OGH 9ObA67/07d

OGH9ObA67/07d28.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch die Kindel & Kindel Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. Friedrich L*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Ebenbichler, Rechtsanwalt in Wien, wegen 58.812,75 EUR sA (Revisionsinteresse 3.600 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Februar 2007, GZ 9 Ra 3/07p-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 24. Oktober 2006, GZ 13 Cga 173/06i-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Der Antrag der klagenden Partei, eine Tagsatzung zur mündlichen Revisionsverhandlung anzuberaumen, wird abgewiesen.

II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 333,12 EUR (darin 55,52 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien führen neben dem vorliegenden Verfahren auch zu 4 Cga 119/05f des Erstgerichts einen (bei Schluss der Verhandlung erster Instanz noch nicht abgeschlossenen) Prozess, allerdings mit umgekehrten Parteirollen. Dort klagte der Beklagte die Klägerin (nach einvernehmlicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses) auf Zahlung einer (im vorliegenden Verfahren nicht näher erörterten) „Prämie" von 75.833,33 EUR brutto sA. Diesem Klagebegehren wurde im ersten Rechtsgang mit Urteil des Erstgerichts vom 13. 10. 2005 stattgegeben. Am 17. 3. 2006 überwies hierauf die Klägerin über Aufforderung an den Beklagten den entsprechenden Nettobetrag von 58.812,75 EUR. Nachdem mit Beschluss des Berufungsgerichts vom 17. 8. 2006, 10 Ra 53/06x, über Berufung der Klägerin das Ersturteil aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen worden war, forderte die Klägerin den Beklagten mit zwei Schreiben vom 7. und 20. 9. 2006 zur Rückzahlung des Betrags von 58.812,75 EUR auf. Mangels Entsprechung erhob die Klägerin ihrerseits am 28. 9. 2006 gegen den Beklagten die vorliegende Klage.

Mit dieser Klage begehrt die Klägerin die Rückzahlung von 58.812,75 EUR sA mit der Begründung, dass die Zahlung dieses Betrags an den Beklagten nur auf Grund des seinerzeit vollstreckbaren Urteils des Erstgerichts vom 13. 10. 2005 erfolgt sei. § 61 ASGG sei gemeinschaftsrechtswidrig. Darüber hinaus sei § 61 ASGG auch verfassungswidrig, weil damit zwischen zivilrechtlichen Urteilen erster Instanz unsachlich differenziert werde.

Der Beklagte bestritt das Klagevorbringen in rechtlicher Hinsicht, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, dass das Ersturteil im Parallelprozess, ungeachtet seiner späteren Aufhebung durch das Berufungsgericht, weiterwirke und immer noch vollstreckbar sei. Es gebe daher keinen Grund, den Betrag von 58.812,75 EUR wieder zurückzuzahlen. Die geleistete Zahlung sei mit Ende des Arbeitsverhältnisses am 31. 3. 2005 fällig gewesen. Das Erstgericht wies das gegenständliche Rückzahlungsbegehren unter Zugrundelegung der vorstehend wiedergegebenen Feststellungen ab. Im Parallelprozess sei von der Klägerin (dort als beklagter Partei) kein Antrag auf Hemmung der Vollstreckbarkeit gestellt worden, weshalb das klagestattgebende Urteil des Erstgerichts im Parallelprozess vollstreckbar gewesen sei. Gemäß § 61 Abs 2 ASGG wirke dieses Ersturteil, ungeachtet seiner Aufhebung durch das Berufungsgericht, weiter, zumal die Parteien auch nichts anderes vereinbart haben. Anhaltspunkte für eine Gemeinschaftsrechts- oder eine Verfassungswidrigkeit des § 61 ASGG bestünden nicht. Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Der Gesetzgeber habe mit der ASGG-Nov 1994 den Bedenken des Verfassungsgerichtshofs, die mit Erkenntnis vom 13. 3. 1991 (VfSlg 12683) zur Aufhebung des § 61 Abs 1 Z 2 ASGG aF geführt haben, Rechnung getragen. In der Neuregelung des § 61 ASGG sei das System der vorzeitigen Vollstreckbarkeit beibehalten, jedoch die Möglichkeit einer Hemmung der Vollstreckbarkeit eingeführt worden. Das Berufungsgericht teile die auf den Gleichheitsgrundsatz und auf den Schutz des Eigentums gestützten Bedenken der Klägerin gegen diese Neuregelung nicht. Es sei nämlich sachgerecht, diejenige Partei zu bevorzugen, deren Rechtsstandpunkt nach vorläufiger Gerichtsprüfung begründet sei. Dieser Grundsatz habe sich auch bei einstweiligen Verfügungen und der Sicherstellungsexekution bewährt. Den Nachteilen für den Arbeitgeber könne mit einer (allenfalls auch teilweisen) Hemmung der Vollstreckbarkeit begegnet werden. Das Berufungsgericht sehe daher keinen Anlass, beim Verfassungsgerichtshof ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich des § 61 Abs 1 Z 2, Abs 2 ASGG idF ASGG-Nov 2004 zu beantragen. Die gemeinschaftsrechtlichen Bedenken der Klägerin seien nicht substantiiert worden. Die Revision sei gemäß § 502 Abs 1 ZPO zuzulassen, weil noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Verfassungsgemäßheit des § 61 Abs 1 Z 2, Abs 4 bis 6 ASGG vorliege.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung „nach Vorlage des Aktes an den VfGH etc" dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren im Ausmaß des Revisionsinteresses Folge gegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Des weiteren beantragt die Klägerin in der Revision die Anberaumung einer mündlichen Revisionsverhandlung.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig. Sie ist jedoch - einschließlich des Antrags auf Anberaumung einer mündlichen Revisionsverhandlung - nicht berechtigt.

ad I. Gemäß § 509 Abs 1 ZPO entscheidet der Oberste Gerichtshof über die Revision grundsätzlich in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorhergehende mündliche Verhandlung. Er kann jedoch nach § 509 Abs 2 ZPO, wenn dies im Einzelfall erforderlich erscheint, eine mündliche Revisionsverhandlung auf Antrag oder von Amts wegen anordnen. Die Anberaumung liegt also im Ermessen des Revisionsgerichts (Kodek in Rechberger, ZPO³ § 509 Rz 1; RIS-Justiz RS0043679 ua). Dabei ist zu beachten, dass eine Revisionsverhandlung mangels eines entsprechenden gesetzlichen Revisionsgrunds niemals der Erörterung der Tatfrage dienen kann (7 Ob 236/05i ua). Zur Abklärung der in den Rechtsmittelschriftsätzen dargelegten Rechtsfragen bedarf es im vorliegenden Fall keiner mündlichen Verhandlung. Der von der Revisionswerberin auch nicht näher begründete Antrag ist daher abzuweisen.

ad II. Die in der Revision gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor. Diese Beurteilung bedarf keiner Begründung (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Soweit einzelne Argumente zur Mängelrüge in die rechtliche Beurteilung der Sache hineinreichen, erfolgt deren Behandlung bei Erörterung der Rechtsrüge.

Das Berufungsgericht bestätigte die Klageabweisung des Erstgerichts mit zutreffender Begründung. Es kann daher gemäß § 510 Abs 3 Satz 2 ZPO auf deren Richtigkeit hingewiesen werden. In Erwiderung der Ausführungen der Revisionswerberin werden nochmals die wesentlichen Aspekte der rechtlichen Beurteilung zusammengefasst:

Vorweg ist festzuhalten, dass es im vorliegenden Verfahren - wie im bereits mehrfach genannten Parallelprozess (dort aber mit umgekehrten Parteirollen) - um eine (im vorliegenden Verfahren nicht näher präzisierte, vom Beklagten offenbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geforderte) „Prämie" geht, die von den Parteien übereinstimmend unter die „Ansprüche auf das bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses rückständige laufende Arbeitsentgelt" iSd § 61 Abs 1 Z 2 ASGG subsumiert wird. Mangels irgendwelcher Anhaltspunkte, die gegen die Richtigkeit dieser rechtlichen Qualifikation sprechen, wird sie auch den folgenden Ausführungen zugrundegelegt. Die Parteien stehen weiters übereinstimmend auf dem Standpunkt, dass der einer Rechtsstreitigkeit nach § 61 Abs 1 Z 2 ASGG entstammende Betrag von 58.812,75 EUR von der Klägerin an den Beklagten in Entsprechung der vorläufigen Vollstreckbarkeit gemäß § 61 Abs 1 ASGG geleistet wurde. Von der Revisionswerberin wird auch nicht bezweifelt, dass das erste Urteil des Erstgerichts nach dem Wortlaut des § 61 Abs 2 ASGG bis zur Beendigung des Parallelprozesses weiter „wirkt", auch wenn es inzwischen vom Berufungsgericht aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen wurde.

Die Revisionswerberin tritt gegen die Rechtsfolgen des § 61 ASGG nicht mit einer anderen Auslegung dieser Bestimmung, sondern mit der Behauptung an, die Bestimmung sei gemeinschaftsrechts- und verfassungswidrig. Eine nähere Begründung, worin hier die Verletzung des Gemeinschaftsrechts erblickt wird, blieb die Klägerin allerdings im gesamten Verfahren schuldig. Diesem unbegründet gebliebenen Einwand kann daher nicht weiter nachgegangen werden. Der Anregung der Revisionswerberin, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs - zu einem von ihr nicht näher bezeichneten Thema - einzuholen, wird nicht beigetreten. Es genügt an dieser Stelle der für die europarechtliche Unbedenklichkeit illustrative Hinweis, dass die sofortige Vollstreckbarkeit nach § 61 Abs 1 ASGG unter den sonstigen von der Verordnung (EG) Nr 805/2004 (EuVTVO) aufgestellten Voraussetzungen auch die Grundlage für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel bilden kann (Neumayr in ZellKomm § 61 ASGG Rz 9). Die Rechtskraft ist - entgegen den ursprünglichen Vorschlägen der Kommission - nicht gefordert.

Zur angeblichen Verfassungswidrigkeit des § 61 ASGG weist die Revisionswerberin einleitend darauf hin, dass der Schriftenverfasser die Rechtslage bereits mit einem Richter des Verfassungsgerichtshofs bzw mit je einem Universitätsprofessor für zivilgerichtliches Verfahren und Verfassungsrecht erörtert habe und diese - „zumindest teilweise" - die verfassungsrechtlichen Argumente des Schriftenverfassers gegen die Verfassungskonformität dieser Bestimmung teilen. Konkreter wird die Revisionswerberin dann mit dem Hinweis, dass die Nachwirkung des erstinstanzlichen Urteils trotz Aufhebung durch das Berufungsgericht und dem dadurch bewirkten „Wegfall aus der Rechtslandschaft" nicht mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrecht (Art 5 StGG; Art 1 1. ZPMRK) und dem Gleichheitsgrundsatz (Art 2 StGG) zu vereinbaren sei. Der Klägerin werde durch die Nachwirkung eines rechtlich nicht mehr existenten Urteils praktisch ihr Eigentum entzogen. Nach den der Revisionswerberin vorliegenden Informationen sei der Beklagte derzeit nicht beschäftigt. Die Einbringlichkeit der Forderung der Klägerin auf Rückzahlung erscheine daher in hohem Maße gefährdet. Darüber hinaus liege im Vergleich mit den erstgerichtlichen Urteilen anderer Zivilgerichte, die keine derartige Nachwirkung entfalten, eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vor. Die Ausführungen der Revisionswerberin überzeugen nicht. § 61 ASGG sah in seiner aus den Ausschussberatungen (AB 527 BlgNR 16. GP 9 f; s Näheres bei Kuderna, ASGG² 383) herrührenden, am 1. 1. 1987 in Kraft getretenen Stammfassung vor, dass die rechtzeitige Erhebung der Berufung gegen das erste Urteil des Gerichts erster Instanz nur den Eintritt der (formellen) Rechtskraft, nicht jedoch den Eintritt der Vollstreckbarkeit in den in § 61 Abs 1 Z 1 bis 5 ASGG aufgezählten Fällen hemmt. Nach den Gesetzesmaterialien (RV 7 BlgNR 16. GP 50, 62) vertragen arbeitsrechtliche Streitigkeiten „keinen langen Schwebezustand, während dessen unsicher ist, auf welcher Rechtslage die Beteiligten ihr Verhalten aufbauen sollen". Abzielend auf eine rasche Durchsetzung von Entgeltansprüchen in den in § 61 Abs 1 Z 1 und 2 ASGG genannten Verfahren wurde außerdem das Motiv hervorgehoben, Arbeitsentgeltzahlungen, die dem Unterhalt des Arbeitnehmers dienen, müssten möglichst rasch geleistet werden (Kuderna aaO 383; Neumayr aaO § 61 ASGG Rz 1 ua).

Mit Erkenntnis vom 13. 3. 1991, G 199/90 (VfSlg 12683), kundgemacht in BGBl 1991/210, hob der Verfassungsgerichtshof die Z 2 des § 61 Abs 1 ASGG idF BGBl 1990/408 als verfassungswidrig auf (DRdA 1991/44 [B. Schwarz]; Rechberger, Zur Aufhebung des § 61 Abs 1 Z 2 ASGG durch den VfGH, ecolex 1991, 411; Wachter, Der Begriff des Arbeitsverhältnisses im Rahmen des ASGG, in FS Schwarz 709 [713]; Konecny, Gedanken zur Neuregelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit in Arbeitsrechtssachen, ÖJZ 1991, 724 ua). Der Verfassungsgerichtshof hegte zwar keine grundsätzlichen Bedenken gegen die vorzeitige Vollstreckbarkeit eines nicht rechtskräftigen Urteils, vertrat jedoch die Auffassung, dass die angefochtene Bestimmung nur auf den Regelfall der besonders schützenswerten Lage des Arbeitnehmers abstelle, nicht jedoch auf davon abweichende, keinesfalls als selten zu vernachlässigende Ausnahmefälle, weshalb sie mangels Differenzierung als verfassungswidrig anzusehen sei (Neumayr aaO § 61 ASGG Rz 2 ua). Erst mit der ASGG-Nov 1994, BGBl 1994/624, wurde die vorläufige Vollstreckbarkeit von Urteilen über rückständiges Arbeitsentgelt wieder eingeführt. Der vom Verfassungsgerichtshof geforderten Differenzierung der Rechtsfolgen wurde dabei durch die Möglichkeit, die Hemmung der Vollstreckbarkeit zu beantragen (§ 61 Abs 4 bis 6 ASGG), Rechnung getragen (RV 1654 BlgNR 18. GP 21 f [s auch RV 290 BlgNR 18. GP 2 ff]; Neumayr aaO § 61 ASGG Rz 2 ua). Es gilt nun, dass ein - wenn auch allenfalls aufgehobenes - erstes erstgerichtliches Urteil iSd § 61 Abs 1 ASGG nach § 61 Abs 2 ASGG bis zur Beendigung des Verfahrens weiter wirkt, soweit die Parteien keine Beseitigung oder Einschränkung dieser Wirkung vereinbaren oder das Gericht die Hemmung der Vollstreckbarkeit nach § 61 Abs 4 ASGG verfügt hat. An diesem Weiterwirken ändert auch ein entgegenstehendes späteres Urteil des Erst- oder des Berufungsgerichts nichts (Kuderna aaO 394; Neumayr aaO § 61 ASGG Rz 5 ua). Darin erblickt die Revisionswerberin den „Sitz der Verfassungswidrigkeit".

Nach § 61 Abs 2 Satz 2 ASGG wirken Urteile nach § 61 Abs 1 Z 1 und 2 ASGG „unbeschadet eines allfälligen Rückzahlungsanspruchs". Diese Regelung schließt die Gutgläubigkeit des Arbeitnehmers beim Verbrauch des auf Grund des vorläufig vollstreckbaren Urteils erhaltenen Entgelts aus (Kuderna aaO 396 f; 9 ObA 42/91 ua). Wird das erste Urteil des Erstgerichts rechtskräftig im klageabweisenden Sinn abgeändert, hat die klagende Partei - da § 61 Abs 1 ASGG keinen endgültigen Entgeltanspruch schafft (9 ObA 283/99d, DRdA 2000/51 [Rebhahn], ZAS 2000/19 [Schrank] ua) - auf der Grundlage von § 1435 ABGB den etwa erhaltenen Geldbetrag wieder zurückzuzahlen (RIS-Justiz RS0113095 ua). Der nicht freiwillig rückerstattete Betrag muss/kann gegebenenfalls klageweise geltend gemacht werden (Kuderna aaO 396 f; Neumayr aaO § 61 ASGG Rz 10 ua). Diesen Weg beschritt hier auch die Klägerin, allerdings bereits vor der rechtskräftigen Klärung des Anspruchs des Beklagten im Parallelprozess, somit verfrüht. Auf Grund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs zu G 199/90 (VfSlg 12683) wurde die Anwendbarkeit der Bestimmung des § 61 Abs 1 Z 2 ASGG im Hinblick auf die Möglichkeit der Hemmung der Vollstreckbarkeit nach § 61 Abs 4 bis 6 ASGG teilweise reduziert (Kuderna aaO 391 f; Neumayr aaO § 61 ASGG Rz 13 ua). In Rechtsstreitigkeiten nach § 61 Abs 1 Z 2 ASGG hat das Erstgericht unter den in § 61 Abs 4 bis 6 ASGG genannten Voraussetzungen die Hemmung der Vollstreckbarkeit zur Gänze oder zum Teil zu verfügen. Den Maßstab für den Umfang bilden zum einen (§ 61 Abs 4 Z 1 ASGG) die soziale Lage des Arbeitnehmers im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz, zum anderen (§ 61 Abs 4 Z 2 ASGG) der Umfang eines allfälligen Verzichts des Arbeitnehmers auf die sofortige Vollstreckbarkeit (Neumayr aaO § 61 ASGG Rz 20 ua). Von der Möglichkeit, eine Hemmung der Vollstreckbarkeit zu beantragen, machte die Klägerin allerdings keinen Gebrauch. Nachträgliche Überlegungen der Revisionswerberin, dass der Beklagte „nicht besonders schützenswert" sei, sind daher nicht zielführend. In diesem Zusammenhang überrascht auch der Einwand, dass es von der Sachkunde des Rechtsvertreters bzw bei unvertretenen Parteien von der Anleitung durch das Gericht abhänge, ob ein Antrag nach § 61 Abs 4 Z 1 ASGG gestellt werde, in zweifacher Weise. Zum einen behauptete die Klägerin nicht, dass dieser Weg an der fehlenden Sachkunde ihres Rechtsvertreters oder der mangelnden gerichtlichen Anleitung gescheitert sei; zum anderen kann der konkrete Grund, weshalb ein Antrag auf Hemmung der Vollstreckbarkeit im Einzelfall nicht gestellt wird/wurde, kein Argument für die Verfassungswidrigkeit einer Regelung sein, die einen derartigen Antrag einräumt. Soweit überblickbar wird die Verfassungsmäßigkeit des § 61 ASGG nach dessen Anpassung durch die ASGG-Nov 1994 im Gefolge der teilweisen Aufhebung der Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof im Schrifttum kaum mehr bezweifelt. Dass die Bezugnahme auf die soziale Lage des Arbeitnehmers rechtspolitisch insofern problematisch ist, als die Hemmung der Vollstreckbarkeit bei schlechter wirtschaftlicher Lage des Arbeitnehmers tendenziell nicht zu bewilligen ist, aber gerade in diesem Fall ein letztlich obsiegender Arbeitgeber uU wenig Chancen haben wird, den vorläufig zugesprochenen Betrag samt Zinsen zurückzuerlangen (vgl Neumayr aaO § 61 ASGG Rz 22 ua), wird nicht verkannt.

Es liegt im Wesen einer vorläufigen Entscheidungswirkung, dass diese Wirkung später obsolet wird, wenn die Entscheidung letztlich nicht hält (vgl Rechberger, Das ASGG aus der Sicht der Rechtswissenschaft, DRdA 1989, 263 [266]). Für die vorrangige Berücksichtigung der Interessen des Arbeitnehmers im Rahmen des Konzepts der vorläufigen Vollstreckbarkeit nach § 61 ASGG spricht unverändert, dass dem Arbeitsentgelt in der Regel die Funktion der Existenzsicherung des Arbeitnehmers zukommt und die Existenzgefährdung des Arbeitnehmers als schwerer wiegende Gefahr einzustufen ist als der dem Arbeitgeber allenfalls drohende finanzielle Ausfall. Vor allem aber muss, damit die vorläufige Vollstreckbarkeit nach § 61 ASGG überhaupt zum Tragen kommen kann, der Anspruch des Arbeitnehmers bereits von einem Erstgericht geprüft und mit Urteil bejaht worden sein. Drohen beiden Parteien Nachteile, dann muss eine von ihnen in der „faktischen Effizienz" des Rechtsschutzes verkürzt werden. Dabei erscheint es sachgerecht, diejenige Partei zu bevorzugen, deren Rechtsstandpunkt sich nach vorläufiger Gerichtsprüfung als begründet herausstellt. Dieser Grundsatz hat sich auch schon bei den einstweiligen Verfügungen, wo § 389 Abs 1 EO die Anspruchsbescheinigung verlangt, und der Sicherstellungsexekution, die einen nicht vollstreckbaren Titel voraussetzt, bewährt (Konecny, ÖJZ 1991, 724 [725 f] ua). Auch der Verfassungsgerichtshof hob in seinem Erkenntnis zu G 199/90 den Gesichtspunkt der bereits vorliegenden Gerichtsentscheidung hervor. Der Senat erblickt in den hier in Frage stehenden Teilen der Regelung des § 61 ASGG weder eine willkürliche noch eine unsachliche Differenzierung des Gesetzgebers (vgl Mayer, B-VG4 Art 2 StGG I., III.1, IV.3 ua) gegenüber dem sonstigen Konzept der Vollstreckung zivilgerichtlicher Urteile. Von einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nach Art 2 StGG kann daher - entgegen der Auffassung der Revisionswerberin - nicht ausgegangen werden. Ähnliche Erwägungen können für den Einwand der Revisionswerberin gelten, durch die vorläufige Vollstreckbarkeit nach § 61 ASGG würde im Hinblick auf die drohende Uneinbringlichkeit der Rückzahlung in den verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums eingegriffen. Wie schon erwähnt, will die von der Revisionswerberin angezweifelte Regelung in erster Linie den Arbeitnehmer vor einer drohenden Existenzgefährdung bewahren. Die Regelung liegt damit unzweifelhaft im öffentlichen Interesse (vgl Mayer aaO Art 5 StGG III.2 ua). Durch die totale oder teilweise Hemmung der Vollstreckbarkeit ist es möglich, ganz konkret auf den jeweiligen Einzelfall bezogen, die vorläufige Vollstreckbarkeit auf das unbedingt notwendige Maß zu reduzieren. Von einer unverhältnismäßigen Regelung (vgl dazu Mayer aaO Art 5 StGG III.3 ua) kann dabei nach Auffassung des Senats nicht ausgegangen werden. Die Bedenken der Revisionswerberin bezüglich des Vorliegens eines unzulässigen Eingriffs in das Eigentum werden daher nicht geteilt.

Zusammenfassend ist es der Revisionswerberin nicht gelungen, begründete Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 61 ASGG, soweit er hier zum Tragen kommt, zu wecken. Der Anregung, beim Verfassungsgericht die Normenprüfung zu beantragen, kann daher nicht beigetreten werden. Da die Revisionswerberin im Übrigen keinen rechtlichen Grund aufgezeigt hat, der einem weiteren Behalten des Klagebetrags durch den Beklagten entgegensteht (§ 1435 ABGB; vgl Kuderna aaO 395 ua), muss ihrer unbegründeten Revision ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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