OGH 15Os124/04

OGH15Os124/0418.11.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. November 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klenk als Schriftführerin in der beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 232 Ur 68/04h anhängigen Maßnahmensache des Dr. Georg K***** wegen Unterbringung in einer Anstalt nach § 21 Abs 1 StGB über die Grundrechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 9. August 2004, AZ 19 Bs 219/04, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Dr. Georg K***** liegt nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 22. Juli 2004 auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB zur Last, in Wien unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, am 27. März 2001, am 4. Juli 2003, im September 2003 und am 12. Jänner 2004 in Wien mehrere Taten begangen zu haben, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind und die ihm, wäre er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, als Vergehen des "teils vollendeten, teils versuchten" Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 269 Abs 1 dritter Fall und 15 StGB, der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB zuzurechnen gewesen wären.

Der Genannte wurde am 29. Dezember 2003 festgenommen; am 30. Dezember 2003 wurde über ihn die Untersuchungshaft nach § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b und d StPO verhängt. Aufgrund damals vorliegender Strafanträge der Staatsanwaltschaft Wien wurde am 10. Februar 2004 die Hauptverhandlung begonnen, die zur Einholung eines Gutachtens über das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 11 und 21 Abs 2 StGB auf unbestimmte Zeit vertagt wurde. Nach Einlangen des Dr. K***** aus medizinischer Sicht Zurechnungsunfähigkeit attestierenden und seine Unterbringung in einer Anstalt nach § 21 Abs 1 StGB befürwortenden Gutachtens fasste der Einzelrichter am 24. März 2004 den Beschluss auf Rückleitung des Verfahrens an den Untersuchungsrichter zur Einleitung der (nach § 429 Abs 2 StPO obligatorischen) Voruntersuchung. Mit Beschluss vom 26. März 2004 wandelte der Untersuchungsrichter die Untersuchungshaft in eine vorläufige Anhaltung gemäß § 429 Abs 4 iVm § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b und d StPO um.

Am 29. Juni 2004 beschloss der Untersuchungsrichter die Aufhebung der vorläufigen Anhaltung des Betroffenen aufgrund der gemäß § 429 Abs 5 StPO anzuwendenden Bestimmung des § 194 Abs 2 StPO, weil die Haft und Anhaltung insgesamt bereits sechs Monate erreicht habe. Dr. K***** wurde daher auf freien Fuß gesetzt.

Der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft gab das Oberlandesgericht Wien mit dem angefochtenen Beschluss Folge und ordnete die Fortsetzung der vorläufigen Anhaltung gemäß § 429 Abs 4 iVm § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b und d StPO an. Die sechsmonatige Höchstfrist sei noch nicht abgelaufen gewesen, weil der Zeitraum von Beginn der Hauptverhandlung bis zur Rückleitung des Verfahrens an den Untersuchungsrichter bei deren Berechnung auszunehmen sei. Der hierauf am 17. August 2004 vom Untersuchungsrichter gegen Dr. K***** erlassene Haftbefehl konnte bisher nicht vollzogen werden; der Betroffene soll sich in Luxemburg aufhalten.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Verteidiger des Betroffenen gegen den Beschluss des Gerichtshofs zweiter Instanz eingebrachte Grundrechtsbeschwerde ist unzulässig.

Weil die einen Haftbefehl begründende Entscheidung des Oberlandesgerichts bislang nicht effektuiert werden konnte, somit ein Entzug der persönlichen Freiheit durch Festnahme oder Fortsetzung der vorläufigen Anhaltung tatsächlich nicht stattgefunden hat, ist ein Rechtszug im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nicht eröffnet:

Die gesetzliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs der Grundrechtsbeschwerde (§§ 1 und 2 GRBG) stellt nämlich nur auf solche die persönliche Freiheit im Sinne des Art 5 Abs 1 EMRK bzw des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 684/1988, betreffende Grundrechtsverletzungen ab, die effektiv zum Tragen gekommen sind. Diese Voraussetzung trifft aber auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts, der bislang (nur) zu einem darauf basierenden noch offenen Haftbefehl geführt hat, der somit bloß von potentieller Tragweite ist, ebenso wenig zu wie auf andere Fallkonstellationen, bei denen der Beschwerdeführer in dem betreffenden Strafverfahren nicht (hier: neuerlich) in Haft war (vgl Hager/Holzweber GRBG § 1 E 14; 12 Os 44/98, 15 Os 177/79, 13 Os 105/00, 14 Os 9/01, 11 Os 68/02).

Die Grundrechtsbeschwerde war daher - der lediglich auf die Fortsetzung der Anhaltung als Beschwer verweisenden Stellungnahme nach § 35 Abs 2 StPO zuwider - zurückzuweisen.

Im Übrigen ist sie auch inhaltlich nicht im Recht.

Zum einen entspricht die vom Oberlandesgericht zutreffend begründete Rechtsansicht, wonach im Fall einer echten Rückleitung des Verfahrens an den Untersuchungsrichter (der hier infolge der Notwendigkeit einer obligatorischen Durchführung der Voruntersuchung gegeben war) zwar die Haftfristen (auch des § 194 StPO) wieder zu beachten sind, der Zeitraum des Hauptverhandlungsstadiums - hier vom Beginn der Hauptverhandlung am 10. Februar 2004 bis zum Rückleitungsbeschluss am 24. März 2004 - aber nicht in die Höchstfrist einzuberechnen ist, dem Sinn und Zweck des § 194 Abs 2 StPO.

Ergänzend wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass ein von Lehre und bisheriger Rechtssprechung missverständlich ebenfalls als "Rückleitung" bezeichnetes Ersuchen des in der Hauptverhandlung erkennenden Gerichts bzw des Vorsitzenden nach einer Vertagung gemäß § 276 StPO an den Untersuchungsrichter um Durchführung (einzelner, von den Verhandlungsrichtern präzise zu bezeichnender) neuer Erhebungen und Untersuchungshandlungen keinen Weiterlauf der Fristen der §§ 181 und 194 StPO bewirkt (entgegen SSt 56/65 und 62/115). Denn eine echte Rückleitung liegt diesfalls nicht vor, vielmehr bleibt das erkennende Gericht - nicht anders, als wenn es ohne Einschaltung des Untersuchungsrichters Erhebungen direkt bei der Sicherheitsbehörde veranlasst, selbst einen Sachverständigen mit Befundaufnahme und Gutachtenserstellung beauftragt oder ein Rechtshilfeersuchen an ein ausländisches Gericht stellt - Herr des Verfahrens und hat über alle anderen, nicht den Auftrag an den Untersuchungsrichter betreffenden Fragen, somit auch über Haftfragen selbst zu entscheiden, während der Untersuchungsrichter in diesem Verfahrensstadium nur ein an das Ersuchen des erkennenden Gerichts gebundenes Hilfsorgan, keineswegs aber ein selbstständiges Untersuchungsorgan ist (in diesem Sinn auch SSt 56/65).

Zum anderen ist im Verfahren zur Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB bei der Prüfung der Höchstfrist für die vorläufige Anhaltung nach § 429 Abs 4 StPO - wie die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend ausführt - nicht auf die Qualifikation der Anlasstaten und den für diese bestehenden Strafrahmen abzustellen. Die nach § 429 Abs 5 StPO vorzunehmende sinngemäße Anwendung des § 194 Abs 2 StPO ergibt vielmehr - schon in Hinblick auf die mangelnde Befristung der Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB, aber auch auf die im Unterbringungsverfahren normierten zusätzlichen Anhaltungsgründe der Selbst- und Fremdgefährlichkeit (§ 429 Abs 4 StPO) und das vom Gesetzgeber durch die Zuordnung der Einweisungsentscheidung an das Schöffen- oder Geschworenengericht (§ 430 Abs 1 StPO) aufgezeigte Gewicht der Sache - bei wertender Betrachtung, dass für die Anhaltung nach § 429 Abs 4 StPO die zweijährige Höchstfrist gilt, wobei ein Überschreiten der Sechsmonatsgrenze freilich nur wegen besonderen Schwierigkeiten oder besonderen Umfangs der Untersuchung erfolgen darf (§ 194 Abs 3 StPO).

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