Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die am 25. 11. 1948 geborene Klägerin hat von 1964 bis 1966 eine qualifizierte Berufsausbildung als Speditionskauffrau erworben. Von 1972 bis 1973 war sie als Sekretärin, bis 1975 als Kanzleiarbeiterin und Büroangestellte und von 1989 bis 1990 als Sekretärin berufstätig. Von 1991 bis 1992 war sie bei einem Gas-, Wasser- und Heizungsunternehmen tätig, das (außer ihr) einen Techniker und einen Monteurhelfer beschäftigte. Im Laufe der Zeit erlernte sie vom Techniker, wie man Anbote erstellt und wie man diese selbstständig berechnet. Die Klägerin hat dann Anbote erstellt, wobei sie beispielsweise auch Heizkörper berechnete. Sie führte weiters den allgemeinen Schriftverkehr durch, erstellte Wochenberichte, führte das Kassabuch und bediente die Laufkunden. Die Lohnabrechnung führte sie nicht durch. Sie war für die Lagerhaltung zuständig und bestellte selbständig Waren, wenn ein Monteur sie informierte, dass eine bestimmte Ware ausgegangen sei. Außerdem betrieb sie Verkaufsförderung und auch Werbekampagnen. Die Preise waren vorgegeben, jedoch konnte sie innerhalb eines gewissen Rahmens auch Skonti geben. Die vereinnahmten Geldbeträge wurden über ihre Verantwortung an die Bank abgeliefert. Die Klägerin hatte auch Personalhoheit und konnte Leute einstellen bzw entlassen. Im Firmenbuch war sie nicht als Geschäftsführerin eingetragen.
Diese Tätigkeit, die die Klägerin zuletzt ausübte, war in die Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten einzuordnen. In diese Gruppe fallen Filialleiter, die selbständig über Waren und sonstige Betriebsmittel verfügen, die Warenpräsentation und verkaufsfördernde Maßnahmen durchführen und zur selbständigen Preisgestaltung im Rahmen von allgemeinen Richtlinien berechtigt sind und für die Abrechnung vereinnahmter Geldbeträge Sorge tragen (Angestellte mit selbständiger Tätigkeit).
Unter der Annahme, dass die Klägerin hinsichtlich der kaufmännischen Kenntnisse und der erforderlichen Kenntnisse am Laufenden geblieben wäre, beispielsweise durch Absolvierung von Kursen, die das AMS anbietet, wäre sie in Übereinstimmung mit ihrem eingeschränkten Leistungskalkül in der Lage, einer Beschäftigung als Sachbearbeiterin in der Disposition oder im Einkauf, als Verkaufssachbearbeiterin im Reklamationswesen oder als Fakturistin in der Beschäftigungsgruppe 3 nachzugehen. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Klägerin seit weit über zehn Jahren diese Berufstätigkeit nicht mehr ausgeübt hat und auch viele Kenntnisse nicht mehr besitzt und darüber hinaus auch viele notwendigen Kenntnisse, die zwischenzeitig neu hinzugekommen sind, gar nicht erwerben konnte, kommen für sie noch die Verweisungstätigkeiten einer Registratur- oder Kanzleikraft, einer Postbearbeiterin, einer Mitarbeiterin im Telefonmarketing und einer Fakturistin in Betracht, dies bei Bewertung der aktuellen Kenntnisse der Klägerin zum Stichtag (1. 5. 2002).
Mit Bescheid vom 30. 9. 2002 hat die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag der Klägerin vom 25. 4. 2002 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgelehnt.
Das Erstgericht hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen. Die Klägerin sei jedenfalls auf die Tätigkeit einer Fakturistin in der Beschäftigungsgruppe 3 verweisbar.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens und bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Die Klägerin sei auf die Tätigkeit einer Fakturistin in der Beschäftigungsgruppe 3 oder in der Beschäftigungsgruppe 2 verweisbar, letzteres unter Bedachtnahme auf den Umstand, dass sie die Tätigkeit einer Filialleiterin in der Beschäftigungsgruppe 4 seit über zehn Jahren nicht mehr ausgeübt habe und infolge Bewertung der Kenntnisse und Fähigkeiten zum Stichtag von einer niedrigeren Einstufung auszugehen sei.
Die ordentliche Revision sei mangels einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Urteils im klagsstattgebenden Sinn.
Die beklagte Partei hat die ihr freigestellte Revisionsbeantwortung nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, da es an einer aktuellen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage fehlt, inwieweit die Frage der Unzumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit wegen eines "sozialen Abstieg" anders zu sehen ist, wenn ein Versicherter durch längere Zeit nicht berufstätig war. Die Revision ist auch im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen berechtigt.
Die Klägerin war zuletzt 1991 - 1992 als Filialleiterin in einem Gas-, Wasser- und Heizungsunternehmen beschäftigt; diese Tätigkeit fiel in die Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrags für Handelsangestellte. Mit der ihr verbliebenen Leistungsfähigkeit könnte sie die Tätigkeit einer Fakturistin verrichten; diese Tätigkeit kann je nach Qualifikation in die Beschäftigungsgruppe 2, 3 oder 4 fallen.
Ein Tätigwerden in der Beschäftigungsgruppe 4 kommt für die Klägerin nicht mehr in Betracht. Die Tätigkeit einer Fakturistin in der Beschäftigungsgruppe 3 vermag die Klägerin nach den Feststellungen des Erstgerichtes (AS 173) unter der Voraussetzung auszuführen, dass sie hinsichtlich der kaufmännischen Kenntnisse und Fähigkeiten am Laufenden geblieben wäre, beispielsweise durch den Besuch von externen Kursen.
Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 ObS 53/02w (SSV-NF 16/24 = RIS-Justiz RS0084541 [T28]) klargestellt, dass nicht der Versicherte für solche Ausbildungsmaßnahmen, die über eine innerbetriebliche Einweisung hinausgehen, zum Zweck der Aufrechterhaltung oder Verbesserung seiner Verweisbarkeit aufzukommen hat. Vielmehr sind sie nach § 303 iVm § 198 ASVG vom Pensionsversicherungsträger im Rahmen der beruflichen Rehabilitation zur Verfügung zu stellen.
Allerdings geht der OGH dann, wenn ein Versicherter vor dem Stichtag jahrelang nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stand, bei der Lösung der Frage des sozialen Abstiegs davon aus, dass entscheidend ist, welchen Wert die Allgemeinheit der vorhandenen Ausbildung und den vorhandenen Kenntnissen und Fähigkeiten zum Zeitpunkt des Stichtags beimisst (zB 10 ObS 160/89 = SZ 62/156 = SSV-NF 3/108; RIS-Justiz RS0084926). Es ist durchaus denkbar, dass die bei der Klägerin zum Zeitpunkt des Stichtags noch vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten von der Allgemeinheit niedriger bewertet werden als die während der Berufsausübung vorhandenen, die zu einer Einreihung in die Beschäftigungsgruppe 4 führten. Andererseits ist jedoch ein mehr oder weniger pauschales "Downgrading" um eine Beschäftigungsgruppe, das das Berufungsgericht möglicherweise im Auge hat, nicht möglich.
Es sind daher Feststellungen dahingehend notwendig, inwieweit die Ausbildung und die Kenntnisse und Fähigkeiten, über die die Klägerin am Ende ihrer Berufstätigkeit im Jahr 1992 verfügte, nach ihrer jahrelangen Berufsabsenz zum Stichtag (1. 5. 2002) auf dem Arbeitsmarkt noch von Bedeutung waren und in welche kollektivvertraglichen Beschäftigungsgruppe sie damit zur Zeit des Stichtages einzustufen gewesen wäre.
Ausgehend davon ist die Frage eines zumutbaren sozialen Abstiegs zu beurteilen. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass eine Verweisung eines/einer Angestellten auf eine Tätigkeit der nächstniedrigen Beschäftigungsgruppe des Kollektivvertrages in der Regel nicht mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden ist, entspricht der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung (10 ObS 280/91 = SSV-NF 5/132 uva; RIS-Justiz RS0085599).
Da die angeführten Feststellungen, welchen Wert die Allgemeinheit der Ausbildung und den vorhandenen Kenntnissen und Fähigkeiten zum Zeitpunkt des Stichtags beimisst, fehlen, muss die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen werden.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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