OGH 2Ob8/05y

OGH2Ob8/05y1.3.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sibilla B*****, vertreten durch Dr. Christian Függer, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die beklagten Parteien 1. Rainer P*****, und 2. W*****Versicherung AG, ***** beide vertreten durch Dr. Hans Kaska, Dr. Christian Hirtzberger, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen EUR 10.080 sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Berufungsgericht vom 9. September 2004, GZ 21 R 254/04t-28, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 25. Juni 2004, GZ 14 C 545/03w-22, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes, das in seinem abweisenden Teil als unbekämpft unberührt bleibt, wird hinsichtlich der Stattgebung des Klagebegehrens mit einem Teilbetrag von EUR 80 (Generalunkosten) samt 4 % Zinsen seit 27. 3. 2003 als Teilurteil bestätigt.

Die Entscheidung über die auf dieses Teilbegehren entfallenden Verfahrenskosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Im Übrigen, also hinsichtlich der Stattgebung des Klagebegehrens mit einem Teilbetrag von EUR 4.000 (Schmerzengeld) samt 4 % Zinsen aus EUR 2.543,54 vom 27. 3. 2003 bis 16. 6. 2004 und aus EUR 4.000 seit 17. 6. 2004 sowie der Kostenaussprüche, werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die hierauf entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wurde am 5. 11. 1993 bei einem Verkehrsunfall, den der Erstbeklagte als Lenker seines bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW allein verschuldet hat, verletzt. Sie erlitt eine Gehirnerschütterung, eine Dreifachwunde im Bereich des linken Scheitelbeins, einen Schlüsselbeinbruch links, eine Rissquetschwunde an der linken Ohrmuschel, eine Prellung des linken Ellenbogens samt Bluterguss sowie eine Schultereckgelenksverletzung links. Am 30. 6. 1995 kamen die Streitteile in einer Abfindungsvereinbarung überein, dass die Ansprüche der Klägerin aus dem Schadensfall mit einem Betrag von S 411.440 verglichen seien. Ausgenommen wurden die zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nicht vorhersehbaren künftigen Schmerzen sowie künftige materielle Schäden der Klägerin im Rahmen der Versicherungssumme. Mit dieser Einschränkung anerkannten die beklagten Parteien auch ihre Haftung für die vom Vergleich ausgenommenen künftigen Schäden. Sie erklärten ferner, mit Wirkung eines Feststellungsurteiles auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, sodass sich die Einbringung einer Feststellungsklage erübrige.

In der Folge traten bei der Klägerin unfallskausale Schmerzen auf. Mit Urteil vom 8. 6. 2002, 3 C 451/01p, verpflichtete das Bezirksgericht St. Pölten die beklagten Parteien zur Leistung eines Schmerzengeldes von EUR 6.389,40 an die Klägerin. Hiebei wurden lediglich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 10. 4. 2002 erlittene Schmerzen berücksichtigt, die der vom Prozessgericht bestellte medizinische Sachverständige in seinem Gutachten ermittelt hatte; eine Globalbemessung unter Einbeziehung auch der künftig noch zu erwartenden Schmerzen unterblieb. Es wurde nur festgestellt, dass die Klägerin auch in Zukunft mit Schmerzen zu rechnen habe, ohne dass eine Aussage über deren voraussichtliche Dauer und Intensität getroffen wurde. Das Urteil erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Mit der vorliegenden, am 4. 8. 2003 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin zunächst EUR 2.543,54 an Schmerzengeld sowie EUR 80 an unfallskausalen Generalunkosten, bestehend aus „Fahrtkosten, Telefonspesen etc". Die Klägerin brachte vor, infolge des unvorhersehbar komplizierten Heilungsverlaufes, der mit (im Einzelnen dargestellten) zahlreichen stationären Krankenhausaufenthalten und Operationen verbunden gewesen sei, habe sie auf ärztliches Anraten seit 1996 regelmäßig physikalische Therapie in Anspruch genommen. Zur Abgeltung der daraus resultierenden Schmerzen habe die zweitbeklagte Partei mehrere Schmerzengeldzahlungen an die Klägerin geleistet, nämlich am 11. 7. 1996 S 55.000 (diese Zahlung habe auch die Folgen einer Operation im Jänner 1996 umfasst), am 30. 10. 1997 S 20.000, am 22. 1. 1999 S 20.000 und im November 1999 S 15.000. Seit dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Verfahren 3 C 451/01p des Bezirksgerichtes St. Pölten (in der Folge: Vorprozess) habe die Klägerin durch die medizinisch indizierte Inanspruchnahme weiterer physikalischer Therapien erhebliche Schmerzen erlitten, wofür sie ein angemessenes Schmerzengeld von EUR 2.543,54 begehre. Im Vorprozess habe die Klägerin erst mit der Zustellung des dort erstatteten Sachverständigengutachtens davon Kenntnis erlangt, dass weitere künftige Schmerzen entstehen würden. Deren Ausmaß habe die Klägerin im Zeitpunkt des Verhandlungsschlusses aber nicht vorhersehen können.

Nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens im gegenständlichen Verfahren dehnte die Klägerin das Schmerzengeldbegehren (im Sinne einer Globalbemessung) auf EUR 10.000 aus.

Die beklagten Parteien bestritten das Klagebegehren, stellten nur die Höhe der Generalunkosten außer Streit und wandten - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - ein, die nunmehr den Gegenstand des Verfahrens bildenden Schmerzen und Heilungskosten seien spätestens bei Schluss der Verhandlung im Vorprozess vorhersehbar gewesen, weshalb die Ansprüche der Klägerin bereits durch Globalbemessung abgefunden worden seien.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es ging vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt aus und traf noch folgende weitere Feststellungen:

Der Klägerin war schon zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung im Vorprozess bewusst, dass weiterführende Physiotherapien, mit welchen abermals Schmerzen verbunden sein würden, erforderlich sind. Tatsächlich folgten zwei physiotherapeutische Behandlungen in der Dauer von jeweils mehreren Wochen, als deren Folge die Klägerin (komprimiert) 38 Tage leichte Schmerzen erlitt. Diese Schmerzen waren zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses am 30. 6. 1995 noch nicht, wohl aber im August 2002 (gemeint wohl: August 2000; siehe US 7) vorhersehbar, wobei der weitere Verlauf, insbesondere hinsichtlich der Dauer, des Ausmaßes und der Intensität der Schmerzen, nur aus medizinischer Sicht und nicht (oder nur schwer) auch durch einen Laien beurteilt hätte werden können. Auch in der Zukunft ist immer wieder mit Schmerzphasen zu rechnen. Die Klägerin leidet noch an folgenden unfallskausalen Gesundheitsstörungen: mittelgradige, schmerzliche Bewegungseinschränkung der linken Schulter mit Verspannung der Muskulatur des linken Schultergelenks; Verschmächtigung von Muskelanteilen der Rotatorenmanschette; Tiefertreten der linken Schulter; 2,5 cm klaffender Spalt zwischen peripherem Schlüsselbeinanteil und Acromion (Schultereckgelenk); reizlos abgeheilte Narben mit Empfindlichkeitsstörung; blande abgeheilte Narbe links am Schläfenbein; blande abgeheilte Narbe am linken Beckenkamm nach Spanentnahme. Um eine Verbesserung der Beweglichkeit der Muskulatur des linken Schultergelenks erreichen zu können, ist eine zweimalige physikalische Therapieserie pro Jahr erforderlich. Durch den damit verbundenen Aufbau des Muskelmantels sind schmerzkoupierende Effekte zu erwarten. Der Verzicht auf diese Therapie hätte eine Zunahme der Bewegungseinschränkung zur Folge. In den nächsten drei Jahren ist mit leichten Schmerzen von insgesamt 20 Tagen pro Jahr zu rechnen, bis sich ein entsprechender Ausheilungszustand eingestellt hat.

In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt zusammengefasst dahin, dass die geltend gemachten Schmerzengeldansprüche der Klägerin von der Bereinigungswirkung des Abfindungsvergleichs nicht umfasst gewesen seien. Die Höhe des angemessenen Schmerzengeldes sei grundsätzlich in einem Globalbetrag unter Bedachtnahme auf die Dauer und Stärke der Schmerzen sowie auf die Art und Schwere der Verletzung auszumessen, wobei alle überschaubaren Schmerzen zu berücksichtigen seien und sowohl die physischen als auch die psychischen Beeinträchtigungen der Gesundheit und der mit dieser Beeinträchtigung verbundenen Unlustgefühle abzugelten seien. Unter Beachtung dieser Grundsätze sei der Klägerin das begehrte Schmerzengeld von EUR 10.000 ebenso wie die unfallskausalen Generalunkosten zuzusprechen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien teilweise Folge, änderte das Ersturteil dahin ab, dass der Klägerin ein Betrag von EUR 4.080 sA zugesprochen und das Mehrbegehren von EUR 6.000 abgewiesen werde, und sprach (zunächst) aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es ließ eine Mängelrüge und eine Tatsachenrüge mit dem Hinweis auf deren fehlende Relevanz für die Entscheidung unerledigt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass Schmerzengeld nicht tageweise oder nach Zeitperioden, sondern mit einer Globalsumme zu bestimmen sei, wobei künftige Folgen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge beurteilt werden müssten. Was in dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung als Folge vorhersehbar und in den Auswirkungen überschaubar sei, sei dabei zu berücksichtigen und könne in einem späteren Verfahren nicht mehr zugesprochen werden. Mangels besonderer, vom Verletzten darzulegender Gründe stehe es nicht in dessen Belieben, Teileinklagungen vorzunehmen oder Schmerzengeld nur für einen bestimmten Zeitraum zu verlangen. Die Besonderheit des vorliegenden Falles liege allerdings darin, dass die Klägerin mit Schmerzen verbundene physiotherapeutische Behandlungen durchführen lassen müsse, um eine Verschlechterung ihres Zustandes hintanzuhalten. Dennoch nehme die Klägerin diese therapeutischen Behandlungen „freiwillig" in Anspruch. Es handle sich dabei also um Schmerzen, die erst durch ihren Willensentschluss ausgelöst werden würden. Bei Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses sei zwar vorhersehbar gewesen, dass die Klägerin im Zusammenhang mit den notwendigen Therapien künftig Schmerzen ertragen werde müssen. Es habe jedoch noch nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden können, ob die Klägerin auch bereit sein werde, die Therapien und die damit verbundenen Schmerzen auf sich zu nehmen. Sie habe immerhin auch die Wahl gehabt, auf die ihrer Gesundheit förderlichen, aber schmerzhaften Therapien zu verzichten und eine weitere Bewegungseinschränkung in Kauf zu nehmen. Wie auch im Falle einer unfallbedingten kosmetischen Operation liege die Entscheidung, die Therapie durchführen zu lassen oder nicht, letztlich beim Geschädigten. Es sei daher bei Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses noch nicht festgestanden, ob und in welchem Ausmaß die Klägerin Therapieschmerzen in Zukunft auf sich nehmen werde. Diese ungewissen Schmerzen hätten im Vorprozess in eine Globalbemessung des Schmerzengeldes noch nicht einfließen können. Die Klägerin könne daher mit Erfolg Schmerzengeld für all jene Schmerzen begehren, die ihr durch die Therapien nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses entstanden seien. Da aber noch nicht feststehe, ob sie weiterhin gewillt sein werde, sich auf die schmerzhaften Therapien einzulassen, sei ihr auf die Abgeltung künftiger Therapieschmerzen gerichtetes Begehren noch nicht fällig, auch wenn diese Schmerzen für die nächsten drei Jahre prinzipiell vorhersehbar seien. Die Klägerin könnte jederzeit von den Therapien Abstand nehmen und sich die damit verbundenen Schmerzen ersparen. Ob dies im Hinblick auf den weiteren Heilungsverlauf günstig sei, müsse hier nicht beurteilt werden. Der Klägerin sei somit für die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung als Folge der Therapien erwachsenen Schmerzen ein Schmerzengeld zuzusprechen, welches global mit EUR 4.000 zu bemessen sei.

Über Antrag der beklagten Parteien änderte das Berufungsgericht mit Beschluss vom 3. 12. 2004 seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision dahin ab, dass diese nun doch zulässig sei. Soweit überblickbar, existiere keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, ob vorhersehbare, mit einer notwendigen, aber freiwilligen Therapie verbundene Schmerzen nach einem Schadensereignis bei der Globalbemessung der Schmerzengeldansprüche bereits zu berücksichtigen seien oder ob sie jeweils nach ihrem tatsächlichen Eintritt gesondert geltend gemacht werden müssten. Der Entscheidung dieser Rechtsfrage komme eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.

Gegen den klagsstattgebenden Teil der Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der beklagten Parteien wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Klägerin beantragte in der ihr durch das Berufungsgericht freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel der beklagten Parteien „für unzulässig zu erklären", in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch teilweise im Sinne des in jedem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages berechtigt.

Die Revisionswerber machen geltend, die Klägerin habe keine Gründe behauptet, die eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots der Teileinklagung von Schmerzengeld rechtfertigen würden. Spätestens während des Vorprozesses seien jene Schmerzen vorhersehbar gewesen, auf welche die Klägerin ihre nunmehrigen Ansprüche stütze. Dennoch habe sie sich damals mit der Geltendmachung eines Schmerzengeldes für einen zeitlich begrenzten Abschnitt begnügt, ohne die bereits mögliche Globalbemessung anzustreben. Die Gleichsetzung künftiger therapiebedingter Schmerzen mit den noch ungewissen, von einem Willensentschluss des Geschädigten abhängigen Schmerzen als Folge einer künftigen kosmetischen Operation scheitere daran, dass eine medizinisch indizierte Therapie - anders als eine kosmetische Operation - nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge in Anspruch genommen werde.

Hiezu wurde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Abfindungsvergleich zwischen den Streitteilen auf die im vorliegenden Rechtsstreit zu klärenden Fragen keinen Einfluss hat.

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sind bei der Bemessung des Schmerzengeldes die Art und Schwere der Körperverletzung, die Art, Intensität und Dauer der Schmerzen sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Verletzten überhaupt und die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen (2 Ob 154/03s). Das Schmerzengeld stellt grundsätzlich eine Globalabfindung für alle eingetretenen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen durch die Unfallsfolgen dar. Für seine Bemessung ist das Gesamtbild der Verletzungsfolgen maßgebend. Dabei müssen auch künftige, nach dem gewöhnlichem Verlauf der Dinge zu erwartende körperliche und seelische Schmerzen einbezogen werden. Ausgenommen von der Globalbemessung bleiben nur solche künftige Schmerzen, deren Eintritt noch nicht vorhersehbar ist, oder deren Ausmaß auch nicht so weit abgeschätzt werden kann, dass eine Globalbeurteilung möglich ist. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine mehrmalige (ergänzende) Schmerzengeldbemessung nur dann zulässig, wenn eine Globalbemessung zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz versagt,

1. weil noch kein Dauer(end)zustand vorliegt, weshalb die Verletzungsfolgen noch nicht oder nicht in vollem Umfang und mit hinreichender Sicherheit überblickt werden können;

2. wenn Schmerzen in ihren Auswirkungen für den Verletzten zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz noch gar nicht oder nicht endgültig überschaubar erscheinen;

3. wenn der Kläger nachweist, dass ihm gegenüber dem Vorprozess und der dort vorgenommenen Globalbemessung weitere, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge vorerst nicht zu erwartende, aus der damaligen Sicht daher nicht abschätzbare, aber dennoch kausale Unfallsfolgen verbunden mit weiteren Schmerzbeeinträchtigungen, mit deren Eintritt nicht oder nicht ernstlich zu rechnen war, entstanden sind (2 Ob 255/01s = RZ 2002, 64; 2 Ob 154/03s; RIS-Justiz RS0031082; Danzl/Gutierréz-Lobos/Müller, Schmerzengeld8, 170 f).

Im Revisionsverfahren ist unstrittig, dass die Klägerin im Vorprozess keine Globalbemessung, sondern lediglich eine Teilbemessung des Schmerzengeldes angestrebt hat. Dies stand freilich nicht in ihrem Belieben, sondern setzte voraus, dass sie die künftigen Schmerzen nicht ausreichend vorhersehen konnte. Der Beantwortung der Frage, ob diese Voraussetzung vorlag, kommt streitentscheidende Bedeutung zu: Ist sie zu bejahen, könnte in dem späteren (nunmehrigen) Prozess weiteres Schmerzengeld nicht mehr zugesprochen werden und die Klage wäre insoweit abzuweisen (8 Ob 35/84 = ZVR 1986/77; Danzl aaO 174); ist sie zu verneinen, wäre ein weiterer Zuspruch von Schmerzengeld nach Maßgabe der nachstehend angeführten Kriterien möglich.

Das Berufungsgericht hat die Vorhersehbarkeit künftiger Schmerzen nur unter dem Gesichtspunkt eines noch ungewissen Willensentschlusses der Klägerin geprüft. Daran ist richtig, dass der Anspruch auf Schmerzengeld im Sinne einer Globalbemessung nur zur Abgeltung der künftig wahrscheinlich auftretenden Schmerzen besteht. Es kann daher neuerliches Schmerzengeld gewährt werden, wenn es sich um die Vergütung von Schmerzen handelt, die sich nicht als Fortsetzung der früheren darstellen, sondern die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht zu erwarten waren (RIS-Justiz RS0031056). Aus diesem Grund dürfen Schmerzen, die nicht schicksalsbedingt eine unmittelbare Folge des Schadensereignisses sind und deren Eintritt erst durch einen Willensentschluss des Geschädigten ausgelöst wird, wegen der dabei bestehenden Ungewissheit ihres Eintrittes im Rahmen der Globalbemessung nicht berücksichtigt werden (RIS-Justiz RS0081405).

Mit dieser Argumentation wurden in der Rechtsprechung vor allem die mit einer möglichen kosmetischen Operation verbundenen Schmerzen von der Bemessung des Schmerzengeldes ausgenommen (ZVR 1972/52; 8 Ob 229/73; 8 Ob 178/83; RIS-Justiz RS0031358). In der Entscheidung 2 Ob 16/71 (ZVR 1972/82) blieben künftige, wegen einer Verunstaltung hervorgerufene seelische Schmerzen unberücksichtigt, weil im Hinblick auf eine mögliche Operation noch nicht absehbar war, ob die Verunstaltung von Dauer sein werde. In der Entscheidung 2 Ob 75/89 (ZVR 1990/158) wurden die Voraussetzungen einer Teilbemessung des Schmerzengeldes mit der Begründung bejaht, dass nicht abgeschätzt werden könne, ob sich der Kläger angesichts seines (geringen) Alters zu einer medizinisch indizierten Totalendoprothesenoperation entschließen werde und es daher ungewiss sei, wie lange er noch an leichten Schmerzen leiden wird. In diesen Fällen wurde - im Einklang mit der oben zitierten Rechtsprechung - jeweils darauf abgestellt, dass der mögliche Eintritt bzw das Ausmaß künftiger Schmerzen nicht schon nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge beurteilt werden könne.

Diese Voraussetzung trifft auf die therapiebedingten Schmerzen der Klägerin nicht zu. Grundsätzlich hängt die Durchführung jeder Heilbehandlung davon ab, ob sich der Geschädigte ihr unterwirft. Es ist aber danach zu unterscheiden, ob ihre Inanspruchnahme nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge vorauszusehen ist oder nicht. Hier hat die Klägerin selbst vorgebracht, seit vielen Jahren auf Anraten der Ärzte - trotz der damit verbundenen Schmerzen - regelmäßig physikalische Therapie in Anspruch zu nehmen, um gegen die ständigen Beschwerden im Schultergelenk anzukämpfen, und nicht einmal angedeutet, in Hinkunft von diesen therapeutischen Maßnahmen Abstand nehmen zu wollen. Sie hat ihren Entschluss, die Therapien auf sich zu nehmen, somit bereits vor Jahren gefasst, ohne dass im Verfahren Umstände hervorgekommen wären, die auf ein Abgehen von dieser Entscheidung hindeuten könnten. Da diese Therapien der Behandlung unmittelbarer Folgen des Unfalles dienen, bleibt auch die schicksalshafte Verknüpfung zwischen den mit ihnen verbundenen (zusätzlichen) Schmerzen und dem Schadensereignis gewahrt. Es liegt daher im gewöhnlichen Verlauf der Dinge, dass sich die Klägerin den Therapien bis zum endgültigen Abklingen ihrer Beschwerden weiterhin unterzieht. Insoweit war und ist das Auftreten künftiger Schmerzen vorhersehbar. Die Auffassung des Berufungsgerichtes, es müsse jederzeit mit einer Willensänderung der Klägerin gerechnet werden, findet weder in den Verfahrensergebnissen noch im Prozessvorbringen der Klägerin eine tragfähige Grundlage. Sie ist daher zur Begründung der Zulässigkeit einer Teilbemessung des Schmerzengeldes nicht geeignet.

Aus diesem Zwischenergebnis ist für den Prozessstandpunkt der Revisionswerber aber noch nichts zu gewinnen. Für die Vorhersehbarkeit künftiger Schäden ist nämlich entscheidend, ob dem Geschädigten objektiv alle für das Entstehen des Anspruches maßgebenden Tatbestände bekannt gewesen sind; auf die Vorhersehbarkeit (nur) für den Sachverständigen des Vorprozesses kommt es nicht an (2 Ob 78/03i mwN). Nach den erstgerichtlichen Feststellungen war der Klägerin schon bei Schluss der Verhandlung des Vorprozesses bewusst, dass weiterführende Therapien, welche abermals mit Schmerzen behaftet sein würden, erforderlich sind. Für einen Sachverständigen, nicht auch für einen Laien, war (sogar schon zu einem früheren Zeitpunkt) überdies die Dauer, das Ausmaß und die Intensität der künftigen Schmerzen abschätzbar. Tatsächlich wurde aber im Vorprozess eine solche Prognose für entbehrlich erachtet und durch den gerichtlichen Sachverständigen daher unterlassen. Der Klägerin war demzufolge eine verlässliche Abschätzung künftiger Schmerzen (im Sinne einer endgültigen Überschaubarkeit ihrer Auswirkungen) im Vorprozess noch nicht möglich, hatte sich doch ihr Wissensstand durch die Verfahrensergebnisse nicht geändert. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin selbst über entsprechende Fachkenntnisse verfügte oder umfassende Privatgutachten eingeholt hatte, wozu sie nicht verpflichtet war, liegen nicht vor (vgl 2 Ob 242/98x = ZVR 1999/50; 2 Ob 173/01g = ZVR 2001/99 = JBl 2002, 252).

Nach Auffassung des erkennenden Senates kann es der Klägerin auch nicht zum Nachteil gereichen, dass sie im Vorprozess nicht auf eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens um eine Zukunftsprognose gedrungen hat. Selbst wenn ihr diese (rückschauend) die Möglichkeit eröffnet hätte, ihr damaliges Schmerzengeldbegehren im Sinne einer Globalbemessung auszudehnen, war sie mangels jeglichen Hinweises auf eine dem Sachverständigen schon mögliche Überschaubarkeit des künftigen Verlaufs ihrer Beschwerden, der noch erforderlichen Anzahl von Therapien und der damit verbundenen Schmerzen zu entsprechenden Erkundigungen nicht verpflichtet. Der in diesem Zusammenhang gerügte Feststellungsmangel liegt nicht vor. Im Übrigen hätten es die beklagten Parteien im Vorprozess selbst in der Hand gehabt, durch geeignete Fragestellung an den Sachverständigen die für eine Globalbemessung ausreichende Sachverhaltsgrundlage zu schaffen.

Die Klägerin war somit befugt, im Vorprozess lediglich einen Teilbetrag geltend zu machen, ohne den Anspruch auf weiteres Schmerzengeld zu verwirken. Obwohl im nunmehrigen Folgeprozess die Voraussetzungen einer - von der Klägerin letztlich auch angestrebten - Globalbemessung vorlagen, hat das Berufungsgericht abermals nur eine Teilbemessung als zulässig erachtet. Da die Klägerin im Gegensatz zu den beklagten Parteien auf die Stellung eines Antrages auf nachträgliche Zulassung der ordentlichen Revision (§ 508 Abs 1 ZPO) verzichtete, sodass das Berufungsurteil im klagsabweisenden Umfang in Rechtskraft erwuchs, wurde eine Verfahrenslage geschaffen, die jener vergleichbar ist, in der ein Kläger trotz möglicher Globalbemessung lediglich Teilschmerzengeld begehrt. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass in diesen Fällen dem Kläger im Rahmen seines ziffernmäßigen Begehrens Globalschmerzengeld zuzusprechen ist (2 Ob 68/92 = ZVR 1993/168 mwN; RIS-Justiz RS0031055).

Eine Schmerzengeldergänzung darf aber insgesamt zu keinem höheren Anspruch als bei einer einmaligen Globalbemessung führen (ZVR 1990/158; ZVR 1998/50; RIS-Justiz RS0031064, RS0031323; Reischauer in Rummel, ABGB³, § 1325 Rz 49). Frühere Teilzahlungen sind bei der endgültigen Bemessung des Schmerzengeldes entsprechend der inzwischen gesunkenen Kaufkraft des Geldes aufzuwerten (ZVR 1989/203; ZVR 1998/50; 2 Ob 255/01s; RIS-Justiz RS0031242; Reischauer aaO Rz 50; Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller aaO 200).

Hier reicht der bisher festgestellte Sachverhalt für eine ergänzende Bemessung nicht aus, weil trotz des umfangreichen Vorbringens der Klägerin keine Feststellungen zu den vom Abfindungsvergleich nicht umfassten Schmerzen und den darauf bereits geleisteten Teilzahlungen der beklagten Partei getroffen wurden. Es bedarf daher noch einer (allenfalls unter Beiziehung des Sachverständigen vorzunehmenden) Verfahrensergänzung. Bei der sich daran anschließenden Globalbemessung des Schmerzengeldes werden von dem als angemessen ermittelten Betrag nicht nur die aufgewerteten Teilzahlungen, sondern es wird auch der rechtskräftig abgewiesene Teilbetrag in Abzug zu bringen sein. Erst danach wird abschließend beurteilt werden können, ob der Klägerin noch Schmerzengeld gebührt.

Die vorinstanzlichen Urteile waren daher, soweit sie das Schmerzengeldbegehren der Klägerin zum Gegenstand haben, im angefochtenen Umfang aufzuheben und die Rechtssache war insoweit an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung zurückzuverweisen.

Zu den Generalunkosten wird im Rechtsmittel nichts ausgeführt. Da der Grundsatz, dass bei Bekämpfung der rechtlichen Beurteilung die Gesetzmäßigkeit des Urteiles nach allen Richtungen zu prüfen ist, unter anderem dann nicht mehr gilt, wenn bei einem mehrere Ansprüche erfassenden Schadenersatzbegehren die Rechtsrüge nicht hinsichtlich jedes dieser Ansprüche ordnungsgemäß ausgeführt ist (8 Ob 560/87 mwN; RIS-Justiz RS0043338 [T 4 und 6]), sieht sich der Oberste Gerichtshof zu einer Überprüfung des Zuspruches von Generalunkosten nicht veranlasst.

Es konnte daher in dem aus dem Spruch ersichtlichen Umfang ein bestätigendes Teilurteil gefällt werden.

Die Entscheidung über die das Teilurteil betreffenden Kosten des Verfahrens ist von der Endentscheidung abhängig und war daher im Sinne des § 52 Abs 2 ZPO dieser vorzubehalten.

Im Übrigen gründet sich der Kostenvorbehalt auf § 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte