OGH 2Ob74/05d

OGH2Ob74/05d7.2.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann S*****, vertreten durch Dr. Gerhard Stranzinger, Mag. Gerhard Stranzinger, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei MR Dr. Georg G*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann, Dr. Haymo Modelhart, Rechtsanwälte in Linz, wegen EUR 11.643,22 sA (Revisionsinteresse EUR 4.773,72 sA) über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2005, GZ 3 R 141/04g-106, womit das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 17. Mai 2004, GZ 5 Cg 40/99f-102, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 399,74 (darin enthalten EUR 66,62 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 6. 9. 1990 bei einem Verkehrsunfall als Beifahrer auf einem Motorrad schwer verletzt. Mit Teilanerkenntnisurteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 19. 5. 1992, GZ 1 Cg 61/92-5, wurde die Haftung der A***** Versicherungs AG gegenüber dem Kläger für alle Folgeschäden aus diesem Verkehrsunfall bis zur Höhe der dem Haftpflichtversicherungsvertrag zugrundeliegenden Versicherungssumme festgestellt.

Mit Klage vom 13. 2. 1996 begehrte der Kläger von der genannten Versicherungsanstalt die Bezahlung von ATS 375.781,38 sA (5 Cg 21/96g LG Ried im Innkreis). Aufgrund der unfallkausalen Verletzungen habe er nicht - wie beabsichtigt - wiederum eine Stelle als Chefkoch antreten können. Er habe sich umschulen lassen. Ohne Unfall hätte er monatlich mindestens ATS 30.000,-- netto als Koch bzw außerhalb der Saison als Fernfahrer 14 Mal jährlich verdient. Unter Abzug von tatsächlich erzielten Einkünften und von für Jänner bis März 1994 von der beklagten Versicherung überwiesenen Beträgen betrage der Verdienstentgang des Klägers für 1994 und 1995 den Klagsbetrag. Aufgrund des vom nunmehrigen Beklagten als medizinischen Sachverständigen erstatteten gerichtlichen Gutachtens gelangte das Landesgericht Ried im Innkreis mit seinem abweisenden Urteil vom 20. 10. 1997, GZ 5 Cg 21/96g-26, unter anderem zu den Feststellungen, die beiden unfallkausalen Wirbelbrüche seien ordnungsgemäß und folgenfrei abgeheilt. Aufgrund der unfallkausalen Verletzungen hätte der Kläger den Beruf als Fernfahrer drei bis vier Monate nach dem Unfall und den Beruf als Koch nach fünf bis sechs Wochen wieder ausüben können. Die Beschwerden des Klägers rührten nicht vom Unfall her, vielmehr leide der Kläger an degenerativen Veränderungen infolge des sogenannten Morbus-Scheuermann. Der vom Kläger geltend gemachte Verdienstentgang sei daher durch den Verkehrsunfall nicht verursacht worden. Der gegen dieses Urteil vom Kläger erhobenen Berufung wurde nicht Folge gegeben, eine Revision wurde nicht erhoben.

Im jetzigen Verfahren begehrte der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Bezahlung von ATS 160.214,20 = EUR 11.643,22 sA. Der Beklagte habe im Vorverfahren ein unrichtiges Gutachten erstellt. Die jetzigen Beschwerden des Klägers seien auf den seinerzeitigen Unfall zurückzuführen. Der Beklagte hafte dem Kläger gemäß §§ 1299, 1300 ABGB für den Schaden aus einem fahrlässig erstatteten, unrichtigen Gutachten. Der Kläger mache vorerst nur die Prozesskosten im Vorverfahren 5 Cg 21/96g des LG Ried im Innkreis in Klagshöhe geltend. Die Ausdehnung des Klagebegehrens auf die Geltendmachung des Verdienstentganges des Klägers und die Prozesskosten der Gegenseite werde vorbehalten.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung mit der wesentlichen Begründung, er habe kein unrichtiges Gutachten erstattet.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das vom Beklagten erstattete Gutachten im Vorprozess sei objektiv unrichtig. Die vom Kläger angegebenen Schmerzen im Zeitpunkt der Befundaufnahme durch den Beklagten seien mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch die Fraktur im Bereich des 11. und 12. Brustwirbels und somit durch den Unfall verursacht worden. Hätte der Beklagte ein objektiv richtiges Gutachten erstattet, so hätte das Erstgericht im Vorprozess gemäß § 273 ZPO im Jahr 1994 ein monatliches Durchschnittseinkommen von ATS 22.000,-- (offenbar ohne anteilige Sonderzahlungen) und für 1995 von ATS 26.250,-- (ATS 22.500 zuzüglich Sonderzahlungen) ausgemittelt. Der Kläger wäre mit ATS 153.967,--, sohin mit 41 % des Begehrens durchgedrungen. Die Kostenentscheidung wäre nach § 43 Abs 1 ZPO vorzunehmen gewesen. Der Kläger wäre daher im Vorprozess im erstinstanzlichen Urteil nicht zum Ersatz der gesamten Prozesskosten, sondern im Bezug auf das Honorar des Beklagtenvertreters nur im Umfang von „8 %" verpflichtet worden. Dem Beklagten seien auch die Berufungskosten zur Gänze, nämlich sowohl die dem Beklagten zuerkannten Kosten des Berufungsverfahrens als auch die eigenen Kosten zur Last gefallen, da die Berufung aufgrund des unrichtigen Gutachtens jedenfalls erforderlich bzw kausal gewesen sei. Es sei daher dem Klagebegehren zur Gänze stattzugeben gewesen. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil ab, indem es den Beklagten zur Bezahlung von EUR 4.773,72 sA verurteilte, jedoch das Mehrbegehren von EUR 6.869,50 sA abwies. Das Erstgericht habe bei seiner Berechnung des dem Kläger gebührenden Schadenersatzes übersehen, dass der Kläger ausschließlich seine eigenen Prozesskosten des Vorverfahrens geltend gemacht habe. Die eigenen Prozesskosten des Klägers im Vorverfahren hätten auch nach dem Vorbringen in der Berufung insgesamt ATS 160.214,20 betragen, sodass die berechtigte Schadenersatzforderung des Klägers gegen den Beklagten ATS 65.687,82 = EUR 4.773,72 (= 41 % des Klagsbetrages, Anm. des Revisionsgerichtes) betrage. Lediglich in diesem Umfang sei das Klagebegehren berechtigt.

Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht gemäß § 508 Abs 3 ZPO für zulässig erklärte ordentliche Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung abzuändern. Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision möge mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen, hilfsweise möge ihr keine Folge gegeben werden.

Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss (RIS-Justiz RS0107173).

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

1. Das Berufungsgericht hat bei der Ermittlung der fiktiven Prozesskostenentscheidung im Vorprozess § 43 Abs 1 ZPO unrichtig angewendet. Nach oberstgerichtlicher Rechtsprechung und überwiegender Lehre hat bei der verhältnismäßigen Teilung der Kosten gemäß § 43 Abs 1 ZPO keine Aufrechnung der ziffernmäßigen Kostenforderungen beider

Parteien, sondern eine Quotenverrechnung stattzufinden (4 Ob 76/84 =

RIS-Justiz RS0035810; 2 Ob 364/70 = RIS-Justiz RS0035933; Fucik in Rechberger3 § 43 Rz 2 aE; Obermaier, Kostenhandbuch Rz 119 f; aA M. Bydlinski in Fasching/Konecny2 § 43 Rz 7, jeweils mwN). Der Kläger hat nur seine eigenen Prozesskosten des Vorverfahrens eingeklagt. Er hat auch nicht, wie er in der Revisionsbeantwortung sinngemäß behauptet, im Schriftsatz vom 12. 3. 2003 (ON 78, 8 f) eine Klagsänderung dergestalt vorgenommen, dass er nunmehr von den gesamten Prozesskosten (auch von denjenigen des Gegners) einen Teil in Höhe des Klagsbetrages begehrte.

Der vom Kläger geltend gemachte Schaden besteht nicht darin, dass die Prozesskosten überhaupt aufgelaufen sind. Das unrichtige Gutachten des Beklagten war für einen Schaden des Klägers nur insoweit kausal, als er infolge des verlorenen Vorprozesses keinen Kostenersatzanspruch gegen die dort beklagte Versicherung bzw dieser einen (höheren) Kostenersatz zu leisten hatte.

Bei einem Obsiegen mit 41 % (bzw ca 50 %, wenn man zusätzlich anteilige Sonderzahlungen für 1994 berücksichtigt) hätte somit der Kläger bei einer nach § 43 Abs 1 ZPO gefällten Kostenentscheidung vom Prozessgegner für seine eigenen Prozesskosten, abgesehen von Kosten gemäß § 43 Abs 1 letzter Satz ZPO, gar keinen Ersatz bekommen.

2. Dies hat aber aus folgenden Erwägungen keinen Einfluss auf das Ergebnis:

Aufgrund der gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge der Revision hat der Oberste Gerichtshof die rechtliche Beurteilung ohne Beschränkung auf die vom Rechtsmittelwerber geltend gemachten Gründe zu prüfen (Kodek in Rechberger3 § 503 Rz 27 mwN).

Nach der Judikatur liegt - „als grobe Orientierung" (Fucik in Rechberger3 § 43 Rz 11) - eine offenbare Überklagung, die die Anwendung von § 43 Abs 2 ZPO verhindert, etwa dann vor, wenn mehr als doppelt soviel eingeklagt als zugesprochen wird (vgl nur Fucik aaO mwN).

Vorliegend ist jedoch im Sinne der Ausführungen der Revisionsbeantwortung eine Kostenentscheidung gemäß § 43 Abs 2 ZPO angebracht: Das Erstgericht hat unangefochten festgestellt, grob geschätzt sei ein Gehalt von ATS 25.000,-- bis ATS 30.000,-- netto für einen Alleinverdiener ohne Kinder als Spitzenverdienst für einen Koch des Alters des Klägers in einem Saisonbetrieb zu bewerten. Ein solches Gehalt sei dann nicht ausgeschlossen, wenn es sich um eine Chefkochfunktion handle. Es sei nicht auszuschließen, dass der Kläger eine solche Funktion bekommen hätte, insbesondere unter Bedachtnahme darauf, dass die berufliche Laufbahn sich weiter so gut entwickelt hätte wie bis zum Unfall. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes war somit ein Verdienstentgang in der eingeklagten Höhe nicht ausgeschlossen. Den fiktiven Verdienst und somit den fiktiven Prozesserfolg des Klägers im Vorprozess hat das Erstgericht - wie ausgeführt - gemäß § 273 ZPO ermittelt.

Von einem „offenbaren" Überklagen kann somit hier nicht gesprochen werden.

Bei einer fiktiven Kostenentscheidung im Vorprozess gemäß § 43 Abs 2 ZPO auf der Bemessungsgrundlage des ersiegten Betrages (RIS-Justiz RS0116722) hätte der Kläger sogar einen höheren Anspruch auf Ersatz eigener Prozesskosten, als ihm das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil zuerkannt hat.

Die Revision ist daher im Ergebnis nicht berechtigt. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 50, 41 ZPO.

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