OGH 7Ob297/05k

OGH7Ob297/05k25.1.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Eugen Wiederkehr, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Tina F*****, vertreten durch Mag. Boris Knirsch und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 2.797,08 sA (Rekursinteresse EUR 97,08), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 15. September 2005, GZ 36 R 569/05a-28, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 17. März 2005, GZ 11 C 631/04m-23, aus Anlass der Berufung der beklagten Partei hinsichtlich eines Teilbetrages als nichtig aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die klagende Partei begehrte von der Beklagten EUR 2.797,08 (sA). In diesem Betrag ist eine als „Mahninkassospesen" bezeichnete Nebenforderung von EUR 97,08 enthalten, zu deren Begründung sich die Klägerin auf § 1333 Abs 3 ABGB berief.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung des Klagsbetrages (Zug um Zug gegen Herausgabe eines Motorrades). Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht, das die erstinstanzliche Entscheidung im Übrigen bestätigte, hob aus Anlass der Berufung das Ersturteil hinsichtlich des Teilbetrages von EUR 97,08 als nichtig auf, erklärte auch das diesbezügliche Verfahren für nichtig und wies die Klage in diesem Umfang zurück. Hinsichtlich der betreffenden Nebenforderung liege, wie sich aus der dazu von der Klägerin vorgelegten Urkunde ergebe, Unzulässigkeit des Rechtsweges vor, die von Amts wegen wahrzunehmen sei. Bei den von der Klägerin geltend gemachten „Mahninkassospesen" handle es sich nämlich nach der Aktenlage um ein anwaltliches Mahnschreiben samt der dazu erforderlichen Informationsaufnahme, somit um Nebenleistungen, die gemäß § 23 Abs 1 RATG durch den Einheitssatz abgegolten würden. § 23 RATG sei durch § 1333 Abs 3 ABGB keineswegs derogiert worden, sondern sei als lex specialis bei der Beurteilung der Frage nach dem Ersatz der Kosten von durch einen Anwalt getätigten Betreibungsmaßnahmen heranzuziehen. Bei den hier als Nebenforderung von der Klägerin für das Einschreiten ihres Anwaltes begehrten Kosten handle es sich um solche, die dem öffentlich-rechtlichen Kostenersatzrecht der Zivilprozessordnung zu unterstellen seien, für die der Rechtsweg unzulässig sei. Solche Kosten könnten, solange die Akzessorietät zum Hauptanspruch bestehe, auch unter Bedachtnahme auf § 1333 Abs 3 ABGB nur als öffentlich-rechtlicher Kostenersatzanspruch, nicht aber als Kapital geltend gemacht werden.

Gegen diese Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich der Rekurs der Klägerin, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Beklagte schuldig erkannt werde, ihr (weitere) EUR 97,08 zu bezahlen und die Kosten des Rekurses zu ersetzen.

Die Beklagte hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ungeachtet des Wertes des Entscheidungsgegenstandes zweiter Instanz und des Vorliegens erheblicher Rechtsfragen (Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 519 ZPO Rz 12 mwN) zwar zulässig; er ist aber nicht berechtigt. Die Rekurswerberin macht im Wesentlichen geltend, die angefochtene Entscheidung stehe im Widerspruch zu oberstgerichtlicher Judikatur zur Novellierung des § 1333 ABGB, wonach außergerichtliche Betreibungskosten nun nicht mehr als vorprozessuale Kosten, sondern als Schadenersatzansprüche zu behandeln seien.

In mehreren Entscheidungen, auf die sich die Rekurswerberin beruft, hat der Oberste Gerichtshof klargelegt, dass die in § 1333 Abs 3 ABGB genannten Kosten zweckentsprechender außergerichtlichen Betreibungs- oder Einbringungsmaßnahmen als Schadenersatzansprüche behandelt werden sollen, wobei diese Regelung, anders als die bisherige Rechtsprechung, von einem materiell-rechtlichen und nicht von einem prozessualen Ansatz ausgeht (2 Ob 251/02d; 2 Ob 70/02m; 8 Ob 25/03i; RIS-Justiz RS0117503). In der Entscheidung 1 Ob 46/03a hat der Oberste Gerichtshof ausgeführt, dass durch die erwähnte, mit dem am 1. 8. 2002 in Kraft getretenen Zinsrechts-Änderungsgesetz (ZinsRÄG) geschaffene Bestimmung insofern eine entscheidende Wende eingetreten sei, als der bis dahin von einem Großteil der Judikatur vertretenen Rechtsprechungslinie, Kosten für Mahnschreiben udgl seien „vorprozessuale" Kosten, die als Prozesskosten iSd § 41 ZPO anzusehen seien und für deren Durchsetzung der Rechtsweg nicht offen stehe (RIS-Justiz RS0035770), der Boden entzogen worden sei. Zur Frage, ob bzw. inwieweit dies auch betreffend zunächst nur Inkassozwecke verfolgende anwaltliche Mahnschreiben im Vorfeld eines Prozesses gilt, oder ob, wie Christandl (Ersatz vorprozessualer Anwaltskosten in RZ 2004, 262 [264]) im Gegensatz etwa zu Huter (in AnwBl 2003, 646) und Schärf (in einer Glosse zu 1 R 249/03s LG Steyr in AnwBl 2004/7909) meint, § 1333 Abs 3 ABGB als Grundlage für einen Anspruch auf Ersatz der Kosten für anwaltliche Tätigkeit in keinem Fall herangezogen werden kann, sondern für betreffende anwaltliche Leistungen weiterhin § 23 RATG maßgeblich ist, hat der Oberste Gerichtshof inzwischen (seit der angefochtenen Entscheidung des Berufungsgerichts) in zwei Entscheidungen, nämlich vom 20. 10. 2005, 3 Ob 127/05f, und vom 22. 12. 2005, 6 Ob 131/05s, Stellung genommen. In ersterer Entscheidung ist der dritte Senat nach Schilderung der Entstehungsgeschichte des mit dem ZinsRÄG, BGBl I 2002/118, dem § 1333 ABGB angefügten Abs 3 und der in den Gesetzesmaterialien niedergelegten Absicht des Gesetzgebers sowie der - uneinheitlichen - einschlägigen Judikatur der vorinstanzlichen Gerichte (s den Überblick bei Christandl aaO 264) und eingehender Darstellung der im Schrifttum zu dieser Problematik vertretenen Meinungen (neben den bereits erwähnten Beiträgen von Christandl, Huter und Schärf werden die Rechtsmeinungen von M. Bydlinski, in Fasching/Konecny² § 41 ZPO Rz 36 ff, Dehn, Das Zinsenrechts-Änderungsgesetz, RdW 2002, 514 FN 27, Steflitsch in RZ 2005, 41 f und Danzl, in KBB § 1333 ABGB Rz 5 referiert) zur Ansicht gelangt, es ergebe sich die Notwendigkeit, den materiell-rechtlichen Charakter des § 1333 Abs 3 ABGB aufgrund der spezielleren Norm des § 23 RATG teleologisch dahin zu reduzieren, dass sich die Vorschrift nicht auf anwaltliche Leistungen im Zusammenhang mit außergerichtlichen Betreibungs- und Einbringsmaßnahmen beziehe. Das erzielte Ergebnis wurde in folgendem Rechtssatz zusammengefasst: „§ 23 RATG gilt auch nach der Einfügung des § 1333 Abs 3 ABGB als speziellere Norm für rechtsanwaltliche Leistungen. Mit letzterer Bestimmung wurde daher keine selbständige Anspruchsgrundlage betreffend den Ersatz anwaltlicher Kosten für außergerichtliche Betreibungs- und Einbringungsmaßnahmen geschaffen. Solange solche Kosten in Akzessorietät zum Hauptanspruch stehen, sind sie durch Rechtsanwälte weiterhin als vorprozessuale Kosten im Kostenverzeichnis geltend zu machen, sodass ihrer klageweisen Geltendmachung die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegensteht. Eine Wahlmöglichkeit für deren Geltendmachung besteht nicht, weil insoweit die öffentlich-rechtlichen prozessualen Kostenersatzregeln vorrangig sind."

Dieser Rechtsansicht hat sich der 6. Senat in der bereits erwähnten Entscheidung angeschlossen.

Auch der erkennende Senat hält die Erwägungen der Entscheidung 3 Ob 127/05f (veröffentlicht zu RIS-Justiz RS0118728, RS0117503, RS0035770) für überzeugend und tritt dieser Rechtsmeinung bei. Die Revisionsweberin bringt nichts vor, was die betreffenden Überlegungen entkräften könnte.

Im Übrigen können die betreffenden „Spesen" im vorliegenden Fall auch deshalb nicht als außergerichtliche Betreibungs- oder Einbringungsmaßnahmen angesehen werden, weil sie für Vorgänge und Maßnahmen aufgelaufen sind, die eindeutig (nur) der Prozessvorbereitung dienten. Die Klägerin hat den in Rede stehenden Betrag von EUR 97,08 in der Beweisurkunde Blg F (unter Hinweis auf TP 6 und 8 RATG) dahin aufgeschlüsselt, dass auf eine „Konferenz" (offensichtlich mit der Mandantin) EUR 42,20, auf ein „Schreiben" EUR 14.20, auf ein „Berichtsschreiben an den Mandant" („Schreiben + Info") EUR 21,30 und auf Porto EUR 3,05 entfielen, womit sich zuzüglich 20 % USt ein Betrag von EUR 96,90 errechnet (warum von der Klägerin ein um EUR 0,18 höherer Betrag gefordert wird, ist nicht nachvollziehbar). Nach dieser Aufstellung war lediglich das mit EUR 14,20 (exklusive USt) veranschlagte „Schreiben" an die Beklagte gerichtet, wobei auch dieses Schreiben, zumal es im Konnex mit den anderen Vorgängen erwähnt wird, nur als (einleitende) Maßnahme der Prozessvorbereitung angesehen werden kann (vgl dazu Obermaier, Das Kostenhandbuch Rz 79 und 84). Wie von den Klagevertretern in der Blg F ohnehin ausdrücklich vermerkt, handelte es sich dabei um typische, unter die TP 6 und 8 fallende Nebenleistungen des Anwaltes, dem gemäß § 23 Abs 1 RATG dafür und anstelle des Ersatzes für die Postgebühren im Inland ein Einheitssatz gebührt.

Ohne Rechtsirrtum hat das Berufungsgericht demnach § 1333 Abs 3 ABGB nicht als materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage für den Ersatz der betreffenden vorprozessualen anwaltlichen Nebenleistungen angesehen, die zum Zweck der Prozessführung schon vor Prozessbeginn erbracht wurden. Der als Nebenforderung im Sinne des § 54 Abs 2 JN von der Klägerin geltend gemachte Betrag von EUR 97,08 stellt vorprozessuale Kosten und keine Schadenersatzforderung nach § 1333 Abs 3 ABGB dar, weshalb der Rechtsweg diesbezüglich nicht offen steht. Das erstgerichtliche Urteil und das diesbezügliche erstinstanzliche Verfahren sind nichtig gemäß § 477 Abs 1 Z 6 ZPO.

Der Rekurs der Klägerin muss daher erfolglos bleiben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40 und 50 ZPO.

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