OGH 3Ob1/08f

OGH3Ob1/08f30.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.‑Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Dagmar K*****, vertreten durch Muhri & Werschitz Partnerschaft von Rechtsanwälten GmbH in Graz, wider den Gegner der gefährdeten Partei Roland S*****, vertreten durch Mag. Peter Freiberger, Rechtsanwalt in Mürzzuschlag, wegen Verlängerung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382b EO, infolge Revisionsrekurses des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 25. Oktober 2007, GZ 2 R 285/07x‑22, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Mürzzuschlag vom 19. September 2007, GZ 8 C 58/07d‑16, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Gegner der gefährdeten Partei hat der gefährdeten Partei die mit 403,58 EUR (darin 67,26 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die antragstellende gefährdete Partei (Antragstellerin) und der Antragsgegner waren Lebensgefährten und lebten in einer vom Antragsgegner gemieteten Wohnung. Der Lebensgemeinschaft entstammt ein im Jahr 2005 geborenes Kind. Mit der einstweiligen Verfügung (EV) vom 18. Juni 2007 wurde dem Antragsgegner gemäß § 382b EO für die Dauer von drei Monaten das Betreten der Wohnung und die Rückkehr in ihre unmittelbare Umgebung verboten. Am 13. August 2007 brachte der Antragsgegner eine Räumungsklage wegen titelloser Benützung der Wohnung durch die Antragstellerin ein. Dieses Verfahren ist noch anhängig. Am 14. September 2007 beantragte die Antragstellerin, die EV bis drei Monate nach rechtskräftiger Beendigung des Räumungsverfahrens zu verlängern.

Das Erstgericht verlängerte die EV bis zur rechtskräftigen Beendigung des Räumungsverfahrens und wies das Mehrbegehren der Antragstellerin sowie das Begehren des Antragsgegners, den Verlängerungsantrag abzuweisen, ab. Beim anhängigen Räumungsverfahren handle es sich um ein Verfahren zur Klärung der Benützungsberechtigung an der Wohnung gemäß § 382b Abs 4 EO.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragsgegners nicht Folge. Eine vor Einleitung eines der in § 382b Abs 4 EO aufgezählten Verfahren erlassene EV könne nach Einbringung der Klage verlängert werden. Die gefährdete Partei brauche nur darzutun, dass sich die entscheidungswesentlichen Umstände nicht nachträglich geändert hätten. Unter einem Verfahren zur Klärung der Benützungsberechtigung an der Wohnung seien auch Klagen wegen titelloser Benützung zwischen Lebensgefährten oder Klagen auf Räumung zu verstehen. Dass die Klage hier vom Antragsgegner eingebracht worden sei, sei bedeutungslos, weil es sonst der Gegner der gefährdeten Partei durch das frühzeitige Einleiten eines Verfahrens in der Hand hätte, eine Verlängerung der EV zu verhindern. Die Frage, ob die Räumungsklage berechtigt sei, könne für die Verlängerung der EV nicht wesentlich sein.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer oberstgerichtlichen Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Fall zulässig sei.

Mit seinem Revisionsrekurs beantragt der Antragsgegner erkennbar die Abänderung dahin, dass der Antrag auf Verlängerung der EV abgewiesen werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.

Die Antragstellerin beantragt, den Revisionsrekurs als verspätet oder aber als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil zur erheblichen Rechtsfrage oberstgerichtliche Rechtsprechung fehlt, ob eine Verlängerung einer EV iSd § 382b Abs 4 EO, womit einem Lebensgefährten das Betreten der gemeinsamen Wohnung und die Rückkehr in dieselbe verboten wurde, zur Voraussetzung hat, dass das anhängig gemachte Räumungsverfahren von der gefährdeten Partei eingeleitet wurde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist jedoch nicht berechtigt.

I. In formeller Hinsicht ist Folgendes vorauszuschicken:

1. Der Revisionsrekurs ist nicht verspätet:

Der angefochtene Beschluss wurde dem Antragsgegner am 12. November 2007 zugestellt. Nach dem Postaufgabestempel wäre der Revisionsrekurs am 27. November 2007, also außerhalb der 14tägigen Rekursfrist (§ 402 Abs 3 EO), zur Post gegeben worden. Nach den vom Erstgericht gepflogenen Erhebungen hat der Rechtsvertreter des Antragsgegners unter Vorlage seines Fristenbuches allerdings bescheinigt, dass er das Rechtsmittel am 26. November 2007 knapp vor 18 Uhr beim Postamt Mürzzuschlag aufgegeben hat. Diese Angaben wurden von einem Postbeamten nach Überprüfung der auf dem Kuvert aufscheinenden Aufgabennummer dahin bestätigt, dass die Aufgabe des Schriftsatzes am 26. November 2007 um 17.45 Uhr stattgefunden habe. Es ist demnach davon auszugehen, dass bei der Postaufgabe am 26. November 2007 der Datumsstempel der Post bereits auf den folgenden Tag umgestellt gewesen ist. Damit erweist sich das Rechtsmittel als rechtzeitig.

2. Es liegt keine unanfechtbare Konformatsentscheidung iSd § 528 Abs 2 Z 2 ZPO vor:

Die Verlängerung einer EV kommt der Erlassung einer neuen EV gleich. Dies rechtfertigt die analoge Anwendung des § 402 Abs 1 EO (RIS‑Justiz RS0106985).

3. Entgegen der in der Revisionsrekursbeantwortung der Antragstellerin vertretenen Auffassung schadet es nicht, dass der Revisionsrekurswerber das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zur Begründung der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht gesondert begründet, sondern nur eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung im Revisionsrekurs ausführt.

4. Das Rekursgericht hat den Entscheidungsgegenstand, der nicht in Geld besteht, nicht bewertet. Dazu bestand auch kein Anlass, weil der Entscheidungsgegenstand durch den nicht geldwerten Gehalt, der in der Änderung der persönlichen Lebensgestaltung der vormaligen Ehegatten gelegen ist, charakterisiert ist (RIS‑Justiz RS0105351). Dies gilt auch für Lebensgefährten wie hier.

II. Zur aufgezeigten Rechtsfrage ist Folgendes auszuführen:

1. Eine zum Schutz vor Gewalt in der Familie gemäß § 382b EO erlassene und mangels eines schon anhängigen Verfahrens iSd Abs 4 leg cit auf höchstens drei Monate befristete EV kann über Antrag verlängert werden, wenn in der Zwischenzeit ein Hauptverfahren anhängig gemacht wurde (6 Ob 11/98f = SZ 71/13; RIS‑Justiz RS0109194). Eine ohne Zusammenhang mit einem Verfahren auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe, auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens oder auf Klärung der Benützungsberechtigung an der Wohnung beantragte EV kann höchstens auf die Dauer von drei Monaten erlassen werden. Der Sicherungswerber soll nicht gezwungen sein, eine Klage zu erheben. Wenn er eine Verlängerung der EV anstrebt, ist er dazu allerdings gezwungen, es sei denn, der Antragsgegner hätte in der Zwischenzeit - wie im vorliegenden Fall - bereits eine Klage eingebracht. Dann stellt sich die Frage, ob die Verlängerung der EV dennoch zulässig ist, obwohl die gefährdete Partei keinen Hauptanspruch mit Klage geltend gemacht hat. Der Revisionsrekurswerber steht auf dem Standpunkt, dass die Antragstellerin eine Klage zur Durchsetzung ihres Wohnrechts hätte einbringen müssen und mangels (eigener) Klageführung zur Verlängerung der EV nicht legitimiert sei, weil sie nicht einmal „theoretisch" einen Rechtsanspruch auf die vom Antragsgegner allein gemietete Wohnung habe und diese nur „schmarotzerisch" nutze.

2. Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck sprechen gegen den Rechtsstandpunkt des Revisionsrekurswerbers:

a) § 382b Abs 4 EO lässt die Frage offen, wer eines der dort angeführten Verfahren einzuleiten hat, damit eine auf drei Monate befristete EV längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptverfahrens verlängert werden kann. Das Gesetz enthält nur den Hinweis auf ein Verfahren, nicht aber den Gesetzesauftrag, wer die Klage einzubringen hat („... auch ohne Zusammenhang mit einem Verfahren ..."). Die mit dem Gewaltschutzgesetz (BGBl 1996/759) eingeführte Regelung der EO zum Schutz vor Gewalt in der Familie verbesserte den Rechtsschutz des gefährdeten Familienmitglieds und erweiterte den Anwendungsbereich auf nahe Angehörige, zu denen Lebensgefährten gehören. Bei diesen ist die Grundlage einer mehr als drei Monate wirksamen EV ein Verfahren zur Klärung der Benützungsberechtigung an der Wohnung, deren Betreten dem Gegner der gefährdeten Partei verboten werden soll bzw bereits verboten wurde.

b) Der Gesetzeszweck liegt im Schutz der körperlichen Sicherheit des gefährdeten Lebensgefährten. Der Schutzanspruch kann nach den Umständen des Einzelfalls bis zur Beendigung des Hauptverfahrens bestehen, wenn dem Sicherungswerber das weitere Zusammenleben mit dem anderen unzumutbar ist. Das Schutzinteresse hängt nicht davon ab, wer das Hauptverfahren anhängig gemacht hat. In den in der Praxis häufig vorkommenden Fällen der Gewaltausübung gegen einen Ehegatten kann dessen Schutzanspruch nicht deshalb verneint werden, weil schon der andere eine Scheidungsklage eingebracht hat. Zwar bestünde die Möglichkeit der Einbringung einer Widerklage, genauso wie die Antragstellerin im vorliegenden Fall ihrerseits eine Klage, etwa auf Feststellung ihres Wohnrechts, einbringen könnte, die Einbringung einer solchen Klage als Voraussetzung einer nicht bloß auf drei Monate befristeten EV oder einer Verlängerung einer solchen widerspricht aber dem aus § 382b Abs 4 EO abzuleitenden Gesetzeszweck, der nur auf den zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang der EV mit einem der dort genannten Verfahren abstellt. Die Forderung nach einer Klageführung auch des Sicherungswerbers (wenn der Antragsgegner schon ein Verfahren eingeleitet hat) ist jedenfalls dann unzweckmäßig und unnötige Kosten verursachend, wenn der Sicherungswerber im schon anhängigen Verfahren sein Prozessziel, das er mit einer eigenen Klageführung anstrebte, mit Einwendungen gegen die Klage des Gegners erreichen kann. In beiden Fällen (eigene Klageerhebung des Sicherungswerbers oder aber bloß Einwendungen gegen die Klage des anderen) bleibt jedenfalls der Sicherungszweck derselbe. Zurecht wird daher im Schrifttum für die zulässige Dauer der EV als maßgebliches Kriterium (nur) die Identität der Parteien von Provisorial- und Hauptverfahren hervorgehoben (Sailer in Burgstaller/Deixler‑Hübner, EO, § 382b Rz 18; Zechner, Sicherungsexekution und einstweilige Verfügung, 182). An keiner Stelle wird verlangt, dass das Hauptverfahren über Klage des Sicherungswerbers eingeleitet worden sein muss, um eine EV bis (längstens) zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft der Entscheidung im Hauptverfahren erwirken zu können.

c) Für seinen Standpunkt kann der Revisionsrekurswerber auch nicht die Ausführungen von E. Kodek (in Angst, EO, § 382b Rz 16), die sich mit den Erläuterungen in der Regierungsvorlage zum Gewaltschutzgesetz decken (RV 252, BlgNR XX. GP, 9), ins Treffen führen. In der Regierungsvorlage heißt es nur:

„Da die einstweilige Verfügung nunmehr nicht nur zwischen Ehegatten erlassen werden kann, ist es erforderlich, auch auf andere Verfahren als auf solche im Zusammenhang mit der Auflösung der Ehe hinzuweisen. Denkbar sind etwa Verfahren wegen titelloser Benützung zwischen Lebensgefährten oder zwischen Eltern und ihren selbsterhaltungsfähigen Kindern. Ein an der Wohnung materiell zumindest mitberechtigter Antragsteller kann gegen den anderen Teil eine Klage auf Aufhebung der Miteigentumsgemeinschaft oder einer Mitmietgemeinschaft (vgl Dittrich/Tades ABGB34 § 843 E 10) oder (sofern dieser überhaupt titellos benutzt) eine Räumungsklage einbringen und auch einen Antrag auf einstweilige Verfügung nach § 382b stellen. Eine materielle Berechtigung an der Wohnung ist jedoch nicht Voraussetzung für die Antragsberechtigung."

Es ist zwar einzuräumen, dass in den Erläuterungen nur auf den Antragsteller (Sicherungswerber) als Kläger abgestellt wird. Offenkundig wurde dabei aber nur an den in der Praxis, insbesondere in den Fällen der Gewaltausübung unter Eheleuten, üblichen Normalfall gedacht, dass der Sicherungswerber selbst mit Klage das Hauptverfahren (Scheidungsverfahren) eröffnet. Schon mangels Erwähnung des gegenteiligen Falls in den Gesetzesmaterialien kann aus der zitierten Stelle für den Standpunkt des Revisionsrekurswerbers kein sachlich begründeter Schluss gezogen werden.

d) Dies gilt auch für die in Vorwegnahme des Prozessergebnisses angestrebte Ableitung, dass die Sicherungswerberin einen „theoretischen" Rechtsanspruch auf die Nutzung der Wohnung haben müsse, um von einem Verfahren zur Klärung der Benützungsberechtigung an der Wohnung iSd § 382b Abs 4 EO sprechen zu können. Gegen diese Meinung steht schon die Ausführung in der Regierungsvorlage, dass es auf die materielle Berechtigung an der Wohnung als Voraussetzung der Antragsberechtigung im Provisorialverfahren nicht ankommt. Bei gegenteiliger Meinung wäre die Verknüpfung der Dauer der EV mit einem anhängigen Verfahren inhaltsleer. Wenn der Antragsgegner seine Räumungsklage auf die titellose Benützung der Wohnung stützte und hier selbst einräumt, die Beklagte habe dem Klagebegehren ein eigenes, vom Naturalunterhaltsanspruch der gemeinsamen Tochter (auf Benützung der Wohnung) abgeleitetes Wohnrecht entgegengesetzt, liegt es auf der Hand, dass ein Hauptverfahren im Sinne der zitierten Gesetzesstelle von derselben rechtlichen Qualität anhängig ist, wie dies auf Klagen auf Aufhebung der Miteigentumsgemeinschaft oder einer Mitmietergemeinschaft zutrifft. Da wie dort geht es um die Benützungsberechtigung an der Wohnung. Ob die Benützung der Wohnung durch die Antragstellerin „schmarotzerisch ist und ihre Rechtsausübung als schikanös" zu bewerten wäre, kann nur im Hauptverfahren und nicht im Verfahren über die Verlängerung der EV beurteilt werden.

Abschließend ist aus den dargelegten Gründen festzustellen:

Eine zunächst auf drei Monate befristete einstweilige Verfügung, womit einem Lebensgefährten das Betreten der Wohnung und die Rückkehr in die Wohnung verboten wurde (§ 382b Abs 4 EO), kann nach Einbringung einer Räumungsklage durch den Gegner der gefährdeten Partei bis zur Rechtskraft des Räumungsstreits verlängert werden. Die Verlängerung setzt nicht voraus, dass die Sicherungswerberin selbst das Verfahren zur Klärung der Benützungsberechtigung an der Wohnung mit Klage eingeleitet hat.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO iVm §§ 78 und 402 Abs 4 EO.

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