OGH 12Os167/07m

OGH12Os167/07m21.2.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Februar 2008 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Lässig, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieltschnig als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dwight U***** und einen anderen Angeklagten wegen des Vergehens nach § 28 Abs 1 SMG aF und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Dwight U***** und George E***** gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 8. November 2007, GZ 23 Hv 99/07z-54, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Unterstellung des im Schuldspruch 2 dargestellten Sachverhalts unter § 28 Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG aF, damit auch in den Strafaussprüchen einschließlich der Vorhaftanrechnungen (nicht aber hinsichtlich der Einziehung von Suchtgift) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Ried im Innkreis verwiesen.

Im Übrigen werden die Nichtigkeitsbeschwerden zurückgewiesen. Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten auf die Aufhebung verwiesen.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Dwight U***** und George E***** des Vergehens nach § 28 Abs 1 SMG aF (1.) und des Verbrechens nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG aF (2.) schuldig erkannt.

Danach haben sie in der Nacht zum 24. August 2007 in Suben und anderen Orten im bewussten und gewollten Zusammenwirken den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in insgesamt mindestens 56-fach großer Menge (§ 28 Abs 6 SMG aF), nämlich Dwight U***** 971,1 Gramm Kokain (mit 440 +/- 15 Gramm Reinsubstanz) und George E***** 974,9 Gramm Kokain (mit 445 +/- 27 Gramm Reinsubstanz)

1. mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde;

2. von den Niederlanden über Deutschland aus- und nach Österreich eingeführt, wobei sie in der Absicht handelten, sich durch das wiederkehrende Begehen solcher Taten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richten sich die von den Angeklagten jeweils auf § 281 Abs 1 Z 3, 5 und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden. Zwar zeigen die inhaltlich gleich ausgeführten Verfahrensrügen (Z 3) zutreffend auf, dass eine Protokollierung von einvernehmlicher Verlesung, Vorführung oder Vortrag des „Aktes" der Vorschrift des § 271 Abs 1 Z 5 StPO nicht gerecht wird (vgl RIS-Justiz RS0110681). Die aus Z 3 des § 281 Abs 1 StPO unter Bezug auf § 271 StPO vorgetragene Kritik, das Protokoll lasse nicht erkennen, welche konkreten Aktenstücke verlesen wurden, weshalb die Beurteilung der Zulässigkeit der Verlesung einzelner Aktenstücke nicht erfolgen könne, scheitert allerdings am Gebot deutlicher und bestimmter Bezeichnung nach § 285a Z 2 StPO. Protokollierungsmängel können gestützt auf § 281 Abs 1 StPO Z 3 StPO nämlich nicht geltend gemacht werden (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 262; 13 Os 93/06k). Welche sonstigen Verfahrensvorschriften durch die Verlesung oder durch eine unterbliebene Verlesung von Aktenteilen verletzt worden sein sollen, legen die Beschwerdeführer hingegen nicht dar (vgl 13 Os 93/06k; siehe auch 14 Os 101/98, 11 Os 141/05b).

Die damit beide Schuldsprüche bekämpfenden Nichtigkeitsbeschwerden waren in diesem Umfang bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Im Recht sind hingegen die im Wesentlichen gleich ausgeführten Mängelrügen (Z 5), die inhaltlich jeweils eine Tatsachenrüge (Z 5a) zum Ausdruck bringen.

Die erkennenden Richter stützten die bekämpfte Qualifikation nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG aF zunächst darauf, dass der Erstangeklagte ein Fahrzeug in der Bundesrepublik anmietete, die Herkunft des Suchtgiftes und den Zielort ursprünglich verschwieg und bereits früher mehrmals Fahrzeuge gemietet hatte, mit denen er in kurzer Zeit mehrere tausend Kilometer zurückgelegt hatte (US 5). Daraus zogen sie überdies den Schluss, beide Nichtigkeitswerber hätten schon mehrmals derartige (von der Staatsanwaltschaft nicht inkriminierte) Schmuggelfahrten unternommen (US 5).

Darüber hinaus folgerten die Tatrichter das Schöffengericht aus der „professionellen" Vorgangsweise (weil die Angeklagten das Suchtgift mittels Bodypacking, also in von ihnen verschluckten Kapseln, die Suchtgift enthielten, über die Grenzen brachten) auf eine Absicht beider Rechtsmittelwerber, sich durch wiederkehrende Begehung derartiger Suchtgifttransporte eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (US 4).

Dem Urteil zufolge gehörten die beiden Beschwerdeführer einer „europaweit agierenden nigerianischen Drogenbande" an, „die aus dem Suchtgifttransport und dem Suchtgiftverkauf ihr Einkommen bezieht" (US 5). Aus der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung schlossen die Tatrichter sodann auf ein gewerbsmäßiges Vorgehen. Dazu bleibt festzuhalten, dass weder die Anklage noch der Schuldspruch auf eine Qualifikation nach § 28 Abs 3 zweiter Fall SMG aF bzw nach § 28 Abs 4 Z 1 oder Z 2 SMG aF abstellt. Zu den Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung iSd § 278 StGB wurden auch keine Feststellungen getroffen. Begründet wurde die Bandenkriminalität damit, dass „der tatsächliche Abnehmer des Suchtgiftes in Wien nicht genannt wurde" und ein unbekannter Informant diese Schmuggelfahrt telefonisch angekündigt und die beiden Angeklagten dabei als Drogenbandenmitglieder bezeichnet hatte (US 5).

Schließlich stützte sich das erkennende Gericht zur Begründung der Gewerbsmäßigkeit auf ein fehlendes bzw geringes Einkommen in Verbindung mit der bereits dargestellten „professionellen" Vorgangsweise. Im Hinblick auf eine zur Ausscheidung der verschluckten Kapseln notwendige Aufenthaltsdauer in Wien erachtete das Erstgericht die Angaben des Dwight U*****, er gehe in der Bundesrepublik Deutschland einer geregelten Arbeit nach, als „zweifelhaft" (US 6). Weshalb auch beim drei Wochen vor der nunmehr vorgeworfenen Tat arbeitslos gewordenen George E***** (US 3) von einer geringen oder fehlenden Einkommenslage auszugehen sei, wurde im Urteil nicht dargetan. Auf die vom Zweitangeklagten vorgelegten Urkunden zu einer bloß vorübergehenden Unterbrechung seines Arbeitslosenbezugs ging das Schöffengericht - wie vom Beschwerdeführer aufgezeigt - nicht weiter ein.

Gegenstand der Tatsachenrüge sind Feststellungen, angesichts derer - gemessen an allgemeinen Erfahrungs- und Vernunftsätzen - eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert nahe liegt, die somit schlechterdings unerträglich sind (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 391 und Rz 490; RIS-Justiz RS0119583; RS0118780).

Vorweg kann dahingestellt bleiben, ob einzelne der - miteinander nicht im Sinne einer notwendigen Bedingung verknüpften (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 409) - Urteilserwägungen mit einem Mangel iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO behaftet sein mögen. Denn aus den Akten ergeben sich - wie die Beschwerdeführer inhaltlich in ihren Rechtsmitteln zum Ausdruck bringen - erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der angenommenen gewerbsmäßigen Begehungsweise.

Aus dem Schweigen eines Angeklagten darf nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen (in denen die belastenden Beweise geradezu nach einer Erklärung des Angeklagten rufen) eine Schlussfolgerung gezogen werden (vgl Kirchbacher, WK-StPO § 245 Rz 47 mwN; 15 Os 18/06w, SSt 2006/33). Indem die beiden Nichtigkeitswerber fallbezogen in einigen Punkten (und auch hier nur zeitweise) bloß ihr aus Art 6 MRK (vgl Grabenwarter EMRK3 § 24 Rz 119) und § 90 Abs 2 B-VG (vgl VfSlg12.454/1997) ableitbares Grundrecht wahrnahmen, sich nicht selbst belasten zu müssen (vgl §§ 178, 179 Abs 1, 245 Abs 2 StPO aF; nunmehr § 7 Abs 2 StPO; Kirchbacher, WK-StPO § 245 Rz 45 ff), waren die darauf aufbauenden beweiswürdigenden Überlegungen des erkennenden Gerichts von vornherein bedenklich.

Die weiteren Begründungen des Schöffengerichts erschöpfen sich in Folgerungen, die bloßen Behauptungen bzw Vermutungen bedenklich nahe kommen, so etwa der Schluss von früheren, ausgedehnten Mietautofahrten und der ursprünglichen Weigerung, Herkunft des Suchtmittels und Zielort bekannt zu geben (also einen Umstand, der in die Beweiswürdigung gar nicht hätte einfließen dürfen), auf von beiden Rechtsmittelwerbern dabei durchgeführte weitere Suchtgiftschmuggelfahrten, die nach Ansicht der Tatrichter durch Verschlucken von mit Kokain gefüllten Behältnissen zum Ausdruck kommende „Professionalität" und die aus einem bis zur Ausscheidung der verschluckten Kapseln geplanten Verbleib in Wien gefolgerte Einkommenslosigkeit. Daraus wurde sodann eine Absicht auf Tatwiederholung abgeleitet.

Die „Bandenzugehörigkeit", aus welcher die erkennenden Richter in erster Linie die Qualifikation nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG aF erschlossen, stützte das Erstgericht auf eine dies behauptende anonyme Quelle (vgl S 83) und auf die (wie bereits dargelegt unzulässig herangezogene) Weigerung der Angeklagten, ihre Abnehmer bekannt zu geben, also auf Umstände, welche - gemessen an allgemeinen Erfahrungs- und Vernunftsätzen - eine solche Beweiswürdigung höchst fragwürdig erscheinen lassen.

Die im bekämpften Urteil enthaltene Feststellungsgrundlage für die Gewerbsmäßigkeitsqualifikation ist daher in der vorliegenden Form mit einem Mangel nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO behaftet. Die Unterstellung der im Schuldspruch 2 genannten Tat unter § 28 Abs 3 erster Fall SMG aF war somit aufzuheben.

Im Recht sind überdies die Subsumtionsrügen (Z 10), welche einen Mangel an Konstatierungen zur subjektiven Tatseite betreffend die Ein- und Ausfuhr einer so genannten übergroßen Menge im Sinne des § 28 Abs 4 Z 3 SMG aF vorbringen.

Das Schöffengericht stellte dazu fest, dass die beiden Angeklagten im bewussten und gewollten Zusammenwirken insgesamt 200 Stück Bodypacks mit Kokain übernahmen, schluckten und dieses Suchtgift wissentlich und willentlich von den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland aus- und sodann nach Österreich einführten (US 4). Den Beschwerdeführern war nach den Urteilsannahmen die „Art und die übernommene Menge Suchtgift bekannt". Sie wussten weiters, dass das von ihnen geschmuggelte Kokain „geeignet war, eine Gewöhnung hervorzurufen und im großen Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen" (US 4). In Zusammenhalt mit den Urteilserwägungen zur „Kenntnis der übergroßen Menge", weil „jeder (der Angeklagten) für sich die übergroße Menge an Suchtgift in sich gehabt" hat und „auch davon wusste, dass der Mitangeklagte ebenfalls Suchtgift geschluckt hatte" (US 5), kommt damit - allenfalls - die Wissenskomponente um ein das 25-fache der großen Menge im Sinne des § 28 Abs 6 SMG aF überschreitendes Suchtgiftquantum zum Ausdruck. Die diesbezüglich notwendige (vgl Hinterhofer in Hinterhofer/Rosbaud SMG § 28 Rz 77) Wollenskomponente wird durch diese Konstatierungen offengelassen. Die Unterstellung der im Schuldspruch 2 genannten Tat unter § 28 Abs 4 Z 3 SMG aF war daher im Grunde der dargestellten Feststellungen im angefochtenen Urteil gleichfalls aufzuheben.

Aus diesem Grund bedurfte es keines weiteren Eingehens auf die übrigen, diese beiden Qualifikationen bekämpfenden Beschwerdeargumente.

In diesem Umfang war beiden Nichtigkeitsbeschwerden bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort Folge zu geben, die Unterstellung des im Schuldspruch 2 genannten Sachverhalts unter § 28 Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG aF und damit auch die beide Angeklagten betreffenden Strafaussprüche einschließlich der Vorhaftanrechnungen (nicht aber auch die Entscheidung nach § 34 SMG aF iVm § 26 StGB) aufzuheben und die Sache insoweit an das Landesgericht Ried im Innkreis zu neuer Verhandlung und Entscheidung zu verweisen (§ 285e StPO).

Mit ihren Berufungen waren die beiden Angeklagten auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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