OGH 12Os12/06s

OGH12Os12/06s11.5.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Mai 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. Solé als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Dachler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mustafa Y***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Feldkirch vom 3. November 2005, GZ 22 Hv 68/05h-138, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Aicher, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Mennel zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung des Angeklagten wird nicht, hingegen jener der Staatsanwaltschaft dahin Folge gegeben, dass die Freiheitsstrafe auf 18 Jahre erhöht wird.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Mustafa Y***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB

(1) und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 und Z 3 WaffG (2) schuldig erkannt.

Danach hat er

1. am 21. November 2004 in Feldkirch den Süleyman M***** vorsätzlich getötet, indem er ihm mit einer Pistole einen aufgesetzten Schuss in den Hinterkopf links versetzte;

2. im Jahr 2004 an verschiedenen Orten Vorarlbergs unbefugt die Pistole Marke Bernardelli, Modell 68, Kal 6,35 mm, sohin eine genehmigungspflichtige Schusswaffe besessen und anlässlich der unter Punkt 1 angeführten Tatbegehung auch geführt, obwohl ihm dies mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 27. August 1997, Zl. III-15/28/97 verboten worden war.

Die Geschworenen hatten die anklagekonform nach dem Verbrechen des Mordes gerichtete Hauptfrage bejaht und die Zusatzfrage nach Notwehr (IIa) und Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (IIb) verneint. Folgerichtig entfiel die Eventualfrage III nach fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen. Die für den Fall der Verneinung der Hauptfrage I weiter gestellte Eventualfrage nach Körperverletzung mit Todesfolge (IV) und die diesbezügliche Zusatzfrage nach Notwehr (V) blieben demgemäß unbeantwortet. Die Hauptfrage nach dem Vergehen nach dem WaffG (VI) wurde von den Laienrichtern bejaht.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf § 345 Abs 1 Z 5, 6 und 8 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht. Die Verfahrensrüge (Z 5) moniert die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrages auf „Einholung der medizinischen Behandlungsunterlagen des Angeklagten über die Behandlung nach seiner Verhaftung in Belgien" zum Beweis dafür, dass er „noch zur Zeit der Verhaftung" an schweren Schmerzen litt und diese Verletzungen „im Zusammenhang mit dem Vorfall vom 21. November 2004" zustande gekommen sind (S 237/IV).

Diesen Antrag lehnte der Schwurgerichtshof zu Recht und ohne Verletzung von Verteidigungsrechten ab. Welche bestimmten für das Zufügen einer Verletzung durch einen Angriff des Süleyman M***** sprechenden Tatsachen aus dem - im Übrigen nach der Aktenlage völlig unstrittigen (S 195/III) und auch nach Auffassung der gerichtsmedizinischen Sachverständigen allenfalls „im Rahmen des Vorfalles am 21. November 2004" entstandenen (S 281/III) - Verletzungsbild rund 2 ½ Wochen nach der Tat abzuleiten seien, hat der Beweisantrag nicht dargetan, sodass er - wie der Schwurgerichtshof in seinem abweislichen Zwischenerkenntnis auch ausführlich darlegte (S 273/IV) - auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis abzielte. Hiezu kommt, dass bereits im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens (ON 71) versucht wurde, Behandlungsunterlagen beizuschaffen, worauf nur jene in der ON 102 erliegenden, dem Verteidiger unvollständig erscheinenden Schriftstücke übermittelt wurden. Es hätte daher zudem der Anführung jener Umstände bedurft, die den Erfolg eines weiteren Ersuchens, aber auch ein maßgebliches, den Wahrspruch beeinflussendes Ergebnis erwarten ließen. Die auf § 345 Abs 1 Z 6 StPO gestützte Rüge macht geltend, die Fragen seien „derart verwirrend formuliert" worden, dass es den Geschworenen nicht möglich war, sie richtig zu beantworten. Die Zusatzfrage II habe zu Unrecht auf das Vorliegen von Notwehr oder eines Notwehrexzesses aus asthenischem Affekt gelautet; es hätten vielmehr getrennte Zusatzfragen gestellt werden müssen. Deshalb sei auch die Eventualfrage III nach fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen infolge Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt unrichtig formuliert worden.

Dem zuwider ist nach Lehre und Judikatur auch dann (nur) eine einzige - alternativ gefasste - Zusatzfrage zu stellen, wenn aufgrund des Tatsachenvorbringens mehrere Strafausschließungsgründe (im prozessualen Sinn) in Betracht kommen. Andernfalls würde nämlich das Ergebnis der Abstimmung - zum Nachteil des Angeklagten - dem wahren Willen der Geschworenen zuwiderlaufen, wenn diese zwar jeden einzelnen dieser Straflosigkeitsgründe mehrheitlich verneinen, die Summe aller Voten aber eine Mehrheit für die Annahme (irgend-)eines Straflosigkeitsgrundes ergibt (Schindler, WK-StPO § 313 Rz 32). Ist daher - wie hier - eine Frage nach Notwehr indiziert, wird das sogenannte „Drei-Fragen-Schema" dem Auffassungsvermögen der Geschworenen am besten gerecht. Danach ist die Hauptfrage darauf zu richten, ob der Angeklagte schuldig ist, die der Anklage zugrunde liegende strafbare Handlung begangen zu haben (§ 312 Abs 1 StPO). Die Zusatzfrage hat alternativ nach Notwehr oder Notwehrexzess aus asthenischem Affekt zu lauten, wobei der Fall der Überschreitung des gerechtfertigten Maßes der Verteidigung (§ 3 Abs 2 erster Fall StGB) und jener offensichtlich unangemessener Verteidigung (§ 3 Abs 2 zweiter Fall StGB) deutlich auseinanderzuhalten sind. Schließlich ist eine Eventualfrage nach fahrlässigem Notwehrexzess aus asthenischem Affekt zu stellen, welche im Fall der Bejahung der Hauptfrage und der Zusatzfrage, aber grundsätzlich auch im Fall der Verneinung der Hauptfrage zu beantworten ist (WK-StPO § 313 Rz 29 ff, § 317 Rz 29; RIS-Justiz RS0100451). Ein Freispruch wegen „gerechter Notwehr" (§ 3 Abs 1 StGB) hätte demnach nur dann zu erfolgen, wenn die Geschworenen nach Bejahung der Hauptfrage die Zusatzfrage ebenfalls bejahen und die Eventualfrage verneinen. Darüber wurden die Laienrichter auch ausdrücklich und ausführlich belehrt (S 407-409/IV). In Richtung einer irrtümlichen Annahme einer Notwehrsituation (Putativnotwehr - § 8 StGB) wurde die (zusammengefasste) Zusatzfrage zu Recht nicht ausgedehnt. Zwar hat sich der Beschwerdeführer damit verantwortet, er habe bei Ansichtigwerden des Messers in der Hand des Gegners um sein Leben gefürchtet, doch übergeht das Rechtsmittel, dass er stets und konsequent jeglichen Tötungsvorsatz in Abrede gestellt und lediglich eingeräumt hat, mit der Schusswaffe zugeschlagen zu haben, wobei sich ein Schuss löste (S 97, 227 f/II; 75, 81, 83/IV).

Beruft sich der Angeklagte aber beim Vorwurf der unterlassenen Aufnahme einer Zusatzfrage in den Fragenkatalog oder eines zusätzlichen Straflosigkeitsgrundes in diese auf ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes Beweisergebnis (Tatsachenvorbringen iSd § 314 Abs 1 StPO) - wie hier konkret auf den Inhalt seiner Verantwortung - so darf er den Nachweis der geltend gemachten Nichtigkeit nicht bloß auf der Grundlage einzelner, isoliert aus dem Kontext der Gesamtverantwortung gelöster Teile davon führen, sondern hat vielmehr die Einlassung in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen (vgl WK-StPO § 313 Rz 14 f). Danach war aber die begehrte Fragestellung nicht indiziert.

Die Instruktionsrüge (Z 8) bezeichnet die den Geschworenen schriftlich erteilte Belehrung als „widerspruchsvoll, unrichtig und undeutlich", weil die Begriffe „Angriff" sowie „unmittelbar drohender Angriff" nicht „nachvollziehbar" erklärt worden seien. Die Rechtsbelehrung hat grundsätzlich die in den gestellten Fragen aufscheinenden Rechtsbegriffe zu erklären. Dabei bedürfen allgemein verständliche Ausdrücke keiner Erläuterung (Fabrizy StPO9 § 321 Rz 2 und 3). Die Begriffe „Angriff" und „unmittelbar drohender Angriff" gehören dem allgemeinen Sprachgebrauch an und bedürfen daher grundsätzlich keiner weiteren Erörterung (Mayerhofer StPO5 § 345 Z 8 E 30a).

Im Übrigen finden sich in der Instruktion aber ohnedies entsprechende Erklärungen. So wird der Angriff als „Verletzung eines geschützten Rechtsgutes durch menschliches Verhalten; gemeint ist damit ein Verhalten, das die Verletzung eines Rechtsguts befürchten lässt" definiert (S 383/IV). Auch die kritisierte - offensichtlich auf einem Diktatfehler beruhende - Ausführung: „Der Angriff muss gegenwärtig, dh. unmittelbar bevorstehend, in enger räumlicher und zeitlicher Nähe zum Angriffsobjekt sein" stellt keine unrichtige Belehrung dar, sondern verdeutlicht vielmehr die erforderliche Nähe des Angriffs zur Abwehrhandlung.

Das Vorbringen schließlich, aus der gestrichenen Zeile („keine Zusatzfrage") in der vom Obmann der Geschworenen gemäß § 331 Abs 3 StPO verfassten Niederschrift ergebe sich, dass die Laienrichter die Zusatzfrage „nicht verstanden" hätten, ist reine Spekulation und bringt keinen Nichtigkeitsgrund zur gesetzmäßigen Darstellung. Obwohl sich die Nichtigkeitsbeschwerde argumentativ nur gegen den Schuldspruch 1 richtet, erstrecken sich die Rechtsmittelanträge (... den Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufzuheben ...) auch auf den Schuldspruch 2. Diesbezüglich fehlt es aber an der von der Strafprozessordnung vorausgesetzten deutlichen und bestimmten Bezeichnung von Nichtigkeitsgründen oder jener Umstände, welche solche bilden sollen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über Mustafa Y***** unter Anwendung von § 28 Abs 1 StGB nach § 75 StGB eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren.

Bei der Strafzumessung wertete es als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen und die mehrfache Qualifikation des Waffendeliktes; als mildernd „das teilweise Geständnis, die bisherige Unbescholtenheit des Angeklagten, die durch Alkoholisierung bedingte Einschränkung der Zurechnungsfähigkeit beim Mord" und die aktive Mitwirkung bei der Sicherstellung der Tatwaffe. Gegen den Strafausspruch richten sich die Berufungen des Angeklagten, der eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe anstrebt, und der Staatsanwaltschaft, welche eine schuld- und tatangemessene Erhöhung der Freiheitsstrafe beantragt; nur jene der Staatsanwaltschaft ist berechtigt.

Zunächst ist festzuhalten:

Der Angeklagte hat nur zugestanden, an einer Auseinandersetzung mit Süleyman M***** verwickelt gewesen zu sein. Jedes Verschulden an dessen Tod hat er aber in Abrede gestellt. Die Verantwortung stellt weder ein Geständnis noch einen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung im Sinne von § 34 Abs 1 Z 17 StGB dar. Die Alkoholisierung wirkt ebenfalls nicht mildernd, weil die dadurch bewirkte Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit nach den Umständen des Falles durch den Vorwurf aufgewogen wird, dass sich der Täter in diesen Zustand versetzt hat (§ 35 StGB).

Entgegen dem Rechtsmittel des Angeklagten hat nicht Süleyman M***** die Auseinandersetzung vor dem Lokal gesucht, sondern ist Mustafa Y***** diesem nachgegangen und hat ihn angesprochen (vgl Aussage des Zeugen K***** S 135/IV). Nach Angaben der Zeugin M***** hat sich Süleyman M***** nach Beginn der Auseinandersetzung „mit Kraft" vom Angeklagten gelöst und sich umgedreht. Dieser hat ihn dann von hinten mit beiden Händen gepackt, ihn (letztlich zu Boden) gestoßen (vgl insbes S 115/IV) und ihn dann mit einem angesetzten Schuss in den Kopf getötet. Daraus ist ersichtlich, dass die relevierten Milderungsgründe nicht vorliegen, weil weder eine notwehrähnliche Situation gegeben war noch die Initiative zum Streit von Süleyman M***** ausging.

Da Mustafa Y***** bereits einige Zeit eine Waffe trotz eines aufrechten Waffenverbotes besessen hat, wurde der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 2 StGB korrekt nur im eingeschränkten Umfang der „bisherigen Unbescholtenheit" berücksichtigt.

Wie die Staatsanwaltschaft zutreffend aufzeigt, hat der Angeklagte heimtückisch gehandelt, weil er den bereits am Boden liegenden Süleyman M***** durch einen angesetzten Kopfschuss getötet hat. Dies begründet den weiteren Erschwerungsgrund des § 33 Z 6 StGB. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass der Angeklagte die Tat rücksichtslos und in einer Weise ausgeführt hat, dass gegen sie keine Vorsicht gebraucht werden konnte (§ 32 Abs 3 StGB), so wird die vom Erstgericht ausgesprochene Freiheitsstrafe dem Schuld- und Unrechtsgehalt der Tat nicht gerecht. Sie war daher in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf das im Spruch angeführte Ausmaß zu erhöhen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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