OGH 3Ob120/06b

OGH3Ob120/06b13.9.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Prückner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Janine D*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Miller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien

1.) Mag. Barbara B***** und 2.) Konvent *****, beide vertreten durch Mag. Rudolf Fidesser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, wegen 10.000 EUR s. A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 13. Oktober 2005, GZ 36 R 676/05m-39, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 23. März 2006, AZ 36 R 676/05m, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 1. Mai 2005, GZ 11 C 650/03p-35, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit 665,66 EUR (darin 110,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin war ab der 5. Schulstufe bis zu ihrer Matura im Jahr 1985 Schülerin im Gymnasium und Internat des zweitbeklagten Konvents. Die Erstbeklagte war von 1979 bis zu ihrem Austritt im Februar 1987 Ordensschwester der zweitbeklagten Partei und als Lehrerin im Gymnasium beschäftigt. Sie unterrichtete die Klägerin in Psychologie (6. Klasse), Entwicklungspsychologie (7. Klasse) und Philosophie (8. Klasse) und nahm sich an Nachmittagen und Abenden im Sinn seelischer Unterstützung bei Problemen der Klägerin an. Das dadurch entstandene Abhängigkeits- und Autoritätsverhältnis nützte die Erstbeklagte nach den erstinstanzlichen bindenden Feststellungen von 1983 bis 1985 dazu aus, die Klägerin zu geschlechtlichen Handlungen (mehrfache Zungenküsse, Berührungen an der Brust und im Genitalbereich) zu missbrauchen, die den Tatbestand der Unzucht erfüllten. Sie schädigte die heranwachsende Klägerin dadurch nachhaltig in ihrer Entwicklung. Die seelischen und körperlichen Folgen dieser Handlungen (Bulimie und Depressionen) reichen bis in die Gegenwart.

Die Klägerin begehrte mit ihrer am 9. Mai 2003 bei Gericht eingelangten Klage von beiden beklagten Parteien 5.000 EUR Schmerzengeld sowie den Ersatz von 5.000 EUR Therapiekosten, je s.A. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Sexueller Missbrauch, der physische und schwere psychische Schäden verursacht habe, bilde eine Körperverletzung, sodass Schmerzengeld nach § 1325 ABGB zu leisten sei. Die Ersatzansprüche gegenüber der Erstbeklagten seien auch noch nicht verjährt, weil ihr Verhalten den Tatbestand einer strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden könne und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sei, nämlich jenen des § 212 Abs 1 StGB idFd BGBl 60/1974 erfüllt habe, weshalb der Schadenersatzanspruch gemäß § 1489 zweiter Satz ABGB der dreißigjährigen Verjährung unterliege, auch wenn keine strafgerichtliche Verurteilung erfolgt sei. Die zweitbeklagte Partei hafte im Rahmen des mit den Eltern der Klägerin abgeschlossenen Ausbildungsvertrags nach § 1313a ABGB für die Taten der Erstbeklagten. Auch gegenüber der zweitbeklagten Partei sei der Klagsanspruch noch nicht verjährt, weil der Verschuldensgrad des Täters der juristischen Person zuzurechnen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte - unangefochten - die Verurteilung der Erstbeklagten, wies aber das gegen die zweitbeklagte Partei gerichtete Klagebegehren ab. Die dreißigjährige Verjährungsfrist gelte nur für den Täter selbst, nicht aber auch für Personen, die ohne eigenes Verschulden mithafteten. Die lange Verjährungszeit gelte daher insbesondere nicht für die Schadenshaftung einer juristischen Person für Verbrechen ihrer Dienstnehmer. Der zweitbeklagten Partei könne kein eigenes Verschulden vorgeworfen werden. Ihr gegenüber seien die Ansprüche der Klägerin daher verjährt. Selbst wenn man von einer gegenüber der zweitbeklagten Partei bestehenden dreißigjährigen Verjährungsfrist ausginge, erwiese sich die Klagsforderung jedenfalls als unberechtigt, weil die Gehilfenhaftung nach § 1313a ABGB hier nicht zum Tragen käme. Die Erstbeklagte habe die schädigenden Handlungen bloß „anlässlich" der Erfüllung (des [Ausbildungs- und Betreuungs-] Vertrags) für die zweitbeklagte Geschäftsherrin gesetzt. Die von der zweiten Instanz im Verfahren nach § 508 ZPO nachträglich für zulässig erklärte Revision der Klägerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig, vermag doch die Klägerin keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Rechtliche Beurteilung

Die Haftung der Erstbeklagten steht rechtskräftig fest. § 1489 zweiter Satz zweiter Fall ABGB statuiert eine dreißigjährige Verjährungsfrist für Schadenersatzklagen, wenn der Schade aus einer oder mehreren gerichtlich strafbaren Handlungen, die nur vorsätzlich begangen werden können und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sind, entstanden ist. Diese lange Verjährungsfrist stellt eine vom Gesetzgeber gewollte Pönalisierung des Täters dar. Die Dauer der Verjährung ist das Resultat einer Interessenabwägung zwischen dem Verfolgungsinteresse des Geschädigten und der Sicherheit des Schädigers vor der Inanspruchnahme wegen lange zurückliegender Handlungen, die im Falle eines derart qualifizierten schuldhaften Verhaltens zu Lasten des Schädigers ausschlägt. Aufgrund des Unrechtsgehalts der Tat wird dem deliktisch strafbaren Schädiger der Einwand der Dreijahresfrist genommen. Diese Pönalisierung des Täters ist aber nur gegenüber dem Täter selbst, nicht jedoch gegen mithaftende Personen, denen eine strafbare Handlung nicht vorgeworfen werden kann, gerechtfertigt (5 Ob 179/72 = JBl 1973, 372 = EvBl 1973/88; 7 Ob 552/88 mwN). Sowohl die (überwiegende) Lehre als auch die stRsp legen § 1489 zweiter Satz ABGB dahin aus, dass für Personen, die ohne eigenes Verschulden oder kraft minderen Verschuldens mithaften, bloß die dreijährige Verjährungsfrist gilt, so nach hA auch für die juristische Person in Bezug auf ihre Funktionäre oder ihre Erfüllungsgehilfen (allgemein auch zum Meinungsstand in der historischen Entwicklung Rabl Die Anwendbarkeit der langen Verjährungsfrist des § 1489 Satz 2 zweite Alternative ABGB auf Schadenersatzansprüche gegen eine juristische Person, JBl 2002, 547 ff; 1 Ob 41/88 = SZ 61/271 = EvBl 1989/58; 7 Ob 552/88; 1 Ob 64/00v = SZ 74/14 = JBl 2001, 384 = EvBl 2001/118 = ÖBA 2001, 816 [Apathy]; M. Bydlinski in Rummel³ § 1489 ABGB Rz 5; Dehn in KBB § 1489 ABGB Rz 5; Mader/Janisch in Schwimann³ § 1489 ABGB Rz 24; Kletecka in Koziol/Welser13 I 229; aA Klang in Klang² IV 637). M. Bydlinski (in RZ 1982, 222) und ihm folgend Koziol (Österr. Haftpflichtrecht³ Rz 15/20) vertreten die Auffassung, dass in den Fällen, in denen ihre Organe oder „Repräsentanten" deliktisches Verhalten iSd § 1489 zweiter Satz ABGB setzen, auch für juristische Personen die dreißigjährige Verjährungsfrist gelte. Denn juristische Personen dürften zwar gemäß § 26 ABGB wie eine natürliche Person am Rechtsverkehr teilnehmen, benötigten hiefür aber ihnen zurechenbarer Organe. Nach der Auffassung der zitierten Autoren stelle es einen krassen Wertungswiderspruch zum Gedanken des § 26 ABGB dar, sollte der juristischen Person auf dem Gebiet der deliktischen Haftung nicht das Verhalten ihrer Organe und/oder Repräsentanten zuzurechnen und somit auch für sie die dreißigjährige Verjährungsfrist anzuwenden sein.

Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob dieser Rechtsansicht zuzustimmen ist. Denn selbst M. Bydlinski (aaO) erstreckt die Haftung juristischer Personen nicht auf eine Haftung für ihre Erfüllungsgehilfen, vielmehr schließt er die Anwendbarkeit der dreißigjährigen Verjährungsfrist auf den Geschäftsherrn als Haftenden für strafrechtliches Verhalten seines Erfüllungsgehilfen explizit aus (so auch ausdrücklich 7 Ob 552/88 und 1 Ob 64/00v). Entgegen den Ausführungen der Revisionswerberin war die Erstbeklagte als Lehrerin im Konvent der erstbeklagten Partei nicht deren Organ.

Die zum Vorliegen der Organeigenschaft zitierten Entscheidungen sind

mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar (2 Ob 2398/96b = SZ

70/138 - Jagdleiter; 2 Ob 107/98v = RdW 1998, 664 - bauleitender

Ingenieur einer Straßenbaustelle; 3 Ob 119/99t = ZVR 2000/90 -

Hauptkameramann; vgl. auch 6 Ob 45/01p - Herausgeber einer Zeitschrift). Für die Qualifikation einer Person als Organ einer juristischen Person kommt es darauf an, dass diese Person eine Stellung innehat, vermöge der diese Person, wenn von der Satzung auch nur mittelbar berufen, so doch effektiv und in entscheidender Weise an der Leitung des Verbandswillens teilzunehmen berufen ist (3 Ob 180/03x = ecolex 2004, 524 u.a.; RIS-Justiz RS0009113; Koch in KBB, § 26 ABGB Rz 16 mwN).

Da somit das Klagebegehren gegenüber der zweitbeklagten Partei verjährt ist, muss auf die Frage der Erfüllungsgehilfeneigenschaft der Erstbeklagten oder die Unterscheidung „bei Erfüllung" - „anlässlich der Erfüllung" nicht mehr eingegangen werden. Die Kostenentscheidung fußt auf §§ 41, 50 ZPO; die zweitbeklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hingewiesen.

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