Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung
Der beklagte Facharzt führte am 22. 6. 1998 in seiner Ordination an einer beim klagenden Sozialversicherungsträger Versicherten eine operative Fettabsaugung durch. Die postoperative Betreuung der Versicherten nahm der Beklagte in einer Pension vor. Am 25. 6. 1998 kam es wegen mangelnder Flüssigkeitszufuhr zu einem lebensbedrohlichen Zustand der Versicherten, der Krankenhausbehandlungen notwendig machte. Die Versicherte war auf Grund eingenommener Schlaf- und Beruhigungsmittel nicht in der Lage, die ärztlichen Anweisungen, mehr zu trinken, ernst genug wahrzunehmen, die Wichtigkeit der Anweisung und die Probleme und die Folgenschwere zuerkennen.
Das Erstgericht gab dem auf Ersatz der Behandlungskosten gerichteten Klagebegehren teilweise statt und wies das Zahlungsmehrbegehren und das Feststellungsbegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der nur vom Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Mitverschulden der Versicherten sei bei Abwägung aller Umstände gegenüber jenem des Beklagten zu vernachlässigen. Für die Zulassung der ordentlichen Revision sah es keinen Anlass, weil sich erhebliche Rechtsfragen von über den Einzelfall hinausgehender, grundsätzlicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht stellten.
Über Antrag des Beklagten gemäß § 508 Abs 1 ZPO änderte das Berufungsgericht den Zulassungsausspruch dahin ab, dass es die ordentliche Revision doch für zulässig erklärte, weil es „nach neuerlicher Prüfung der Sach- und Rechtslage" zum Schluss komme, dass die Zulassung gerechtfertigt erscheine, gebe doch der vorliegende Fall Anlass, „die bestehende Judikatur zum Mitverschulden des Patienten - bei Verletzung seiner Informationspflicht - in Arzthaftungsfällen durch Erwägungen fortzubilden, denen über den Einzelfall hinaus Bedeutung" zukäme.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisunggründe beschränken.
Das Berufungsgericht hat in seinem Beschluss, mit dem es die ordentliche Revision für zulässig erklärte, keine erhebliche Rechtsfrage dargelegt. Der Oberste Gerichtshof sprach bereits mehrmals aus, dass sich die nach dem Gesetz erforderliche Prüfung der Stichhältigkeit eines Abänderungsantrags gemäß § 508 Abs 1 ZPO nicht in einer Scheinbegründung erschöpfen darf (1 Ob 63/99t ua). Das Berufungsgericht hat sich bei seiner Prüfung mit den Antragsargumenten sachlich - wenngleich kurz - auseinanderzusetzen, darf es doch einem solchen Antrag nur dann stattgeben, wenn es ihn für „stichhältig" findet (1 Ob 63/99t; 8 Ob 225/98s ua). Die oben wiedergegebene, jede sachliche Auseinandersetzung mit den Revisionsausführungen vermeidende Begründung des Berufungsgerichts, die die für die Entscheidung iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche(n) Rechtsfrage(n) nicht bezeichnet, genügt für eine Abänderung eines Ausspruchs über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision nicht.
Aber auch in der Revision des Beklagten werden keine erheblichen Rechtsfragen dargetan.
Der Beklagte strebt mit seiner Revision lediglich eine Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 an, weil ihm die Versicherte die Einnahme hoher Dosen an Schlaf- und Beruhigungsmittel verschwiegen habe. Er leugne nicht seine - verschuldensbegründenden - Versäumnisse in der postoperativen Betreuung seiner Patientin (nicht ausreichende Kontrolle des Trinkverhaltens bzw keine Reaktion auf die Feststellung desselben; nichtstationäre Unterbringung). Zur Frage der Zulässigkeit seines Rechtsmittels führt er aus, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des Mitverschuldens eines Patienten, der dem behandelnden Arzt die Einnahme von Medikamenten verschweige. Inwieweit eine derartige Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten zu einer Schadensteilung führe, sei noch nicht entschieden. Das Berufungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ab, wonach bei Verletzung der den Patienten treffenden Mitwirkungs- und Informationspflichten dessen Schadenersatzansprüche eine erhebliche Schmälerung erfahren. Die Rechtssicherheit erfordere es, dass das Höchstgericht die Verletzung von Mitwirkungs- und Informationspflichten durch Patienten - insbesondere durch das Verschweigen von Medikamenteneinnahmen - rechtlich würdige. Es müsste zur Beurteilung des Mitverschuldens der Versicherten geklärt werden, inwieweit der Patient verpflichtet sei, dem Arzt sämtliche eingenommenen Medikamente bekanntzugeben, ob der Arzt auf die Vollständigkeit der Angaben des Patienten über eingenommene Medikamente vertrauen dürfe, ob der Patient dem Arzt mitteilen müsse, er nehme noch weitere, namentlich nicht bekannte Medikamente ein, und ob der Arzt sich mit einer Routinefrage nach eingenommenen Medikamente begnügen dürfe oder aber ausdrücklich nach weiteren Medikamenten befragen müsse. Schließlich fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob der Operateur auf einen fachärztlichen Befund vertrauen dürfe.
Ob eine bestimmte Verschuldensteilung durch die Vorinstanzen angemessen ist, ist eine Ermessensentscheidung, bei der nur im Fall einer gravierenden Fehlbeurteilung und damit krassen Verkennung der Rechtslage eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu lösen ist (10 Ob 24/00b; 7 Ob 40/04i; RIS-Justiz RS0087606; Kodek in Rechberger², ZPO § 502 Rz 3). Dies gilt auch für die Frage, ob ein geringes Verschulden noch vernachlässigt werden kann (2 Ob 213/02s; 7 Ob 40/04i). Die vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach eine Schadensteilung nicht vorzunehmen ist, wenn das Verschulden des einen Teils das des anderen weitaus überwiegt bzw geringes Mitverschulden vernachlässigt werden kann (RIS-Justiz RS0027202; Reischauer in Rummel², ABGB § 1304 Rz 5 mwN), stellt die Revision nicht in Frage. Dass ein völlig gleichgelagerter Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt wurde, bedeutet keineswegs schon, dass eine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO umschriebenen erheblichen Bedeutung vorliegt, weil andernfalls die ordentliche Revision im Zulassungsbereich nahezu immer zulässig wäre (RIS-Justiz RS0102181; RS0110702). Die Entscheidung hängt nicht davon ab, ob der geschädigten Patientin ein Mitverschulden anzulasten ist, weil sie dem Beklagten beim Erstgespräch vor der Operation auf seine Frage nach eingenommenen Medikamenten zwar drei Medikamente, nicht aber die von ihr eingenommenen Beruhigungs- und Schlafmittel angab. Das Berufungsgericht hat der Patientin diese Unterlassung ohnehin als Verschulden angelastet. Dass zur Frage des Mitverschuldens eines Patienten, der dem nach eingenommenen Medikamenten fragenden behandelnden Arzt nicht alle Medikamente nennt, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht besteht, kann daher die Zulässigkeit der Revision nicht begründen.
Unzutreffend ist die Ansicht des Revisionswerbers, die Entscheidung 3 Ob 2121/96z (RdM 1998/7 = EvBl 1998/24) vertrete die Auffassung, dass bei Verletzung von Mitwirkungs- und Sorgfaltspflichten des Patienten dessen Schadenersatzansprüche stets erheblich zu schmälern seien. Vielmehr wurde auf der Grundlage des zu beurteilenden Sachverhalts gleichteiliges Verschulden des Patienten angenommen. Die Behauptung des Revisionswerbers, das Berufungsgericht weiche von dieser Entscheidung ab, wenn es das Mitverschulden der Versicherten als verhältnismäßig gering beurteile, ist daher unzutreffend.
Wie aber Mitverschulden des Patienten im Verhältnis zu jenem des behandelnden Arztes zu gewichten ist, lässt sich nicht nach einer für alle Eventualitäten gültigen Regel beantworten, sondern hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Frage der Gewichtung des Mitverschuldens der Patientin auf Grund des hier vorliegenden besonderen Sachverhalts stellt aber keinen über den Einzelfall hinausgehende Frage von grundsätzlicher Bedeutung dar.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass im vorliegenden Fall das Verschulden der Versicherten gegenüber jenem des Beklagten zu vernachlässigen ist, ist nicht korrekturbedürftig. Es stützte seine Annahme darauf, es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Patientin als medizinische Laiin erkannt habe, dass die Einnahme der Schlaf- und Beruhigungsmittel für die aus ihrer Sicht erkennbar objektiv geringfügige, weil ambulant durchführbare Operation von erheblicher Bedeutung sei. Dem hält der Revisionswerber nur entgegen, damit setze sich das Berufungsgericht über die erstgerichtlichen Feststellungen hinweg, wonach sich die Patientin aus finanziellen Gründen für einen ambulanten Eingriff entschieden habe. Die behauptete Abweichung von den Feststellungen des Erstgerichts trifft nicht zu, ändert doch das Motiv für eine ambulante Behandlung nichts daran, dass ein Patient eine ambulant durchführbare Operation als geringfügig ansieht. Einen gravierenden Fehler zeigt die Revision nicht auf.
Nach den Feststellungen ergab sich aus dem „internistischen Fachbefund" (Blg ./3), der dem Beklagten von der Patientin vor der Operation vorgelegt wurde, dass die Patientin unter Schlafstörungen und einer nervösen bis ängstlichen Stimmung litt. Das Berufungsgericht lastete dem Beklagten an, dass er trotz dieses Inhalts des Befunds nicht nach der Einnahme von Schlafmitteln fragte, sei doch sogar Laien bekannt, dass Menschen mit Schlafstörungen und nervöser bis ängstlicher Stimmung häufig zu Schlafmitteln und dgl griffen. Der Beklagte meint, das Berufungsgericht überspanne damit „jedwedes Anforderungprofil" an einen Arzt bei weitem und lasse „die notwendige juristische Feinfühligkeit" vermissen. Dem ist lediglich Folgendes zu entgegnen:
Nach den Feststellungen des Erstgerichts ist das Medikament Demitrin eine „Beruhigungs-Schlafmittel" (S 6 Abs 1 der Urteilsausfertigung). Dieses Mittel war im „internistischen Fachbefund" aber als eines der von der Patientin eingenommenen Medikamente genannt (S 10 Abs 1 der Urteilsausfertigung). Damit ist jedoch auch klar, dass die der Patientin vorgeworfene Unterlassung noch weniger Gewicht gegenüber den festgestellten, gravierenden Fehlleistungen des Beklagten in der postoperativen Betreuung hat.
Der vorliegende Fall gibt auch keinen Anlass zu Ausführungen zu einem für das Zusammenwirken von Ärzten untereinander geltenden Vertrauensgrundsatz. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen, auf die die Revisionsausführungen nicht Bedacht nehmen, hätten nämlich auf Grund des Inhalts des „internistischen Fachbefunds" unter Berücksichtigung des Alters der Patientin (70 Jahre) „die Alarmglocken läuten müssen" und war eine postoperative Betreuung in einem Spital oder Sanatorium mit lückenloser Überwachung durch geschultes Personal über 24 bis 48 Stunden hinweg angezeigt. Dass der Beklagte trotz dieses Befundinhalts die Art der notwendigen postoperativen Betreuung nicht erkannte, ist ihm, der als Facharzt bei Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit dem erhöhten Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB unterliegt (vgl bloß RIS-Justiz RS0038202; Reischauer in Rummel², ABGB § 1299 Rz 2, 23a ff mwN), zweifellos als eigener Behandlungsfehler vorzuwerfen. Das hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin wies in ihrer Revisionsbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit der Revision hin.
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