OGH 2Ob62/07t

OGH2Ob62/07t24.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****-GmbH, *****, vertreten durch Dr. Zsizsik & Dr. Prattes Rechtsanwälte OEG in Bruck an der Mur, gegen die beklagten Parteien 1. Bernhard L*****, und 2. G***** AG, *****, beide vertreten durch Dr. Helmut Klement und Dr. Annemarie Stipanitz-Schreiner, Rechtsanwälte in Graz, wegen 11.148,71 EUR sA, über die Revisionen sämtlicher Streitteile gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 19. Dezember 2006, GZ 5 R 207/06k-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. August 2006, GZ 14 Cg 131/05p-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

  1. 1. Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
  2. 2. Der Revision der beklagten Parteien wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

    3. Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 2.681,20 EUR (darin 339,81 EUR USt und 642,40 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 17. 3. 2005 ereignete sich gegen 18.45 Uhr auf der ampelgeregelten Kreuzung Kalvariengürtel/Wiener Straße/Bahnhofgürtel/Peter-Tunner-Gasse in Graz ein Verkehrsunfall, an dem Peter C***** als Lenker des von der klagenden Partei gehaltenen Pkws Audi A6-S8 mit dem behördlichen Kennzeichen ***** und der Erstbeklagte als Lenker des bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten Pkws Opel Vectra mit dem behördlichen Kennzeichen ***** beteiligt waren.

Die klagende Partei begehrte den Ersatz des ihr bei dem Unfall entstandenen Sachschadens in Höhe von 11.148,71 EUR sA und brachte vor, der Lenker ihres Fahrzeugs sei bei Grünlicht aus der Wiener Straße in die Kreuzung eingefahren, um nach links in den Kalvariengürtel einzubiegen. Von dort sei der Erstbeklagte unter Missachtung des für ihn geltenden Rotlichts sowie des Vorrangs des Klagsfahrzeugs ebenfalls in die Kreuzung eingefahren. Den Erstbeklagten treffe daher das Alleinverschulden an der Kollision. Selbst wenn die Ampel für den Erstbeklagten schon Grünlicht gezeigt haben sollte, hätte er mit noch im Kreuzungsbereich befindlichen Fahrzeugen des Querverkehrs rechnen müssen.

Die beklagten Parteien wandten ein, nicht der Erstbeklagte, sondern der Lenker des Klagsfahrzeugs sei bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren. Dieser habe wegen eines vor ihm wendenden Fahrzeugs während seiner Grünphase anhalten müssen und auf das Umschalten der Ampel nicht geachtet. Er hätte sich vor der Weiterfahrt vergewissern müssen, ob dies gefahrlos möglich sei. Im Hinblick auf seine Anhalteposition wäre es ihm zumutbar gewesen, die nächste Grünphase der Ampel abzuwarten. Die beklagten Parteien wandten ferner den am Beklagtenfahrzeug entstandenen Sachschaden aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Hiebei ging es zusammengefasst von folgendem Sachverhalt aus:

Die Fahrbahn der Wiener Straße wird durch eine 1,4 m breite Grüninsel in zwei Richtungsfahrbahnen geteilt. Die vom Klagsfahrzeug befahrene Richtungsfahrbahn ist vor der Unfallkreuzung insgesamt 15,7 m breit und verfügt über fünf durch Leitlinien markierte Fahrstreifen, von denen die beiden äußerst linken zum Einbiegen in den Kalvariengürtel vorgesehen sind. Die übrigen Fahrstreifen dienen zur Geradeausfahrt in den Bahnhofgürtel bzw zum Rechtseinbiegen in die Peter-Tunner-Gasse. 5 m vor der Ampelanlage ist eine Haltelinie markiert.

Die Fahrbahn des Kalvariengürtels wird durch eine 3,4 m breite Grüninsel ebenfalls in zwei Richtungsfahrbahnen geteilt. Die vom Beklagtenfahrzeug befahrene Richtungsfahrbahn ist insgesamt 12,8 m breit und verfügt über fünf Fahrstreifen, von denen der äußerst rechte zum Einbiegen in die Wiener Straße und die beiden anschließenden Fahrstreifen zur Geradeausfahrt in die Peter-Tunner-Gasse vorgesehen sind. Die beiden übrigen Fahrstreifen dienen zum Einbiegen nach links in den Bahnhofgürtel. Der Lenker des Klagsfahrzeugs fuhr im äußerst linken Fahrstreifen der zur Unfallkreuzung führenden Richtungsfahrbahn der Wiener Straße und hatte die Absicht, nach links in den Kalvariengürtel einzubiegen. Infolge Rotlichts der Ampel musste er vor der Kreuzung anhalten. Vor ihm befand sich zumindest ein weiteres Fahrzeug. Als die Ampel für seine Fahrtrichtung auf Grünlicht schaltete, fuhr der Lenker des vor dem Klagsfahrzeug stehenden Pkws los, hielt aber, weil er umkehren wollte, nach kurzer Fahrstrecke wieder an, um die vom Kalvariengürtel nach rechts in die Wiener Straße einbiegenden Fahrzeuge abzuwarten. Auch der dahinter folgende Lenker des Klagsfahrzeugs musste dieses kurz nach dem Überqueren der Haltelinie neuerlich zum Stillstand bringen. In seiner nunmehrigen Anhalteposition überragte das Klagsfahrzeug die Haltelinie mit der Frontpartie um 3 m, sodass der Lenker noch Sicht auf die Ampel hatte. Das Klagsfahrzeug befand sich zur Gänze noch vor der Verschneidungslinie der Wiener Straße und des Kalvariengürtels und stellte für den Querverkehr keine Behinderung dar.

Unterdessen hatte sich der Erstbeklagte am linken der beiden für die Geradeausfahrt bestimmten Fahrstreifen des Kalvariengürtels der Kreuzung genähert und das Beklagtenfahrzeug wegen Rotlichts der Ampel zum Stillstand gebracht. Als für ihn Grünlicht aufleuchtete, setzte er das Beklagtenfahrzeug in Bewegung. 0,9 Sekunden danach fuhr auch der Lenker des Klagsfahrzeugs los, obwohl für seine Fahrtrichtung die Grünphase bereits 4 Sekunden vor dem Beginn der Grünphase für das Beklagtenfahrzeug geendet hatte. Im Zeitpunkt des Losfahrens des Klagsfahrzeugs zeigte die Ampel für dieses bereits Rotlicht, was für seinen Lenker bei Beobachtung der Ampelanlage erkennbar war. Nachdem das Beklagtenfahrzeug ab der Haltelinie 22 bis 23 m und das Klagsfahrzeug ab seiner Stillstandposition 16 m zurückgelegt hatte, kam es zur Kollision. Beide Lenker, denen zunächst durch das umkehrende Fahrzeug die Sicht aufeinander genommen war, hatten nach dem Erkennen der Gefahr durch Einleitung eines Bremsmanövers prompt reagiert, den Unfall aber nicht mehr vermeiden können. Bei keinem der beiden Lenker liegt eine Reaktionsverspätung vor.

Das Erstgericht beurteilte diesen Sachverhalt rechtlich dahin, dass den Lenker des Klagsfahrzeugs das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls treffe. Bei der ihm möglichen Beobachtung der Ampelanlage hätte er erkennen müssen, dass die Ampel in der Zwischenzeit für seine Fahrtrichtung auf Rotlicht umgeschaltet gehabt habe. Mit Rücksicht auf den Querverkehr und die Sichtbehinderung durch das umkehrende Fahrzeug hätte er nicht neuerlich anfahren dürfen. Für den Erstbeklagten sei das Anfahren des Klagsfahrzeugs hingegen nicht erkennbar gewesen. Er habe auch nicht damit rechnen müssen, dass ein für ihn nicht sichtbarer Verkehrsteilnehmer hinter dem umdrehenden Fahrzeug bei Rotlicht in die Kreuzung einfahren würde. Das Berufungsgericht gab der Berufung teilweise Folge und änderte das erstinstanzliche Urteil dahin ab, dass es die Klagsforderung mit 5.574,36 EUR und die Gegenforderung mit 705 EUR als zu Recht bestehend erkannte, die beklagten Parteien daher zur Zahlung von 4.869,36 EUR sA an den Kläger verpflichtete und das auf 6.279,35 EUR sA lautende Mehrbegehren abwies. Es sprach ferner aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, es sei von gleichteiligem Verschulden der am Unfall beteiligten Lenker auszugehen. Der Lenker des Klagsfahrzeugs habe sich zwar bereits auf der Kreuzung befunden, weshalb ihm ein Verstoß gegen § 38 Abs 5 StVO nicht anzulasten sei. Er hätte jedoch aus seiner Position vor dem neuerlichen Anfahren ohne weiteres erkennen können, dass die Ampelanlage inzwischen wieder Rotlicht ausstrahle. Es habe auch keine Notwendigkeit bestanden, die Kreuzung zu räumen, weil das Klagsfahrzeug in seiner Stillstandposition den Querverkehr nicht behindert habe. Der Erstbeklagte habe aber dennoch damit zu rechnen gehabt, einem hinter dem umkehrenden Fahrzeug schon in den Kreuzungsbereich eingefahrenen weiteren Fahrzeug das Verlassen der Kreuzung ermöglichen zu müssen. Er hätte daher bei Beginn des Grünlichts für seine Fahrtrichtung nicht unbekümmert losfahren dürfen.

Zur Begründung seines Ausspruchs über die Zulässigkeit der Revision führte das Berufungsgericht aus, der Oberste Gerichtshof habe sich noch nicht ausdrücklich dazu geäußert, wie sich der Kreuzungsbereich bei einer durch Lichtzeichen geregelten Kreuzung definiere. Jene Definitionen, nach denen die Kreuzung von Baulinie bis Baulinie reiche, von der gemeinsamen Schnittfläche der sich kreuzenden Straßen gebildet werde, sich nach den Abgrenzungen der Überschneidungen der Straße bestimme und auch die gedachte Verlängerung der Gehsteige umfasse, würden sich offenbar nur auf ungeregelte Kreuzungen beziehen. Bei anderer Ansicht käme es im vorliegenden Fall auf die Verschneidungslinie der Wiener Straße mit dem Kalvariengürtel an, die der Lenker des Klagsfahrzeugs bei Rotlicht überfahren habe. Gegen dieses Berufungsurteil richten sich die Revisionen sämtlicher Parteien mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Stattgebung (klagende Partei) bzw einer gänzlichen Abweisung (beklagte Parteien) des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise werden jeweils Aufhebungsanträge gestellt. Die klagende Partei beantragt, der Revision der beklagten Parteien nicht Folge zu geben. Die beklagten Parteien beantragen, die Revision der klagenden Partei zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Hingegen ist die Revision der beklagten Parteien zulässig, weil dem Berufungsgericht bei seinem Verschuldensvorwurf gegen den Erstbeklagten eine gravierende Fehlbeurteilung unterlief.

1. Zur Revision der klagenden Partei:

Die klagende Partei wendet sich in ihrem Rechtsmittel nicht gegen die den Zulassungsausspruch begründende Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach sich das Klagsfahrzeug ab dem Überqueren der Haltelinie im Kreuzungsbereich befunden habe, sondern tritt dieser Rechtsansicht ausdrücklich bei. Damit zeigt sie aber insoweit keine erhebliche Rechtsfrage auf. Selbst wenn daher das Berufungsgericht die Zulässigkeit der ordentlichen Revision zu Recht ausgesprochen haben sollte, wäre diese nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nur dann gegeben, wenn die klagende Partei zumindest eine für die Entscheidung präjudizielle (andere) Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung geltend gemacht hätte (2 Ob 202/05b; RIS-Justiz RS0102059, insb T2 und T3; Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 502 ZPO Rz 11).

Diese Voraussetzung trifft jedoch nicht zu. Die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts zum Verschulden des Lenkers des Klagsfahrzeugs stimmen mit den Grundsätzen der einen nahezu identen Sachverhalt betreffenden Entscheidung 2 Ob 97/02g überein und werfen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf. Im damals beurteilten Anlassfall hatte der Lenker eines Autobusses wenige Meter nach dem Überqueren einer Haltelinie, die vor einer ampelgeregelten Kreuzung angebracht war, verkehrsbedingt in einer Position wieder anhalten müssen, in der sich die Vorderfront des Busses etwa in der Mitte des auf die Haltelinie folgenden - bereits zum Kreuzungsbereich gehörenden (RIS-Justiz RS0073376) - Schutzwegs befand. Nach Umschalten der Ampel auf Rotlicht hatte er die Fahrt fortgesetzt und war im weitläufigen Kreuzungsbereich mit einem inzwischen bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahrenen Motorrad kollidiert. Der erkennende Senat vertrat für diese Konstellation die Rechtsansicht, dass der Buslenker nach dem Aufleuchten des Rotlichts für seine Fahrtrichtung aus seiner Anhalteposition nicht mehr losfahren hätte dürfen, weil er den Querverkehr in keiner Weise behindert hatte. § 38 Abs 2 StVO enthalte keinen Freibrief zum Verlassen der Kreuzung bei nicht blinkendem Gelblicht, sondern mache dies ausdrücklich von der Möglichkeit und Erlaubtheit abhängig (so auch 2 Ob 109/05a; RIS-Justiz RS0075324). Mit dieser Begründung wurde das Verschulden des Buslenkers an der Kollision mit dem Motorrad bejaht. Diese Erwägungen sind auch auf den vorliegenden Fall anwendbar, in welchem der Lenker des Klagsfahrzeugs 3 m nach dem Überqueren der Haltelinie (noch neben der Grüninsel) anhalten musste, in seiner Stillstandposition den Querverkehr in keiner Weise behinderte und die Ampel beobachten konnte, dennoch aber bei Rotlicht und ohne Sicht auf den einsetzenden Querverkehr losgefahren ist. Die im Rechtsmittel zitierten Entscheidungen betrafen anders gelagerte Sachverhalte; aus ihnen ist eine dem Berufungsgericht zum Nachteil der klagenden Partei unterlaufene Fehlbeurteilung nicht ableitbar.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision der klagenden Partei daher zurückzuweisen.

2. Zur Revision der beklagten Parteien:

Die Revision ist berechtigt.

Die beklagten Parteien stehen weiterhin auf dem Standpunkt, dass den Erstbeklagten kein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls anzulasten sei. Selbst wenn eine Kreuzung im Sinne der Rechtsansicht des Berufungsgerichts mit dem innerhalb der Haltelinien gelegenen Bereich zu definieren wäre, habe der Erstbeklagte nicht damit rechnen müssen, dass ein für ihn nicht sichtbarer Verkehrsteilnehmer hinter dem umdrehenden Fahrzeug bei Rotlicht in die Kreuzung einfahren werde.

Hiezu wurde erwogen:

Gemäß § 2 Abs 1 Z 17 StVO ist eine Kreuzung eine Stelle, auf der eine Straße eine andere überschneidet oder in sie einmündet, gleichgültig in welchem Winkel. In der Rechtsprechung wurde der Kreuzungsbereich bei - wie hier - sich überschneidenden Straßen als der von diesen gemeinsam abgedeckte Raum, der durch die gedachten Linien der fortgesetzten Straßenränder begrenzt wird, umschrieben (zu „Einmündungen" vgl RIS-Justiz RS0073438). Die Schnittpunkte der gedachten Straßenbaulinien bilden dabei die Eckpunkte des Kreuzungsbereichs und die gedachten Verlängerungen der Straßenbaulinien grenzen den Kreuzungsbereich ab (2 Ob 97/02g; vgl auch 2 Ob 23/95 = ZVR 1998/87; 2 Ob 333/97b = ZVR 1999/123; RIS-Justiz RS0073454, RS0073469; Dittrich/Stolzlechner, StVO³ § 2 Rz 49).

Diese Definition des Kreuzungsbereichs gilt gleichermaßen für ungeregelte wie für geregelte Kreuzungen (§ 2 Abs 1 Z 18 StVO), wie sich etwa aus der Entscheidung 2 Ob 97/02g eindeutig ergibt. Während sie allein auf den faktischen (baulichen) Gegebenheiten beruht, bestimmt § 38 Abs 1 und 5 StVO, an welcher Stelle die Lenker herannahender Fahrzeuge an einer lichtgeregelten Kreuzung dem Anhaltegebot zu entsprechen haben. Die vom Berufungsgericht als rechtserheblich erachtete Frage, ob das Gebot des § 38 Abs 1 lit a StVO, wonach vor einer vorhandenen Haltelinie anzuhalten ist, bei entsprechender Lage der Haltelinie - ähnlich wie bei Schutzwegen - zu einer Erweiterung des Kreuzungsbereichs führen kann, bedarf aber aus folgenden Gründen keiner Stellungnahme des erkennenden Senats:

Gemäß § 38 Abs 4 Satz 1 StVO gilt grünes Licht als Zeichen für „Freie Fahrt". Satz 2 bestimmt, dass die Lenker von Fahrzeugen bei diesem Zeichen, wenn es die Verkehrslage zulässt, weiterzufahren oder einzubiegen haben. Das Aufleuchten von Grünlicht bedeutet demnach kein absolutes Gebot, das Zeichen „Freie Fahrt" zu befolgen. Es befreit den Verkehrsteilnehmer nicht von der Verpflichtung, die Verkehrslage zu beobachten und seine Weiterfahrt danach einzurichten (ZVR 1978/85; ZVR 1984/81; ZVR 1984/171; ZVR 1984/342 uva; RIS-Justiz RS0075345). Grundsätzlich dürfen die bei Grünlicht in eine Kreuzung Einfahrenden wohl darauf vertrauen, dass aus der nunmehr gesperrten Querrichtung niemand mehr in die Kreuzung einfahren wird; sie müssen aber damit rechnen, dass auch nach Beginn der Grünphase in ihrer Fahrtrichtung noch nicht alle aus der Querrichtung gekommenen Fahrzeuge die Kreuzung schon verlassen haben und dürfen daher insbesondere in den ersten Sekunden der Grünphase nicht unbekümmert auf ihrem Fahrtrecht bestehen (ZVR 1978/85; ZVR 1984/81; ZVR 1984/342). Jenen Fahrzeuglenkern des Querverkehrs, die auf der Kreuzung vom Phasenwechsel überrascht worden sind und die Kreuzung nicht mehr rechtzeitig verlassen konnten, haben sie die Räumung der Kreuzung zu ermöglichen (ZVR 1977/287; ZVR 1978/85; ZVR 1984/171; ZVR 1984/342; RIS-Justiz RS0075304).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist dem Erstbeklagten eine Verletzung dieser Verhaltensregeln nicht vorwerfbar. Im Zuge des Einfahrens in die Kreuzung war für ihn mit Ausnahme des im Randbereich der Kreuzung umkehrenden Fahrzeugs kein „Nachzügler" erkennbar, dem er die Räumung der Kreuzung ermöglichen hätte müssen. Er musste mit einem solchen auch nicht mehr rechnen. War, wie dies in der bereits erörterten Entscheidung 2 Ob 97/02g deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, einem Fahrzeuglenker, der bei einer weitläufigen Kreuzung wenige Meter nach Überfahren der Haltelinie in einer den Querverkehr noch nicht behindernden Position wieder anhalten musste, nach dem Umschalten der Ampel auf Rotlicht die Weiterfahrt untersagt, so durfte der Erstbeklagte in der konkreten Verkehrssituation darauf vertrauen, dass ein hinter dem umkehrenden Fahrzeug zum Anhalten gezwungener Fahrzeuglenker die Kreuzung nicht mehr queren würde. Da der Erstbeklagte auch keine Reaktionsverzögerung oder ein sonstiges Fehlverhalten zu vertreten hat, trifft den Lenker des Klagsfahrzeugs das Alleinverschulden an der Kollision. Der Revision der beklagten Parteien war daher Folge zu geben und das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

3. Zur Kostenentscheidung:

Die Kostentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision der klagenden Partei hingewiesen, weshalb ihnen auch die Kosten dieses Rechtsmittelschriftsatzes zu ersetzen sind.

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