OGH 1Ob190/06g

OGH1Ob190/06g17.10.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ljubinka N*****, vertreten durch Dr. Konrad Faulhaber, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Zivoslav N*****, vertreten durch Widter Mayrhauser Wolf Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Unterhalt, infolge ordentlicher Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 1.440 EUR [= 36 x 40 EUR]) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 12. Mai 2006, GZ 43 R 234/06i-40, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 23. Jänner 2006, GZ 2 C 14/05y-28, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts und jenes des Erstgerichts in den Punkten I. 1 und 3 (Unterhaltszuspruch und Kostenentscheidung) werden aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.

Text

Begründung

Die - am 14. 10. 1983 in Wien geschlossene - Ehe der Streitteile wurde nach Klage der Ehegattin mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 12. 3. 2003 auf Grund jugoslawischen Sachrechts geschieden, und der Antrag der Klägerin, das Alleinverschulden des Beklagten an der Ehezerrüttung auszusprechen, abgewiesen, weil die Schuld der Ehegatten an der Ehezerrüttung nach jenem Recht unbeachtlich sei. Diese Entscheidung ist seit 11. 6. 2003 rechtskräftig. Im Zeitpunkt der Eheschließung waren die Streitteile jugoslawische Staatsbürger, in jenem der Ehescheidung war die Klägerin bereits Österreicherin. Der Beklagte ist nach wie vor Jugoslawe. Der Ehe entsprossen die Kinder Martina, geboren am 15. 9. 1984, und Mario, geboren am 7. 1. 1987. Dieser ist seit 1. 1. 2005 beim österreichischen Bundesheer. Die Streitteile hatten ihren ehelichen Wohnsitz in Wien. Sie sind nach wie vor in Wien wohnhaft. Die Klägerin ist seit vielen Jahren als Hausbesorgerin bei der Stadt Wien als Dienstgeberin berufstätig. Sie hat keine Nebenbeschäftigung. Der Beklagte ist Facharbeiter bei einem Wiener Unternehmen. Die Klägerin begehrte an Unterhalt 246,40 EUR monatlich ab 1. 9. 2004. Sie brachte vor, das alleinige Verschulden des Beklagten an der Ehezerrüttung sei im Scheidungsprozess nicht festgestellt worden, weil das für die Ehescheidung maßgebende jugoslawische Sachrecht einen solchen Ausspruch nicht kenne. Dessen Verschulden ergebe sich jedoch bereits aus den Gründen des Scheidungsurteils. Der Beklagte habe ihr somit Unterhalt „wie bei aufrechter Ehe" zu zahlen. Der Beklagte wendete ein, der Klageanspruch sei nach österreichischem Recht zu beurteilen. Die Klägerin, die neben ihrem Beruf als Hausbesorgerin einer Nebenbeschäftigung nachgehe, entbehre bereits nach der Relation der Einkommen eines Unterhaltsanspruchs. Sie habe überdies die Ehezerrütung überwiegend, zumindest aber gleichteilig verschuldet.

Das Erstgericht erkannte der Klägerin an Unterhalt vom 7. 1. bis 31. 1. 2005 30 EUR und ab 1. 2. 2005 40 EUR monatlich zu. Das Klagemehrbegehren von 246,40 EUR monatlich vom 1. 9. 2004 bis 6. 1. 2005 und von „226,40 EUR" monatlich ab 7. 1. 2005 - richtig: 216,40 EUR monatlich vom 7. 1. bis 31. 1. 2005 und 206,40 EUR monatlich ab 1. 2. 2005 - wies es rechtskräftig ab. Der geltend gemachte Unterhaltsanspruch sei kollisionsrechtlich nach § 20 Abs 1 IPRG zu beurteilen. Insofern verweise § 18 Abs 1 Z 1 IPRG auf jugoslawisches Recht, weil der Beklagte weiterhin Jugoslawe sei. Gemäß Art 38 des jugoslawischen IPR-Gesetzes sei jedoch auf die vermögensrechtlichen Beziehungen der geschiedenen Ehegatten Art 36 anzuwenden. Gemäß dieser Bestimmung sei das Recht deren Wohnsitzes maßgebend, wenn sie - wie hier - unterschiedliche Staatsbürgerschaften hätten. Das jugoslawische IPR-Gesetz verweise daher für die Beurteilung der unterhaltsrechtlichen Beziehungen der Streitteile auf österreichisches Sachrecht zurück. Im Fall einer Ehescheidung nach ausländischem Sachrecht ohne Verschuldensausspruch habe der unterhaltsbedürftige geschiedene Ehegatte einen Anspruch gemäß § 69 Abs 3 EheG. Dieser Billigkeitsunterhalt sei nach oben jedenfalls mit einem Anspruch wie nach § 66 EheG begrenzt. Den Beklagten treffe das Verschulden an der Ehezerrüttung. Insofern bänden die im rechtskräftigen Scheidungsurteil getroffenen Feststellungen. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin nach § 66 EheG betrüge 68 EUR monatlich. Der zuerkannte Unterhaltsbetrag entspreche der Billigkeit. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und ließ die ordentliche Revision zu. Es billigte die Ansicht des Erstgerichts, der geltend gemachte Unterhaltsanspruch sei nach österreichischem Sachrecht zu beurteilen. Die Anwendbarkeit des § 69 Abs 3 EheG werde an sich nicht in Zweifel gezogen. Eine Bindung an die im Scheidungsurteil über die Ursachen der Ehezerrüttung getroffenen Feststellungen bestehe nicht. Die im Schrifttum verfochtene Meinung, die Wendung „und der nach § 71 unterhaltspflichtigen Verwandten des Berechtigten" in § 69 Abs 3 EheG sei als Redaktionsversehen unbeachtlich, überzeuge. Der gegenteiligen Ansicht des Obersten Gerichtshofs nach dessen zu 6 Ob 131/01k ergangenen Entscheidung sei nicht zu folgen. In erster Instanz sei eine Erörterung der Anwendbarkeit des § 69 Abs 3 EheG unterblieben. Entscheidend sei aber, dass der Beklagte „auch in der Berufungsschrift ein substantiiertes Vorbringen, wonach hier die nach § 71 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten (hier die beiden Kinder) auf Grund ihrer Einkommens- und Lebensverhältnisse zur Erbringung von Unterhaltsleistungen an die Klägerin heranzuziehen sei(en), nicht erstattet" habe. Der beim österreichischen Bundesheer „Präsenzdienst" leistende Sohn der Streitteile könne gegenüber seiner Mutter infolge deren Eigeneinkommens nicht unterhaltspflichtig sein. Zum Einkommen der Tochter der Streitteile lasse „die Berufung jedes konkrete Vorbringen" vermissen. Das Erstgericht habe aber auch den der Klägerin zustehenden Billigkeitsunterhalt - im Vergleich zu einem Unterhaltsanspruch gemäß § 66 EheG - richtig bemessen. Die Entscheidung hänge von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO ab, „weil Judikatur und Lehre zur Ausmessung des Unterhaltes nach § 69 Abs 3 EheG, insbesondere zur subsidiären Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten ... divergieren" und der Berufungssenat die Ausführungen im Schrifttum für überzeugend halte. Die Revision ist zulässig; sie ist im Rahmen ihres Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Kollisionsrecht

Zwischen den Parteien ist nicht strittig, dass der geltend gemachte Unterhaltsanspruch - einer gemäß § 5 Abs 2 IPRG beachtlichen Rückverweisung im jugoslawischen Kollisionsrecht zufolge - nach österreichischem Sachrecht zu beurteilen ist. Insofern genügt es, auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen zu verweisen.

2. Auslegung des § 69 Abs 3 EheG

2. 1. Anspruchsberechtigter

2. 1. 1. Die Vorinstanzen befassten sich nicht explizit damit, dass gemäß § 69 Abs 3 EheG nur der Ehegatte, der die Scheidung verlangte, dem anderen Unterhalt zu gewähren hat, wenn das Scheidungsurteil - wie hier - keinen Verschuldensausspruch enthält. Nach dem Gesetzeswortlaut hat daher ein Ehegatte, der selbst auf Scheidung klagte, in einem solchen Fall grundsätzlich keinen Unterhaltsanspruch. Das Erstgericht berief sich als Stütze für seine Entscheidung auf Hopf/Kathrein (Eherecht² § 69 EheG Rz 16). Dort ist unter Berufung auf die zu 8 Ob 280/00k (= EvBl 2001/101, 432 = ZfRV 2001, 236 [Hoyer]) ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von einer analogen Anwendung des § 69 Abs 3 EheG nach einer Ehescheidung auf Grund eines ausländischen Sachrechts, das einen Verschuldensausspruch nicht kenne, die Rede. Diesfalls könne jedem der geschiedenen Ehegatten unter den Voraussetzungen gemäß § 69 Abs 3 EheG - offenkundig gemeint im Fall der nunmehrigen Anwendbarkeit österreichischen Sachrechts - ein Unterhaltsanspruch zustehen. 2. 1. 2. Das soeben referierte Ergebnis bezeichnete Hoyer in seiner Entscheidungsglosse als „eklatantes Fehlurteil ... als Folge eines ungebrochenen, aber ungerechtfertigten Vertrauens in Leitsätze der Rechtsprechung statt auf den Gesetzeswortlaut", hätte doch dort - nach Hoyers Ansicht - ausschlaggebend sein müssen, dass die Ehe nach schwedischem Sachrecht auf Klage der späteren Unterhaltsklägerin ohne Verschuldensausspruch geschieden worden sei. Bei einer Scheidung „über einseitige Klage und ohne Verschuldensausspruch" gewähre § 69 Abs 3 EheG „nur der Beklagtenseite Unterhalt" nach Billigkeit. Ein „Anspruch in der Gegenrichtung" bestehe nach der im Schrifttum „einheitlich" vertretenen Meinung nicht. Diese Wertung des Gesetzgebers sei auch nachvollziehbar: Wer aus der Ehe strebe, an der der andere festhalten wolle, solle „sich nicht nachträglich auf ihn begünstigende Nachwirkungen jener Ehe berufen dürfen". 2. 1. 3. Hoyer verkennt mit seiner Kritik den die glossierte Entscheidung offenbar tragenden, wenngleich im Einzelnen nicht erläuterten zentralen Gedanken, dass jemand, der wegen des Inhalts des anzuwendenden ausländischen Sachrechts eine Ehescheidung aus Verschulden des Beklagten als Voraussetzung eines nachehelichen Unterhaltsanspruchs nicht erlangen kann, wenigstens analog § 69 Abs 3 EheG Anspruch auf Unterhalt nach Billigkeit haben soll, wenn das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs nach einer solchen Ehescheidung auf dem Bonden österreichischen Sachrechts zu prüfen ist. Hoyer übergeht ferner, dass er selbst die in der Glosse erörterte Problemlage in deren für die abgelehnte Analogie maßgebenden Kern einst anders beurteilte (Gutachten der Familienrechtskommission zur Familienrechtsreform 3. Teil [1977] 105, 121 ff). Dort ging es zwar um die Differenzierung zwischen geschiedenen Ehegatten mit einem Unterhaltsanspruch gemäß § 94 ABGB und solchen, die sich als Folge einer Verschuldensscheidung mit einem Unterhaltsanspruch gemäß §§ 66 f EheG (Näheres dazu auch bei Kerschner, Zum Unterhalt nach Scheidung nach neuem Recht, JBl 1979, 561, 573 ff) begnügen mussten. Hoyer betonte jedoch, es mangle an einem sachlich tragfähigen Grund dafür, weshalb nur ein als beklagte Partei geschiedener Ehegatte einen Unterhaltsanspruch gemäß § 94 ABGB haben solle (aaO 121), es könne, wenn das Verschulden eines Teils feststehe, „nicht ernstlich darauf ankommen, wer geklagt" habe, eine Differenzierung des Unterhaltsanspruchs sei nicht „nach Maßgabe von Klägerrolle und Verschulden, sondern danach zu treffen, ob dem aus Verschulden des anderen Teiles Geschiedenen die Fortsetzung der Ehe zuzumuten" gewesen sei oder nicht. Der Scheidungswillige solle „keine Prämie dafür in Aussicht" gestellt bekommen, „dass er den Scheidungsunwilligen so lange mit allen erdenklichen Mitteln, vor allem aber psychisch unter Druck" gesetzt habe, bis dieser - „dem Druck nicht mehr gewachsen" - Scheidungsklage erhoben habe. Dann hätte „der an der Eheauflösung massiv Schuldige noch erreicht, in den Rechtsfolgen der Scheidung besser gestellt zu sein als jener, der die rechtswidrigen Druckmittel gegen seinen Ehepartner im letzten Stadium nicht mehr angewandt" habe (aaO 122).

2. 1. 4. Der tragende Gedanke der referierten Argumentation Hoyers, das Bestehen einer bestimmten nachehelichen Unterhaltspflicht dürfe angesichts der ins Treffen geführten Gründe nicht von der Parteirollenverteilung im Scheidungsprozess abhängen, lässt sich auch für eine Ehescheidung nach ausländischem Sachrecht fruchtbar machen, wenn ein Ausspruch über das Verschulden an der Ehezerrüttung danach nicht in Betracht kam, der Unschuldige die Eheauflösung aber dennoch anstrebte, um die Eheverfehlungen des scheidungsunwilligen Partners nicht mehr weiter hinnehmen zu müssen, obgleich der nacheheliche Unterhaltsanspruch kollisionsrechtlich nicht nach dem für die Ehescheidung maßgebenden ausländischen, sondern nach österreichischem Sachrecht zu beurteilen ist. Zumindest ein solcher geschiedener Ehegatte soll gegen den anderen einen Unterhaltsanspruch - ungeachtet seiner Parteirolle im Scheidungsprozess - haben. Weil § 69 Abs 3 EheG ferner ohnehin nur Unterhalt nach Billigkeit gewährt, muss bei dessen analoger Anwendung auf eine Ehescheidung nach ausländischem Sachrecht ohne Verschuldensausspruch wegen der in der Entscheidung 8 Ob 280/00k erörterten, dem nachehelichen Unterhaltsanspruch zugrundeliegenden, die Ehescheidung überdauernden Beistandspflicht nicht darauf abgestellt werden, ob der Unterhaltskläger die Ehezerrüttung überhaupt nicht oder nur in einem geringeren Ausmaß als der in Anspruch genommene Beklagte verschuldete. Es dürften wohl auch solche Erwägungen Anlass dafür gewesen sein, dass der Oberste Gerichtshof jene Rechtsprechung in der zu 7 Ob 208/04w ergangenen Entscheidung fortschrieb. An ihr ist im Licht der voranstehenden Ausführungen festzuhalten. Dieses Ergebnis findet eine Stütze auch in § 68a EheG, hängt doch der vom Verschulden an der Ehescheidung grundsätzlich unabhängige Unterhaltsanspruch nach dieser Norm gleichfalls nicht von der Parteirolle ab, die der Unterhaltskläger im Scheidungsprozess inne hatte (siehe zu Konkurrenzfragen abgesehen vom hier zu lösenden spezifischen Fall Ferrari, Verschuldensunabhängiger Scheidungsunterhalt nach den §§ 68a und 69b EheG, in Ferrari/Hopf, Eherechtsreform in Österreich [2000] 37, 60 f). Der Frage, ob die Klägerin allenfalls auch einen Unterhaltsanspruch gemäß § 68a EheG haben könnte, muss hier nicht nachgegangen werden, weil der geltend gemachte Klagegrund dem Tatbestand dieser Bestimmung jedenfalls nicht entspricht.

2. 2. Vorrangige Unterhaltspflicht von Verwandten

2. 2. 1. Der Oberste Gerichtshof sprach in der zu 6 Ob 9/01v ergangenen Entscheidung (kritisch Berka-Böckle, JBl 2004, 223) aus, die für Unterhaltsansprüche gemäß § 68 EheG idF vor dem EheRÄG 1999 BGBl I 125 geltenden Grundsätze seien auf vergleichbare Unterhaltsansprüche nach § 69 Abs 3 EheG gleichfalls anzuwenden. Die Billigkeitsvoraussetzungen kraft § 69 Abs 3 EheG seien mit jenen nach § 68 EheG identisch, ferner sei aber auch die vom Gesetzgeber in Ansehung der Berücksichtigung der Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des geschiedenen Ehegatten und der nach § 71 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Unterhaltsklägers gewählte Formulierung gleich. Ein Unterhaltsanspruch nach Billigkeit gemäß § 69 Abs 3 EheG bestehe daher gegen den geschiedenen Ehegatten nur insoweit, als unterhaltspflichtige Verwandte nicht vorhanden seien oder die Verwandten des Unterhaltsklägers im Einzelfall keinen - oder keinen ausreichenden - Unterhalt schuldeten, sie somit einen Unterhalt überhaupt nicht oder nur unter Gefährdung ihres eigenen angemessenen Unterhalts - unter Mitberücksichtigung ihrer sonstigen Sorgepflichten - gewähren könnten. Der Gesetzgeber des EheRÄG 1999 habe die erörterte Subsidiarität der Unterhaltspflicht des in Anspruch genommenen geschiedenen Ehegatten im Fall gleichteiligen Verschuldens an der Ehescheidung zwar als nicht mehr adäquat und zeitgemäß beurteilt und die entsprechende Wendung in § 68 EheG nunmehr eliminiert, am Wortlaut des § 69 Abs 3 EheG jedoch nichts geändert. Ob angesichts dieser Diskrepanz eine teleologische Reduktion des § 69 Abs 3 EheG in Betracht komme, könne offen bleiben, weil auf den Anlassfall noch die Bestimmungen des Ehegesetzes vor dem EheRÄG 1999 anzuwenden seien.

In der zu 6 Ob 131/01k (= SZ 2002/16 = ecolex 2002/247, 659 [Wilhelm]) ergangenen Entscheidung erläuterte der Oberste Gerichtshof in einem Fall, in dem auf den erhobenen laufenden Unterhaltsanspruch bereits die Rechtslage nach dem am 1. 1. 2000 in Kraft getretenen EheRÄG 1999 anzuwenden war, weshalb es an ausreichenden Anhaltspunkten für ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers und damit für eine teleologische Reduktion des § 69 Abs 3 EheG mangle: § 68 EheG regle die unterhaltsrechtlichen Folgen einer Ehescheidung aus - wenn auch gleichteiligem - Verschulden, die §§ 69 Abs 3, 69a Abs 2 EheG bezögen sich dagegen auf Ehescheidungen ohne Verschuldensausspruch. Demnach seien für unterschiedliche Tatbestände unterschiedliche Rechtsfolgen vorgesehen. Ein Unterhaltsanspruch nach Billigkeit gemäß § 69 Abs 3 EheG bestehe gegen einen geschiedenen Ehegatten daher weiterhin nur insoweit, als keine unterhaltspflichtigen Verwandten des Unterhaltsklägers vorhanden seien oder diese im Einzelfall keinen oder keinen ausreichenden Unterhalt schuldeten, sie somit den Unterhalt überhaupt nicht oder nur unter Gefährdung ihres eigenen angemessenen Unterhalts unter Berücksichtigung ihrer sonstigen Sorgepflichten gewähren könnten. Diese Rechtsprechung wurde zuletzt in der zu 6 Ob 163/04w ergangenen Entscheidung fortgeschrieben.

2. 2. 2. Wie aus den soeben referierten Leitlinien folgt, beruht die Ansicht, der Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten gemäß § 69 Abs 3 EheG sei im Verhältnis zu allfälligen Unterhaltsansprüchen gegen Verwandte des Unterhaltsklägers subsidiär, auf einer gefestigten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Diese Sicht der Rechtslage billigen - jedenfalls soweit die Frage nach einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers betroffen ist - auch Stimmen im Schrifttum (Ferrari, Verschuldensunabhängiger Scheidungsunterhalt nach den §§ 68a und 69b EheG aaO 60 f; Koch in KBB, ABGB § 69 EheG Rz 4; Wilhelm, ecolex 2002/247, 659 [Glosse]; Zankl in Schwimann, ABGB³ § 69 EheG Rz 18). Soweit andere Autoren an der gegenteiligen Ansicht festhalten (Hopf/Kathrein aaO § 69 EheG Rz 12; Stabentheiner in Rummel, ABGB³ § 69 EheG Rz 8), mangelt es an neuen Argumenten. Der erkennende Senat hält die vom 6. Senat ins Treffen geführten Gründe für überzeugend und tritt dessen Ansicht bei.

2. 3. Verschulden an der Ehezerrüttung

2. 3. 1. Das Erstgericht nahm bei seinen Billigkeitserwägungen in Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs auch auf die Frage nach dem Verschulden der geschiedenen Ehegatten an der Ehezerrüttung Bedacht. Es meinte, an die im Scheidungsurteil getroffenen Feststellungen über die Ursachen der Zerrüttung der Ehe der Streitteile, die allein den Beklagten belasteten, gebunden zu sein. Die zweite Instanz trat indes der Ansicht des Beklagten insofern „teils" bei, als „Entscheidungsgründe - isoliert - für sich allein nicht in Rechtskraft erwachsen" könnten. Diese mit Rücksicht auf die Umstände des Anlassfalls nicht näher begründete Ansicht ist im Ergebnis zutreffend. Eine Bindung an die Gründe des Scheidungsurteils kann im erörterten Punkt bereits deshalb nicht bestehen, weil der Antrag der Scheidungsklägerin, „das Alleinverschulden des Beklagten an der Zerrüttung auszusprechen", rechtskräftig abgewiesen wurde. Die vom Erstgericht auf Grund seines Standpunkts herangezogenen Feststellungen waren in Wahrheit überflüssig, entbehrten sie doch für die getroffene Entscheidung jeglicher Relevanz. Die Entscheidung hängt allerdings, wie den tieferstehenden Ausführungen zu entnehmen sein wird, ohnehin nicht von der Lösung der auch in der Revision behandelten Bindungsfrage ab. Dem Berufungsurteil ist keine Stellungnahme dazu zu entnehmen, ob das Verschulden an der Ehezerrüttung für einen Unterhaltsanspruch gemäß § 69 Abs 3 EheG von Belang ist.

2. 3. 2. Im Schrifttum findet sich die Ansicht, es müsse bei der Billigkeitsabwägung „auch das Verhalten der Ehegatten vor der Scheidung berücksichtigt" werden, „wenngleich definitionsgemäß kein Schuldausspruch erfolgt". Hingewiesen wird allerdings auch darauf, dass diese Sicht der Rechtslage der Rechtsprechung zu § 68 EheG widerspricht (Zankl aaO § 69 EheG Rz 18). In der Tat entspricht es der herrschenden Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Billigkeitsentscheidung gemäß § 69 Abs 3 EheG auf dem Boden der Bedürfnisse und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten - abgesehen von der Frage nach einer vorrangigen Leistungspflicht der Verwandten des Unterhaltsklägers - mit jenen gemäß § 68 EheG identisch sind (RIS-Justiz RS0109064; Koch aaO § 69 EheG Rz 4; Stabentheiner aaO § 69 EheG Rz 8 mwN). Im Übrigen ist bei einem auf § 69 Abs 3 EheG gestützten Unterhaltsanspruch nicht auf ein Verschulden an der Ehezerrüttung Bedacht zu nehmen (aM LGZ Wien EFSlg 46.323/14; siehe zu einem Aspekt der Verfahrensökonomie Gruber, Mitverschuldensantrag des Klägers bei Scheidung aus anderen Gründen? in Harrer/Zitta, Familie und Recht [1992] 565, 609), knüpft doch ein solcher Anspruch gerade an eine Ehescheidung ohne Verschuldensausspruch - diese ist in der erörterten Frage nicht anders als eine Ehescheidung ohne ein überwiegendes Verschulden eines der Ehegatten zu behandeln - an. Somit ist es aber im Unterhaltsprozess gewöhnlich nicht Aufgabe der Gerichte, die wahren Gründe für die Ehescheidung zu ergründen und die Billigkeitsentscheidung über den Unterhaltsanspruch von einer vorangegangenen Klärung der Frage, welchen der geschiedenen Ehegatten an der Ehezerrüttung das alleinige oder überwiegende Verschulden traf, mitbestimmen zu lassen. Die Frage, ob Fallkonstellationen denkbar wären, für die im erörterten Punkt anderes gelten könnte, wird hier nicht aufgeworfen. Diese Erwägungen sind wie folgt zusammenzufassen:

Bei Beurteilung eines Unterhaltsanspruchs gemäß § 69 Abs 3 EheG ist gewöhnlich nicht zu prüfen, welchem der geschiedenen Ehegatten das alleinige oder überwiegende Verschulden an der Ehezerrüttung anzulasten ist.

2. 4. Behauptungs- und Beweislast

2. 4. 1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist der Beklagte behauptungs- und beweispflichtig dafür, dass Verwandte der Klägerin außerstande seien, ihr Geldunterhalt zu leisten. Das Berufungsgericht führte allerdings auch aus, dass der Beklagte seiner Behauptungs- und Beweislast nicht nachgekommen sei und auch im Rechtsmittel nichts geltend gemacht habe, was bei Prüfung des eingeklagten Unterhaltsanspruchs noch eine Bedachtnahme auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Verwandten der Klägerin ermöglichte. Angesichts dessen wäre die Lösung der Frage, dessentwegen die Revision zugelassen wurde, nicht mehr erforderlich, wenn der Beklagte selbst bei Fortschreibung der unter 2. 2. 1. erörterten Subsidiarität des Unterhaltsanspruchs gemäß § 69 Abs 3 EheG in Ermangelung von Prozessbehauptungen zur vorrangigen Unterhaltspflicht von Verwandten der Klägerin nicht mehr hätte obsiegen können. Der Oberste Gerichtshof teilt indes, wie sogleich näher zu begründen sein wird, die Auffassung der zweiten Instanz in der erörterten Behauptungs- und Beweislastfrage nicht.

2. 4. 2. Es entspricht einem allgemeinen Grundsatz, dass jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen hat (RIS-Justiz RS0037797). Diese Leitlinie gilt auch im Unterhaltsprozess. Deshalb sind etwa die Voraussetzungen für den Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten nach den Bestimmungen des Ehegesetzes vom Unterhaltskläger zu behaupten und zu beweisen (vgl 3 Ob 109/97v [dort zur Behauptungs- und Bescheinigungslast im Provisorialverfahren]). Eine Ausnahme kann aus der Nähe zum Beweis folgen. Diese gibt den Ausschlag, wenn Tatfragen zu klären sind, die tief in die Sphäre einer Partei hineinführen (1 Ob 88/05f [dort zu einem streitähnlichen nachehelichen Aufteilungsverfahren]; 5 Ob 569, 570/93 je mwN).

2. 4. 3. Nach letzterem Gesichtspunkt ist nicht zu erkennen, dass jemand, der einen Unterhaltsanspruch gemäß § 69 Abs 3 EheG einklagt, im Allgemeinen mit unverhältnismäßigen Behauptungs- und Beweisschwierigkeiten belastet sein könnte, wenn er unzureichende Vermögens- und Einkommensverhältnisse seiner unterhaltspflichtigen Verwandten dartun muss, um dieser Voraussetzung für die Zuerkennung eines vom Prozessgegner nach Billigkeit zu leistenden Unterhalts zu entsprechen. Die Erwägungen zur Behauptungs- und Beweislast sind daher folgenderermaßen zusammenzufassen:

Bei Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs gemäß § 69 Abs 3 EheG hat grundsätzlich der klagende geschiedene Ehegatte unzureichende Vermögens- und Einkommensverhältnisse seiner unterhaltspflichtigen Verwandten als Voraussetzung des Eingreifens der subsidiären Unterhaltspflicht des Prozessgegners zu behaupten und zu beweisen. Lediglich im Fall unverhältnismäßiger Schwierigkeiten für den Unterhaltskläger, solche Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, und einer nach den Umständen des Einzelfalls größeren Nähe des Prozessgegners zum Beweis trifft insofern diesen die Behauptungs- und Beweislast.

3. Ergebnis

3. 1. Im Verfahren erster Instanz wurden die Voraussetzungen eines Unterhaltsanspruchs gemäß § 69 Abs 3 EheG nicht erörtert. Nach den maßgebenden Tatsachen haben die Streitteile zwei gemeinsame Kinder, nämlich die am 15. 9. 1984 geborene Martina und den am 7. 1. 1987 geborenen Mario. Letzterer dient seit 1. 1. 2005 beim österreichischen Bundesheer. Das Berufungsgericht führte in diesem Punkt aus, Mario leiste seinen „Präsenzdienst". Bereits deshalb könne eine Unterhaltspflicht dieses Kindes gegenüber der Klägerin nicht in Betracht kommen. Dazu ist anzumerken, dass die im Ersturteil vom 23. 1. 2006 getroffene Feststellung, Mario sei am 1. 1. 2005 zum Bundesheer gegangen, nicht dahin verstanden werden kann, er hätte im Zeitpunkt der Entscheidung - entsprechend der Ansicht des Berufungsgerichts - noch „Präsenzdienst" geleistet, dauert doch der Grundwehrdienst gemäß § 20 Abs 1 WehrG 2001 in der Regel nur sechs, keinesfalls aber mehr als acht Monate. Nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens ist es daher - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - nicht ausgeschlossen, dass Mario ein Einkommen hat, das es ihm ermöglicht, seiner Mutter einen Unterhaltsbeitrag nach den unter 2. 2. 1. erörterten Kriterien zu leisten. Zur Frage, ob Martina berufstätig ist und über ein Einkommen verfügt, mit dem sie Unterhaltsbedürfnisse ihrer Mutter decken könnte, mangelt es an Prozessbehauptungen, aber auch an Feststellungen. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht vorerst die voranstehend erläuterten rechtlichen Voraussetzungen eines Unterhaltsanspruchs gemäß § 69 Abs 3 EheG mit den Parteien zu erörtern und auf die Erstattung entsprechender Behauptungen und Beweisanbote durch die Unterhaltsklägerin zu dringen haben. In der Folge wird es die für eine abschließende rechtliche Beurteilung des erhobenen Unterhaltsanspruchs erforderlichen Feststellungen treffen müssen. 3. 2. Der Beklagte führt noch ins Treffen, die Klägerin habe keinen Anspruch auf „Ergänzungsunterhalt", weil sie auf Grund ihres eigenen Erwerbseinkommens nicht bedürftig sei. Darauf ist zu entgegnen, dass der Anspruch gemäß § 69 Abs 3 EheG auch den angemessenen Unterhalt - wie nach § 66 EheG als obere Grenze (Hopf/Kathrein aaO § 69 EheG Rz 13) - erreichen kann (Hopf/Kathrein aaO § 69 EheG Rz 13; Koch aaO § 69 EheG Rz 4; Stabentheiner aaO § 69 EheG Rz 8).

3. 3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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