OGH 5Ob208/06h

OGH5Ob208/06h28.11.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch, Dr. Kalivoda, Dr. Höllwerth und Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Maria N*****, und 2. Angelika S*****, vertreten durch Dr. Karl Erich Puchmayr, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. Friedrich E*****, und 2. Radhouane E*****, beide *****, wegen Nichtigerklärung der im Verfahren AZ 57 C 30/99f des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien ergangenen Entscheidungen erster, zweiter und dritter Instanz folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsklage wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien wies mit seinem Urteil vom 29. September 2004, GZ 57 C 30/99f-70, das Räumungsbegehren der Klägerinnen gegen die Beklagten ab. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerinnen mit Urteil vom 28. Juni 2005, GZ 40 R 35/05a-75, nicht Folge. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Klägerinnen wurde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 7. März 2006, AZ 5 Ob 32/06a, gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die Klägerinnen bekämpfen nun die im Vorverfahren ergangenen Entscheidungen des Erstgerichtes, des Berufungsgerichtes und des Obersten Gerichtshofes mit Nichtigkeitsklage aus dem Grund des § 529 Abs 1 Z 1 ZPO mit der Begründung, dass ihr Rechtsvertreter erstmals am 14. Juni 2006 Kenntnis von die Erstrichterin betreffenden Ausschließungsgründen nach § 20 Z 1 JN erlangt habe. Das Verfahren erster Instanz sei am 12. November 2003 geschlossen worden. Da bis 15. Oktober 2004 die Erstrichterin keine Entscheidung gefällt habe, hätten die Klägerinnen Amtshaftungsansprüche an die Republik Österreich gestellt und diese damit begründet, dass die Beklagten einkommens- und vermögenslos wären, sodass die Geltendmachung der wegen der Verzögerung bei der Urteilsfällung allfällig entstehenden Ansprüche der Klägerinnen nicht durchsetzbar wären. Die mit 29. September 2004 datierte Urteilsausfertigung sei beim Rechtsvertreter der Klägerinnen erst am 29. Oktober 2004 eingelangt. Dadurch sei der Anschein erweckt worden, die Erstrichterin hätte das Urteil bereits vor Geltendmachung der Amtshaftungsansprüche verfasst. Tatsächlich sei aber der Richterin die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen schon bei Fällung des Urteils bekannt gewesen. Sie sei in diesem Zeitpunkt gemäß § 20 Z 1 JN ausgeschlossen gewesen, da sie beim Obsiegen der Klägerinnen deren Regressforderungen ausgesetzt gewesen wäre. Um aber den Eindruck zu erwecken, das Urteil wäre noch vor Geltendmachung der Amtshaftungsansprüche gefällt worden, und um zu verhindern, dass die Klägerinnen in der Berufung den Ausschließungsgrund als Nichtigkeitsgrund geltend machen könnten, habe sie das Urteil vordatiert. Ein diesbezüglicher Verdacht sei dem Rechtvertreter der Klägerinnen erst anlässlich eines anderen Verfahrens gekommen.

Rechtliche Beurteilung

Diese Nichtigkeitsklage ist nicht auf einen gesetzlichen Anfechtungsgrund gestützt.

Gemäß § 529 Abs 1 ZPO kann eine rechtskräftige Entscheidung, durch welche eine Sache erledigt ist, durch Nichtigkeitsklage angefochten werden. Die Sache „erledigen" Urteile und ihnen gleichgestellte Entscheidungen, die abschließend über ein Rechtsschutzbegehren absprechen. Darunter fallen alle in Beschlussform ergehenden Sachentscheidungen, aber auch Beschlüsse, die das Verfahren abschließend beenden (2 Ob 6/03a; Rechberger/Simotta, Grundriss des österr. Zivilprozessrechtes5, Rz 899 mwN; Kodek in Rechberger², § 532 ZPO, Rz 4). Der Beschluss des Obersten Gerichtshofes auf Zurückweisung einer außerordentlichen Revision gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist ebenfalls ein derartiger Beschluss (2 Ob 6/03a, Jelinek in Fasching/Konecny², § 529 ZPO, Rz 13; ggt: 6 Ob 263/97p).

Es ist also die Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofes zur Entscheidung über die vorliegende Nichtigkeitsklage iSd § 532 ZPO gegeben.

Mangels gesetzlichen Anfechtungsgrundes ist die Klage allerdings bereits im Vorprüfungsverfahren gemäß § 538 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Gemäß § 529 Abs 1 Z 1 ZPO kann die rechtskräftige Entscheidung angefochten werden, wenn ein erkennender Richter von der Ausübung des Richteramtes in dem Rechtsstreit kraft des Gesetzes ausgeschlossen war. Die angebliche Befangenheit eines Richters bildet nach dem klaren Willen des Gesetzgebers keinen Grund für die Nichtigkeitsklage (Jelinek aaO, Rz 29 mwN; Rechberger/Simotta, aaO, Rz 900). Nach § 20 Z 1 JN ist der Richter von der Ausübung des Richteramtes in bürgerlichen Rechtssachen, in welchen er selbst Partei ist oder in Ansehung deren er zu einer der Parteien in dem Verhältnis eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Regresspflichtigen steht, ausgeschlossen.

Die Ansicht der Klägerinnen, die Erstrichterin könnte (bei Erweislichkeit ihres Vorbringens) im Hinblick auf die Kenntnis von der Geltendmachung ihres Amtshaftungsanspruches vor Urteilsfällung im Vorprozess ihr gegenüber regresspflichtig iSd § 20 Z 1 JN sein, kann nicht geteilt werden. Als regresspflichtig und damit als ausgeschlossen iSd § 20 Z 1 JN ist jeder Richter anzusehen, der durch eine der beiden Prozessparteien (oder durch einen Nebenintervenienten) für den Ersatz des ganzen oder eines Teils des Streitgegenstandes in Anspruch genommen werden kann (Ballon in Fasching/Konecny², § 20 JN, Rz 5). Der Streitgegenstand des Vorprozesses war die Räumung zweier Wohnungen. In Ansehung dieses Streitgegenstandes kann eine Regresspflicht der Erstrichterin naturgemäß nicht entstehen. Sie kann nie für einen Räumungsanspruch (Streitgegenstand) haften. Die Erstrichterin könnte höchstens (rein rechtlich gesehen) der Republik Österreich, und nicht den Klägerinnen, unter besonderen Umständen regresspflichtig werden, falls ein Amtshaftungsanspruch bestehen sollte. Allein durch die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen (noch weniger durch die Kenntnis davon) wird ein Richter nicht gemäß § 20 Z 1 JN ausgeschlossen. Es steht nicht im Ermessen der Parteien, sich dem gesetzlichen Richter durch entsprechende Antragstellung zu entziehen. Da - wie dargelegt - eine (hier behauptete) allfällige Befangenheit des Richters nicht mit Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden kann, fehlt es bereits nach dem Vorbringen an einem tauglichen Nichtigkeitsgrund.

Die Klage war daher zurückzuweisen.

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