OGH 2Ob55/04h

OGH2Ob55/04h1.3.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl U*****, vertreten durch Dr. Stefan Duschel und Mag. Klaus Hanten, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1.) Andreas Z*****, und 2.) Mag. Thomas Stenitzer, Rechtsanwalt, Rathausgasse 4, 2136 Laa an der Thaya, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der Z***** GesmbH, *****, beide vertreten durch Borns & Partner Rechtsanwaltskommanditpartnerschaft in Gänserndorf, wegen EUR 132.800,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 12. Dezember 2003, GZ 11 R 152/03h-37, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 20. Juni 2003, GZ 19 Cg 42/02i-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 2.173,85 (darin enthalten EUR 362,31 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehefrau des Klägers wurde am 15. 11. 2001 bei einem vom Erstbeklagten verschuldeten Verkehrsunfall derart schwer verletzt, dass sie noch am Folgetag ihren Verletzungen erlag. Der Erstbeklagte hatte als Lenker eines von der nunmehrigen Gemeinschuldnerin Z***** GmbH gehaltenen LKW im alkoholisierten Zustand die Herrschaft über sein Fahrzeug verloren, dieses über einen Grünstreifen auf die Gegenfahrbahn gesteuert und den PKW-Polo der Ehefrau des Klägers im Bereich der Fahrgastzelle gerammt.

Der Kläger begehrt - soweit verfahrensgegenständlich - Schmerzengeld für verkürztes Leben in der Höhe von EUR 117.800,- -. Seine Ehefrau sei zum Unfallszeitpunkt im 22. Lebensjahr gestanden und hätte noch eine weitere Lebenserwartung von 58,9 Jahren gehabt. Durch die den beklagten Parteien zuzurechnende Tötung sei ihr die Lebensfreude für diesen Zeitraum genommen worden, wofür ihr ein Schmerzengeld von EUR 2.000,-- pro Lebensjahr zustehe. Als eingeantwortetem Erben nach seiner Ehefrau sei dieser Anspruch auf den Kläger übergegangen.

Die beklagten Parteien wendeten im Wesentlichen ein, ein Schmerzengeldanspruch, der aus der verkürzten Dauer des Lebens seiner Ehefrau resultiere, sei bei seiner Ehefrau nicht entstanden und demnach auch nicht auf den Kläger übergegangen.

Das Erstgericht stellte fest, die verstorbene Ehefrau des Klägers sei zum Unfallszeitpunkt im 22. Lebensjahr gestanden und hätte noch eine weitere Lebenserwartung von 58,9 Jahren gehabt. Der Kläger sei Alleinerbe nach seiner Ehefrau.

Rechtlich führte es aus, dem Kläger als Alleinerben nach seiner verstorbenen Ehefrau stehe Schmerzengeld für die ihr entgangene Lebensfreude nicht zu. Ein derartiges Schmerzengeld stelle keinen Ersatz für erlittene Leiden des Getöteten dar, sondern ausschließlich einen Anspruch des Erben, der kaum konkret bemessen werden könne.

Das allein gegen die Abweisung von EUR 117.800,-- (Schmerzengeld für die verkürzte Dauer des Lebens) vom Kläger angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der in der Literatur vertretenen Rechtsansicht, dass auch de lege lata Schmerzengeld für ein verkürztes Leben zuzusprechen sei, sei nicht zu folgen. Nach § 1325 habe derjenige, der jemand an seinem Körper verletze, auf Verlangen ein den erhobenen Umständen angemessenes Schmerzengeld zu bezahlen. Das Schmerzengeld solle Vorteile für Nachteile ausgleichen, es solle ein Ausgleich zur Gewährung von Daseinsfreuden sein, zumindest sollten für entzogene Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen verschafft werden. Es sei Genugtuung für alles Ungemach, das der Verletzte im ideellen Bereich erdulden habe müssen, solle das Gefühl der Beeinträchtigung bzw auch das Gefühl einer Minderwertigkeit nehmen und so das gestörte Gleichgewicht der Persönlichkeit zumindest teilweise wiederherstellen. Wesentlich sei dabei, dass der Zustand, auf Grund dessen ein Schmerzengeld gewährt worden sei, bewusst oder unbewusst erlebt worden sei. Bewusste oder unbewusste Schmerzempfindungen endeten aber mit dem Tod. Der Tod beende jegliche Erlebnisfähigkeit. Alle Entscheidungen, in denen Schmerzengeld für Zustände der Bewusstlosigkeit oder der Todesangst oder Vernichtung der Persönlichkeit oder Einschränkung der Lebensfähigkeit oder Störung des Wohlbefindens zugesprochen worden seien, seien dadurch gekennzeichnet, dass der Verletzte diese Zustände bewusst oder unbewusst erlebt habe, also am Leben geblieben sei. Dies sei wesentlich, weil nur dann der vom Gesetzgeber gewollte Gedanke einer Ausgleichsfunktion noch zum Tragen kommen könne.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil das Berufungsgericht nicht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren hinsichtlich des Erstbeklagten im Umfange von EUR 117.800,-- stattgegeben, hinsichtlich der zweitbeklagten Partei aber eine Konkursforderung in dieser Höhe festgestellt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien beantragen in ihrer freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision des Klägers zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage einer „Entschädigung für den verfrühten Tod" nicht vorliegt, sie ist aber nicht berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist ausschließlich die „Entschädigung für den verfrühten Tod" der tödlich verunglückten Ehefrau des Klägers strittig. Das dem Kläger direkt zustehende „Trauerschmerzengeld" für den Verlust seiner Ehefrau wurde von den Vorinstanzen bereits rechtskräftig abgesprochen und bildet daher keinen Streitgegenstand mehr.

Nach der neueren Judikatur des Obersten Gerichtshofes besteht ein Schmerzengeldanspruch nach § 1325 ABGB unabhängig davon, ob der Verletzte Schmerzen empfinden kann oder nicht (6 Ob 535/1558/92; ZVR 2000/54 mwN). Diese Rechtsprechung wurde von einem Großteil der Lehre gebilligt (Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 11/23; Karner, Der Ersatz ideeller Schäden bei Körperverletzung [1999] 123 ff [139]; Danzl in Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Das Schmerzengeld8, 98 ff; krit Harrer in Schwimann ABGB2, Rz 78 zu § 1325; Ch. Huber, Antithesen zum Schmerzengeld ohne Schmerzen - Bemerkungen zur objektiv-abstrakten und subjektiv-konkreten Schadensberechnung, ZVR 2000, 218 ff).

Davon ausgehend wurde in der Literatur gefordert, auch getöteten (Unfall-)Opfern (ihren Rechtsnachfolgern) schon nach geltender Rechtslage eine „Entschädigung für den verfrühten Tod" zuzuerkennen (Greiter, Schmerzengeld für ein verkürztes Leben in FS Kohlegger [2001], 239 ff; ders AnwBl 2001, 274 und 2002, 448 f; ders in 15. Österreichischer Juristentag in Innsbruck ÖJZ 2004, 179; Prisching, Immaterieller Schadenersatz in Österreich und den USA [2003], 58).

Der überwiegende Teil des Schrifttums vertritt aber den Standpunkt, dass auf Grund der geltenden Rechtslage ein derartiger Anspruch nicht besteht. Karner/Koziol (Der Ersatz ideellen Schadens im österreichischen Recht und seine Reform, 15. ÖJT II/1 [2003], 67 ff) begründen ihre in den Gutachten ausgesprochene Auffassung mit der Höchstpersönlichkeit und damit Unvererblichkeit des Rechtsgutes „Leben" (aaO 69). Mit der Anerkennung eines derartigen Ersatzanspruches bei Tötung würde dem Umstand nicht ausreichend Rechnung getragen, dass das vernichtete Rechtsgut mit der Person untrennbar verbunden und damit eben auch sein Ende mit dem Untergang der Person verknüpft ist. Eine Anwendung des Rechtsfortwirkungsgedankens auf Persönlichkeitsgüter ohne Marktwert, die untrennbar mit der Person verbunden seien, mit dem Ergebnis, dass auch bei Tötung Ersatz zuzusprechen sei, könne nach geltendem Recht nicht vertreten werden. In seinem Beitrag, Die Tötung im Schadenersatzrecht, Liber Amicorum Pierre Widmer [2003], 203 ff hat Koziol dargelegt, dass zwar gewichtige Wertungsgesichtspunkte für weitgehende Schadenersatzansprüche bei Tötung sprechen, die Unvererblichkeit von Erwerbsfähigkeit und Recht auf Leben auch nicht logisch zu dem Schluss führen müssen, dass auch keine vererbbaren Ersatzansprüche gegeben sein können (aaO 208) und die Vernichtung der Erwerbsfähigkeit als vermögenswertes Gut im Schadenersatzanspruch der Erben fortwirken kann; doch würde damit doch im Ergebnis ein an sich höchstpersönliches und damit unvererbliches Gut in den Nachlass fallen und damit den Erben ein Vermögenswert zukommen, der ihnen ohne Vernichtung des Vermögensgutes nie zugefallen wäre (aaO 212 f). Daher kann seinre Auffassung nach eine Ausdehnung des Rechtsfortwirkungsgedankens auf Persönlichkeitsgüter ohne Marktwert, die untrennbar mit der Person verbunden sind, mit dem Ergebnis, dass auch bei Tötung Ersatz für die Zeit nach dem Tode zuzusprechen ist, nach geltendem Recht nicht vertreten werden (aaO 213). Auch Danzl (in Danzl/Gutiérres - Lobos/Müller, Das Schmerzengeld8 191 f mwN; ders, Schmerzengeld im Wandel: Neues zu den Voraussetzungen und zur Höhe des Schmerzengeldanspruchs, SV 2002, 73 [81]) findet keine Grundlagen für einen derartigen Anspruch in der geltenden Rechtslage.

Auch in der deutschen Lehre und Rechtsprechung wird die Meinung vertreten, dass der Gesetzgeber in der (vergleichbaren) Regelung des § 847 BGB (nunmehr § 253 Abs 2 BGB) weder für den Tod noch für die Verkürzung der Lebenserwartung eine Entschädigung vorgesehen hat (BGHZ 138, 388 = NJW 1998, 2741; Pardey in Geigel, Der Haftpflichtprozess24 [2004], 265, Rn 76; Wagner, Ersatz immaterieller Schäden: Bestandaufnahme und europäische Perspektiven, JZ 2004, 319 [325]; Koziol, die Bedeutung des Zeitfaktors bei der Bemessung ideeller Schäden, in FS Hausheer [2002], 597 [602]).

Der erkennende Senat schließt sich dieser überwiegenden Lehre an:

Das Schmerzengeld ist nach seiner Zweckbestimmung jene materielle Entschädigung, auf die ein Verletzter zum Ausgleich der durch die Beschädigung insgesamt entstandenen körperlichen und seelischen Schmerzen, der entgangenen Lebensfreude und aller mit den Unfallverletzungen und ihren Folgen verbundenen Unbillen Anspruch hat. Als Maßstab für die Höhe des Schmerzengeldes ist jener Geldbedarf anzusehen, der gerechtfertigt erscheint, um ihn in die Lage zu versetzen, sich als Ausgleich für die Leiden und statt der ihm entzogenen Lebensfreude auf andere Weise etwas leisten zu können, das ihn erfreut und womit er vielleicht den erlittenen Schmerz vergessen kann. Dem Verletzten soll damit das Gefühl der Verletzung genommen, das Gleichgewicht seiner Persönlichkeit wiederhergestellt und eine positive Veränderung seiner Gefühle bewirkt werden (Danzl aaO 66 ff mwN; Reischauer in Rummel ABGB3 Rz 43 zu § 1325 mwN). Diese Ausgleichsfunktion endet aber mit dem Tod des Verletzten. Nach dem Tod kann schon begrifflich ein Ausgleich für entgangene Lebensfreude nicht mehr stattfinden.

Koziol (Die Tötung im Schadenersatzrecht aaO 211) formuliert zur Frage des Schmerzengeldes für verkürztes Leben treffend: „Wollte man in den Fällen einer haftbarmachenden Tötung einen Ersatzanspruch entstehen und diesen als gewöhnlichen vermögenwerten Anspruch in den Nachlass fallen lassen, so würde damit im Ergebnis ein an sich höchstpersönliches und damit unvererbliches Gut ausschließlich deshalb in einen nicht höchstpersönlichen und damit vererblichen Geldanspruch umgewandelt werden, um den Erben einen Vermögenswert zukommen lassen, der ihnen ohne Vernichtung des Vermögensgutes nie zugefallen wäre".

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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