OGH 11Os129/05p

OGH11Os129/05p14.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. März 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gödl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Halil A***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 5. September 2005, GZ 37 Hv 150/04t-66, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Aicher, sowie des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Netzer zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung gegen den Strafausspruch wird Folge gegeben, die Freiheitsstrafe auf acht Monate herabgesetzt und hievon ein Teil von sechs Monaten gemäß § 43a Abs 3 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Der Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wird Folge gegeben, das Adhäsionserkenntnis aufgehoben und die Privatbeteiligte Songül A***** mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Halil A***** im zweiten Rechtsgang der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (I und II) sowie „im Zusammenhalt mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 24. August 2004" der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 StGB (III) schuldig erkannt. Demnach hat er - soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Relevanz - in Abtenau

(I) von April 1999 bis Ende Juli 2001 unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber der seiner Aufsicht unterstehenden, am 3. März 1985 geborenen und somit minderjährigen Nichte Songül A***** diese mehrfach zur Unzucht missbraucht, indem er sie auf das Bett drückte, sich auf sie legte und mit seinem entblößten, erigierten Penis ihre nackte Scheide zumindest berührte, bzw dadurch, dass er ihren Kopf gegen seinen entblößten Penis drückte und sie an der Brust und der Scheide wiederholt betastete;

(II) zu einem unbekannten Zeitpunkt im Jahre 1999 unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber der seiner Aufsicht unterstehenden, am 29. Februar 1984 geborenen und somit minderjährigen Nichte Miray A***** diese dadurch, dass er sich zwischen ihre Beine legte und längere Zeit einen Geschlechtsverkehr simulierte, wobei er ein erigiertes Glied hatte, zur Unzucht missbraucht.

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z 5, 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Ihr kommt aus den in der Stellungnahme der Generalprokuratur zutreffend aufgezeigten Gründen keine Berechtigung zu:

Den einleitenden Bemerkungen (S 12 f der Beschwerde) der Mängelrüge (Z 5) zufolge strebt der Beschwerdeführer, der formelle Begründungsmängel in der Bedeutung des bezeichneten Nichtigkeitsgrundes auch in der Folge nicht aufzeigt, die Ausführung einer Tatsachenrüge (Z 5a) an. Die angestellten Plausibilitäts- und Wahrscheinlichkeitserwägungen mit dem Ziel, dass der Aussage der - nach den urteilsmäßigen Annahmen auf dem Entwicklungsstand eines 10-jährigen Kindes (US 5) verbliebenen - Songül A***** weder Beweiskraft noch Glaubwürdigkeit zukommen soll, gepaart mit der Forderung, das Erstgericht hätte Feststellungen treffen müssen, dass es eben zu sexuellen Übergriffen gar nicht gekommen sei, vermögen erhebliche Bedenken am Ausspruch über die Schuld nicht zu erwecken. In seiner Rechtsrüge (Z 9 lit a ) problematisiert der Beschwerdeführer vorerst die Frage des Vorliegens eines Autoritätsverhältnisses gegenüber Songül A***** und Miray A***** im Hinblick auf die im vorliegenden Fall ausschließlich in Betracht kommende zweite Alternative des § 212 Abs 1 StGB (Onkel - Nichte). Diesbezüglich sei vorweg darauf hingewiesen, dass diese Urteilsannahme - im Sinn der hiefür geforderten „besonderen Begründung" - auf mängelfrei und in kritischer Gesamtschau aller Beweisergebnisse getroffenen Feststellungen beruht (US 5 iVm 8, 11f), wobei eine Änderung der Sachverhaltsgrundlage in Bezug auf den ersten Rechtsgang nicht ersichtlich ist (siehe dazu auch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 24. August 2004, AZ 11 Os 39/04 = ON 46).

Auch wurde den weiteren Beschwerdeausführungen (S 8f und 11f) zuwider die (missbräuchliche) Ausnützung des Autoritätsverhältnisses keineswegs - wie bei der ersten Alternative dieser Bestimmung - „präsumiert", sondern ausdrücklich sowohl in Bezug auf Songül A***** (US 7) als auch auf Miray A***** (US 8) konstatiert, sodass die Rechtsrüge insoweit gleichfalls fehlschlägt. Seine Stellung gegenüber dem Opfer nützt nämlich nicht nur der Täter aus, der seine Autorität einsetzt, um den (anders gearteten) Willen der geschützten Person - etwa durch Überredung, Fordern, Versprechungen usw - derart zu beeinflussen, dass diese die geschlechtliche Handlung setzt oder an sich geschehen lässt, sondern auch derjenige, der sich durch das Autoritätsverhältnis ihm eröffnende Möglichkeiten für unzüchtige Zwecke zunutze macht. Unumgänglich ist allerdings, dass der sexuelle Missbrauch erst durch ein - zumindest faktisch bestehendes - Abhängigkeitsverhältnis der zur Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht anvertrauten minderjährigen Person ermöglicht oder doch wenigstens entscheidend erleichtert wird (SSt 52/24 und 11 Os 29/05g mwN). Unter Berücksichtigung dieser Prämissen liegt hier - nach den im Zusammenhang zu lesenden Feststellungen (US 7, 8, 12) - ein Ausnützen der Aufsichtsstellung als solche vor und nicht bloß das einer sich lediglich im Zusammenhang damit bietenden Gelegenheit. Die Ausführungen zu den Beweisergebnissen und die wiederholte Behauptung, es würden diese zur Verwirklichung der zur Verurteilung gelangten Tatbestände oder einzelner Tatbildelemente nicht ausreichen, entbehren einer Ausrichtung an den Prozessgesetzen. Der weiteren (S 2 ff der Beschwerdeausführungen) Rechtsrüge (Z 9 lit b) ist zwar insofern beizupflichten, als das Erstgericht überflüssigerweise den (nicht mehr verfahrensgegenständlichen) Schuldspruch wegen der Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 18 Jahren nach § 208 StGB (III) wiederholte, welcher Umstand jedoch eine Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO nicht verwirklicht (Ratz WK-StPO § 289 Rz 12, § 293 Rz 6). Zufolge des bloß deklarativen Charakters ist dem Verurteilen daraus auch kein Nachteil erwachsen.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Hingegen kann der Berufung gegen den Strafausspruch Berechtigung nicht abgesprochen werden:

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten gemäß §§ 28 Abs 1, 212 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten. Bei dieser innerhalb eines Strafrahmens von bis zu drei Jahren auszumessenden Strafe wurde als erschwerend die Begehung zahlreicher Vergehen an zwei Personen, die Tatwiederholungen über einen Zeitraum von zwei Jahren hinsichtlich Songül A***** und das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, darüber hinaus auch der besonders hohe Schuld- und Unrechtsgehalt der Tathandlungen und die emotionalen Persönlichkeitsstörungen der Tatopfer als Folgen der Straftaten gewertet, während als mildernd die bisherige Unbescholtenheit des Angeklagten Berücksichtigung fand.

Dem Berufungswerber ist allerdings zugute zu halten, dass die Taten bereits längere Zeit, nämlich etwa viereinhalb Jahre, zurückliegen und er sich seither - soweit ersichtlich - wohlverhalten hat (§ 34 Abs 1 Z 18 StGB), ist doch unter „längerer" Zeit eine Zeitspanne zu verstehen, die sich an der fünfjährigen Rückfallverjährungsfrist des § 39 Abs 2 StGB orientiert (vgl WK2 § 32 Rz 46). Außerdem ist die unverhältnismäßig lange Dauer des bereits im September 2001 eingeleiteten Strafverfahrens als strafmildernd zu werten. Zwar stellt dem Berufungsvorbringen zuwider die drohende Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nach § 36 Abs 2 Z 1 FrG als Folge der Verurteilung oder das dadurch verwirkte Recht auf Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft (§ 10 Abs 1 Z 2 StbG) ebenso wenig einen Milderungsumstand dar wie der behauptete Abbruch familiärer Kontakte, wohl aber sind die vom Erstgericht herangezogenen Erschwerungsgründe zu relativieren: Denn die Begehung zahlreicher Vergehen und die Tatwiederholung innerhalb von zwei Jahren bilden fallbezogen denselben Erschwerungsgrund. Zudem überschneidet sich dieser Umstand mit dem als erschwerend angenommenen Zusammentreffen mehrerer Vergehen. Schließlich ist nach Lage des Falles im deliktischen Verhalten des Berufungswerbers ein besonders hoher Schuld- und Unrechtsgehalt nicht zu erblicken. Bei Abwägung dieser solcherart korrigierten Strafbemessungstatsachen ist eine maßvolle Reduktion der Strafhöhe auf acht Monate ebenso angebracht wie die Gewährung der aus dem Spruch ersichtlichen teilbedingten Strafnachsicht (§ 43a Abs 3 StGB), wobei eine weitergehende Strafnachsicht aus Gründen der Generalprävention nicht in Betracht kommen konnte.

Der Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche der Songül A***** hinwieder war Folge zu geben, weil das Schöffengericht zum geltend gemachten, ersichtlich auf § 1325 ABGB gestützten, jedoch nicht näher begründeten oder bescheinigten Schmerzensgeldanspruch der zwingenden Vorschrift des § 365 Abs 2 StPO zuwider weder den Angeklagten vernommen noch den Verteidiger zur Stellungnahme veranlasst hat und zudem der vom Schöffengericht angenommene Kausalzusammenhang zwischen den psychischen Beeinträchtigungen der Privatbeteiligten und den Tathandlungen des Berufungswerbers in den Akten, insbesondere in den psychiatrischen Gutachten, keine Deckung findet.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

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