OGH 17Ob28/07b

OGH17Ob28/07b11.12.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Griss als Vorsitzende, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. C*****, 2. C*****, beide vertreten durch Ploil Krepp & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei D*****, vertreten durch Dr. Reinhard Armster, Rechtsanwalt in Maria Enzersdorf, wegen 300.000 EUR, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. August 2007, GZ 3 R 153/06a-57, womit der Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 17. Oktober 2006, GZ 27 Cg 74/03z-53, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 4.975,34 EUR (darin 829,22 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Erstklägerin ist Inhaberin der im österreichischen Markenregister unter AM 5705/88 registrierten internationalen Marke CANON. Die Zweitklägerin, eine Vertriebsgesellschaft der Erstklägerin, ist aufgrund mündlich abgeschlossener Lizenzverträge berechtigt, die Marke der Erstklägerin im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeiten zu nutzen und Markenrechtsverletzungen gerichtlich im eigenen Namen zu verfolgen. Der CANON-Konzern produziert und vertreibt unter anderem ausschließlich für den US-amerikanischen Raum bestimmte Ware, darunter auch Verbrauchsmaterial für Kopierer und Drucker.

Die Beklagte ist Großhändlerin; sie vertreibt Verbrauchsmaterial für Kopierer und Drucker, darunter auch CANON-Produkte, die sie teils innerhalb des EWR ein- und auch dort wieder verkauft, teils bezieht sie diese Produkte aus Südostasien und Amerika. Die in Südostasien oder Amerika bezogene (nicht für den EWR bestimmte) Ware verkauft die Beklagte im sogenannten „Zollausschlussverfahren" in Länder außerhalb des EWR. Zu diesem Zweck verfügt sie über ein Zollfreilager an ihrem Firmensitz in Österreich. Die Ware wird nach der europäischen Zollkontrolle dorthin gebracht, gelagert und in das EWR-Ausland weiterverkauft. Ein Vertrieb innerhalb des EWR erfolgt nicht.

Die Klägerinnen begehrten, die Beklagte schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, die Marke CANON in Österreich beim Vertrieb von Geräten, Ersatzteilen und Zubehör zu Kopiergeräten, insbesondere beim Vertrieb von Kopierer-Trommeln, Toner und Cartridges, die nicht von den klagenden Parteien selbst und nicht mit ihrer Zustimmung innerhalb des EWR erstmals in Verkehr gebracht worden sind, zu verwenden, den klagenden Parteien über die durch den Verkauf derartiger Geräte, Zubehör und Ersatzteile erzielten Umsätze anhand von Einkaufs- und Verkaufsbelegen Rechnung zu legen und die Klägerinnen zur Urteilsveröffentlichung auf Kosten der Beklagten zu ermächtigen. Zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs begehrten die Klägerinnen die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

Das Landesgericht Wiener Neustadt erließ die begehrte einstweilige Verfügung gegen Erlag einer Sicherheitsleistung von 300.000 EUR. Die Klägerinnen erlegten die Sicherheit fristgerecht. Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Beklagten gegen die bestätigende Entscheidung der zweiten Instanz im Sicherungsverfahren nicht Folge (4 Ob 213/03g). Zollfreilager seien markenrechtlich nicht als Ausland oder exterritorial anzusehen. Der Import markenverletzender Ware aus einem Nicht-EU-Mitgliedstaat in ein österreichisches Zollfreilager und die Lagerung dieser Ware zum Zweck des späteren Exports in andere Nicht-EU-Mitgliedstaaten falle unter den Begriff des Inverkehrbringens und verwirkliche deshalb einen inländischen Markenverstoß.

Nach Rechtskraft der einstweiligen Verfügung bot die Beklagte in der mündlichen Streitverhandlung vom 15. 6. 2004 einen vollstreckbaren Vergleich an. Er umfasste das Unterlassungsgebot und eine insoweit eingeschränkte Verpflichtung zur Rechnungslegung, als Lieferanten und Abnehmer auf den Einkaufs- und Verkaufsbelegen unkenntlich gemacht und die Originalbelege (nur) einem Sachverständigen offengelegt werden sollten. Das Erstgericht gab Unterlassungs- und Rechnungslegungsbegehren zur Gänze statt, das Veröffentlichungsbegehren wies es (rechtskräftig) ab. Das Berufungsgericht bestätigte den Ausspruch über Unterlassungs- und Rechnungslegungsverpflichtung. Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten teilweise Folge und änderte den Ausspruch über das Rechnungslegungsbegehren dahin ab, dass die auf Einkaufs- und Verkaufsbelegen aufscheinenden Lieferanten und Abnehmer unkenntlich gemacht werden und die Originale dieser Belege (nur) dem Sachverständigen offen zu legen sind. Das darüber hinausgehende Rechnungslegungsbegehren wies er ebenso ab wie das Unterlassungsbegehren. Bei Begründung des Rechnungslegungsbegehrens hielt der Oberste Gerichtshof an seiner im Provisorialverfahren vertretenen Auffassung fest, wonach die Beklagte eine der Vermarktung dienende Benutzungshandlung iSd § 10a MSchG im Inland gesetzt und damit gegen das Markenrecht der Klägerinnen verstoßen habe. Das Unterlassungsbegehren wies er mit der Begründung ab, das den gesamten (berechtigten) Anspruch umfassende Anbot der Beklagten auf Abschluss eines vollstreckbaren Vergleichs habe die Vermutung der Wiederholungsgefahr beseitigt (4 Ob 145/05k vom 15. 9. 2005).

Nach Zustellung dieser Entscheidung an die Parteien hob das Erstgericht die einstweilige Verfügung vom 28. 5. 2003 auf. Schon vor der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Hauptverfahren (4 Ob 145/05k) hatten die Klägerinnen deren Aufhebung und die Ausfolgung der als Sicherheitsleistung übergebenen Bankgarantie für den Fall beantragt, dass die außerordentliche Revision der Beklagten nicht erfolgreich sein sollte.

Das Gericht zweiter Instanz wies den gegen die Aufhebung der einstweiligen Verfügung gerichteten Rekurs der Beklagten mangels Beschwer zurück. Die Aufhebung der einstweiligen Verfügung greife in die materiellrechtliche Stellung der Beklagten nicht ein. Sie hindere die Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach § 394 EO und deren Berichtigung aus der erlegten Sicherheit nicht. Bei fristgerechter Geltendmachung des Ersatzanspruchs müsse die Sicherheit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Anspruch zurückbehalten werden.

Mit Schriftsatz vom 11. 9. 2006 beantragte die Beklagte, die Klägerin gemäß § 394 EO zum Ersatz des durch die unberechtigte einstweilige Verfügung entstandenen Schadens von jedenfalls 300.000 EUR zu verpflichten. Entscheidend sei zum einen, dass der Unterlassungsanspruch, zu dessen Sicherung die einstweilige Verfügung gedient habe, rechtskräftig aberkannt worden sei. Ob das Unterlassungsbegehren ursprünglich berechtigt gewesen sei und nur wegen Wegfalls der Wiederholungsgefahr im Hauptverfahren abgewiesen wurde, sei ohne Bedeutung. Zum anderen stehe ihr der Ersatzanspruch wegen Vorrangs des Gemeinschaftsrechts zu. Die der einstweiligen Verfügung zugrundeliegende Rechtsmeinung des Obersten Gerichtshofs sei - wie das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 18. 10. 2005 gezeigt habe - gemeinschaftsrechtswidrig. Der mittlerweile rechtskräftig aberkannte Unterlassungsanspruch sei daher schon ursprünglich nicht berechtigt gewesen. Auf eine vertretbare Rechtsansicht könnten sich die Klägerinnen nicht berufen, weil § 394 EO eine verschuldensunabhängige Erfolgshaftung anordne. Die Gerichte hätten eine Sicherheitsleistung deshalb für erforderlich gehalten, weil mit der durch die einstweilige Verfügung erforderlich gewordenen Umstellung ihres Betriebs ein tiefer, umsatz- und gewinnreduzierender Eingriff verbunden sei, der einen beträchtlichen Schaden herbeiführe. Obgleich die Vermögensnachteile der Beklagten höher als die erlegte Sicherheit seien, mache sie derzeit nur ein Ersatzbegehren von 300.000 EUR geltend.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Der zu sichernde Unterlassungsanspruch habe nicht „von vornherein nicht zu Recht bestanden", er sei im Hauptverfahren nur deshalb aberkannt worden, weil die Wiederholungsgefahr nachträglich weggefallen sei.

Das Rekursgericht gab dem Revisionsrekurs der Beklagten Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Verhältnis der für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts bindenden EuGH-Entscheidungen zur materiellen Rechtskraft vorangegangener innerstaatlicher Entscheidungen ebenso fehle wie zur Frage, ob die Aufrechterhaltung einer einstweiligen Verfügung nach Anbot eines Unterlassungsvergleichs im Hauptverfahren Ersatzpflichten nach § 394 EO auslöse.

§ 394 Abs 1 EO setze voraus, dass der Sicherungsantrag von Anfang an nicht berechtigt gewesen sei, Anspruch oder Gefährdung daher bereits in diesem Zeitpunkt fehlten. Der im Sicherungsverfahren behauptete Unterlassungsanspruch sei mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 15. 9. 2005, 4 Ob 145/05k iSd § 394 Abs 1 EO rechtskräftig aberkannt worden. Die Bindungswirkung der Entscheidung über das Unterlassungsgebot erstrecke sich aber (nur) auf den Umstand der Abweisung mangels Wiederholungsgefahr. Die in den Entscheidungsgründen des Obersten Gerichtshofs wiedergegebene Rechtsmeinung, der behauptete Anspruch habe zum Zeitpunkt der Erlassung der einstweiligen Verfügung noch bestanden, betreffe nicht jenen Sachverhalt, der Grundlage für die Abweisung des Unterlassungsbegehrens gewesen sei. Ob der behauptete Anspruch zu einem vor der Entscheidung im Hauptverfahren gelegenen Zeitpunkt bestanden habe, trage nichts zur Individualisierung des Urteilsspruchs bei und entfalte demnach mangels Rechtskraft keine Bindungswirkung. Allerdings habe der Oberste Gerichtshof dem Rechnungslegungsbegehren Folge gegeben und damit eine Markenrechtsverletzung (notwendigerweise) bejaht. Er habe damit wohl den Unterlassungsanspruch wegen Wegfalls der Wiederholungsgefahr rechtskräftig abgewiesen, nicht aber als ursprünglich unbegründet aberkannt. Die Entscheidung des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren Rs C-405/03 vom 18. 10. 2005 habe klargestellt, dass die Einfuhr iSd Art 5 Abs 1 und 3 lit c der RL 89/104 und Art 9 Abs 1 und 2 lit c der VO 40/94 eine Verbringung der Ware in die Gemeinschaft zum Zweck ihres dortigen Inverkehrbringens voraussetze und die bloße körperliche Verbringung in das Gemeinschaftsgebiet einer Einfuhr im Sinn dieser Bestimmungen nicht gleichstehe und deshalb keine Benutzung der Marke im geschäftlichen Verkehr im Sinn dieser Bestimmungen impliziere. Das Angebot oder der Verkauf von Originalware, für die das Zolllagerverfahren gelte, könnte nur dann unter die Begriffe Anbieten und Inverkehrbringen von Waren iSd Art 5 Abs 3 lit b der RL 89/104 und Art 9 Abs 2 lit b der VO 40/94 fallen, wenn diese Handlungen das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft notwendig implizierten. Eine Entscheidung des EuGH über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht entfalte eine allgemeine, über den Anlassfall hinausgehende Wirkung und müsse von den Gerichten der Mitgliedstaaten auch in anderen Fällen beachtet werden. Sie stelle klar, wie eine Norm seit ihrem Inkrafttreten richtig auszulegen sei, wobei die Auslegung des EuGH auch auf Sachverhalte angewendet werden müsse, die sich vor dem Anlassfall zugetragen hätten.

Der Oberste Gerichtshof habe bis zur Entscheidung des EuGH vom 18. 10. 2005 in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, der Import von Waren aus einem Drittstaat in ein österreichisches Zollfreilager und das Lagern dieser Ware zum Zweck des späteren Exports in andere Drittstaaten sei eine der Vermarktung dienende Benutzungshandlung iSd § 10a MSchG. Mit seiner Entscheidung vom 14. 6. 2006, 13 Os 39/06v, habe der 13. Senat des Obersten Gerichtshofs die Auslegungsentscheidung des EuGH vom 18. 10. 2005 bei der Behandlung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes übernommen und ausgesprochen, dass die bloße körperliche Verbringung von Waren in das Gemeinschaftsgebiet im Zolllagerverfahren keine „Einfuhr" iSd § 10a Z 3 MSchG und daher auch keine Benutzung der Marke im geschäftlichen Verkehr nach § 10 Abs 1 Z 1 MSchG bedeute.

Für gerichtliche Erkenntnisse bestehe kein Rückwirkungsverbot, Änderungen der Rechtsprechung erfassten daher auch davor verwirklichte Sachverhalte. Der im Sicherungsverfahren behauptete Anspruch könnte zum Zeitpunkt der Erlassung der einstweiligen Verfügung nur bestanden haben, wenn eine Lagerung von Waren im Zolllagerverfahren zum Zweck des Weiterverkaufs außerhalb des EWR eine Benutzungshandlung nach § 10a MSchG darstellte, was sowohl der EuGH als auch der 13. Senat des Obersten Gerichtshofs verneint hätten. Diese Entscheidungen, insbesondere jene des EuGH, müssten - obgleich sie erst nach Verwirklichung des Sachverhalts ergangen seien - berücksichtigt werden. Demnach habe der (im Sicherungsverfahren) behauptete Anspruch bereits zum Zeitpunkt der Erlassung der einstweiligen Verfügung nicht zu Recht bestanden. Die Beklagten könnten daher einen Anspruch nach § 394 EO geltend machen.

Im Übrigen habe die Beklagte in der mündlichen Streitverhandlung vom 15. 6. 2004 den Abschluss eines vollstreckbaren Vergleichs im Umfang des letztlich als berechtigt erkannten Klagebegehrens angeboten. Dadurch sei die Wiederholungsgefahr weggefallen, ein Aufrechterhalten der einstweiligen Verfügung wäre nicht mehr geboten gewesen. Auch die ungerechtfertigte Aufrechterhaltung einer einstweiligen Verfügung berechtige zu Ersatzansprüchen nach § 394 EO. Angesichts der weitgehend unklaren Rechtslage zum Umfang des Rechnungslegungsanspruchs könne es der Beklagten nicht angelastet werden, dass sie nicht unverzüglich einen Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung gestellt habe.

Das Erstgericht habe aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung Feststellungen zur Höhe des nach freier Überzeugung festzusetzenden Ersatzanspruchs unterlassen. Die Rechtssache werde daher zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerinnen ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - zulässig, weil die Klägerinnen nicht den Ersatz von Kosten begehrt, sondern von Vermögensnachteilen, die sie durch eine Umstellung ihres Betriebs infolge der einstweiligen Verfügung erlitten haben (zur Unanfechtbarkeit zweitinstanzlicher Entscheidungen über den Ersatz von Verfahrenskosten nach § 394 EO s RIS-Justiz RS0110664 und RS0104477).

Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

1. Der Entschädigungsanspruch nach § 394 EO setzt voraus, dass der Anspruch, zu dessen Sicherung die einstweilige Verfügung bewilligt wurde, rechtskräftig aberkannt wird oder sich das Sicherungsbegehren „sonst als ungerechtfertigt erweist". Nach herrschender Auffassung müssen die Gründe für den Ersatzanspruch bereits bei Erlassung der einstweiligen Verfügung vorgelegen sein (E. Kodek in Angst, EO § 394 Rz 8; König, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren3 Rz 5/76; Angst/Jakusch/Mohr, EO14 § 394 E 2). Der Sicherungsantrag erweist sich „sonst als ungerechtfertigt", wenn er etwa im Rechtsmittelverfahren (oder aufgrund eines Widerspruchs) abgewiesen und die einstweilige Verfügung aufgehoben wird, etwa, weil der zu sichernde Anspruch oder die Gefährdung im Zeitpunkt der Bewilligung der einstweiligen Verfügung nicht bescheinigt waren. Der Sicherungsantrag muss daher grundsätzlich von Anfang an zu Unrecht gestellt worden sein (4 Ob 539/89 = Öbl 1990, 278 - „Bunte Krone" III; 6 Ob 598, 599/92 = SZ 66/5; RIS-Justiz RS0005802, RS0008294 und RS0008310; Angst/Jakusch/Mohr aaO E 5; E. Kodek aaO Rz 9 mwN).

2. Unter Hinweis auf diese Rechtsprechung machten die Klägerinnen geltend, das Vergleichsanbot der Beklagten habe nur die Wiederholungsgefahr beseitigt, nicht aber den durch die einstweilige Verfügung gesicherten Unterlassungsanspruch selbst. Die der rechtskräftigen Entscheidung im Hauptverfahren nachfolgende Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs habe keine Auswirkungen auf die vorangegangene rechtskräftige Entscheidung, sie führe nicht zur Vernichtung des Klageanspruchs.

3.1. Entscheidungen des EuGH zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts stellen die Bedeutung einer Norm klar und dienen der einheitlichen Rechtsanwendung. Sie sind nach herrschender Auffassung auch auf vor dem Anlassfall entstandene Rechtsverhältnisse anzuwenden, sofern alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung der Vorschrift betreffenden Streit vorliegen und der EuGH nicht selbst die Geltung seines Urteilsspruchs in zeitlicher Hinsicht einschränkt (hA s Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art 177 EG-Vertrag², 149 ff mwN; Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH², 102 ff mwN; Schima in Mayer, Kommentar zum EU- und EG-Vertrag, Art 234 EGV Rz 196 ff; Niedermühlbichler, Verfahren vor dem EuG und EuGH, Rz 299).

3.2. Der EuGH hat in einer Reihe von Entscheidungen die Bedeutung der Rechtskraft betont. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollen nach Ausschöpfung des Rechtswegs und nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfrist unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden (EuGH vom 30. 9. 2003, Rs C-224/01 - Köbler Rnr 38 = ZfRV 2003, 228).

Nach einer weiteren Entscheidung vom 16. 3. 2006, Rs C-234/04 - Kapferer (RNr 23 und 72) verpflichtet das Gemeinschaftsrecht ein nationales Gericht nicht, von der Anwendung von Vorschriften des nationalen Verfahrensrechts abzusehen und eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zu überprüfen und aufzuheben, wenn es sich erweist, dass durch diese Entscheidung das Gemeinschaftsrecht verletzt wurde. Das nationale Gericht kann demnach eine gemeinschaftsrechtswidrige, aber materiell rechtskräftige Entscheidung nur dann aufheben und abändern, wenn die innerstaatlichen Verfahrensvorschriften dies ermöglichen (s Wittmann, Glosse in ecolex 2007, 108).

4. Im vorliegenden Verfahren wurde der durch die einstweilige Verfügung gesicherte Unterlassungsanspruch im Hauptverfahren wegen Wegfalls der Wiederholungsgefahr rechtskräftig abgewiesen, weil die Beklagte einen vollstreckbaren Vergleich angeboten hatte. Die Berechtigung des Unterlassungsanspruchs und damit die Frage, ob die Beklagte mit der Einfuhr von Markenware zum Zweck der Ausfuhr in Drittstaaten in die Markenrechte der Erstklägerin eingegriffen hatte, war somit bei Beurteilung des Unterlassungsbegehrens im Hauptverfahren nicht zu prüfen. Diese Frage bildete (nur noch) eine Vorfrage bei Beurteilung des Rechnungslegungsbegehrens. Berücksichtigt man die Grenzen der Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft (s Rechberger in Rechberger, ZPO³ § 411 Rz 6 und 10 mwN), so erstreckte sich die Bindungswirkung der Entscheidung über das Unterlassungsbegehren nur auf den Wegfall der Wiederholungsgefahr. Es liegt daher keine Entscheidung vor, mit der der Anspruch der Klägerinnen rechtskräftig aberkannt worden wäre, weil er von Anfang an nicht bestanden hat.

5. Zu prüfen ist, ob die Beklagte ihren Ersatzanspruch auf den zweiten Fall des § 394 Abs 1 EO stützen kann. Danach steht ein Anspruch auf Entschädigung zu, wenn sich das Sicherungsbegehren „sonst als ungerechtfertigt erweist". Nach herrschender Auffassung werden davon - wie oben dargelegt - jene Fälle erfasst, in denen der Sicherungsantrag abgewiesen wird, weil der zu sichernde Anspruch oder die Gefährdung nicht ausreichend bescheinigt wurden. Es handelt sich demnach um Fälle, in denen zwar nicht der zu sichernde Anspruch verneint wurde, wohl aber die Voraussetzungen gefehlt haben, unter denen eine einstweilige Verfügung erlassen werden kann.

Im vorliegenden Fall liegt die Sache anders. Die Beklagte macht geltend, dass der zu sichernde Anspruch nach der Rechtsprechung des EuGH nicht bestehe. Sie meint, dass die einstweilige Verfügung nicht hätte erlassen werden dürfen, wäre die erst am 18. 10. 2005 ergangene Entscheidung des EuGH zu Rs C-405/03 schon damals vorgelegen.

6. Diesen Fall erfasst § 394 EO nicht. Voraussetzung für den Schadenersatzanspruch ist eine gerichtliche Entscheidung, aus der sich ergibt, dass die einstweilige Verfügung zu Unrecht erlassen wurde. Das kann die rechtskräftige Entscheidung im Hauptverfahren sein, die den Anspruch aberkennt, oder die Entscheidung im Sicherungsverfahren, die den Sicherungsantrag mangels Gefährdung oder mangels ausreichender Bescheinigung des Anspruchs abweist. Liegt - wie hier - keine derartige Entscheidung vor, dann muss auch ein Antrag nach § 394 EO erfolglos bleiben.

Andernfalls müsste im Verfahren über den Ersatzanspruch erst geprüft werden, ob der zu sichernde Anspruch bereits bei Erlassung der einstweiligen Verfügung nicht bestanden hat. Das Verfahren nach § 394 EO ist ein summarisches Verfahren zur Liquidierung von Schäden, das dem entspricht, in dem die gefährdete Partei vorläufigen Rechtsschutz erlangt hat (4 Ob 2097/96b = SZ 69/114). Es ist nicht dafür gedacht und nicht dafür geeignet, den zu sichernden Anspruch zu prüfen.

Eine solche Prüfung wäre aber notwendig, wenn - wie hier - keine Entscheidung vorliegt, aus der sich ergibt, dass der zu sichernde Anspruch von Anfang an nicht bestanden hat. Dass Rechtsprechung des EuGH besteht, aus der die Beklagte schließt, dass sie - hätte sie bereits im Zeitpunkt der Erlassung der einstweiligen Verfügung bestanden - zur Verneinung des Anspruchs hätte führen müssen, vermag eine zwischen den Parteien ergangene Entscheidung nicht zu ersetzen.

7. Das Rekursgericht hat den Anspruch auch deshalb für berechtigt erachtet, weil die Klägerinnen nach dem Anbot eines vollstreckbaren Unterlassungsvergleichs in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 15. 6. 2004 keinen Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung gestellt haben (ON 30). Es verweist dazu auf Lehrmeinungen, wonach ein Anspruch nach § 394 EO auch dann bestehen soll, wenn die Gründe für das Bestehen der einstweiligen Verfügung weggefallen sind und die einstweilige Verfügung dennoch aufrecht erhalten wurde.

Uneinigkeit besteht darüber, ob und welche Handlungspflichten die Parteien treffen. Nach Heller/Berger/Stix (Kommentar zur Exekutionsordnung4, 2862; 6 Ob 253/97t = ÖA 1998, 74) soll der Ersatzanspruch nur dann bestehen, wenn der Gegner der gefährdeten Partei nicht in der Lage war, sofort die Aufhebung zu erwirken, weil der Sicherungswerber dem Antrag auf Aufhebung widersprach und durch die notwendigen Beweisaufnahmen die Fortdauer der einstweiligen Verfügung bewirkt wurde. König (aaO) stellt darauf ab, ob dem Gegner der gefährdeten Partei zumutbar war, einen Aufhebungsantrag zu stellen. Zechner (Sicherungsexekution und einstweilige Verfügung § 394 Rz 1) und E. Kodek (aaO § 394 Rz 50 f) schließen aus der Schadensminderungspflicht, dass der Gegner der gefährdeten Partei bei Vorliegen von Aufhebungsgründen einen Aufhebungsantrag stellen muss. Eine Verletzung der Schadensminderungspflicht führe zu einer Kürzung, je nach Schwere der Obliegenheitsverletzung allenfalls auch zu einem gänzlichen Entfall des Anspruchs nach § 394 EO. Nur bei klarer Rechtslage könne die Erhebung entsprechender Rechtsmittel verlangt werden.

Das muss jedoch auch für die gefährdete Partei gelten. Auch sie kann nur bei klarer Rechtslage verpflichtet sein, einen Aufhebungsantrag zu stellen.

Im vorliegenden Fall war es keineswegs eindeutig, ob das Vergleichsanbot der Beklagten ausreicht. Während Erstgericht (ON 31a) und Berufungsgericht (ON 36) das Vergleichsanbot als ungenügend erachtet und die Wiederholungsgefahr daher bejaht haben, hat der Oberste Gerichtshof anders entschieden (ON 43). Die Klägerinnen haben noch vor der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs - allerdings nur für den Fall der Rechtskraft der Entscheidung über das Unterlassungsbegehren - einen Aufhebungsantrag (ON 40) gestellt, dem die Beklagte mit Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss entgegengetreten ist (ON 45).

Bei dieser Sachlage waren die Klägerinnen nicht verpflichtet, den Aufhebungsantrag schon bei Vorliegen des Vergleichsanbots zu stellen. Der Schadenersatzanspruch kann daher auch nicht darauf gestützt werden, dass die einstweilige Verfügung aufrecht geblieben ist, obwohl die Beklagte einen vollstreckbaren Unterlassungsvergleich angeboten hat.

8. Die Beklagte hat ein Vorabentscheidungsersuchen angeregt. Dem EuGH soll die Frage vorgelegt werden, ob „der Vorrang des Gemeinschaftsrechts die Verweigerung des sonst zugebilligten verschuldensunabhängigen Schadenersatzes wegen nicht berechtigter einstweiliger Verfügung" verbietet, „weil der OGH in einem früheren Verfahren mit anderem Streitgegenstand ohne angeregtes Vorabentscheidungsersuchen gegen die (in den Rechtsmittelschriften zitierte) Rechtsprechung des EuGH entschied". Die Beklagte will mit dieser Frage offenbar geklärt erhalten, ob im Wege des Schadenersatzanspruchs nach § 394 EO die Folgen einer rechtskräftigen Entscheidung behoben werden können, wenn diese - wie die Beklagte geltend macht - dem Gemeinschaftsrecht widerspricht.

Wie oben dargelegt, hat der EuGH wiederholt ausgesprochen, dass die Rechtskraft nationaler Entscheidungen ohne entsprechende nationale Vorschriften nicht durchbrochen werden kann, auch wenn die Entscheidungen dem Gemeinschaftsrecht widersprechen. Ist aber die Rechtskraft der Entscheidungen über die der Beklagten vorgeworfene Markenverletzung zu respektieren, dann fehlt auch dem geltend gemachten Schadenersatzanspruch nach § 394 EO die Grundlage. Auf eine gemeinschaftsrechtliche Norm, die den oben dargelegten Beschränkungen dieses Schadenersatzanspruchs entgegenstünde, kann auch die Beklagte nicht verweisen.

9. Dem Rekurs war Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

10. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78 und 402 Abs 4 EO iVm §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.

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