OGH 10ObS113/06z

OGH10ObS113/06z17.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Albert Ullmer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elmar L*****, Kraftfahrer, *****, vertreten durch Dr. Herbert Gschöpf und Dr. Marwin Gschöpf, Rechtsanwälte in Velden, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifterstraße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. März 2006, GZ 7 Rs 112/05b-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. Juli 2005, GZ 34 Cgs 76/04d-28, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich ihrer unbekämpft gebliebenen Teile insgesamt zu lauten haben:

„1.) Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger zu der für die Folgen der Arbeitsunfälle vom 9. 8. 1982, vom 21. 2. 1984, vom 5. 6. 1987 und vom 10. 6. 1997 gewährten Gesamtrente von 40 vH der Vollrente ab 1. 1. 2002 eine Zusatzrente samt Kinderzuschuss für Matthias und Carina L***** zu bezahlen, und zwar für die Zeit vom 1. 1. 2002 bis 31. 12. 2002 im Betrag von EUR 101,28 zuzüglich Kinderzuschuss von je EUR 60,77 monatlich, ab 1. 1. 2003 im Betrag von EUR 101,79 zuzüglich Kinderzuschuss von je EUR 61,07 monatlich unter Berücksichtigung allfälliger seither erfolgter Anpassungen und abzüglich schon bezahlter Beträge.

2.) Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger auch für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 21. 8. 2001 eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 1. 2002 zu bezahlen, wird abgewiesen.

3.) Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger zu Handen der Klagevertreter die mit EUR 1.537,89 (davon EUR 256,31 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen". Die beklagte Partei ist weiters schuldig, dem Kläger zu Handen der Klagevertreter die mit EUR 485,86 (davon EUR 80,98 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit EUR 333,12 (davon EUR 55,52 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt insgesamt fünf Arbeitsunfälle mit nachstehend beschriebenen Verletzungen:

1.) Am 9. 8. 1982 rutschte er während der Arbeit aus, kam zu Sturz und zog sich dabei einen Kahnbeinbruch des linken Handgelenks sowie eine Prellung der Mittelhand links zu.

2.) Am 21. 2. 1984 fiel er beim Abplanen eines LKWs vom Dach und erlitt dabei einen Bruch des rechten Fersenbeines mit einer Bandverletzung.

3.) Am 5. 6. 1987 stürzte er beim Beladen eines LKW-Zuges von der Ladefläche und zog sich dabei eine Rissquetschwunde am Schädel mit Gehirnerschütterung sowie eine Prellung der Lendenwirbelsäule und des Steißbeines zu.

4.) Am 10. 6. 1997 erlitt er bei einem Verkehrsunfall eine Prellung und eine Kapselbandverletzung des rechten Schultergelenks.

5.) Am 21. 8. 2001 erlitt er beim Öffnen einer Kühlraumtür einen Riss des Sehnenzügels der langen Bizepssehne der linken Schulter. Die beklagte Partei gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 23. 3. 1999 für die Folgen der Arbeitsunfälle 1 bis 4 eine 40 %ige Gesamtdauerrente ab 1. 5. 1999. Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig Klage. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. 12. 2000, GZ 46 Cgs 92/99x-26, wurde dem Kläger diese Leistung - in Wiederholung des angefochtenen Bescheides - erneut zugesprochen und ein darüber hinausgehendes Mehrbegehren abgewiesen.

Mit Bescheid vom 3. 12. 2002 anerkannte die beklagte Partei den weiteren Unfall des Klägers vom 21. 8. 2001 als Arbeitsunfall (AU 5) und gewährte dem Kläger für die Zeit vom 4. 9. bis 31. 12. 2001 eine vorläufige 20 %-ige Versehrtenrente. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass ab 1. 1. 2002 kein Anspruch auf Versehrtenrente bestehe. Mit einem weiteren Bescheid vom 3. 12. 2002 gewährte die beklagte Partei dem Kläger für den Zeitraum vom 4. 9. bis 31. 12. 2001 zur 40 %-igen Gesamtrente aus den Arbeitsunfällen 1 bis 4 eine Zusatzrente samt Kinderzuschuss und sprach aus, dass der Kläger für diese Zeit als Schwerversehrter (§ 205 Abs 4 ASVG) gelte. Auch dagegen erhob der Kläger rechtzeitig Klage. Mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. 4. 2003, GZ 43 Cgs 465/02y-8, wurde dem Kläger zu der für die Folgen der Arbeitsunfälle 1 bis 4 geleisteten 40 %-igen Gesamtrente ab 4. 9. 2001 - unbefristet - die Zusatzrente für Schwerversehrte samt Kinderzuschuss zuerkannt und wurde ausgesprochen, dass er ab 4. 9. 2001 als Schwerversehrter gelte. Weiters wurde ein Mehrbegehren auf Gewährung einer Versehrtenrente für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 21. 8. 2001 (AU 5) abgewiesen. Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers aus dem Arbeitsunfall vom 21. 8. 2001 lediglich 10 vH auf Dauer betrage und daher das rentenbegründende Ausmaß von 20 vH nicht erreiche. Da der Kläger aber nach § 205 Abs 4 ASVG als Schwerversehrter gelte, habe er zu seiner 40 %-igen Gesamtrente Anspruch auf Zusatzrente und Kinderzuschuss. Der Berufung der beklagten Partei wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. November 2003, 7 Rs 100/03k, keine Folge gegeben.

Die beklagte Partei erließ in der Folge am 10. 2. 2004 insgesamt drei Bescheide. Mit dem ersten Bescheid erkannte sie dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 21. 8. 2001 (AU 5) eine 10 %-ige vorläufige Versehrtenrente für die Zeit vom 1. 1. 2002 bis 31. 7. 2003 zu. Mit weiterem Bescheid vom 10. 2. 2004 sprach sie aus, dass dem Kläger zu der für die Folgen der Arbeitsunfälle 1 bis 4 gewährten 40 %-igen Gesamtrente für die Zeit vom 1. 1. 2002 bis 31. 7. 2003 eine Zusatzrente samt Kinderzuschüssen gebühre und der Kläger für diese Zeit als Schwerversehrter gelte. Mit dem dritten Bescheid vom 10. 2. 2004 sprach die beklagte Partei aus, dass nach dem Grad der durch die Folgen sämtlicher fünf Arbeitsunfälle verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit eine 45 %-ige Gesamtdauerrente ab 1. 8. 2003 festgestellt werde.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Klage mit dem Begehren, „die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei wegen der Arbeitsunfälle vom 9. 8. 1982, 21. 2. 1984, 5. 6. 1987, 10. 6. 1997 und 21. 8. 2001 eine Versehrtenrente sowie seit 1. 1. 2002 eine Zusatzrente für Schwerversehrte samt Kinderzuschuss im gesetzlichen Ausmaß unbefristet zu gewähren." Mit den bekämpften Bescheiden sei dem in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. 4. 2003, GZ 43 Cgs 465/02y-8, nicht Rechnung getragen worden. Dem Kläger stehe im Hinblick auf seine (insgesamt) zumindest 50 %-ige Minderung der Erwerbsfähigkeit, die Dauerhaftigkeit seiner Beschwerden und seine Eigenschaft als Schwerversehrter die Zusatzrente samt Kinderzuschuss über den 31. 7. 2003 hinaus zu. Der Bescheid der beklagten Partei über die Gesamtrente für alle fünf Arbeitsunfälle sei nach Ablauf der „Drei-Jahres-Frist" des § 210 Abs 2 ASVG ergangen und daher unwirksam. Die mit Bescheid vom 10. 2. 2004 befristet zuerkannte Zusatzrente für Schwerversehrte sei damit unbefristet zu gewähren. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die von ihr bei Zuerkennung der 45 %-igen Gesamtdauerrente vorgenommene Einschätzung entspreche der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Klägers sei bei der Einschätzung der Gesamtrente keine Bindung an rechtskräftig zuerkannte Einzelrenten gegeben, sondern sei eine Beurteilung der Unfallverletzungen in ihrer Gesamtheit und in ihrer Auswirkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorzunehmen. Eine Schwerversehrteneigenschaft des Klägers im Sinn des § 205 Abs 4 ASVG liege daher nicht vor.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es stellte insbesondere noch fest, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit seit 1. 8. 2003 für alle fünf Arbeitsunfälle insgesamt 25 vH und jene für den Arbeitsunfall vom 21. 8. 2001 10 vH beträgt. Nach seiner rechtlichen Beurteilung habe die beklagte Partei die Gesamtrente erst nach Ablauf des im § 210 ASVG dafür vorgesehenen Zweijahreszeitraumes gebildet, weshalb eine Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 183 ASVG vorliegen müsse. Eine solche Änderung liege im Zustand der Unfallfolgen vor. So ergebe sich hinsichtlich des Arbeitsunfalles vom 9. 8. 1982 eine Besserung durch Wegfall der vormaligen 5 %-igen Minderung der Erwerbsfähigkeit, hinsichtlich des Arbeitsunfalles vom 21. 2. 1984 eine Verschlechterung von ursprünglich 5 % auf nunmehr 10 %, hinsichtlich des Arbeitsunfalles vom 10. 6. 1997 eine Besserung von ursprünglich 10 % auf nunmehr 5 % Minderung der Erwerbsfähigkeit, womit insgesamt von einer relevanten Änderung der Verhältnisse auszugehen sei. Die an sich geringfügige Änderung der Verhältnisse im Ausmaß von 5 % bewirke den Wegfall der Schwerversehrtheit, da die Summe der Versehrtenrenten nun nicht mehr 50 % erreiche; damit sei die Änderung relevant im Sinne des § 183 Abs 1 ASVG. Die beklagte Partei habe demnach zulässigerweise die Versehrtenrente des Klägers neu festgestellt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger 1. für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 21. 8. 2001 (AU 5) für die Zeit vom 1. 1. 2002 bis 31. 7. 2003 eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 10 vH der Vollrente samt Zusatzrente und Kinderzuschuss, 2. zu der für die Folgen der Arbeitsunfälle vom 9. 8. 1982, 21. 2. 1984, 5. 6. 1987 und vom 10. 6. 1997 gewährten Gesamtrente von 40 vH der Vollrente für die Zeit vom 1. 1. 2002 bis 31. 3. 2004 eine Zusatzrente samt Kinderzuschuss und 3. für die Folgen aller fünf Arbeitsunfälle eine Gesamtrente als Dauerrente im Ausmaß von 45 vH der Vollrente ab 1. 8. 2003 in einer jeweils betragsmäßig angeführten Höhe zu bezahlen. Das Mehrbegehren auf Gewährung einer ein Ausmaß von 45 vH der Vollrente übersteigenden Gesamtrente ab 1. 8. 2003 sowie auf Gewährung einer Zusatzrente für Schwerversehrte samt Kinderzuschuss über den 31. 3. 2004 hinaus wies es ab.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht nach Darlegung der maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen im Wesentlichen aus, die beklagte Partei habe die in § 210 Abs 1 ASVG für die Feststellung einer Gesamtrente vorgesehene Zweijahresfrist nicht eingehalten, weil die Gesamtrente unter Einbeziehung des letzten Versicherungsfalles vom 21. 8. 2001 spätestens mit Beginn des dritten Jahres nach dem Eintritt des letzten Versicherungsfalles, also mit 21. 8. 2003, zu bilden gewesen wäre. Nach Ablauf der Zweijahresfrist könne die Gesamtrente nur mehr unter der Voraussetzung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 183 ASVG gebildet werden. Im Falle des Klägers liege eine besondere Konstellation vor, da die beklagte Partei mit ihren angefochtenen Bescheiden vom 10. 2. 2004 nicht nur eine neue Gesamtrente unter erstmaliger Einbeziehung auch des Arbeitsunfalles vom 21. 8. 2001 (AU 5) für die Zeit ab 1. 8. 2003 gebildet habe, sondern dem Kläger rückwirkend für die Zeit ab 1. 1. 2002 bis 31. 7. 2003 neben einer 10 %-igen vorläufigen Versehrtenrente samt Zusatzrente und Kinderzuschuss aus dem Arbeitsunfall vom 21. 8. 2001 (AU 5) auch eine Zusatzrente samt Kinderzuschuss zu der bereits bestehenden 40 %-igen Gesamtrente aus den Arbeitsunfällen 1 bis 4 befristet für denselben Zeitraum (1. 1. 2002 bis 31. 7. 2003) gewährt habe. Dieser letztgenannten Entscheidung sei aber die in Rechtskraft erwachsene Entscheidung des Landesgerichtes Klagenfurt im Verfahren 43 Cgs 465/02y vom 29. 4. 2003 entgegen gestanden, mit welcher dem Kläger aus den ersten vier Arbeitsunfällen die erwähnte Zusatzrente für Schwerversehrte samt den Kinderzuschüssen unbefristet für die Zeit ab 4. 9. 2001 zuerkannt worden sei. Die beklagte Partei habe in diese rechtskräftige Entscheidung jedoch nicht eingreifen können, indem sie nun rückwirkend nach Versäumung der Zweijahresfrist die Zusatzrente aus dem Arbeitsunfall vom 21. 8. 2001 (AU 5) zum Nachteil des Klägers nur mehr befristet bis 31. 7. 2003 gewährt habe. Der Anspruch auf diese Zusatzrente stehe dem Kläger aber weder unbefristet zu, noch könne er tauglich mit 31. 7. 2003 rückwirkend befristet werden. Letzteres wäre nur bei zeitgerechter Bildung der Gesamtrente durch die beklagte Partei möglich gewesen. Es könne unstrittig davon ausgegangen werden, dass das Landesgericht Klagenfurt in seiner zitierten Entscheidung vom 29. 4. 2003 die Schwerversehrteneigenschaft des Klägers und damit auch seinen Anspruch auf Zusatzrente deshalb bejaht habe, weil der letzte Arbeitsunfall vom 21. 8. 2001 eine 10 %-ige Minderung der Erwerbsfähigkeit (auf Dauer) verursacht habe. Dies könne jedoch nicht dazu führen, dass diese 10 %-ige Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen der unterlassenen Gesamtrentenbildung einfach zu der bestehenden 40 %-igen Gesamtrente addiert werde. Einerseits sei in dieser Entscheidung des Landesgerichtes Klagenfurt auch ein Klagebegehren auf Gewährung einer Versehrtenrente aus dem Arbeitsunfall vom 21. 8. 2001 (mangels berentungsfähiger Minderung der Erwerbsfähigkeit) ausdrücklich abgewiesen worden, andererseits sei die Gesamtrente nun erstmals auch unter Einbeziehung des letzten Arbeitsunfalles vom 21. 8. 2001 neu zu bilden. Damit habe eine allfällige vorläufige Versehrtenrente aus dem Arbeitsunfall vom 21. 8. 2001 als solche gar nicht in direktem Weg in eine Dauerrente übergehen können, sondern lediglich „indirekt" im Wege der angeführten Zusatzrente. Damit habe die erstmalige Gesamtrentenbildung unter Einbeziehung des Arbeitsunfalles vom 21. 8. 2001 in der Weise zu erfolgen, dass die Voraussetzungen des § 183 ASVG nicht vorliegen müssen. Im Übrigen würde eine solche relevante Änderung der Verhältnisse auch gegeben sein, weil im Zustand der Unfallfolgen seit der Gesamtrentenbildung im Verfahren des Landesgerichtes Innsbruck eine wesentliche Besserung eingetreten sei. Ungeachtet dessen, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers aus allen fünf Arbeitsunfällen insgesamt lediglich 25 vH betrage, stehe ihm die mit Bescheid der beklagten Partei vom 10. 2. 2004 zuerkannte Gesamtrente im Ausmaß von 45 vH der Vollrente ab 1. 8. 2003 als unwiderruflich anerkannt zu. Die Zusatzrente gebühre dem Kläger im Hinblick auf die Versäumung der Zweijahresfrist jedoch nicht nur bis 31. 7. 2003, sondern analog zu § 99 Abs 3 Z 1 ASVG bis zum Ablauf des Kalendermonates, der auf die Zustellung des Bescheides folge. Da die bekämpften Bescheide dem Kläger am 13. 2. 2004 zugegangen seien, ende der Anspruch auf Zusatzrente mit Ablauf des März 2004. In diesem Punkt sei daher die Berufung des Klägers teilweise berechtigt. Im übrigen Umfang seien im Rahmen einer Maßgabebestätigung des Ersturteiles die dem Kläger in den angefochtenen Bescheiden zuerkannten Leistungen wiederum zuzusprechen (Bescheidwiederholung).

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung zulässig sei, weil zu der erheblichen Rechtsfrage, welche Folgen die Versäumung der Zweijahresfrist des § 210 Abs 1 ASVG habe und ob bei Vorliegen einer unbefristet zuerkannten Zusatzrente aus dem letzten Versicherungsfall die Bildung einer Gesamtrente allenfalls nur unter den Voraussetzungen des § 183 ASVG zulässig sei, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, allenfalls auch Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und im Ergebnis auch teilweise berechtigt. Der Kläger macht in seinen Revisionsausführungen im Wesentlichen geltend, bei Versäumung der Zweijahresfrist des § 210 Abs 1 ASVG sei die Bildung einer Gesamtrente nach dieser Bestimmung auf Grund der dadurch vom Versicherten erworbenen Rechte nicht mehr zulässig. Es stehe ihm daher auf Grund des in Rechtskraft erwachsenen Urteiles des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. 4. 2003, 43 Cgs 465/02y, die Zusatzrente samt Kinderzuschuss weiterhin unbefristet zu. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 183 ASVG sei von der beklagten Partei weder in ihren Bescheiden noch im gegenständlichen Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht geltend gemacht worden. Eine solche Änderung der Verhältnisse liege auch tatsächlich nicht vor. In diesem Punkt sei das Berufungsverfahren jedenfalls mangelhaft geblieben.

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, findet im vorliegenden Fall die Bestimmung des § 210 ASVG über eine Entschädigung aus mehreren Versicherungsfällen (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit) idF der 58. ASVG-Nov BGBl I 2001/99, Anwendung, weil der letzte Versicherungsfall am 21. 8. 2001 und somit nach Inkrafttreten der Neuregelung der Gesamtrentenbildung nach dieser ASVG-Nov eingetreten ist (vgl 10 ObS 150/04p). Danach ist gemäß § 210 Abs 1 ASVG für den Fall, dass ein Versehrter neuerlich durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit geschädigt wird und die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit aus Versicherungsfällen nach diesem Bundesgesetz mindestens 20 % erreicht, spätestens vom Beginn des dritten Jahres nach dem Eintritt des letzten Versicherungsfalles an eine Gesamtrente festzustellen. Bis zur Feststellung einer Gesamtrente nach Abs 1 ist der letzte Versicherungsfall gesondert zu entschädigen, wenn und solange er eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im rentenbegründenden Ausmaß (§ 203) verursacht hat. Hat der neuerliche Versicherungsfall für sich allein keine Minderung der Erwerbsfähigkeit im rentenbegründenden Ausmaß verursacht, so ist dieser Versicherungsfall rückwirkend unter Bedachtnahme auf § 204 zu entschädigen, wenn er zum Zeitpunkt der Feststellung der Gesamtrente zu einer Erhöhung der Gesamtminderung um mindestens 5 % geführt hat (§ 210 Abs 4 ASVG). Nach den Gesetzesmaterialien (vgl Teschner/Widlar, MGA, ASVG 78. Erg-Lfg Anm 1 zu § 210) geht der Entwurf in Anlehnung an die Rechtsmeinung des Verfassungsgerichtshofes, der es verfassungsrechtlich für unbedenklich hält, einen Versicherungsfall nur dann zu entschädigen, wenn dieser allein eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 % verursacht, davon aus, dass dieser Grundsatz zunächst auch für den bloß vorübergehenden Zeitraum von maximal zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles (vorläufiger Rentenzeitraum) Berechtigung hat. Wird jedoch später in jenen Fällen, in denen zunächst keine „Stützrente" ausgezahlt wurde, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit unter der Schwelle von 20 % gelegen ist, eine Gesamtrente als Dauerrente festgestellt (Beginn des dritten Jahres nach Eintritt des Versicherungsfalles), weil die Versehrtheit aus jenen neuerlichen Versicherungsfällen nach wie vor aufrecht ist, erscheint es aus sozialen Gründen erforderlich, für diese Schädigungen rückwirkend für den Zeitraum ab dem jeweils zutreffenden Rentenanfall bis zur Festsetzung der Gesamtrente als Dauerrente eine Rente (in einem Gesamtbetrag) auszuzahlen. Da die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit dieser sogenannten „gestützten" Renten unterhalb jener Schwelle liegt, ab der sonst ein Rentenanspruch zustehen würde, erscheint es vertretbar, diese an sich nicht berentungsfähigen Verletzungsfolgen nur dann zu entschädigen, wenn sie auch auf Dauer bestehen bleiben. Die Untergrenze der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 5 % entspricht der herrschenden Einschätzungspraxis der Versicherungsträger und der Gerichte. Im Ergebnis werden daher durch den Novellierungsvorschlag gegenüber der geltenden Rechtspraxis keine Verschlechterungen, in Einzelfällen sogar Verbesserungen für die Versicherten eintreten (Teschner/Widlar aaO Anm 1 zu § 210). Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach dargelegt hat (vgl SSV-NF 16/39 mwN), liegt dem § 210 Abs 4 ASVG ein dem § 209 Abs 1 ASVG vergleichbarer Zweck zugrunde. Der Zeitraum von zwei Jahren, während dessen nach § 209 Abs 1 ASVG eine vorläufige Rente gewährt werden kann, dient dazu, die Konsolidierung der Unfallfolgen abzuwarten. Die Entscheidung über die endgültige Rentenbildung soll erst erfolgen, wenn die Folgen des Unfalles in ihren dauernden Auswirkungen endgültig abschätzbar sind. Dann soll die Dauerrente (§ 209 Abs 1 ASVG) bzw - bei mehreren Unfällen - die Gesamtrente (§ 210 ASVG) festgesetzt werden. Unter Bedachtnahme auf § 209 Abs 1 Satz 2 ASVG, nach dem die Versehrtenrente spätestens mit Ablauf des zweijährigen Zeitraumes (nach dem Eintritt des Versicherungsfalles) als Dauerrente festzustellen ist, ist § 210 Abs 1 Satz 1 ASVG dahin auszulegen, dass die Gesamtrente im Zeitpunkt der Dauerrentenfeststellung für den letzten Arbeitsunfall gebildet werden soll. Der gesetzliche Auftrag geht dahin, die Dauerrente tunlichst bald festzustellen, weshalb die Zweijahresfrist nicht als Regel, sondern als Grenzfall angesehen werden soll. Dies gilt auch für die Gesamtrentenfeststellung (SSV-NF 16/39 mwN).

Hat der Versicherungsträger die zwingende gesetzliche Vorschrift des § 209 Abs 1 Satz 2 ASVG, wonach die Dauerrente spätestens mit Ablauf von zwei Jahren festzustellen ist, nicht eingehalten, so tritt die vorläufige Rente in die Funktion der Dauerrente mit der Rechtsfolge des § 183 Abs 2 ASVG hinsichtlich der Neufeststellung, dh dass in einem solchen Fall die Rente immer nur in Zeiträumen von mindestens einem Jahr nach der letzten Feststellung neu festgestellt werden kann, was eine Änderung der Verhältnisse voraussetzt (10 ObS 149/02p, SSV-NF 9/102 ua). Für die Einhaltung der Frist ist die Erlassung des Bescheides über die Dauerrente maßgebend (10 ObS 149/02p ua). Auch hinsichtlich des vergleichbaren Falles der Gewährung einer Gesamtrente hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass bei Versäumung der Zweijahresfrist zur Bildung einer Gesamtrente nach § 210 Abs 1 ASVG durch den Versicherungsträger die gesonderten Rentenleistungen den Zweijahreszeitraum als Dauerrenten überdauern und die Bildung einer Gesamtrente dann gemäß § 183 ASVG nur mehr bei einer Änderung der Verhältnisse zulässig ist (10 ObS 97/05w, SSV-NF 7/117 ua; RIS-Justiz RS0084362). Daraus ergibt sich, dass innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren der Gewährung der gesonderten Renten für die einzelnen Unfälle insofern provisorischer Charakter zukommt, als durch die Bildung der Gesamtrente in diese Leistungsansprüche des Versicherten auch ohne Änderung der Verhältnisse eingegriffen werden darf, während nach Ablauf dieser Zweijahresfrist die Bildung einer Gesamtrente nur mehr bei einer Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 183 ASVG zulässig ist (SSV-NF 16/6 mwN). Aus den zitierten Bestimmungen der §§ 209 und 210 ASVG geht somit deutlich der Wille des Gesetzgebers hervor, jedenfalls mit Ablauf des zweiten Jahres nach Eintritt eines Versicherungsfalles geordnete und nicht mehr jederzeit abänderbare Verhältnisse zwischen den Versehrten und dem Versicherungsträger zu schaffen. Es sollen daher unsichere und vorläufige Einschätzungen über diesen Zeitpunkt hinaus weder im einzelnen Versicherungsfall noch auch bei Vorliegen mehrerer entschädigungspflichtiger Arbeitsunfälle weitergetragen werden.

Im vorliegenden Fall hat die beklagte Partei unbestritten die für die Bildung einer Gesamtrente in § 210 Abs 1 ASVG vorgesehene Zweijahresfrist nicht eingehalten, weil die Gesamtrente unter Einbeziehung des letzten Versicherungsfalles vom 21. 8. 2001 spätestens mit 21. 8. 2003 zu bilden gewesen wäre. Die beklagte Partei macht dazu in ihrer Revisionsbeantwortung geltend, in dem Verfahren 43 Cgs 465/02y des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht habe sich herausgestellt, dass die beim Kläger vorliegenden Unfallfolgen des Arbeitsunfalles vom 21. 8. 2001 (AU 5) eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 % auf Dauer bewirkten und somit von konsolidierten Verhältnissen auszugehen sei, der Kläger habe jedoch in diesem Verfahren kein Begehren auf Bildung einer Gesamtrente aus allen Versicherungsfällen gestellt und es sei damit die Zweijahresfrist des § 210 ASVG verstrichen, während der der beklagten Partei auf Grund der auf das Gericht übergegangenen Zuständigkeit die Entscheidung über die Bildung einer Gesamtrente verwehrt gewesen sei. Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass in dem erwähnten Vorverfahren vor dem Landesgericht Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht sowohl der Kläger die Bildung einer Gesamtrente für alle fünf Arbeitsunfälle hätte begehren als auch die beklagte Partei die Notwendigkeit der Feststellung einer Gesamtrente für alle fünf Arbeitsunfälle des Klägers hätte einwenden können (SSV-NF 9/77, 7/130 mwN). Da die beklagte Partei diese Einwendung im erwähnten Vorverfahren jedoch nicht erhoben und die vom Erstgericht unterlassene Bildung einer Gesamtrente unter Einbeziehung aller fünf verfahrensgegenständlichen Arbeitsunfälle auch in ihrem Rechtsmittel nicht gerügt hat, wäre diese von der beklagten Partei erstmals mit den angefochtenen Bescheiden vom 10. 2.2004 erfolgte Bildung einer Gesamtrente für alle fünf Arbeitsunfälle nur mehr bei einer Änderung der Verhältnisse (§ 183 ASVG) zulässig gewesen. Eine solche Änderung der Verhältnisse wurde von der beklagten Partei jedoch, wie der Kläger zutreffend aufzeigt, weder in den angefochtenen Bescheiden vom 10. 2. 2004 noch im Verfahren erster Instanz geltend gemacht. Die Feststellungen und Ausführungen der Vorinstanzen zur Frage der Zulässigkeit einer Gesamtrentenfeststellung unter Einbeziehung des letzten Arbeitsunfalles vom 21. 8. 2001 (AU 5) wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 183 ASVG sind daher mangels eines entsprechenden Prozessvorbringens der beklagten Partei im Verfahren erster Instanz unbeachtlich (vgl allgemein zur diesbezüglichen Behauptungs- und Beweislast: SSV-NF 9/93, 6/15). Es ist vielmehr nach den dargelegten Ausführungen davon auszugehen, dass entsprechend dem Prozessstandpunkt des Klägers für die den angefochtenen Bescheiden der beklagten Partei vom 10. 2. 2004 unter Einbeziehung des letzten Arbeitsunfalles des Klägers vom 21. 8. 2001 (AU 5) zugrundeliegende Gesamtrentenbildung keine gesetzliche Grundlage besteht. Dies führt dazu, dass bis zu einer künftigen zulässigen Gesamtrentenfeststellung die für die Arbeitsunfälle 1 bis 4 sowie für den Arbeitsunfall vom 21. 8. 2001 (AU 5) gebührenden Leistungen ein eigenes rechtliches Schicksal haben. Dem Kläger steht daher auf Grund des in Rechtskraft erwachsenen Urteiles des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. 4. 2003, GZ 43 Cgs 465/02y-8, zu der für die Folgen der Arbeitsunfälle 1 bis 4 geleisteten 40 %-igen Gesamtrente ab 1. 1. 2002 ohne zeitliche Befristung weiterhin die Zusatzrente für Schwerversehrte samt Kinderzuschuss in der jeweiligen gesetzlichen Höhe zu. Hingegen steht dem Kläger hinsichtlich des Arbeitsunfalles vom 21. 8. 2001 (AU 5) nach der bereits zitierten Bestimmung des § 210 Abs 4 erster Satz ASVG idF BGBl I 2001/99 für den hier verfahrensgegenständlichen Zeitraum ab 1. 1. 2002 keine Versehrtenrente zu, weil die aus diesem Arbeitsunfall resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Ergebnissen des Vorverfahrens 43 Cgs 465/02y des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht und auch nach den Ergebnissen des gegenständlichen Verfahrens lediglich 10 vH beträgt und daher das rentenbegründende Ausmaß nicht erreicht. Eine aus diesem Arbeitsunfall resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit wäre gemäß § 210 Abs 4 zweiter Satz ASVG erst bei einer - noch ausstehenden - zulässigen Festsetzung einer Gesamtrente unter Einbeziehung des Arbeitsunfalles vom 21. 8. 2001 (AU 5) zu entschädigen.

Auf Grund dieser Erwägungen war in teilweiser Stattgebung der Revision des Klägers spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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