OGH 2Ob128/07y

OGH2Ob128/07y28.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sabrina Sch*, vertreten durch Stolz & Schartner Rechtsanwälte Gesellschaft mbH in Radstadt, wider die beklagte Partei Cyriak St*, vertreten durch Dr. Josef Dengg und andere, Rechtsanwälte in St. Johann im Pongau, wegen EUR 4.914,89 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 16. April 2007, GZ 54 R 63/07i‑18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes St. Johann im Pongau vom 18. Jänner 2007, GZ 2 C 1812/06s‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2007:0020OB00128.07.0628.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei zu Handen ihrer Vertreter binnen 14 Tagen die mit EUR 399,74 (hierin enthalten EUR 66,62 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

 

Begründung:

 

Am 27. 5. 2006 ereignete sich gegen 23.00 Uhr auf der „Alten Bundesstraße" (im Folgenden nur: Straße) zwischen Altenmarkt und Radstadt ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Lenkerin und Halterin ihres PKW der Marke VW Polo sowie mehrere vom Beklagten gehaltene Kälber beteiligt waren, die aus einer rund 300 m von der Straße entfernt gelegenen Weidefläche panikartig ausgebrochen und auf die Fahrbahn gelangt waren. Diese Straße führt durch ein Gebiet mit überwiegend landwirtschaftlicher Ausprägung und erschließt vereinzelt landwirtschaftliche Anwesen sowie Häuser und sonstige Objekte. Sie stellt keinesfalls die verkehrsmäßige Hauptverbindung zwischen Altenmarkt und Radstadt dar, sondern wird nur für Zufahrtszwecke zu den Objekten und landwirtschaftlichen Anwesen und als Ausweichstrecke befahren. Die Frequenz auf diesem Verkehrsweg ist besonders in der Nacht mäßig.

Die südliche Grenze der etwa ein halbes Hektar großen Weidefläche lag rund 300 m von der Straße entfernt; im Norden bildet ein Waldstück die natürliche Grenze. Auf dieser Weidefläche hielt der Beklagte am 27. 5. 2006 sowie bereits über einen Zeitraum von einer Woche unmittelbar zuvor 12 Kälber im Alter von rund sechs Monaten. Während dieser Zeit waren die Kälber völlig unauffällig, nicht unruhig und auch nicht nervös. Es gab keinerlei Hinweise auf Ausbrechversuche der Tiere.

Die Weidefläche war gegen Osten hin durch einen dreilagigen Stacheldrahtzaun und stellenweise durch einen Bretterzaun abgegrenzt. An der Nord‑, West‑ und Südseite war die Weidefläche mit einem rund vier Jahre alten elektrischen Weidezaun abgegrenzt. Die Pflöcke dieses elektrischen Weidezauns wurden vom Beklagten ständig erneuert. Sie wiesen einen Durchmesser von 8 bis 10 cm auf. Der 1,5 mm dicke Draht wurde in zwei stromführenden Lagen, die obere 0,9 bis 1 m und die untere rund 60 cm über Bodenniveau geführt. Der Zaun war als Ringleitung, bei der es keine Unterbrechung des Drahtes zwischen der oberen und der unteren Drahtlage gab, konstruiert. Die Drähte wurden mit Isolatoren in die Holzpflöcke eingeschraubt. An der Nordostecke waren die beiden Isolatoren an einem Baum eingeschraubt. An der Ostseite des Hofgebäudes des Beklagten ist der Akkustromautomat für diesen elektrischen Weidezaun montiert. Dieser Apparat gibt Blinkzeichen als optische Sichtkontrolle und deutlich hörbare Ticksignale als akustische Kontrolle der Funktion der Elektrizität der 200‑Volt‑Anlage. Steht der Draht unter Strom und ist die Ringleitung nicht unterbrochen, so erfolgt ein zweimaliges Blinken am Akkustromautmat. Würde der Draht abgerissen sein, so leuchtet bloß ein Blinklicht auf. Das akustische Signal „Tick" ist deutlich hörbar, wenn man sich in der Nähe dieses Akkustromapparates aufhält.

Am Unfalltag hat der Beklagte in der Früh die Weidefläche für die Kälber nach Norden hin „übersetzt". Dazu hat er die Pflöcke der Nordseite des elektrischen Weidezauns aus dem Boden herausgenommen und sie weiter im Norden mit einem Schlegel ca 30 bis 40 cm tief in den Boden eingeschlagen. Ehe er gegen Mittag mit seiner Ehegattin zu einer Hochzeit wegfuhr, beobachtete er noch die Kälber, die sich in der Mitte der ausgesteckten Weidefläche aufhielten, weshalb er nicht zur Nordgrenze der Weidefläche hoch ging. Danach kontrollierte er auch noch die Funktion der Elektrizität im Bereich des Elektroautomaten an der Ostseite des Hofgebäudes, wo er beim Vorbeigehen das Aufleuchten der beiden Blinklichter sah.

Die Schwiegermutter des Beklagten hatte sich bereit erklärt, während der Abwesenheit des Beklagten und seiner Ehegattin auf dem Hof nach dem Rechten zu sehen. Vor seiner Abfahrt wies sie der Beklagte darauf hin, dass die Kälber bergwärts weideten, und ersuchte sie, immer wieder nachzuschauen, ob der Zaun unter Strom stehe. Am späten Nachmittag ging sie zu den Kälbern hoch und fand bei dieser Gelegenheit alles in Ordnung. Sie überprüfte auch die elektrische Funktion des Zaunes. Bevor sie gegen 20.15 Uhr bis 20.30 Uhr zu Bett ging, blickte sie bergwärts zu den Kälbern und überprüfte, ob die Anlage unter Strom stehe. Es waren alle Kälber auf der Weidefläche und war der Strom in Funktion.

Dass in der Nacht vom 27. auf den 28. 5. 2006 im Raum Altenmarkt ein Feuerwerk veranstaltet worden ist oder eine sonstige Veranstaltung mit übermäßiger Lärmentwicklung, ist nicht feststellbar. Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwischen dem Schlafengehen der Schwiegermutter und dem Unfallereignis gegen 23.00 Uhr sind jedenfalls die Kälber panikartig durch den elektrischen Weidezaun im Norden bergwärts ausgebrochen. Dort war das Bodenniveau gleichmäßig, es gab dort keine Geländeunebenheiten, die ein Unterlaufen des stromführenden Drahtes ermöglicht hätten. Ferner waren dort die Drähte gespannt. Die Kälber haben den Zaun über eine Länge von rund 30 m nach außen hin (bergwärts) auf den Boden umgestoßen und umgerissen. Einzelne Zaunpflöcke sind noch im Boden verankert gewesen, durch den Zug der Kälber nach Norden waren sie aber nach außen gekippt. Der nordwestliche Pflock des durchbrochenen Zauns war abgebrochen, am Baum an der Nordostecke (wo die zwei Drahtlagen auch eingeschraubt waren) waren die Isolatoren abgerissen. Wegen der damaligen nassen Witterung haben die vom Beklagten 30 bis 40 cm tief in den Boden eingeschlagenen Zaunpfähle leichter als bei trockener Witterung nachgegeben. Den abgebrochenen nordwestlichsten Zaunpflock der Ausbruchstelle hatte der Beklagte in der Früh des 27. 5. 2006 neu eingeschlagen und dabei keine Morschheit festgestellt.

Nach dem Durchbrechen des Zaunes sind die Kälber zunächst etwa 30 m bergwärts hochgelaufen; von dort begaben sie sich rund 200 m in Richtung Westen und anschließend auf der mit hohem Gras bewachsenen Wiese des Beklagten talwärts (nach Süden) zur Straße hin. Auf dieser Wiese war entlang der Straße vom Beklagten ein dreilagiger Drahtzaun mit einer Drahtstärke von 3 mm, an Holzpflöcken befestigt, aufgestellt worden. Die oberste Lage des Drahtes war 90 cm bis 1 m über Bodenniveau gespannt, die unterste rund 30 cm über Bodenniveau. Auf ihrer panikartigen Flucht haben die Kälber auch diesen Drahtzaun entlang der Straße durchbrochen, wobei sie sich mehrere Durchbruchstellen im Verlauf eines etwa 100 m langen Teilstückes des Zauns schufen. Es ist nicht auszuschließen, dass das eine oder andere Kalb auch über die Hofzufahrt des Beklagten, die zum Straßengrundstück nicht abgegrenzt ist, auf die Straße gelangt ist.

Die genaue Ursache der panikartigen Flucht der Kälber aus der Weidefläche ist nicht feststellbar. So könnte etwa ein Hund die Kälber in Angst und Schrecken versetzt haben. Der Nachbar hält zwar einen Hund, den er aber während der Nacht normalerweise im Hausinneren verwahrt. Es kommt zwar auch ein Raufen der Kälber, bei dem sie einen Zaun beschädigen, als theoretische Ursache des Ausbruches in Betracht. Diese Ursache ist aber eher auszuscheiden, da die Kälber nicht weiter gelaufen wären, sondern sich in der Nähe der Ausbruchstelle in das Gras gelegt hätten, da sie nicht unter Angst gestanden wären.

Die Klägerin begehrte mit der am 11. 10. 2006 eingebrachten Klage die Zahlung von zuletzt EUR 4.914,89 sA (Schmerzengeld, Reparaturkosten, Autobahnvignette, Rezeptgebühren und pauschale Unkosten) mit der Begründung, der Draht am Zaun sei nicht ordnungsgemäß gespannt gewesen, wodurch die Tiere auf die Straße geraten hätten können. Eine Absicherung mittels eines elektrischen Weidezauns sei jedenfalls nicht ausreichend; es wäre eine zusätzliche Absicherung in Form eines Holz‑ oder Stacheldrahtzauns geboten gewesen. Der Klägerin sei ein unfallverhütendes Reagieren nicht möglich gewesen.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete (zusammengefasst) ein, dass ihn keinerlei Verschulden am Zustandekommen der Kollision treffe, weil er die Jungkälber ordnungsgemäß innerhalb eines funktionierenden Weidezauns verwahrt habe. Diese seien bereits eine Woche lang auf der Weide gewesen und hätten sich unauffällig verhalten. Offensichtlich durch die mit einem Feuerwerk verbundene Lärmentwicklung seien die Tiere in Panik geraten und hätten den Weidezaun mit einer derartigen Wucht durchbrochen, dass der Zaun in einer Länge von 10 bis 15 m beschädigt gewesen sei. Zu einem derartigen Vorfall sei es bisher nie gekommen. Im Übrigen treffe die Klägerin ein Verschulden am Unfallgeschehen, weil sie entweder nicht angegurtet gewesen sei oder eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten habe. Da sie von einem entgegenkommenden Fahrzeug mittels Lichthupe gewarnt worden sei, sei ihr zudem ein massiver Reaktionsverzug vorzuwerfen.

Beide Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht, das die Feststellungen des Erstgerichtes zu den Sicherungsmaßnahmen als unbedenklich übernahm, führte in rechtlicher Hinsicht aus:

Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass Rinder mittels eines elektrischen Weidezauns hinlänglich verwahrt werden (RIS‑Justiz RS0030020). Dabei reiche grundsätzlich ein Elektrozaun mit nur einem stromführenden Draht in 70 bis 90 cm Höhe (RIS‑Justiz RS0030020 [T1]). Anderes gelte jedoch, wenn sich erweise, dass das Weidevieh einen solchen Elektrozaun nicht respektiere (RIS‑Justiz RS0030020 [T2]). Vorliegend sei die Weidefläche von einem ordnungsgemäß funktionierenden elektrischen Weidezaun eingegrenzt gewesen. Anhaltspunkte, die eine darüber hinausgehende Absicherungspflicht erfordert hätten, seien nicht hervorgekommen. Die Weidefläche habe sich nicht in unmittelbarer Nähe von einer mit starkem Verkehr frequentierten Straße befunden. Die Kälber hätten sich bis zum gegenständlichen Vorfall ruhig und friedlich verhalten und keine Ausbruchversuche unternommen. Berücksichtige man weiters den Umstand, dass die im allgemeinen Interesse liegende Landwirtschaft nicht durch Überspannung der Anforderungen unbillig belastet werden dürfe (RIS‑Justiz RS0030020 [T4]), so könne allein aufgrund der theoretischen Gefahr des Ausbruchs durch spielende Kälber nicht gefordert werden, dass diese weitergehend gesichert werden müssten.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, „weil eine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage, ob - festgestellterweise ‑ nicht weidegewohnte Kälber mit einem elektrischen Weidezaun ausreichend im Sinne des § 1320 ABGB verwahrt sind, soweit ersichtlich nicht vorhanden ist, wobei dieser Rechtsfrage auch Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukommt."

Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, in Stattgebung ihres Rechtsmittels die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern.

Die beklagte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der primär auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen und beantragt wird, dieses zurückzuweisen bzw ihm keine Folge zu geben.

 

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 2 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig.

Welche Verwahrung und Beaufsichtigung durch den Tierhalter im Einzelfall erforderlich ist, hängt von den Umständen des Falles ab. Die Vorkehrungen müssen dem Tierhalter zumutbar sein (RIS‑Justiz RS0030157; Danzl in KBB ABGB, Rz 5 zu § 1320). Für Weidevieh ist die Verwahrung mit elektrischem Weidezaun im Allgemeinen hinlänglich (RIS‑Justiz RS0030020; Danzl, aaO Rz 7). Im Hinblick auf die einleitend ungekürzt wiedergegebenen Feststellungen über Art und Bau der gegenständlichen elektrischen Weidezaunanlage, die regelmäßig vorgenommenen Kontroll‑ und Prüfmaßnahmen sowie mit Rücksicht darauf, dass die Kälber immerhin schon eine Woche völlig unauffällig und ruhig dort geweidet hatten und dass es sich bei der Straße um eine kaum frequentierte und durch rein landwirtschaftliches Gebiet führende Verkehrsfläche handelte, wäre es eine Überspannung der Anforderungen (RIS‑Justiz RS0029999), den Beklagten als Halter der schadenszufügenden Tiere gemäß § 1320 ABGB haften zu lassen. Dass ihm unter den dargestellten Gegebenheiten der Nachweis gelungen ist, die objektiv gebotene und zumutbare Sorgfalt eingehalten zu haben (Danzl, aaO Rz 4 und 5), ist eine im Beurteilungsspielraum des Berufungsgerichtes gelegene Einzelfallbeurteilung, der keine erhebliche Bedeutung iS des § 502 Abs 1 ZPO zukommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

 

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