OGH 14Os133/06z

OGH14Os133/06z21.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Dezember 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kikinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Helmut E***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 242 Ur 287/06s des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Helmut E***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 17. Oktober 2006, AZ 19 Bs 321/06d, 322/06a (= ON 372), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Helmut E***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Helmut E*****, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der B***** AG, nachfolgend B***** AG (kurz: B***** bzw B***** AG), ist laut dem auf Antrag der Staatsanwaltschaft (S 3h6) erlassenen Haftbefehl des Journalrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. September 2006 (ON 317) und dem am gleichen Tag ergangenen Europäischen Haftbefehl (ON 318) der Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB sowie des Vergehens nach § 255 Abs 1 (Z 1) AktG „dringend" verdächtig. Danach soll er in Wien „als Vorstand" der B***** bzw B***** AG 1./ seine Befugnis, über das Vermögen der B***** AG zu verfügen, wissentlich missbraucht und diese im Ausmaß von zumindest 1.700,000.000 Euro am Vermögen geschädigt haben, indem er ab 1995 trotz zuvor aus gleichartigen Geschäften eingetretenen Verlusten wiederholt hochriskante Geschäfte mit Dr. Wolfgang F***** sowie Kreditgewährungen an diesen unter Umgehung organisatorischer Sicherheitsbestimmungen und Täuschung von Organen und Mitarbeitern tätigte;

2./ im Herbst 2000 mit Betrugsvorsatz andere Vorstandsmitglieder und den Aufsichtsrat in gewerbsmäßiger Absicht über die in diesem Jahr eingetretenen Verluste von rund 430,000.000 Euro, für die er mitverantwortlich war, getäuscht und sie auf diese Weise dazu verleitet haben, einer Abfindung seiner Pensionsansprüche und jener seiner Ehegattin zuzustimmen und aus diesem Titel am 24. November 2000 93,958.797 S auszuzahlen und die Genannten - gleichfalls durch Täuschung - zur Zustimmung und Auszahlung einer Prämie von 8,000.000 S verleitet sowie in den Jahren 1994, 1997 und 2003 Kaufoptionen und -vertragsabschlüsse hinsichtlich der der B***** AG gehörenden Wohnungen in *****, sowie ***** zu einem unter dem Verkehrswert gelegenen Preis veranlasst haben, wodurch die B***** AG einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden erlitten habe, wobei „in diesem Zusammenhang" der Verdacht auf Kick-Back-Zahlungen bestehe, durch die Helmut E***** oder ihm nahestehende Stiftungen, wie die G***** und die B*****, unrechtmäßig bereichert worden seien;

3./ in den Einzel- und Konzernbilanzen der B***** AG und der B*****-Gruppe für die Jahre 2001 und 2002 deren Verhältnisse und erhebliche Umstände unrichtig wiedergegeben, verschleiert und verschwiegen haben, indem er die durch die oben angeführten hochriskanten Geschäfte eingetretenen erheblichen Verluste nicht auswies, sondern mittels komplexer und verschachtelter Konstruktionen eine wirtschaftlich wahrheitsgemäße Darstellung verhinderte und den Abschreibungsbedarf von 350,000.000 Euro nicht umsetzte, sondern das verlorene Kapital weiterhin als werthaltige Forderungen an Kunden ausweisen ließ.

Mit (nicht ausgefertigtem) Beschluss vom (richtig) 18. September 2006 leitete der Untersuchungsrichter gegen Helmut E***** die Voruntersuchung wegen §§ 153 Abs 1 und Abs 2 (zweiter Fall); 146, 147 Abs 3, 148 (zweiter Fall) StGB und 255 (Abs 1 Z 1) AktG ein (S 3 l6). Aufgrund des Europäischen Haftbefehls und des daraufhin ergangenen vorläufigen Haftbefehls des Generalstaatsanwalts beim Cour d`Appel d`Aix-en-Provence vom 15. September 2006 wurde Helmut E***** - seinen eigenen Angaben zufolge (S 491/XXVI, 15/XXVII) sowie laut Mitteilung von EUROJUST (S 239/XXVIII) - am 14. September 2006 in Frankreich in Auslieferungshaft genommen (S 13/XXXIV). Das Appellationsgericht Aix-en-Provance gab mit Entscheidung vom 29. September 2006, Nr 150/EXT/2006, dem vom Beschuldigten gestellten „Antrag auf Freilassung" Folge und ordnete unter Anwendung gelinderer Mittel seine Enthaftung an (S 21 f/XXXIV). Mit Beschluss desselben Gerichtes vom 29. September 2006, Nr 148/EXT/2006, wurde die Entscheidung über seine Auslieferung nach Österreich wegen der im Europäischen Haftbefehl angeführten Straftaten zur Einholung eines ärztlichen Gutachtens über die gesundheitlichen Voraussetzungen einer Überstellung aufgeschoben (S 63/XXXIV). Helmut E***** wurde schließlich am 4. Oktober 2006 - nach Erlag einer Haftkaution von 1,000.000 Euro - enthaftet (ON 361).

Der sowohl gegen den inländischen als auch gegen den Europäischen Haftbefehl gerichteten Beschwerde Helmut E***** gab das Oberlandesgericht Wien mit dem angefochtenen Beschluss nicht Folge. Dagegen richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Helmut E*****, in der - unter bloßem Hinweis auf die verzögerte Ausfolgung einer Aktenabschrift - unsubstantiiert jeglicher Tatverdacht bestritten und inhaltlich das Vorliegen der Fluchtgefahr (als einzigem Haftgrund) bekämpft wird.

Rechtliche Beurteilung

Zur Frage der Zulässigkeit der Grundrechtsbeschwerde ist zunächst anzumerken:

Gemäß § 1 GRBG steht dem Betroffenen wegen Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung nach Erschöpfung des Instanzenzuges die Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof zu. Nach § 2 leg cit liegt eine Grundrechtsverletzung insbesondere dann vor, wenn die Verhängung oder Aufrechterhaltung einer Haft zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht, die Dauer einer Haft unverhältnismäßig geworden ist, die Voraussetzungen einer Haft, wie Tatverdacht oder Haftgründe, unrichtig beurteilt wurden oder sonst bei einer Festnahme oder Anhaltung das Gesetz unrichtig angewendet (Abs 1) oder wenn die eine Freiheitsbeschränkung beendende gerichtliche Entscheidung oder Verfügung zu spät getroffen wurde (Abs 2).

Beschwerdegegenstand kann demnach nur ein richterlicher Akt sein, der für eine Freiheitsbeschränkung im Sinne einer Festnahme oder Anhaltung ursächlich war, sei es auch nur in der Weise, dass eine gesetzlich gebotene Beendigung der Freiheitsentziehung zu spät veranlasst wurde.

Der vom Journalrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien erlassene inländische sowie der darauf beruhende Europäische Haftbefehl waren im vorliegenden Fall die innerstaatlichen Grundlagen für die ausländische Entscheidung über die in der Folge tatsächlich verhängte Auslieferungshaft und stellen damit jenen grundrechtsrelevanten Eingriff dar, dessen Gesetzmäßigkeit im angefochtenen Beschluss vom Oberlandesgericht zu beurteilen war (vgl 14 Os 128/95 = EvBl 1995/180, 874). Der Umstand, dass die Auslieferungshaft unter Anwendung gelinderer Mittel zwischenzeitig aufgehoben wurde und der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Beschlussfassung durch den Gerichtshof zweiter Instanz nicht mehr inhaftiert war, steht einer Anfechtung nach dem GRBG nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Rechtsakt zwar nicht aktuell, aber in der Vergangenheit beschwert war und nach dem Wortlaut des Gesetzes (arg § 2 Abs 1 GRBG: „ist insbesondere dann verletzt, wenn die Verhängung [...] einer Haft zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht [...] oder sonst bei einer Festnahme [...] das Gesetz unrichtig angewendet wurde"; siehe auch den Schutzzweck des Abs 2 leg cit) ein Rechtsschutzinteresse auch daran besteht, eine allfällige Grundrechtsverletzung - selbst nach ihrer faktischen Beendigung - (bloß) festzustellen (in diesem Sinne 12 Os 7/97, 12 Os 144/00, 15 Os 39/01, 15 Os 124/04, 15 Os 113/06s; aM 13 Os 133/00). Die somit formal zulässige Grundrechtsbeschwerde ist hingegen nicht im Recht.

Insoweit sie sich gegen die Annahmen zum Tatverdacht wendet, ist sie mangels Substrat - wie auch in der Stellungnahme zur Äußerung der Generalprokuratur eingeräumt - einer sachbezogenen Erörterung unzugänglich.

Der Einwand des Beschuldigten, er habe bisher auf den gegen ihn erhobenen Tatverdacht nicht einzugehen vermocht, weil ihm erst am letzten Tag der Beschwerdefrist - mit wochenlanger Verzögerung - „die Aktenabschrift" ausgefolgt worden sei, ist insoweit nicht aktenkonform, als gemäß § 45 Abs 2 StPO die Akteneinsicht nur hinsichtlich einzelner Aktenteile eingeschränkt wurde (siehe S 3eee, S 3uuu, ON 197/XVI und S 3u5; vgl im Übrigen Hager/Holzweber GRBG § 1 E 3 f).

Dem hier allein relevanten Einwand des Beschwerdeführers, der (einzige) Haftgrund des § 175 Abs 1 Z 2 StPO liege nicht vor, weil er weder flüchtig sei noch sich verborgen halte, ist zu erwidern, dass Fluchtgefahr bei dem nach der Verdachtslage maßgeblichen Strafrahmen nicht nur im Falle eines Verborgenhaltens im In- oder Ausland vorliegt, sondern auch dann, wenn - selbst bei (wie hier) grundsätzlich bekanntem Aufenthalt - Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich der Verdächtige den österreichischen Strafverfolgungsbehörden und damit dem Strafverfahren insgesamt entziehen will.

Die Beschwerdekritik, aus dem gesamten Strafakt ergebe sich kein Hinweis auf relevantes Geldvermögen im Ausland, übergeht die begründete Annahme des Oberlandesgerichtes, dass die aus dem angelasteten dolosen Vorgehen des Beschuldigten lukrierten Beträge von rund 7,4 Mio Euro, nämlich das außerordentliche Bilanzgeld in Höhe von 8 Mio S und die einmalige Pensionsabfindung im Ausmaß von ca 94 Mio S (S 125/IX, 147 ff/IX und 155/IX) im Zusammenhang mit seinen nicht unerheblichen Einkünften als Vorstandsvorsitzender der B***** AG bis 2003 (zuletzt monatlich 48.654,47 Euro; ON 308) und danach (bis März 2006) als Vorstandsmitglied der österreichischen Lotterien (jährlich 300.000 Euro brutto; S 365/II) - ungeachtet der durch einstweilige Verfügungen gebundenen Vermögenswerte (rund 2,9 Mio Euro; S 13/XXVIII) - für eine Flucht mit Gründung einer neuen Existenz an einem sicheren Ort jedenfalls ausreichen (BS 13 f). Einen weiteren besonderen Fluchtanreiz erblickte der Beschwerdesenat nicht nur in der - angesichts der mutmaßlichen Schadenssumme von insgesamt etwa 1,44 Milliarden (richtig) Euro, der Faktenmehrheit und der schweren Tatfolgen - für den Fall eines Schuldspruchs zu erwartenden hohen Freiheitsstrafe, sondern insbesondere auch in der mit der drohenden Unrechtsfolge gemeinsam zu beachtenden Tatsache, dass der Beschuldigte einen weit überdurchschnittlich luxuriösen Lebensstil pflegt und daran gewöhnt ist (BS 13 ff). Zwar bildet dieser Umstand für sich allein betrachtet noch kein Indiz für eine Fluchtgefahr, aber gerade die Behauptung gesundheitlicher Probleme, mit welchen der Beschwerdeführer (nach anfänglicher Kooperation; siehe ON 104, 186 ua; zuletzt am 17. August 2006: ON 301) sein Fernbleiben von weiteren Vernehmungen durch die Strafverfolgungsbehörden zu entschuldigen versucht, gegen die indes (insbesondere aufgrund der zur behaupteten Lebensgefahr nicht adäquaten ärztlichen Maßnahmen) nach Ansicht des Beschwerdegerichts erhebliche Zweifel bestehen, lässt - wie der Gerichtshof zweiter Instanz mängelfrei darlegt (BS 14 ff) - letztlich doch den begründeten Verdacht aufkommen, dass er bereits Handlungen gesetzt habe, um sich ungeachtet seiner familiären Bindungen und seiner zum Teil in Liegenschaften gebundenen Vermögenswerte (BS 19) dem Zugriff der (inländischen) Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Diesen Verdacht gründete das Beschwerdegericht auf die - bestimmte (§ 175 Abs 1 Z 2 StPO) - Tatsache, dass er am 21. und am 23. August 2006 über seinen Verteidiger mehrere Telefax-Schreiben einbrachte, in welchen er zunächst über eine „schwere Herzattacke" berichtete und zugleich ankündigte, er werde die für den „kommenden Mittwoch" (den 23. August 2006) vereinbarte ergänzende Befragung nicht wahrnehmen können (ON 288), und schließlich (am 23. August) „offenbar lebensbedrohende Gefässverengungen" mitteilte (ON 289), die - ebenso wie die „schwere Herzattacke" - mit der Kürze des Krankenhausaufenthaltes und der von den behandelnden Ärzten ergriffenen (in Anbetracht der behaupteten Lebensgefahr jedoch auffallend gelinden) Maßnahmen, nämlich der bloßen Verordnung von „starken Medikamenten" und „strenger Ruhe" (ON 291), nicht zu vereinbaren sind. Dass von einer ernsten oder gar lebensbedrohlichen Erkrankung des Beschwerdeführers keine Rede sein kann, wird durch die - vom Gerichtshof zweiter Instanz berücksichtigte (BS 17) - Mitteilung des französischen Kontaktstaatsanwaltes bei EUROJUST vom 27. September 2006 bestätigt, wonach seine Einlieferung ins Krankenhaus La Timone (Marseille) „lediglich als vorbeugende Maßnahme" erfolgt sei und kein akuter ärztlicher Bedarf bestehe (ON 341).

Bloß als weiteres Indiz - und damit nicht entscheidungswesentlich - wurden die Recherchen der beiden Journalisten Florian H***** und Thomas J***** (ON 316 und 338) zur Begründung der Fluchtgefahr herangezogen (BS 16 f), ehe sich am 24. Oktober 2006 die Unrichtigkeit ihrer Depositionen herausstellte (ON 417). Nicht nur dieser Umstand, sondern auch alle weiteren erst nach Beschlussfassung am 17. Oktober 2006 aktenkundig gewordenen Tatsachen und Einwände sind aber - aufgrund des im Grundrechtsbeschwerdeverfahren geltenden Neuerungsverbotes - bei der grundrechtsrelevanten Beurteilung von Tatverdacht und Haftgründen nicht mehr zu berücksichtigen; vielmehr muss stets auf den Zeitpunkt der angefochtenen richterlichen Entscheidung abgestellt werden (RIS-Justiz RS0106584). Dies gilt insbesondere für den Vorwurf der Unvollständigkeit (§ 281 Z 5 zweiter Fall StPO) im Hinblick auf einen von der Beschwerdeinstanz nicht berücksichtigten Arztbrief Dris. M***** vom 11. Oktober 2006, der hingegen erst am 18. Oktober 2006 - sohin nach Beschlussfassung durch das Oberlandesgericht - aktenkundig wurde (ON 434). Während die soziale Integration des Beschuldigten im Inland nicht unberücksichtigt blieb (BS 19), verwirklicht die nicht explizite Erwähnung einer inhaltlich bloß allgemein gehaltenen und „auf Wunsch des Betreffenden" ausgestellten ärztlichen Bestätigung Dris. A***** vom 28. August 2006 (S 65 f/XXVII) ebensowenig einen Begründungsfehler wie der Umstand, dass sich das Beschwerdegericht nicht mit sämtlichen Passagen des Schreibens von Univ. Prof. Dr. B***** vom 5. Oktober 2006 (S 101 ff/XXXIV) eingehend auseinandersetzte (BS 17 f). Indem der Beschwerdeführer aus diesen Beweisergebnissen andere Schlussfolgerungen als das Rechtsmittelgericht zieht, zeigt er keinen Anhaltspunkt für eine willkürliche Begründung auf.

Die erst zwei Tage nach dem angefochtenen Beschluss ergangene Entscheidung des Appelationsgerichtshofs Aix-en-Provence vom 19. Oktober 2006 (ON 371) ist - wie bereits erwähnt - nicht mehr Gegenstand des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens.

Die somit auf formal einwandfreien Feststellungen beruhende Fluchtgefahr wurde vom Beschwerdegericht auch rechtlich vertretbar begründet. Denn die Erlassung eines Haftbefehls oder die Verhängung der Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr - die stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist (Mayerhofer StPO5 § 175 E 10) - dient in erster Linie der Sicherung des Strafverfahrens zur Durchsetzung des Anspruchs der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung der Täter (11 Os 52/97).

Fluchtgefahr liegt daher (wie bereits erwähnt) auch dann vor, wenn der Aufenthalt des Verdächtigen zwar bekannt ist und seine Auslieferung aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union, der - ebenso wie Österreich - den Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten, ABl L 190 vom 18. Juli 2002, bereits umgesetzt hat, mit Hilfe eines Europäischen Haftbefehls in der Regel auch effektuiert werden kann, der Beschuldigte aber - wie hier - wiederholt Maßnahmen setzt, um sich unter Berufung auf (mutmaßlich vorgetäuschte) schwere gesundheitliche Beschwerden, die eine Überstellung verhindern sollen, auf zumindest absehbare Zeit dem inländischen Strafverfahren zu entziehen.

Hingegen ist für den Beschuldigten aus dem in der Beschwerde zitierten Erkenntnis des EGMR vom 26. Oktober 2000, Nr 30.210/96 (richtig: Kudla gegen Polen), nichts zu gewinnen, betrifft die in Rede stehende Entscheidung - soweit sie auf Fluchtgefahr Bezug nimmt - doch nur die Frage der Rechtfertigung einer insgesamt bereits mehr als drei Jahre fortdauernden Untersuchungshaft (ÖJZ-MRK 2001/28). Helmut E***** wurde somit durch den angefochtenen Beschluss im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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