Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob einem österr. Kind, dessen deutscher Vater in der Bundesrepublik Deutschland eine Haftstrafe verbüßt, ein sogenannter Haftvorschuss nach § 4 Z 3 UVG unter Berücksichtigung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der geltenden Fassung (im Folgenden nur Verordnung Nr. 1408/71 ) zu gewähren ist, obwohl nach dem Text des § 4 Z 3 UVG ein Haftvorschuss nur bei Freiheitsentzug im Inland zu gewähren ist.
Der Minderjährige ist ein uneheliches Kind der Susanne M***** und des Lutz Michael O*****. Mit der Obsorge ist die Mutter allein betraut, in deren Haushalt der Minderjährige auch Pflege und Erziehung genießt. Die Mutter und der Minderjährige sind österreichische Staatsangehörige, der Vater ist deutscher Staatsbürger. Die Mutter ist in Österreich unselbständig beschäftigt, der Vater war in Deutschland selbständig in der Computerbranche tätig. Die letzte Unterhaltsfestsetzung erfolgte mit Beschluss vom 5. Juni 2000 mit 7.000 S = 508,71 EUR monatlich. Mit Beschluss vom 17. Oktober 2000 wurden dem Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe für den Zeitraum 1. Oktober 2000 bis 30. September 2003 bewilligt. Am 7. Mai 2002 langte beim Erstgericht die Mitteilung des Jugendwohlfahrtsträgers gemäß § 21 UVG ein, dass sich der Vater in Untersuchungshaft befinde. Haftbeginn war der 15. März 2002; er wurde jedoch am 15. Juli 2002 wieder aus der Haft entlassen. Zu einer Umwandlung der Titel- in Haftvorschüsse kam es daher nicht (§ 7 Abs 2 UVG). Mit Beschluss vom 10. September 2003 wurden dem Minderjährigen die Titelvorschüsse bis 30. September 2006 weiter gewährt. Am 25. Mai 2004 langte beim Erstgericht neuerlich eine Mitteilung ein, dass sich der Vater seit Februar 2004 in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart, Bundesrepublik Deutschland, befinde. Die Verurteilung erfolgte nach der Mitteilung wegen diverser Straftaten im Zusammenhang mit der früheren Tätigkeit des Vaters als Geschäftsführer einer GmbH durch ein deutsches Gericht.
Der Vater beantragte mit Schreiben vom 6. Juni 2004 die Enthebung von der Unterhaltsverpflichtung für die Dauer seiner Haft; der Jugendwohlfahrtsträger stimmte diesem Antrag zu, beantragte jedoch gleichzeitig die Gewährung von Haftvorschüssen gemäß § 4 Z 3 UVG. Das Erstgericht stellte die Titelvorschüsse mit Ablauf des Mai 2004 ein und bewilligte gleichzeitig für den Zeitraum 1. Juni 2004 bis 31. Mai 2007 Haftvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG, wobei es den Präsidenten des Oberlandesgerichts um die Auszahlung der Vorschüsse (Punkt 3.) ersuchte und dem Unterhaltsschuldner auftrug, die Pauschalgebühr zu zahlen (Punkt 4.). In der Begründung verwies das Erstgericht auf § 4 Z 3 UVG und darauf, dass dem Unterhaltsschuldner auf Grund einer Anordnung in einem ausländischen strafgerichtlichen Verfahren für die Zeit vom 1. Februar 2004 bis voraussichtlich 31. Mai 2007 die Freiheit entzogen sei und er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen könne. In der rechtlichen Beurteilung verwies das Erstgericht auf die entsprechenden Bestimmungen des UVG und setzte sich mit der Frage der Haft im In- oder Ausland nicht näher auseinander.
Das Rekursgericht änderte über Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien diesen Beschluss dahin ab, Punkt 2. habe zu lauten, dass der Antrag, dem Kind vom 1. Juni 2004 bis 31. Mai 2007 gemäß § 4 Z 3 UVG monatliche Unterhaltsvorschüsse in der jeweiligen Höhe nach § 6 Abs 2 UVG zu gewähren, abgewiesen werde und die Punkte
3. und 4. des angefochtenen Beschlusses zu entfallen haben. In rechtlicher Hinsicht führte die zweite Instanz im Wesentlichen aus, gemäß § 4 Z 3 UVG seien Vorschüsse auch zu gewähren, wenn dem Unterhaltsschuldner auf Grund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren länger als einen Monat im Inland die Freiheit entzogen wird und er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann. Nach stRsp des Obersten Gerichtshofs bleibe angesichts des klaren und eindeutigen Gesetzeswortlauts mit seiner Beschränkung auf Haft im Inland kein Raum für eine Auslegung des § 4 Z 3 UVG, wonach der Haftrichtsatzvorschuss nach dieser Bestimmung auch bei Freiheitsentzug im Ausland gewährt werden könne. Daran habe sich auch durch den EU-Beitritt Österreichs nichts geändert. Im Hinblick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 20. Jänner 2005, Zl. C-302/02 , bestehe kein Anlass, von dieser Rsp des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Zulässigkeit eines Unterhaltsvorschusses bei Haft im Ausland abzugehen. Der Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 3 UVG sei daher abzuweisen. Trotz der einhelligen Rsp des Obersten Gerichtshofs sei der ordentliche Revisionsrekurs jedoch zulässig. Aus der genannten Entscheidung des EuGH gehe nämlich hervor, dass Art 3 und 12 der Verordnung Nr. 1408/71 einer entsprechenden nationalen Regelung, die eine Einschränkung auf Haft im Inland vorsehe, nur unter den konkreten Umständen des Einzelfalls nicht entgegenstehe. In Rz 39 führe der EuGH ausdrücklich aus: „Das auf einen Arbeitnehmer, der sich in einer der von den Bestimmungen des Titels II der Verordnung Nr. 1408/71 erfassten Situationen befindet, anzuwendende Recht ist somit anhand der genannten Bestimmungen zu ermitteln. Wie die Generalanwältin in Nr. 37 ihrer Schlussanträge ausführt, ist zwar die Anwendung der Bestimmungen in einer anderen Rechtsordnung nicht stets ausgeschlossen. Die Kommission weist darauf hin, dass ein solcher Fall insbesondere dann eintreten kann, wenn zwei Ehegatten in zwei verschiedenen Mitgliedsstaaten arbeiten, deren jeweilige Rechtsordnung vergleichbare Familienleistungen vorsieht (vgl. hiezu Urteil vom 9. Dezember 1992 in der Rechtssache C-119/91 - Mc Menamin, Slg 1992, I-6393). Im vorliegenden Fall enthalten jedoch die dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen keine Anhaltspunkte dafür, dass Nils Laurin Effing in einer anderen Eigenschaft als der des „Familienangehörigen" seines Vaters iSd Verordnung 1408/71 unter diese Verordnung fallen könnte." Abweichend zu dieser Fallkonstellation sei hier jedoch zu beachten, dass nach der Aktenlage die Mutter in Österreich unselbständige Arbeitnehmerin sei. Der Minderjährige könne daher auch in seiner Eigenschaft als Familienangehöriger der Mutter unter die Verordnung Nr. 1408/71 fallen.
In weiterer Folge habe der EuGH für den Ausgangsfall damit argumentiert, dass § 13 Abs 2 a der genannten Verordnung zur Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften in einem Fall, in dem der Arbeitnehmer iSd Verordnung Nr. 1408/71 im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt sei, diene. Art 13 Abs 2 f leg.cit. regle die Fälle, in denen der Betroffene, etwa, weil er seine berufliche Tätigkeit beendet habe, den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaats nicht weiterhin unterliege, ohne dass die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gemäß den Vorschriften der Art 13 bis 17 der Verordnung Nr. 1408/71 auf ihn anwendbar würden. Dann unterliege der Betroffene den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaats, in dem er wohne. Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, die darin bestünden, dass ein Strafgefangener in dem Mitgliedsstaat, in dem er mit der Verbüßung seiner Strafe begonnen habe, jede Berufstätigkeit beendet habe und auf seinen Antrag von einer Haftanstalt dieses Mitgliedstaats in eine Haftanstalt seines Herkunftsmitgliedsstaates überstellt werde, um dort die verbleibenden 15 Monate seiner Haft zu verbüßen, könnten nach den Kollisionsnormen des Art 13 der Verordnung Nr. 1408/71 die auf ihn anzuwendenden Rechtsvorschriften nicht die des Mitgliedsstaates sein, aus dem er überstellt worden sei (damit jene des österr. Rechts). Auch diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt, weil keine Überstellung des Unterhaltsschuldners von einem Land ins andere erfolgt sei. Trotz der bislang einhelligen Rsp könnten wegen dieser Unterschiede in den Sachverhalten daher immer noch Zweifel daran bestehen, ob § 4 Z 3 UVG dann, wenn die Mutter, bei der sich das Kind befinde, Arbeitnehmerin iSd Verordnung Nr. 1408/71 sei und in Österreich lebe, und ein deutscher Staatsangehöriger in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Haftstrafe verurteilt worden sei, die er dort auch verbüße, die Beschränkung auf eine Haft im Inland aus europarechtlicher Sicht zulässig sei. Da der Oberste Gerichtshof diese Frage bislang aber in einhelliger Rsp bejaht habe, schließe sich das Rekursgericht dieser Auffassung an und leite nicht selbst ein Vorabentscheidungsverfahren ein.
Der Revisionsrekurs des Minderjährigen ficht diesen Beschluss (unter Bedachtnahme auf das Vorbringen im Rekursantrag, wonach der Vater seit 18. August 2004 wieder auf freiem Fuß ist) insofern an, als während der Haft des Vaters in Deutschland vom 1. Juni 2004 bis 17. August 2004 keine Unterhaltsvorschüsse gewährt werden. Der Revisionsrekurs ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 4 Z 3 UVG idF UVG-Novelle 1980, BGBl 1980/278, sind vom Bund Vorschüsse auf den gesetzlichen Unterhalt minderjähriger Kinder auch zu gewähren, wenn dem Unterhaltsschuldner aufgrund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren länger als einen Monat im Inland die Freiheit entzogen wird und er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann. Danach besteht kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nach dieser Gesetzesstelle, wenn die Haftstrafe nicht in Österreich, sondern in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft verbüßt wird. Nach den Gesetzesmaterialien zur UVG-Novelle 1980 sei die Einbeziehung der Kinder Strafgefangener in den Leistungskatalog des UVG nicht nur rechts- und sozialpolitisch geboten, sondern auch rechtssystematisch und rechtsdogmatisch vertretbar. Auch sie seien unschuldige Opfer der begangenen Straftaten, die Fürsorge und Beachtung verdienten. Den Staat treffe daher schon nach dem Gesichtspunkt der im obliegenden Pflicht zur Unterhaltssicherung auch die Pflicht, entweder für eine entsprechende Entlohnung der im Strafvollzug arbeitenden Strafgefangenen oder dafür zu sorgen, dass sie auf andere Weise ihre Unterhaltspflicht genügen könnten. Diese Überlegungen machten es notwendig, die Regelung auf die Kinder solcher Strafgefangener zu beschränken, die sich in einer Einrichtung des Strafvollzugs im Inland befinden. Ausgesprochener Wille des Gesetzgebers war es daher, den Haftvorschuss nach § 4 Z 3 UVG nur bei Freiheitsentzug im Inland zu gewähren. Unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zur UVG-Novelle 1980 (EBzRV 276 BlgNR 15. GP, 9 f) hat der Oberste Gerichtshof Vorschüsse nach § 4 Z 3 UVG nur bei
Freiheitsentzug im Inland gewährt (1 Ob 563/94 = SZ 67/100 = EFSlg
75.679 = JBl 1995, 259 = ÖA 1995, 62 = RZ 1995/48 = ZfRV 1994, 248
und die folgende Rsp; RIS-Justiz RS0076288). Einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot hat die Rsp bisher aus der Überlegung verneint, dem § 4 Z 3 UVG liege die Fiktion eines Verhältnisses von Leistung (das heißt Arbeit in der Haft) und Gegenleistung (Unterhaltsvorschuss) zugrunde. Die Arbeit, die anlässlich einer Haft im Ausland geleistet werde, komme aber nicht dem Bund zugute.
Entgegen der Rechtsmeinung der zweiten Instanz ist die Rechtslage nach Vorliegen der - bereits vom Rekursgericht richtig wiedergegebenen - Entscheidung des EuGH vom 20. Jänner 2005, C-302/02
- Nils Laurin Effing geklärt. So wurde seitdem bereits in den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs AZ 2 Ob 44/05t, 6 Ob 45/05v = RZ 2005, 228 EÜ109 und 8 Ob 23/05y (RIS-Justiz RS0076288 [T7, 8], RS0119865) ausgesprochen, dass die auf § 4 Z 3 UVG gegründete Verweigerung des Unterhaltsvorschusses für ein in Österreich lebendes Kind eines deutschen Staatsangehörigen, der eine Strafe im Staat seiner Herkunft verbüßt, mit den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 , insbesondere mit dessen Art 3 ebenso im Einklang wie mit Art 12 EG steht und keine (mittelbare) Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit verwirklicht. Die bisherige Rsp des Obersten Gerichtshofs zu § 4 Z 3 UVG, wonach Haftvorschüsse nach § 4 Z 3 UVG nur bei Freiheitsentzug im Inland gewährt werden (RIS-Justiz RS0076288), wurde daher ausdrücklich aufrecht erhalten. Für eine neuerliche Befassung des Obersten Gerichtshofs bzw. für ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH besteht keine Veranlassung. Der Hinweis im Rechtsmittel auf Art 12 iVm Art 7 Abs 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Im Folgenden nur Verordnung Nr. 1612/68 ) geht ins Leere. Abgesehen davon, dass der EuGH in seiner
E C-302/02 den diesbezüglichen Ausführungen der Generalanwältin in ihren Schlussanträgen (EuGH Slg. 2005 I-00553; ähnlich Neumayr in Schwimann, ABGB3 § 4 UVG Rz 69) gerade nicht gefolgt ist, scheitert eine Anwendbarkeit dieser Verordnung Nr. 1612/68 im vorliegenden Fall schon daran, dass sich der Unterhaltsschuldner (Vater) in Österreich nicht als Arbeitnehmer iSd Art 39 EG, sondern als Selbständiger aufhielt (vgl. S 3 des Aktes). Zudem versagt das von der Generalanwältin für die Annahme einer mittelbaren Diskriminierung iSd Entscheidung des EuGH vom 23. Mai 1996, C-237/94 , Slg. 1996, I-2617 - O'Flynn primär herangezogene Argument (TZ 65 der Schlussanträge), nur Verurteilte ausländischer Staatsangehörigkeit könnten eine in Österreich verhängte Freiheitsstrafe außerhalb Österreichs verbüßen, weil es sich hier nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen um eine im Ausland (Bundesrepublik Deutschland) verhängte Haft handelt. Da eine bloße abweichende Auslegungsmöglichkeit, der - wie dargelegt
- weder der EuGH noch der Oberste Gerichtshof in den Vorentscheidungen gefolgt ist, noch das Rekursgericht selbst folgt, keine erhebliche Rechtsfrage begründet, ist der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.
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