OGH 13Os62/06a

OGH13Os62/06a11.10.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Oktober 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll, Mag. Hetlinger und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Denk als Schriftführer, in der Strafsache gegen Karamjit S***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Karamjit S***** und Avtar S***** gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Salzburg vom 23. März 2006, GZ 39 Hv 22/06m-108, nach Anhörung der Generalprokuratur und Äußerung des Zweitangeklagten (§ 35 Abs 2 StPO) in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden werden der Wahrspruch der Geschworenen in Betreff der Hauptfragen 1, 2 und 5 sowie das darauf beruhende Urteil

im Schuldspruch des Angeklagten Karamjit S***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A/1) und des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (A/2),

im Schuldspruch des Angeklagten Avtar S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster und vierter Fall StGB (B/1),

im Strafausspruch und

im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche

aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu nochmaliger Verhandlung und Entscheidung an das Geschworenengericht beim Landesgericht Salzburg verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.

Den Angeklagten fallen auch die auf die Erledigung ihrer Nichtigkeitsbeschwerden entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Karamjit S***** wurde des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A/1), des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (A/2), des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A/3) und des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB (A/4), Avtar S***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster und vierter Fall StGB (B/1) und des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (B/2) schuldig erkannt. Danach haben am 15. August 2004 in B*****

A. Karamjit S*****

1. an der am 28. Juli 1991 geborenen, mithin unmündigen Laura D***** durch Betasten ihrer Brüste eine geschlechtliche Handlung vorgenommen;

2. Laura D***** kurze Zeit nach der zu A/1 beschriebenen Tathandlung mit Gewalt, indem er sie auf den Fahrzeugboden drückte, zur Duldung des Beischlafs genötigt, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung der Laura D***** zur Folge hatte;

3. durch die zu A/2 beschriebene Tat mit einer Unmündigen den Beischlaf unternommen;

4. Laura D***** durch die Äußerung: „Wenn Du das Deiner Mama erzählst, dann passiert was!", mithin durch gefährliche Drohung, zur Abstandnahme von der Erstattung einer Strafanzeige zu nötigen versucht;

B. Avtar S*****

1. Laura D***** mit Gewalt, indem er ihren Kopf gegen seinen Penis drückte und ihren Mund aufriss, sowie durch Entziehung der persönlichen Freiheit, indem er die Toilettentür versperrte, zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich zu einem Oralverkehr genötigt, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung der Laura D***** zur Folge hatte und diese durch die Ejakulation in den Mund in besonderer Weise erniedrigt wurde;

2. durch die zu B/1 beschriebene Tat mit einer Unmündigen eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen.

Rechtliche Beurteilung

Den - von Karamjit S***** aus Z 8, 9, 10, 10a und 11 lit a, von Avtar S***** aus Z 8, 10a und 12 des § 345 Abs 1 StPO ergriffenen - Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten kommt Berechtigung zu.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Karamjit S*****:

Die Instruktionsrüge (Z 8) vermisst zu Recht eine Belehrung der Geschworenen über den Umstand, dass die strafbare Handlung des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB von jener des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB dann infolge Scheinkonkurrenz verdrängt wird, wenn diese strafbaren Handlungen sowohl zeitlich als auch derart in Verbindung stehen, dass der Vorsatz des Täters von Anfang an auf Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung mit dem unmündigen Opfer gerichtet war (vgl Schick in WK2 § 207 Rz 25; Farbrizy StGB9 § 207 Rz 10; vgl auch RIS-Justiz RS0115643, RS0090814, RS0090888). Der Grund der Verdrängung liegt im Scheinkonkurrenztyp der Konsumtion als typische Begleittat.

Da dieser Scheinkonkurrenztyp nicht auf tateinheitliche Begehung (Idealkonkurrenz) beschränkt ist (vgl Ratz in WK2 Vorbem §§ 28-31 Rz 29, 60, 68; zu den von der Judikatur anerkannten Scheinkonkurrenztypen richtungweisend: Burgstaller, JBl 1978, 393), hat der Beschwerdeführer den Fehler des Erstgerichtes treffend nicht mit Fragenrüge (Z 6 [§ 312 Abs 2 StPO]), sondern als unvollständige Rechtsbelehrung geltend gemacht (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 48, 64). Auch die Kritik an unterlassener Belehrung darüber, dass bloß flüchtige Berührung eines Geschlechtsorgans mit dem Körper des anderen für eine geschlechtliche Handlung nicht genügt (statt aller: Schick in WK2 § 207 Rz 7, 9), trifft zu. Die zu A/1 erhobene Rechtsrüge (Z 11 lit a) ist daher obsolet.

Zu A/2 macht die Instruktionsrüge zutreffend mangelnde Belehrung zum - hier angesichts sonst erlittener Traumen der Laura D***** erörterungsbedürftigen (vgl WK-StPO § 345 Rz 57) - Erfordernis des Kausalzusammenhangs zwischen gewaltsam vom Angeklagten unternommenem Beischlaf und posttraumatischer Belastungsstörung geltend (vgl dazu Burgstaller in WK2 § 6 Rz 61, § 7 Rz 23, § 80 Rz 68 f; eingehend:

Fuchs AT I6 13/4-14).

Nominell aus Z 9 und 10 rügt der Beschwerdeführer zu A/2 darüber hinaus mit Recht den Umstand, dass die Geschworenen aus der Hauptfrage 2 („Ist Karamjit S***** schuldig, am 15. 08. 2004 in B***** Laura D***** kurze Zeit nach der in Hauptfrage 1. beschriebenen Tathandlung mit Gewalt, indem er ihr mit beiden Händen die Augen und den Mund zugehalten, sie zum abgestellten Lieferwagen gezerrt, in den Wagen gestoßen und sie auf den Fahrzeugboden gedrückt habe, zur Duldung des Beischlafs genötigt zu haben, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung [§ 84 Abs 1] der unmündigen Person, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung der Laura D***** zur Folge hatte?") neben der Wortfolge „ihr mit beiden Händen die Augen und den Mund zugehalten, sie zum abgestellten Lieferwagen gezerrt, in den Wagen gestoßen und" auch die unmittelbar davor stehenden Worte „beschriebenen Tathandlung mit Gewalt, indem er" und das darauf folgende „sie" gestrichen hatten, die Vorsitzende indes ohne Durchführung des im § 332 Abs 4 StPO geregelten Verfahrens den Obmann der Geschworenen erfolgreich um Herausnahme der zuletzt genannten Worte aus der nach § 330 Abs 2 StPO erfolgten Beschränkung der bejahenden Antwort ersucht hatte. Ohne ausdrückliche Bejahung des gesetzlichen Merkmals (vgl § 312 Abs 1 StPO) angewendeter Gewalt enthielt die Antwort auf die nach Vergewaltigung gestellte Hauptfrage keine deutliche Feststellung dazu, weil sich aus ihr nicht zwingend ergibt, dass die Geschworenen das festgestellte Drücken auf den Fahrzeugboden als Überwindung eines wirklichen oder auch nur erwarteten Widerstandes (vgl Jerabek in WK2 § 74 Rz 35) festgestellt haben. Wird aber trotz undeutlicher oder widersprüchlicher Feststellungen oder fehlender Antworten zu entscheidenden Tatsachen den Geschworenen die Verbesserung des (solcherart mangelhaften) Wahrspruches nicht nach § 332 Abs 4 StPO aufgetragen, oder blieb der Auftrag ohne Erfolg, liegt Nichtigkeit aus Z 9 vor (WK-StPO § 345 Rz 69). Eine Änderung des Wahrspruchs durch den Obmann ohne Beratung mit den übrigen Geschworenen und Abstimmung ist unbeachtlich. Selbst wenn man aus dem Stillschweigen der beim Ersuchen der Vorsitzenden anwesenden übrigen Geschworenen deren Zustimmung zur Änderung des Wahrspruchs durch deren Obmann erblicken wollte, läge darin - der Sache nach gleichfalls geltend gemachte (weil der Oberste Gerichtshof ein nominell falsch eingeordnetes Beschwerdevorbringen regelmäßig im Sinn seiner inhaltlichen Ausrichtung beurteilt; vgl Ratz, WK-StPO § 285d Rz 9) und den Angeklagten möglicherweise benachteiligende (§ 345 Abs 3 StPO) - Nichtigkeit aus Z 4 infolge Missachtung des § 329 StPO. Nach dieser Vorschrift darf der Abstimmung der Geschworenen bei sonstiger Nichtigkeit niemand beiwohnen (vgl dazu Philipp, WK-StPO § 329 Rz 4).

Die zu A/2 erhobene Tatsachenrüge (Z 10a) kann wegen des Erfolgs der auf Z 9 gegründeten Argumentation auf sich beruhen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Avtar S*****:

Der Beschwerdeführer macht aus Z 8 gleichfalls zu Recht unterlassene Belehrung zum Kausalzusammenhang zwischen mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit von ihm erzwungenem Oralverkehr und posttraumatischer Belastungsstörung der Laura D***** geltend. In Ausübung der ihm nach § 289 StPO (§ 344 zweiter Satz StPO) zustehenden Befugnis (Ratz, WK-StPO § 289 Rz 3; zuletzt: 13 Os 11/06a = ÖJZ-LSK 2006/130) erachtete der Oberste Gerichtshof - ungeachtet der neben Gewaltanwendung bejahten (gleichwertigen) Alternative nach § 201 Abs 1 zweiter Fall StGB - die Aufhebung des gesamten Wahrspruchs zur Hauptfrage 5 und des darauf beruhenden Schuldspruchs B/1 für geboten, weil dieselben Gründe, auf denen die Aufhebung des zu A/2 ergangenen Schuldspruchs des Karamjit S***** beruhen, auch auf denjenigen des Avtar S***** wegen Vergewaltigung zutreffen (vgl §§ 344 zweiter Satz, 290 Abs 1 zweiter Satz [zweiter Fall] StPO). Auch insoweit war in Betreff der Feststellung, wonach der Angeklagte den Kopf des Mädchens „gegen seinen Penis gedrückt und ihren Mund aufgerissen habe", die Feststellung angewendeter Gewalt gestrichen und erst über Ersuchen der Vorsitzenden vom Obmann der Geschworenen in den Wahrspruch eingefügt worden.

Eine Antwort auf die zur Qualifikation nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB (B/1) erhobene Tatsachenrüge (Z 10a) und die gegen die Qualifikation nach § 201 Abs 2 vierter Fall StGB gerichtete Subsumtionsrüge (Z 12) erübrigt sich.

Demnach zeigte sich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung das Erfordernis einer nochmaligen Verhandlung zu A/1, A/2 und B/1 (§§ 344 zweiter Satz [§ 285e erster Satz], 349 Abs 1 StPO). Die Aufhebung des Strafausspruchs ist rechtslogische Folge. Die Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche war zu beseitigen, weil sie nach den Entscheidungsgründen ersichtlich just auf der posttraumatischen Belastungsstörung der Laura D***** fußt (vgl US 9). Im zweiten Rechtsgang wird für den Fall eines Schuldspruchs der Angeklagten wegen Vergewaltigung erneut zu beachten sein, dass eine Qualifikation aufgrund der postraumatischen Belastungsstörung bei jeweils tateinheitlicher Begehung infolge Exklusivität (vgl WK2 Vorbem §§ 28-31 Rz 3-8) jeweils nur entweder nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB oder nach § 206 Abs 3 erster Fall StGB begründet wird. Die Kostenersatzpflicht der Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO. Danach hat der nach § 389 Abs 1 StPO zum Kostenersatz Verpflichtete auch beim Erfolg seines Rechtsmittels die Kosten des Rechtsmittelverfahrens (unbeschadet der Bestimmung des § 389 Abs 2 StPO) zu ersetzen, wenn der Schuldspruch auch bloß in Ansehung einer einzigen strafbaren Handlung bestehen bleibt (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 7).

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