OGH 1Ob33/06v

OGH1Ob33/06v25.4.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 9. Mai 2002 verstorbenen Aloisia L***** infolge Rekurses der Erbschaftskäuferin Dr. W. S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Heinz-Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 9. Dezember 2005, GZ 14 Nc 30/05a-3, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Rekurswerberin stellte im September 2005 beim Verlassenschaftsgericht den Antrag, den Verlassenschaftskurator abhandlungsbehördlich anzuweisen bzw zu ermächtigen, eine Amtshaftungsklage mit einem Streitwert von 50.000 EUR gegen die Republik Österreich einzubringen. Im Vermögen der Verlassenschaft seien Schäden eingetreten, die durch die Unterlassung abhandlungsgerichtlicher Aufsichtsmaßnahmen gegenüber dem (mittlerweile) enthobenen Verlassenschaftskurator bewirkt worden seien.

Jene Richterin des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, die das Verlassenschaftsverfahren geführt hatte, erklärte sich für die Entscheidung über diesen Antrag als befangen, ebenso die nach der Geschäftsverteilung zuständige Vertretungsrichterin. Daraufhin rügte die Rekurswerberin die Nichterledigung ihres Antrags mit mehreren an das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien als übergeordnetem Gerichtshof gerichteten Fristsetzungsanträgen. Weiters brachte sie beim Oberlandesgericht Wien einen Delegierungsantrag gemäß § 9 Abs 4 AHG ein, in welchem sie beantragte, „allenfalls nach ausdrücklicher Feststellung der Ausgeschlossenheit sämtlicher Richter des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, allenfalls des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien, in analoger Anwendung des § 9 Abs 4 AHG das Verlassenschaftsverfahren an das Bezirksgericht Mödling oder an das Bezirksgericht Döbling zu delegieren". Es läge keine Befangenheit, sondern die Ausgeschlossenheit der Richter des Abhandlungsgerichts vor, da § 9 Abs 4 AHG analog auch in einem dem Amtshaftungsprozess vorausgehenden Verfahren anzuwenden sei, hier also im Verfahren über die abhandlungsbehördliche Genehmigung zur Einbringung der Amtshaftungsklage. Ob auch jene Richter des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien, die über die Fristsetzungsanträge zu entscheiden hätten (und bisher noch nicht entschieden hatten), ausgeschlossen seien, werde „offen gelassen". Für eine solche Annahme spreche die Tatsache, dass ein Beschluss über die Fristsetzungsanträge „mittelbar Bestandteil jenes Verfahrens sei, welches sich auf den Antrag auf abhandlungsbehördliche Genehmigung der Amtshaftungsklage" beziehe.

Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das Oberlandesgericht Wien die Akten dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zurück. In der Begründung wird zum Ausdruck gebracht, dass die Voraussetzungen für eine Delegation gemäß § 30 JN nicht vorlägen, da „bisher nur die Befangenheit von zwei Richterinnen des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien zur Entscheidung über den Antrag auf abhandlungsbehördliche Klagsermächtigung festgestellt" worden sei. Auch die Voraussetzungen für eine Delegierung durch das Oberlandesgericht Wien unter analoger Anwendung des § 9 Abs 4 AHG seien nicht gegeben.

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Rekurs der Antragstellerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Bekämpft wird eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien in Delegierungsfragen, die in Wahrnehmung erstgerichtlicher Funktion erging, sodass sie ungeachtet des Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 ZPO bekämpfbar ist. Einer Anrufung des Obersten Gerichtshofs steht auch nicht der Anfechtungsausschluss des § 517 ZPO entgegen (vgl RIS-Justiz RS0116349). Die formelle Beschwer der Antragstellerin ist zu bejahen, da der Spruch der Entscheidung nicht das gewährt, was sie begehrt hat, nämlich die Delegation an ein anderes Bezirksgericht (vgl Fasching in Fasching/Konecny² IV/1 Einleitung Rz 102).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach die sinngemäße Anwendung des § 9 Abs 4 AHG in Verfahren, die dem Amtshaftungsverfahren vorausgehen und die Voraussetzung für die Einbringung einer Amtshaftungsklage bilden, als notwendig erachtet (Schragel, AHG³ Rz 255 mwN; RIS-Justiz RS0053097). Unzweifelhaft stellt das einer Amtshaftungsklage vorangehende Verfahren auf abhandlungsbehördliche Genehmigung dieser Klage ein solches Verfahren dar. Nach § 9 Abs 4 AHG sollen alle betroffenen Gerichte, aus deren Verhalten ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet wird, von der Entscheidung über den Anspruch ausgeschlossen sein (Schragel aaO mN aus der Rsp). Richter eines Gerichts(hofs) sollen also nicht über Amtshaftungsansprüche erkennen, die ein Verhalten irgendeines Mitglieds desselben Gerichts(hofs) zum Gegenstand haben (JBl 1999, 613; RZ 1990/108 u. a.). Wenn demnach ein Bezirksgericht, aus dessen behaupteter Rechtsverletzung ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet wird, über die pflegschaftsgerichtliche oder - hier - abhandlungsgerichtliche „Genehmigung" der Führung eines Amtshaftungsprozesses entscheiden muss, ist in sinngemäßer Anwendung des § 9 Abs 4 AHG vom übergeordneten Gerichtshof ein anderes Bezirksgericht zur Entscheidung zu bestimmen. Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall nicht das Bezirksgericht Innere Stadt Wien über den Antrag auf abhandlungsgerichtliche „Anweisung bzw Ermächtigung" zur Einbringung einer - allerdings noch gar nicht vorliegenden - Amtshaftungsklage absprechen kann, sondern dass das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien als übergeordneter Gerichtshof in analoger Anwendung des § 9 Abs 4 AHG ein anderes Gericht zur Entscheidung über diesen Antrag bestimmen muss. Dabei ist unmaßgeblich, dass die Rekurswerberin in ihrem Antrag auf Delegierung ein Gericht, an das delegiert werden möge, benennt, welches gar nicht im Sprengel des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien liegt, denn jedenfalls ist das dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien (unmittelbar) übergeordnete Gericht zur Entscheidung berufen. Eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien käme nur dann in Frage, wenn die angeregte Amtshaftungsklage nicht nur auf ein angebliches Fehlverhalten eines Richters des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien gestützt würde, sondern auch auf ein solches von Richtern des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als übergeordnetem Gerichtshof. In einem solchen Fall wären in analoger Anwendung des § 9 Abs 4 AHG alle Richter des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien und des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien von der Entscheidung über das den Amtshaftungsanspruch betreffende Verfahren ausgeschlossen und hätte das übergeordnete Oberlandesgericht ein anderes Gericht - außerhalb des Sprengels des Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien gelegen - als zuständig zu bestimmen (RIS-Justiz RS0049188). Diese Vorraussetzungen liegen hier nicht vor, da ein Fehlverhalten auch von Richtern des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien nicht behauptet, sondern das Vorliegen eines solchen ausdrücklich „offen gelassen" wird. Eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien, ein anderes Gericht zu bestimmen, bestand sohin nie, sodass die „Zurückstellung" (= Übermittlung) der Akten an das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien, wenngleich im angefochtenen Beschluss trotz funktioneller Unzuständigkeit auch materiell auf die Voraussetzungen für eine Delegierung eingegangen wurde, nicht zu beanstanden ist. Dieses Gericht wird über den Delegierungsantrag, dem im Übrigen nicht zu entnehmen ist, warum das Verlassenschaftsverfahren insgesamt - und nicht nur das Verfahren über die behaupteten amtshaftungsrechtlichen Ersatzansprüche - gemäß § 9 Abs 4 AHG zu delegieren wäre, zu entscheiden haben. Dem Rekurs kommt daher keine Berechtigung zu.

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