OGH 4Ob127/06i

OGH4Ob127/06i28.9.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Schaumüller und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl. Ing. Andrea E*****, vertreten durch Dr. Anton Cuber, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 35.000 EUR) und 622.644,45 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. April 2006, GZ 5 R 228/05v-77, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Der Aufsichtsrat kann die Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein solcher Grund ist namentlich grobe Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung oder Entziehung des Vertrauens durch die Hauptversammlung, es sei denn, dass das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist (§ 75 Abs 4 AktG).

2. Ob ein wichtiger Grund iSd § 75 Abs 4 AktG für die Abberufung eines Vorstandsmitglieds gegeben ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (1 Ob 294/97k = SZ 71/77; RIS-Justiz RS0110182). Allgemeine Grundsätze, ob ein solcher wichtiger Grund anzunehmen ist, lassen sich kaum aufstellen (9 Ob 47/01d).

3. Der Widerrufsgrund des Vertrauensverlusts zeigt die Rücksichtnahme des Gesetzes auf den Umstand, dass der Vorstand einer Aktiengesellschaft fremdes Vermögen verwaltet und dass es sich um Fremd- bzw Drittorganschaft handelt. Die eigenverantwortliche Stellung eines Vorstandsmitglieds hat nur solange ihre Berechtigung, als sie vom Vertrauen der Hauptversammlung getragen ist. Der wichtige Grund des Vertrauensentzugs muss nicht auf einem schuldhaften Verhalten des Vorstandsmitglieds beruhen (1 Ob 294/97k = SZ 71/77 mwN).

4. Der Anfechtungsklage des Vorstandsmitglieds kann nur dann Erfolg beschieden sein, wenn festgestellt wird, dass für die Hauptversammlung bei deren Beschlussfassung über den Vertrauensentzug Gründe maßgebend waren, die „offenbar", somit, ohne dass dies einer näheren Untersuchung bedürfte, unsachlich waren. Die Unsachlichkeit der Gründe muss für jeden verständigen Dritten einsichtig sein. Unsachlich ist der Vertrauensentzug dann, wenn er nur ein Vorwand für die willkürliche Zurücksetzung des Vorstandsmitglieds ist, dessen Geschäftsführung so geartet ist, dass die Hauptversammlung ihr Vertrauen zu ihm in Wahrheit gar nicht verloren haben konnte, oder wenn der Vertrauensentzug nur als Vorwand für die Abberufung dient oder willkürlich, haltlos oder wegen der damit verfolgten Zwecke sittenwidrig oder sonstwie, etwa wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben, rechtswidrig ist. Unanfechtbar ist demnach auch ein Vertrauensentzug, der seiner sachlichen Berechtigung nach zweifelhaft ist; er darf nur nicht willkürlich sein (1 Ob 294/97k = SZ 71/77 mwN).

5. Das Berufungsgericht hat die Abberufung der Klägerin nicht als offenbar unsachlich beurteilt. Es hat einen ausreichenden Widerrufsgrund darin erblickt, dass die Klägerin in einer Situation, in der widerstreitende Interessen der Gesellschafter der Beklagten besonders deutlich zum Ausdruck gekommen seien, heimlich Tonbandaufnahmen von einer Eigentümerbesprechung der Beklagten, einer Sitzung in einem Ministerium sowie von einem Vier-Augen-Gespräch mit einem Ausschussmitglied des Mehrheitseigentümers der Beklagten gemacht und diese teilweise sogar weitergegeben hat.

6. Der Revisionswerberin gelingt es nicht, in diesem Punkt eine krasse Fehlbeurteilung aufzuzeigen. Die in der Zulassungsbeschwerde zitierte Entscheidung 9 ObA 215/92 ist nicht einschlägig, weil dort das Vorliegen des Entlassungstatbestands der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 dritter Tatbestand AngG zu beurteilen war, der schuldhaft rechtswidriges Verhalten voraussetzt; dies gilt für den hier zu prüfenden Widerrufsgrund des Vertrauensverlusts iSd § 75 Abs 4 AktG nicht. Ob die von der Klägerin ohne Wissen der Teilnehmer aufgezeichneten Gespräche nicht dem Gedanken- und Meinungsaustausch, sondern der intensiven Interessendurchsetzung gedient haben, macht für die Frage, ob die heimlichen Tonbandaufnahmen einen Vertrauensverlust der Hauptversammlung bewirkt haben, keinen Unterschied. Die Revisionswerberin räumt im Übrigen ein, dass mehrere Ausschussmitglieder des Mehrheitseigentümers der Beklagten das Vertrauensverhältnis zur Klägerin auf Grund der Tonaufnahmen für zerrüttet betrachtet haben (Rechtsmittel S. 6 f); es kann dann aber keine Rede davon sein, dass der Widerruf der Ernennung der Klägerin zum Alleinvorstand aus offenbar unsachlichen, weil willkürlichen Gründen erfolgt sei.

7. Zum rechtzeitigen Zugang des - nach dem Vorstandsvertrag nur befristet möglichen - Verzichts der Beklagten auf das Konkurrenzverbot der Klägerin hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Klägerin auf telefonische Anfrage der Beklagten um eine Faxnummer, unter der sie erreichbar sei, die Faxnummer einer am selben Ort wohnhaften Mitarbeiterin bekannt gab, bei der die Erklärung auch fristgerecht einlangte. Das Berufungsgericht hat daraus zutreffend den Schluss gezogen, die Klägerin habe sich diesen Zustellvorgang als Zustellung „an den Vorstand" zurechnen zu lassen. Erweckt nämlich der potenzielle Erklärungsempfänger nach der Verkehrsauffassung gegenüber seinem Vertragspartner den Eindruck, er habe einen Dritten ermächtigt, für ihn Erklärungen entgegen zu nehmen, ist dieser Dritte als Empfangsbote dem Risikobereich des Erklärungsempfängers zuzurechnen; er nimmt dann die Erklärungen für diesen entgegen (vgl 1 Ob 538/82 = SZ 55/75; Rummel in Rummel, ABGB³ § 862a Rz 4).

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