR) sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 11. Juli 2007, GZ 2 R 97/07h-18, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 28. März 2007, GZ 3 Cg 10/06k-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Unternehmensgegenstand der in Österreich ansässigen beklagten Partei ist die Produktion und der Vertrieb von Getränken. Nedim G***** (im Folgenden: „ein Geschäftsmann") hatte 2003 die Idee, für Getränkeproduzenten Energy-Drinks in der Türkei zu vermarkten. Er kontaktierte die beklagte Partei und bot ihr unter Hinweis auf seine weitreichenden Verbindungen in der Türkei die Vermarktung eines von ihr erzeugten Energy-Drinks an. Roland F***** war bereit, dem Geschäftsmann die für einen Vertragsabschluss nötigen Vorbereitungshandlungen zu finanzieren. So bezahlte er ua dessen Flüge in die Türkei, damit dieser dort Vorkehrungen für eine Umsetzung des beabsichtigten Markteintritts treffen und die erforderlichen Lizenzen erwerben konnte. Roland F***** wollte sich direkt am Geschäft beteiligen, zu welchem Zweck die F***** Handelsgesellschaft mbH (die klagende Partei) gegründet wurde. Im Dezember 2003 schlossen die klagende Partei als „Handelsvertreter" und die beklagte Partei als „Unternehmer" eine schriftliche Vereinbarung. In dieser wurde festgehalten, dass der Unternehmer Getränke produziert und vertreibt; der Handelsvertreter soll für das Gebiet der Republik Türkei für alle Geschäfte (sohin für direkte und auch indirekte Geschäfte) eine fixe Provision von 10 (zehn) Eurocent per Verkaufseinheit (250 ml) zzgl Mehrwertsteuer erhalten; der Vertrieb soll durch eine noch zu gründende türkische Tochtergesellschaft erfolgen. Laut Punkt VII des Vertrags verpflichtete sich der Unternehmer, hinsichtlich der zu gründenden Vertriebstochter des Unternehmens in der Türkei eine vom Handelsvertreter namhaft gemachte Vertrauensperson als Mitgesellschafter zu beteiligen und diese Person für die Dauer des Vertragsverhältnisses zum Geschäftsführer zu bestellen. Lieferungen an die türkischen Kunden sollten ausschließlich über die türkische Tochtergesellschaft des Unternehmers erfolgen. Gemäß Vertragspunkt V ist der Handelsvertreter berechtigt, für seine Tätigkeit selbständige Hilfskräfte und auch weitere Handelsvertreter einzusetzen. Sein Provisionsanspruch besteht in jedem Fall - unabhängig von der Art und dem Umfang seiner Tätigkeit - sohin auch dann, wenn keine verdienstliche Tätigkeit entfaltet wird. Der Unternehmer verpflichtet sich, dem Handelsvertreter uneingeschränkte Einsicht in die Bücher dieser Gesellschaft zu gewähren und den Geschäftsführer unwiderruflich zu ermächtigen, sämtliche hiezu erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Dieser Vertrag wurde auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, eine Kündigung ist gemäß Vertragspunkt II ausgeschlossen. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hatten die Streitteile die Absicht, dass der Geschäftsmann die Abwicklung in der Türkei übernehmen, an der zu gründenden türkischen Tochtergesellschaft beteiligt sein und deren Geschäftsführer werden sollte. Dem persönlich haftenden Gesellschafter der Beklagten war es jedoch gleichgültig, ob nun der Geschäftsmann oder Roland F***** an der türkischen Gesellschaft beteiligt werde. In der Folge gründete der Geschäftsmann in der Türkei eine Tochtergesellschaft der beklagten Partei, an der diese zu 60 % direkt beteiligt war; die restlichen 40 % der Geschäftsanteile hielt er selbst treuhändig für die beklagte Partei. Er wurde zum Geschäftsführer bestellt und erwirkte eine Importgenehmigung. Die klagende Partei war weder in die Gesellschaftsgründung noch in die Erlangung der Importgenehmigung involviert. Der Geschäftsmann nahm in der Folge die Geschäftstätigkeit in der Türkei auf. Er war Ansprechpartner der beklagten Partei und legte dieser Berichte über den Geschäftsgang vor. Die für den Markteintritt notwendigen Zahlungen und Getränkelieferungen der beklagten Partei erfolgten direkt an ihn persönlich bzw die Tochtergesellschaft. Nach Vorliegen des Ergebnisses einer im Hinblick auf den Verdacht von Unregelmäßigkeiten bei einem Steuerberater in Auftrag gegebenen Prüfung der Geschäftsgebarung entließ der Geschäftsführer der beklagten Partei am 26. Oktober 2004 den Geschäftsmann fristlos mit der Begründung, dass dieser Betrugshandlungen gesetzt und Gelder veruntreut habe. Die treuhändig gehaltenen Geschäftsanteile wurden an die beklagte Partei rückübereignet. Im August 2005 brachte die klagende Partei gegen die beklagte Partei beim Landesgericht Linz eine auf Rechnungslegung über die vom 1. Jänner 2004 bis 31. Mai 2005 in die Türkei gelieferten Getränke und auf Zahlung des sich aus der Rechnungslegung ergebenden Provisionsbetrags gerichtete Stufenklage ein. In ihrer am 12. September 2005 verfassten Klagebeantwortung erklärte die beklagte Partei die vorzeitige Auflösung der 2003 geschlossenen Vereinbarung aus wichtigem Grund.

Mit der vorliegenden Klage begehrte die klagende Partei die urteilsmäßige Feststellung, dass die zwischen den Streitteilen 2003 geschlossene Vereinbarung nach wie vor aufrecht bestehe. Die von der beklagten Partei ausgesprochene vorzeitige Vertragsauflösung sei unberechtigt. Ein Umstand, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen würde, liege nicht vor.

Die beklagte Partei wendete ein, sie habe das Vertragsverhältnis berechtigt aufgelöst. Sie und ihr Komplementär hätten bis Ende August 2004 insgesamt 181.745 EUR für die Vorbereitung und den Aufbau des türkischen Marktes an den Geschäftsmann bzw die türkische Tochtergesellschaft überwiesen; am 20. Oktober 2004 seien Getränke im Wert von 313.951,20 EUR geliefert worden. Eine im Oktober 2004 durch einen türkischen Steuerberater vorgenommene Prüfung der Geschäftsgebarung der Tochtergesellschaft habe gezeigt, dass sich der Geschäftsmann aus den Zahlungen und Lieferungen durch betrügerische Handlungen Vermögenswerte im Umfang von 479.809 EUR zugeeignet habe. So habe er die von den Käufern erhaltenen Verrechnungsschecks nicht zu Gunsten der Tochtergesellschaft eingelöst, sondern diese an eine Factorbank übertragen und den Erlös des Factoringgeschäfts im Umfang von 255.803 EUR „privat" vereinnahmt. Weiters habe sich der Geschäftsmann Verkaufserlöse zugeeignet, wodurch ein Schaden in der Höhe von weiteren 224.000 EUR entstanden ist. Es sei deshalb unverzüglich seine fristlose Entlassung ausgesprochen worden. Der Geschäftsmann sei bei der Durchführung des Handelsvertretervertrags als Erfüllungsgehilfe der klagenden Partei anzusehen. Zudem habe er als deren „Vertrauensperson" gemäß Vertragspunkt VII fungiert. Sein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten sei der klagenden Partei daher zuzurechnen. Überdies seien die klagende Partei und der Geschäftsmann Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, in deren Rahmen sie sich die vereinbarte Provision teilen würden. Sollte das Verhalten des Geschäftsmanns der klagenden Partei aber nicht zurechenbar sein, dann hätte die klagende Partei ihre Vereinbarung nicht erfüllt, weil sie keinerlei Aktivitäten in der Türkei entfaltet und damit ihre Verpflichtungen als Handelsvertreter gröblichst verletzt habe. Auch dies werde als wichtiger Grund für die vorzeitige Vertragsauflösung geltend gemacht. Ein weiterer, die Vertragsauflösung rechtfertigender wichtiger Grund liege darin, dass der Geschäftsmann und die klagende Partei der beklagten Partei in treuwidrigem und sittenwidrigem Zusammenwirken den genannten Vermögensschaden zugefügt hätten. Die Treu- und Sittenwidrigkeit ergebe sich daraus, dass sich die klagende Partei darauf zurückziehe, sie sei Handelsvertreterin mit Provisionsanspruch, ohne irgendeine Tätigkeit entfalten zu müssen, und zugleich behaupte, die betrügerischen Handlungen des Geschäftsmanns seien ihr in keiner Weise zuzurechnen. Das beim Landesgericht Linz geführte Verfahren sei ein „Scheinprozess" mit dem überwiegend sittenwidrigen Motiv einer Schädigungsabsicht. Da die beklagte Partei keinerlei Aktivitäten zur Vorbereitung der Geschäfte in der Türkei entfaltet habe, stehe ihrer Provisionsforderung keine Gegenleistung gegenüber; dies begründe die Sittenwidrigkeit des Vertrags, zumal die klagende Partei offenbar die Unerfahrenheit der beklagten Partei zu ihrem eigenen Vorteil ausgenützt habe. „Hilfsweise" werde die Vereinbarung wegen Treu- und Sittenwidrigkeit angefochten.

Die klagende Partei replizierte, ihre Tätigkeit habe darin bestanden, eine Vertriebserlaubnis für einen bestimmten, von der beklagten Partei produzierten Energy-Drink in der Türkei zu erwirken. Eine darüber hinausgehende Mitwirkung beim Vertrieb sei nicht vereinbart worden; dies habe seinen Niederschlag im Vertrag gefunden. Die klagende Partei habe zur Erfüllung ihrer Verpflichtung die Kontakte des Geschäftsmanns genutzt und diesem diverse Reisen in die Türkei finanziert. Zwischen ihr und dem Geschäftsmann bestehe keine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Mit der Gründung der türkischen Tochtergesellschaft und den Marketingmaßnahmen habe die klagende Partei nichts zu tun gehabt. Der Geschäftsmann habe seine Handlungen stets als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft der beklagten Partei gesetzt und nicht mit Wissen und im Auftrag der klagenden Partei. Diese habe auch keine Informationen über den Geschäftsverlauf erhalten. Der beklagten Partei wäre freigestanden, einen weiteren Geschäftsführer ihrer Tochtergesellschaft zu installieren. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die zwischen den Streitteilen geschlossene Vereinbarung sei als Handelsvertretervertrag zu qualifizieren. Der von der beklagten Partei geltend gemachte Vertragsauflösungsgrund sei verwirkt, weil zwischen der fristlosen Entlassung des Geschäftsmanns und dem Ausspruch der vorzeitigen Vertragsauflösung etwa elf Monate verstrichen seien. Deshalb sei ohne Belang, ob der Geschäftsmann eine Vertrauensperson der klagenden Partei im Sinne des Vertragspunkts VII gewesen sei, ebenso ob zwischen diesem und der klagenden Partei ein Rechtsverhältnis bestehe bzw welcher Art ein solches Rechtsverhältnis sei. Der Vertrag sei nicht sittenwidrig, da ausdrücklich festgehalten worden sei, dass der klagenden Partei auch dann ein Provisionsanspruch zustehen solle, wenn sie keine verdienstliche Tätigkeit entfalte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es liege ein Dauerschuldverhältnis vor, das aus wichtigem Grund gelöst werden könne. Die vom Erstgericht erzielte Lösung bewege sich außerhalb des Parteivorbringens, weil die klagende Partei niemals den Einwand erhoben habe, die beklagte Partei habe die Vertragsauflösung nicht unverzüglich erklärt. Dieser Einwand wäre jedoch notwendig gewesen, um einen konkludenten Verzicht der beklagten Partei auf die Geltendmachung jener Umstände als Vertragsauflösungsgrund wahrnehmen zu können, die zur Entlassung des Geschäftsmanns geführt haben. Daraus sei jedoch für die beklagte Partei nichts zu gewinnen, weil das von ihr behauptete strafbare Verhalten des Geschäftsmanns nicht erwiesen sei. Das Erstgericht habe keine Feststellungen getroffen, wonach sich dieser tatsächlich finanzielle Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen habe lassen. Das Unterbleiben solcher Feststellungen sei in der Berufung nicht gerügt worden, woraus der Schluss zu ziehen sei, dass selbst die beklagte Partei die vorliegenden Beweisergebnisse als nicht ausreichend ansehe, um dem Geschäftsmann ein konkretes Vermögensdelikt anlasten zu können. Sei aber dessen Fehlverhalten nicht erwiesen, dann stelle sich die Frage nicht mehr, ob die klagende Partei für dessen Verhalten als ihrem Erfüllungsgehilfen und/oder ihrer „Vertrauensperson" einzustehen habe; weiters könne dahingestellt bleiben, ob der Geschäftsmann an den der klagenden Partei zugesagten Provisionen intern (zB im Rahmen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts) beteiligt sei. Die weiters als wichtiger Grund für die vorzeitige Vertragsauflösung geltend gemachte Pflichtverletzung der Untätigkeit liege im Hinblick auf die getroffene Vereinbarung nicht vor. Von einer schikanösen Klageführung könne keine Rede sein. Indem sich die beklagte Partei auf ein auffallendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung und eine Ausnutzung ihrer Unerfahrenheit berufen habe, mache sie Wucher geltend. Wenn die bloß für ein bestimmtes Geschäft erforderlichen besonderen Kenntnisse fehlten, sei Unerfahrenheit nicht anzunehmen, sodass eine Sittenwidrigkeit der Vereinbarung wegen Wuchers ausscheide. Die Sittenwidrigkeit sei auch nicht mit dem Fehlen einer Gegenleistung begründbar, da Roland F***** durch die Übernahme einer Vorfinanzierung daran mitgewirkt habe, der beklagten Partei die Erweiterung ihres Absatzgebiets auf die Türkei zu ermöglichen bzw zu vermitteln. Das Vorbringen, infolge der Entlassung des Geschäftsmanns habe die im Dezember 2003 abgeschlossene Vereinbarung ihren Sinn verloren, sodass die türkische Tochtergesellschaft habe „aufgegeben" werden müssen und keine weiteren Verkäufe in der Türkei hätten getätigt werden können, verstoße gegen das Neuerungsverbot. Dies gelte auch für das Vorbringen, aus der Unkündbarkeit der Vereinbarung vom Dezember 2003 sei das Vorliegen eines Knebelungsvertrags abzuleiten.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist wegen eines auf unrichtiger Anwendung prozessrechtlicher Vorschriften beruhenden Stoffsammlungsmangels im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt. Das Erstgericht ging vom Vorliegen eines Handelsvertretervertrags aus und erachtete die aus dem Arbeitsrecht stammende - auch für das Handelsvertreter-Vertragsverhältnis geltende - Judikatur für anwendbar, nach der der Geschäftsherr eine auf einen wichtigen Grund gestützte Auflösungserklärung unverzüglich nach Kenntnis des wichtigen Grunds geltend zu machen hat (Jabornegg, HVG, 452 f mwN; HS 3296/22). In ihrer Berufung wies die beklagte Partei im Rahmen der Rechtsrüge zutreffend darauf hin, die klagende Partei habe im Verfahren erster Instanz die Verspätung der Auflösungserklärung nicht eingewendet. Diesem Argument folgend vertrat das Berufungsgericht die Rechtsansicht, auf die etwaige Verfristung des Auflösungsrechts sei mangels eines von der beklagten Partei in erster Instanz erhobenen Einwands nicht Bedacht zu nehmen. Dennoch ging das Berufungsgericht im Hinblick auf die sich aus dieser Rechtsansicht ergebenden rechtlichen Feststellungsmängel nicht mit Aufhebung des Ersturteils vor, sondern legte das Fehlen von Feststellungen der beklagten Partei mit dem Argument zur Last, diese habe in ihrer Berufung das Fehlen dieser Feststellungen - zum strafbaren Vorgehen des Geschäftsmanns - nicht gerügt. Nach ständiger Rechtsprechung und einhelliger Lehre ist aber von Amts wegen auf jede sich aus einer (zutreffenden) rechtlichen Beurteilung ergebende Unvollständigkeit des Sachverhalts Bedacht zu nehmen, sofern - wie hier - eine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge vorliegt (Pimmer in Fasching/Konecny2 IV/1 § 496 ZPO Rz 51 und Rz 58 mwN; Kodek in Rechberger ZPO3 § 496 Rz 4; 3 Ob 136/00x). Die Ansicht, die beklagte Partei hätte in ihrer Berufung das Fehlen von Feststellungen zu den dem Geschäftsmann vorgeworfenen finanziellen Unregelmäßigkeiten rügen müssen, steht somit im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach Feststellungsmängel, welche das Berufungsgericht auf Grund einer zutreffenden rechtlichen Beurteilung als gegeben ansieht, einen Berufungsgrund darstellen, der von Amts wegen bei Vorliegen einer gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge aufgegriffen werden muss und zwingend zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt. Zwar darf das Berufungsgericht nicht eine Verfahrensergänzung auftragen, um einer der Parteien die Möglichkeit zu verschaffen, ein Vorbringen, das sie bisher aus Untätigkeit, nachlässiger Prozessführung oder Unachtsamkeit nicht erstattet hat, im fortgesetzten Verfahren nachzutragen (SZ 56/185; RIS-Justiz RS0042444). Hier ist die Unvollständigkeit aber nicht auf einen Parteifehler, sondern auf einen für die Unvollständigkeit kausalen Gerichtsfehler zurückzuführen. Obwohl die beklagte Partei zu den dem Geschäftsmann vorgeworfenen Unregelmäßigkeiten detailliertes Vorbringen erstattet und Beweise angeboten hat, traf das Erstgericht dazu keine Feststellungen, weil es die Rechtsansicht vertrat, die Verspätung der Auflösungserklärung sei auch ohne entsprechenden Einwand zu berücksichtigen (vgl Pimmer aaO Rz 6). Dass die beklagte Partei ihre diesbezüglichen Beweisanträge zurückgezogen hätte, ist aus der Aktenlage nicht abzuleiten.

Im fortgesetzten Verfahren werden daher Feststellungen zu treffen sein, die eine Beurteilung zulassen, ob sich der Geschäftsmann Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen ließ, die einen zureichenden Grund für die sofortige Auflösung des zwischen ihm und der beklagten Partei bestehenden Vertragsverhältnisses abgeben konnten. Zuvor wird jedoch schon zu beurteilen sein, inwiefern ein zur Entlassung führendes Verhalten des Geschäftsmanns der klagenden Partei zurechenbar ist und gegebenenfalls auf welcher Rechtsgrundlage diese Zurechnung zu erfolgen hat. Dazu wird vor allem klarzustellen sein, ob er eine von der klagenden Partei namhaft gemachte „Vertrauensperson" im Sinne des Punkts VII des Vertrags ist. Zu diesem Zweck wird das zwischen dem Geschäftsmann und der klagenden Partei bestehende Rechtsverhältnis zu beleuchten und werden entsprechende Feststellungen zu treffen sein.

Im Hinblick auf die Rechtsnatur der von den Streitteilen eingegangenen Vertragsbeziehung müssen im fortgesetzten Verfahren auch folgende Grundsätze beachtet werden:

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können alle Arten von Dauerschuldverhältnissen durch einseitige Erklärung (außerordentliche Kündigung) aufgelöst werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für einen der Vertragsteile unzumutbar erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0027780). Dies gilt insbesondere auch für atypische und gemischte Dauerschuldverhältnisse (1 Ob 737/81 = MietSlg 33.197). Wenngleich der vorliegende Vertrag unzweifelhaft als Dauerschuldverhältnis zu qualifizieren ist, wird dennoch anhand der noch ergänzend zu treffenden Feststellungen zur Parteiabsicht und allenfalls im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu beurteilen sein, ob nicht bloß Elemente eines Handelsvertretervertrags, sondern - insbesondere im Hinblick auf Vertragspunkt VII - auch wesentliche Geschäftsbestandteile eines anderen Vertragstyps (etwa einer Erwerbsgesellschaft) enthalten sind, also ein gemischter Vertrag vorliegt. Allenfalls könnte die Vereinbarung aber auch einen atypischen Dauerrechtsvertrag darstellen, der keinem gesetzlich geregelten Vertragstyp eindeutig entspricht (vgl Koziol/Welser Bürgerliches Recht II13, 14). Jedenfalls wird das Ergebnis der Vertragsauslegung im Zusammenhalt mit den noch ergänzend zu treffenden Feststellungen für die Beurteilung entscheidend sein, ob der beklagten Partei die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses wegen eines wichtigen Grunds unzumutbar war. Ferner wird das Ergebnis der Auslegung des Vertrags auch dafür maßgeblich sein, ob sich aus dem Gesamtcharakter der Vereinbarung - im Sinne einer zusammenfassenden Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck - eine gegen § 879 ABGB verstoßende nachteilige Vertragsgestaltung ergibt (RIS-Justiz RS0022884).

Damit erweist sich die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen als unumgänglich.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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