OGH 3Ob94/07f

OGH3Ob94/07f23.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon. Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Betroffenen Franz H*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Betroffenen, vertreten durch Mag. Rainer Samek, Rechtsanwalt in Krems an der Donau als Verfahrenshelfer, gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom 19. Februar 2007, GZ 2 R 176/06d-14, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Krems an der Donau vom 20. September 2006, GZ 18 P 93/06x-2, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs des Betroffenen wird Folge gegeben. Der Beschluss auf Einleitung eines Sachwalterschaftsbestellungsverfahrens wird ersatzlos behoben und das Verfahren eingestellt.

Text

Begründung

Der Betroffene hatte einen Zivilprozess im Verfahren erster Instanz verloren (es ging um Mängel an einem von ihm gekauften Computer). Er wollte Berufung erheben. Der einzige Rechtsanwalt seines Wohnsitzes lehnte eine Vertretung aber ab. Der Betroffene stellte innerhalb der Berufungsfrist bei der Rechtsanwaltskammer für NÖ einen Antrag nach § 10 Abs 3 RAO. Nach dieser Gesetzesstelle kann die Rechtsanwaltskammer für einen Zahlungsunfähigen einen Rechtsanwalt als Zwangsvertreter bestimmen. Die Rechtsanwaltskammer wies den Antrag des Betroffenen so spät zurück, dass er nicht mehr auf anderem Weg (Erhebung einer Berufung zu gerichtlichem Protokoll; Stellung eines Verfahrenshilfeantrags) Berufung einbringen konnte. Der Betroffene klagte die Rechtsanwaltskammer auf Schadenersatz. Seine Klage wurde an das Amtshaftungsgericht überwiesen und dort der Rechtsanwalt Dr. Hubert Sacha für den Kläger zum Verfahrenshelfer bestellt (AZ 1 Cg 158/02t des Landesgerichts St. Pölten). Die Amtshaftungsklage wurde nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel rechtskräftig mit der wesentlichen Begründung des Berufungsgerichts abgewiesen, der Betroffene hätte Protokollarberufung ergreifen können, worauf er in der vom Erstgericht übermittelten Rechtsmittelbelehrung hingewiesen worden sei. Der Betroffene habe also nicht alle Rechtsbehelfe ausgeschöpft. Dies sei aber für den Amtshaftungsanspruch gemäß § 2 AHG Voraussetzung. In seinem darauf hin an den ehemaligen Verfahrenshelfer gerichteten Schreiben vom 28. Juli 2006 beschuldigte ihn der Betroffene der schlechten Vertretung, warf ihm (aktenwidrig) die Unterlassung von Rechtsmitteln im Vorprozess und weiters Absprachen mit dem Prozessgegner (der Rechtsanwaltskammer) sowie die Unterlassung einer Klageführung gegen die Prozessrichterin des verlorenen Prozesses über die Mängel am Computer vor.

Dieses Schreiben legte der ehemalige Verfahrenshelfer dem Erstgericht mit der Anregung der Einleitung eines Sachwalterverfahrens vor. Das Erstgericht fasste einen nicht weiter begründeten Einleitungsbeschluss.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Betroffenen nicht Folge und leitete aus dem Schreiben des Betroffenen vom 28. Juli 2006 ab, dass der Betroffene dazu neige, andere Personen für seine Prozessverluste verantwortlich zu machen und „Verschwörungsvorstellungen" zu haben.

Der durch einen Verfahrenshelfer vertretene Betroffene erhebt gegen die Rekursentscheidung einen außerordentlichen Revisionsrekurs, der zulässig und berechtigt ist.

Rechtliche Beurteilung

1. Anzuwenden sind die Bestimmungen des AußStrG idgF. Dem Rekursgericht ist zuzustimmen, dass der Beschluss über die Verfahrenseinleitung (§ 117 Abs 1 AußStrG) keine unanfechtbare, verfahrensleitende Verfügung iSd § 45 AußStrG ist. Letztere regelt den Ablauf eines schon eingeleiteten Verfahrens. Darunter sind insbesondere die der Stoffsammlung dienenden, zweckmäßigen Verfügungen zu verstehen. Ob ein Verfahren überhaupt eingeleitet werden soll, ist demgegenüber eine selbständige verfahrensrechtliche Sachentscheidung. Es ist daher die zur alten Rechtslage ergangene Rechtsprechung fortzusetzen, dass verfahrenseinleitende Beschlüsse anfechtbar sind (RIS-Justiz RS0008521).

2. Das Rekursgericht hatte den Verfahrenseinleitungsbeschluss aufgrund der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Beschlusses zu überprüfen (stRsp, RIS-Justiz RS0006801). Die Verfahrenseinleitung darf nur erfolgen, wenn begründete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters zur Wahrung der Belange des Betroffenen vorliegen (3 Ob 167/06i mwN). Selbst für einen sogenannten „Querulanten" darf nur dann ein Sachwalter bestellt werden, wenn er sich durch sein „Querulieren" selbst Schaden zufügt (RIS-Justiz RS0072687). Eine bloß potenzielle künftige Gefährdung reicht ebensowenig, wie das Interesse Dritter an einer Sachwalterbestellung (3 Ob 43/06d). Nach diesen Grundsätzen erfolgte die bekämpfte Verfahrenseinleitung bloß aufgrund der Anregung eines Rechtsanwalts, der mit Schadenersatzforderungen des Betroffenen konfrontiert worden war, jedenfalls verfrüht:

Aus dem vorgelegten Anspruchsschreiben gehen zwar auch rechtlich nicht haltbare Vorwürfe des Betroffenen hervor (etwa der Vorwurf, der nur für das Amtshaftungsverfahren bestellte Verfahrenshelfer hätte gegen eine andere Person Klage erheben müssen). Daraus allein kann aber weder auf eine psychische Störung oder gar Geisteskrankheit geschlossen werden, weiters auch nicht darauf, der Betroffene werde sich durch die Erhebung einer Schadenersatzklage einen derartigen finanziellen Schaden zufügen, der die Bestellung eines Sachwalters notwendig machte. Die vom Rekursgericht aus dem Schreiben abgeleiteten „Verschwörungsvorstellungen" des Betroffenen mit der Gefahr der „Zerstörung seiner finanziellen Lebensgrundlage" bei weiteren Prozessverlusten, entbehren der notwendigen Sachverhaltsgrundlage. Aus dem Anspruchsschreiben des Betroffenen vom 28. Juli 2006 kann eine „querulatorische" Neigung zur Prozessführung nicht abgeleitet werden, steht doch lediglich fest, dass der Betroffene einen Prozess in erster Instanz verloren hat, von dem er glaubte, ihn im Berufungsverfahren gewinnen zu können. Seine Ansicht - diejenige eines juristischen Laien - über ein Verschulden der Rechtsanwaltskammer an der Versäumung der Berufungsfrist kann trotz des verlorenen Amtshaftungsprozesses nicht als so absurd angesehen werden, dass die Schlüsse des Rekursgerichts über „Verschwörungsvorstellungen", also über das Vorliegen einer psychischen Erkrankung, gerechtfertigt wären. Dazu hätte es über das Anspruchsschreiben des Betroffenen hinaus schon gewichtiger weiterer Argumente bedurft, die auch nicht aus der Prozessführung im Amtshaftungsverfahren hervorgehen. Der zu erwartende Prozessaufwand des vom Betroffenen gegen seinen früheren Verfahrenshelfer beabsichtigten Schadenersatzprozesses ist schon deshalb noch kein Grund, einen relevanten Nachteil für den Betroffenen befürchten zu müssen (dazu auch 6 Ob 195/98i), weil der Betroffene wohl wiederum - wie im Amtshaftungsverfahren - Verfahrenshilfe beantragen wird und bei der Entscheidung darüber die Prozessaussichten zu prüfen sein werden.

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