OGH 10ObS86/07f

OGH10ObS86/07f26.7.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Christa Brezna (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Heinz Ehmer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Heinz Werner P*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Ingrid Schwarzinger, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pensionsanpassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Februar 2007, GZ 10 Rs 13/07s-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13. September 2006, GZ 6 Cgs 133/06a-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Antrag des Klägers, beim Verfassungsgerichtshof die Überprüfung des § 108h Abs 1 iVm § 223 ASVG wegen Verfassungswidrigkeit zu beantragen, wird zurückgewiesen.

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt vom 23. 11. 2005 wurde der Anspruch des am 5. 1. 1943 geborenen Klägers auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1. 6. 2005 anerkannt.

Mit Schreiben vom 7. 2. 2006 beanstandete der Kläger die Nichtdurchführung einer Pensionsanpassung für 2006 und ersuchte um Ausstellung eines Bescheides.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 24. 3. 2006 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers auf Anpassung seiner Pension für das Jahr 2006 mit der Begründung ab, dass gemäß § 108h ASVG die erstmalige Anpassung der Pension erst mit Wirksamkeit ab 1. Jänner des dem Stichtag zweitfolgenden Kalenderjahres (= 1. 1. 2007) vorzunehmen sei.

Das Erstgericht wies das auf Anpassung der dem Kläger seit 1. 6. 2005 gewährten vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1. 1. 2006 gerichtete Klagebegehren ab. Es verwies in seiner rechtlichen Beurteilung auf die Bestimmung des § 108h Abs 1 ASVG, wonach die erstmalige Anpassung einer Pension aus der Pensionsversicherung erst mit Wirksamkeit ab 1. Jänner des dem Stichtag (§ 223 Abs 2 ASVG) zweitfolgenden Kalenderjahres vorzunehmen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, weil es die in der Berufung geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die geltende Gesetzeslage nicht teilte. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der allgemein bedeutsamen Frage, ob gegen die genannte Bestimmung des § 108h Abs 1 ASVG verfassungsrechtliche Bedenken bestünden, fehle. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger beantragt weiters, beim Verfassungsgerichtshof ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der Bestimmung des § 108h Abs 1 iVm § 223 ASVG einzuleiten.

Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Revisionswerber macht geltend, das Berufungsgericht habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Bestimmung des § 108h Abs 1 ASVG wörtlich zu interpretieren sei oder auf Grund des Normzwecks (der Wertsicherung der Pension) eine Interpretation im Sinne seines Prozessstandpunktes vorzunehmen sei. Er habe bereits ab 1. 1. 2006 Anspruch auf Valorisierung seiner Pension. Es gebe keine sachliche Rechtfertigung für eine Differenzierung zwischen „erstmaliger" und „fortgesetzter" Pensionsanpassung. Die Aussetzung der Pensionsanpassung für ein Jahr führe wirtschaftlich zu einer Pensionskürzung, wobei sich dieser Pensionsverlust jährlich noch entsprechend erhöhe. Die „faktisch eintretende Pensionskürzung" sei, je nachdem wie hoch der Anpassungsfaktor im ersten Jahr der „versäumten" Pensionsanpassung sei, ein „Glücksspiel".

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

Mit dem Budgetbegleitgesetz 2003, welches am 20. 8. 2003 im Teil I des BGBl unter der Nr 71 kundgemacht wurde, wurden unter anderem Maßnahmen der Pensionsreform 2003 zur Sicherung der gesetzlichen Pensionsversicherung beschlossen. Es erfolgte dabei unter anderem eine (schrittweise) Aufhebung der vorzeitigen Alterspensionen, eine Verlängerung des Pensionsbemessungszeitraumes, eine Absenkung der Steigerungspunkte für die Pensionsberechnung, eine Erhöhung der Abschläge bei vorzeitigem Pensionsantritt bzw der Bonifikation bei späterem Pensionsantritt sowie eine Verschiebung der erstmaligen Valorisierung von Neupensionen (vgl RV 59 BlgNR XXII. GP 175 f). Im Hinblick auf die zuletzt erwähnte Maßnahme der Verschiebung der erstmaligen Valorisierung von Neupensionen wurde durch das Budgetbegleitgesetz 2003, BGBl I 2003/71, dem § 108h Abs 1 folgender Satz angefügt:

„Handelt es sich um eine erstmalige Anpassung, so ist diese erst mit Wirksamkeit ab 1. Jänner des dem Stichtag (§ 223 Abs 2) zweitfolgenden Kalenderjahres vorzunehmen; abweichend davon ist für die erstmalige Anpassung von Hinterbliebenenpensionen, die aus einer bereits zuerkannten Leistung abgeleitet sind, der Stichtag dieser Leistung maßgebend."

In den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (59 BlgNR XXII. GP 335) wird dazu ausgeführt, dass ab dem Jahr 2004 in dem auf das Jahr nach Pensionsantritt folgenden Jahr erstmals valorisiert werden soll. Ausgenommen davon sind lediglich Hinterbliebenenpensionen, die sich vom Pensionsbezug des Verstorbenen ableiten. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass allen Dienstnehmern in Hinkunft durch die neue Mitarbeitervorsorge, welche die alte Abfertigung abgelöst hat, die Möglichkeit eingeräumt wurde, steuerbegünstigt schon ab Erreichung des Pensionsalters eine Zusatzrente zu erhalten.

Die zitierte Bestimmung des § 108h Abs 1 letzter Satz ASVG, welche gemäß der Übergangsbestimmung des § 607 Abs 3 b ASVG nur auf Leistungen anzuwenden ist, deren Stichtag (§ 223 Abs 2) nach dem 31. 12. 2003 liegt, kann auf Grund ihres völlig eindeutigen Wortlautes nur dahin verstanden werden, dass die dem Kläger mit Stichtag 1. 6. 2005 zuerkannte vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer erstmals mit Wirksamkeit ab 1. 1. des dem Stichtag (1. 6. 2005) zweitfolgenden Kalenderjahres, also ab 1. 1. 2007, anzupassen ist. Es ist dem Revisionswerber darin beizupflichten, dass diese Verschiebung der erstmaligen Pensionsanpassung auf den 1. 1. des auf den Stichtag zweitfolgenden Kalenderjahres faktisch eine dauerhafte Kürzung der Pension im Ausmaß der jeweils entfallenden Anpassung darstellt. Die in § 108h ASVG angeführten Pensionen wurden mit Wirksamkeit ab 1. 1. 2006 wie folgt erhöht: Betrug die Pension nicht mehr als EUR 1.875,-- monatlich (das ist das Fünfzehnfache der Höchstbeitragsgrundlage nach § 45 ASVG), so war sie mit dem Anpassungsfaktor von 1,025 zu vervielfachen, sonst betrug die Erhöhung EUR 46,88 (vgl Verordnung der BMSGK, BGBl II 2005/374 - ASoK 2005, 396).

Zu den vom Revisionswerber im Hinblick auf diesen Pensionsverlust geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken hat bereits das Berufungsgericht zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verwiesen, wonach keine Verfassungsvorschrift den Schutz erworbener Rechtspositionen gewährleistet, sodass es im Prinzip in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers fällt, eine einmal geschaffene Rechtsposition auch zu Lasten des Betroffenen zu verändern. In dieser Rechtsprechung kommt jedoch auch zum Ausdruck, dass die Aufhebung oder Abänderung von Rechten, die der Gesetzgeber zunächst eingeräumt hat, sachlich begründbar sein muss. Weiters wird darin die Auffassung vertreten, dass auch Eingriffe in bestehende Rechtspositionen, die an sich sachlich gerechtfertigt sind, nicht die Minderung erworbener Rechte jedweder Art in jedweder Intensität sachlich begründen können. Dabei hat der Verfassungsgerichtshof auch zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber den Gleichheitssatz dann verletzt, wenn er bei Änderung der Rechtslage plötzlich und intensiv in erworbene Rechtspositionen eingreift, wobei diesem - aus dem Gleichheitssatz erfließenden - Vertrauensschutz gerade im Pensionsrecht besondere Bedeutung zukommt (VfSlg 15269 mwN ua).

Die vom Revisionswerber als verfassungswidrig erachtete Regelung verfolgt als Teil der Pensionsreform 2003 das Ziel, das Pensionssystem mittel- und langfristig zu sichern. Eine im öffentlichen Interesse liegende Zielsetzung dieser Art ist an sich geeignet, Kürzungsregelungen wie die hier in Rede stehende sachlich zu rechtfertigen.

Der erkennende Senat hat auch nicht das Bedenken, dass die hier in Rede stehende faktische Kürzung des Pensionsbezuges im Hinblick auf die Intensität des Eingriffes in die vom Kläger bis dahin erworbene Pensionsanwartschaft aus der Sicht des Gleichheitssatzes unzulässig wäre. So hielt der Verfassungsgerichtshof beispielsweise eine dauernde Pensionskürzung von 1,4 % bei stufenweisen Inkrafttreten (VfSlg 14867), eine Gehaltsreduktion von etwa 1,5 % (VfSlg 14888), eine Beitragserhöhung um 3,4 % (VfGH B 998/01 = ZAS 2002/7, 54) und sogar eine im Durchschnitt 12 %ige Kürzung von Beamtenpensionen als Folge einer Verringerung der Bemessungsgrundlage bei vorzeitiger Pensionierung (VfSlg 15269) für geringfügig und damit schon aus diesem Grunde für verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Pensionsentfall durch die mit 1. 1. 2006 unterbliebene Pensionsanpassung betrug beim Kläger maximal EUR 46,88 monatlich (= höchstens 2,5 %) und war daher im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht derart intensiv, dass er einen sachlich nicht begründbaren Eingriff in erworbene Rechtspositionen bewirken würde. Im Übrigen wird in der Lehre ganz allgemein die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber auch nach österreichischem Recht im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes eine Pensionsanpassung für einzelne Jahre sistieren kann (vgl Tomandl, Gedanken zum Vertrauensschutz im Sozialrecht, ZAS 2000, 129 ff [134] unter Hinweis auf die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes).

Soweit der Revisionswerber meint, es gebe keine sachliche Rechtfertigung für eine Differenzierung zwischen „erstmaliger" und „fortgesetzter" Pensionsanpassung, ist ihm entgegenzuhalten, dass das Schutzbedürfnis der noch aktiven Versicherten in der Regel geringer ist als jenes der Pensionisten, die ihre Pension im Vertrauen auf das gesetzlich festgeschriebene Leistungsniveau angetreten haben und deren Möglichkeiten, in der Pension auf Kürzungen ihrer Pension zu reagieren bestenfalls beschränkt, in den meisten Fällen aber überhaupt nicht vorhanden sind.

Schließlich ist nochmals darauf hinzuweisen, dass die vom Revisionswerber als verfassungswidrig erachtete gesetzliche Bestimmung Teil eines mit der Pensionsreform 2003 beschlossenen umfangreichen Maßnahmenpaktes ist, wodurch die mittel- und langfristige Sicherung der gesetzlichen Pensionen erreicht werden soll, und daher auch für GSVG- und BSVG-Versicherte gleichlautende Regelungen über die Verschiebung der erstmaligen Valorisierung von Neupensionen geschaffen wurden (vgl § 50 Abs 1 letzter Satz GSVG, § 46 Abs 1 letzter Satz BSVG). Es liegt daher auch eine Ungleichbehandlung der in den einzelnen Sozialversicherungssystemen Versicherten nicht vor.

Der Partei steht ein Recht, vom Obersten Gerichtshof die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit zu begehren, nicht zu. Der diesbezügliche Antrag des Revisionswerbers ist daher zurückzuweisen (SSV-NF 17/68 mwN).

Das Rechtsmittelgericht trifft aber auch nicht schon dann, wenn eine Partei Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes äußert, die Verpflichtung zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof. Es hat vielmehr als Vorfrage das Vorliegen solcher relevanter Gründe selbständig zu beurteilen (RIS-Justiz RS0053638). Hegt das Gericht - wie hier - keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesbestimmung, besteht kein Anlass zur Antragstellung gemäß Art 140 BVG (SSV-NF 17/68).

Der Revision muss daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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