OGH 6Ob231/05x

OGH6Ob231/05x3.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) D***** GmbH, *****, vertreten durch Univ. Doz. Dr. Johannes Reich-Rohrwig, Rechtsanwalt in Wien, und 2.) D***** Privatstiftung, *****, vertreten durch Denk & Kaufmann, Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B*****, vertreten durch Berger Saurer Zöchbauer, Rechtsanwälte in Graz, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 7. Juli 2005, GZ 4 R 96/05b-49, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 24. Februar 2005, GZ 29 Cg 243/02g-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Frage, ob GmbH-Gesellschaftsverträge objektiv auszulegen sind oder die wahre Parteiabsicht der Gründungsgesellschafter zu ermitteln ist, hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung SZ 70/242 unter Darstellung der bis dahin, zum Teil widersprüchlichen Rechtsprechung und des deutschen und österreichischen Schrifttums dahin beantwortet, dass die als Satzung im materiellen Sinn zu qualifizierenden kooperativen Regelungen nach deren Wortlaut und Zweck in ihrem systematischen Zusammenhang objektiv zu interpretieren sind. Unter kooperativen Regelungen sind jedenfalls solche zu verstehen, die nicht nur für derzeitige, sondern auch für künftige Gesellschafter und Dritte von Bedeutung sind, also der Komplex der Gesellschaftsorganisation als Verbandsverfassung. Dieser Leitentscheidung ist der Oberste Gerichtshof inzwischen in zahlreichen weiteren Entscheidungen gefolgt (RIS-Justiz RS0108891). Die hiemit zum Teil im Widerspruch stehenden Entscheidungen und Lehrmeinungen, auf die sich die Revisionswerberinnen berufen, sind durch die aktuelle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes überholt. Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits mehrmals ausgesprochen, dass Aufgriffsrechte zu den kooperativen Satzungsbestandteilen zählen und daher objektiv auszulegen sind (SZ 71/42; 4 Ob 216/01w). Dieser Rechtsprechung entspricht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass es auf die Absicht der ursprünglich den Gesellschaftsvertrag schließenden Personen, wie die Bestimmungen über die Übertragung von Geschäftsanteilen und die Kündigung, Auflösung und Liquidation der Gesellschaft und die im Zusammenhang damit geregelten Übernahmsrechte aus ihrer subjektiven Sicht gemeint gewesen seien, nicht ankomme. Daraus folgt auch, dass keine Erkundigungspflicht des anstelle des Gründungsgesellschafters tretenden neuen Gesellschafters über die wahre Absicht der Parteien hinsichtlich kooperativer Satzungsbestimmungen besteht.

Die objektive Vertragsauslegung - allein nach dem Text der Urkunde selbst - stellt zwar eine (revisible) Rechtsfrage dar. Ihr kommt aber im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0113785; RS0042936; RS0042776), es sei denn, die Entscheidungen der Vorinstanzen beruhten auf einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage, sodass die Revision aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit für zulässig zu erachten wäre (RIS-Justiz RS0042769). Anderes gilt selbst dann nicht, wenn (auch) die vom Rechtsmittelwerber angestrebte Vertragsauslegung vertretbar wäre (4 Ob 134/02p). Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen dahin, dass deren Auslegung mit dem Wortsinn und den Gesetzen der Logik oder der Übung des redlichen Verkehrs nicht im Einklang zu bringen wäre, ist nicht zu erkennen. Das Auslegungsergebnis der Vorinstanzen entspricht vielmehr dem in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsatz, dass im Zweifel der Auslegung der Vorzug zu geben ist, die eine wirksame und sinnvolle Anwendung der strittigen Bestimmung ermöglicht (RIS-Justiz RS0017787) und undeutliche Vertragsbestimmungen nach Möglichkeit so auszulegen sind, dass sie keinen Widerspruch enthalten und wirksam sind (RIS-Justiz RS0017767).

Hinsichtlich der Frage der Wirksamkeit der Zustellung der Kündigung des Gesellschaftsvertrags sind beide Vorinstanzen übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Geschäftsführer der erstklagenden Partei den Zugang der Kündigungserklärung an ihn bzw an von ihm bevollmächtigte Personen verhindern wollte. Derjenige, der eine Kündigung ausspricht, trägt zwar regelmäßig das Risiko für den ordnungsgemäßen Zugang der Erklärung. Dieses Risiko geht jedoch auf den Adressaten der Erklärung über, wenn er sich dem Zugang der Erklärung absichtlich oder wider Treu und Glauben entzieht. In diesem Fall muss er sich so behandeln lassen, als ob er die Auflösungserklärung rechtzeitig empfangen hätte (RIS-Justiz RS0047277; RS0028552). Jeden Empfänger treffen darüber hinaus gewisse Obliegenheiten zur Vorsorge, dass ihn betreffende Erklärungen ihm auch zugehen können. Die Verpflichtung, für die Möglichkeit des Zugangs von rechtsgeschäftlichen Erklärungen vorzusorgen, ist umso stärker zu gewichten, je eher mit der Möglichkeit des Einlangens solcher Erklärungen zu rechnen ist (6 Ob 310/01h; 9 ObA 114/99a; 7 Ob 55/02t). Verhindert der Empfänger den Zugang, so ist die Zustellung in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie dem Empfänger unter gewöhnlichen Umständen zugegangen wäre (7 Ob 55/02t). Eine unrichtige Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Einzelfall ist nicht zu erkennen, wurde doch der Postzusteller an seinem Vorhaben, die Kündigung an der Firmenadresse der Erstklägerin abzugeben, von der dort angetroffenen Sekretärin nach telefonischer Einholung einer Weisung mit dem Ersuchen, die Sendung am nächsten Werktag (somit verspätet) neuerlich zuzustellen, von einer Zustellung oder Hinterlegung noch an diesem Tag abgehalten. Auch die eigens als Botin eingesetzte Rechtsanwaltsanwärterin, die ein weiteres Kündigungsschreiben an einer Wiener Adresse abgeben sollte, wurde auf ähnliche Weise hingehalten. Von einer im Rahmen eines außerordentlichen Rechtsmittels aufzugreifenden Fehlbeurteilung dahin, dass hier von einer Zugangsfiktion der Kündigung noch vor Anfang Juli 2002 auszugehen sei, kann unter diesen Umständen keine Rede sein.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts, dass der erste Teil des Klagebegehrens auch mangels eines Feststellungsinteresses abzuweisen sei, stellt lediglich eine Hilfsbegründung dar, weil schon das von den Vorinstanzen gewonnene Auslegungsergebnis zu einer Abweisung des gesamten Klagebegehrens führt. Mit dem Hinweis auf das Verbot von „Überraschungsentscheidungen" (§§ 182, 182a ZPO) wird daher kein erheblicher Verfahrensmangel im Sinn des § 503 Z 2 ZPO aufgezeigt.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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