OGH 6Ob23/05h

OGH6Ob23/05h17.2.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Österreichische Hochschülerschaft, ***** vertreten durch Jarolim Singer Specht Rechtsanwälte Gesellschaft mbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. K***** Gesellschaft mbH & Co KG, 2. M***** Gesellschaft mbH & Co KG, 3. Kathrin M*****, und 4. Richard S*****, alle vertreten durch Korn Frauenberger Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Unterlassung, Widerrufs und Veröffentlichung des Widerrufs ehrverletzender Äußerungen, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. Dezember 2004, GZ 1 R 189/04b-14, womit über die Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 6. Juli 2004, GZ 24 Cg 217/03z-9, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Hochschülerschaft an der Universität Wien ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Sie bot auf ihrer Homepage die Veranstaltung eines Seminars zur Ausbildung und Vorbereitung von Personen an, die im Wintersemester selbst „lesbischwule" Tutorien abhalten sollten. Das Seminar wurde für die Teilnehmer kostenlos angeboten und von der Hochschülerschaft an der Universität Wien finanziert. An möglichen Seminarthemen wurden ua ein „coming-out" und „lesbischwuler tratsch und klatsch" angeführt. Hingewiesen wurde, dass sich diese Themen nach den Bedürfnissen der Teilnehmer richten sollten. Mit den Formulierungen war die Vorbereitung der Tutoren auf Konfrontationen mit Fragen homosexueller Personen wegen Geredes über ihre sexuellen Neigungen gemeint.

Unter dem Titel „Sex-Tratsch- und Golfwochen" in dem von der Drittbeklagten und dem Viertbeklagten verfassten Artikel, der in der Ausgabe vom 3. 10. 2003 der Tageszeitung der Erstbeklagten und der Zweitbeklagten (Medieninhaberin und Verlegerin) veröffentlicht wurde, wurde ua der inhaltliche Vorwurf erhoben, dass die Hochschülerschaft (ÖH) mit Steuergeld einen für die Teilnehmer kostenlosen 3-Tages-Ausflug aufs Land samt „coming-out" und „Sex-Tratsch" finanziere.

Die Klägerin begehrt die Unterlassung und den öffentlichen Widerruf bestimmter, im Artikel der Beklagten enthaltener Tatsachenbehauptungen, die unwahr seien.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren zur Gänze statt. Nach den Feststellungen hatte die Hochschülerschaft an der Universität Wien das im Artikel der Beklagten kritisierte Seminar angeboten. Diese juristische Person sei gegenüber der Klägerin selbständig, weisungsfrei und unabhängig. Auf ihre Veröffentlichungen habe die Klägerin keinen Einfluss. Sportveranstaltungen der Klägerin würden mit dem Entgelt der Teilnehmer, nicht aber mit Mitgliedsbeiträgen oder öffentlichen Geldern finanziert. Die der Klägerin zur Verfügung gestellten öffentlichen Mittel und Subventionen seien zweckgebunden und würden nicht für Sportangebote verwendet werden. Die Drittbeklagte und der Viertbeklagte hätten vor der Veröffentlichung ihres Artikels beim stellvertretenden Vorsitzenden der Klägerin und deren Pressesprecherin Informationen eingeholt und im Internet auf der Web-Site der Hochschülerschaft an der Universität Wien recherchiert. Dabei habe der Viertbeklagte den Zusatz „Wien" übersehen (und angenommen, eine Veröffentlichung der Klägerin zu lesen).

Das Berufungsgericht beurteilte die bekämpften Äußerungen als unwahre Tatsachenbehauptungen, weil (unstrittig) nicht die Klägerin, sondern die von ihr getrennte Hochschülerschaft an der Universität Wien die kritisierte Veranstaltung beworben hat. Im Artikel sei aber nur die Klägerin als Veranstalter genannt worden. Es sei für einen Leser keineswegs klar gewesen, dass die Hochschülerschaft an der Universität Wien angegriffen werde. Deren Webseiten könnten der Klägerin nicht zugerechnet werden. Der wertende Vorwurf der Verschwendung von Steuergeldern beruhe auf falschen Tatsachenbehauptungen, sodass sich die Beklagten nicht auf die Meinungsfreiheit nach Art 10 MRK berufen könnten. Auch der Widerrufsanspruch sei berechtigt, weil schon eine sorgsame Internetrecherche die Existenz unterschiedlicher juristischer Personen erkennen hätte lassen. Aufgrund von Überprüfungen bei kompetenten Stellen hätten erkannt werden können, dass keine Steuermittel für die Seminare verwendet werden. Bei der Verbreitung eines rufschädigenden Artikels in einem Massenmedium stünde den Medieninhaber der Beweis fehlender subjektiver Sorgfaltsverletzung nicht zu. Der Gutglaubensbeweis über die Einhaltung der journalistischen Sorgfalt sei den Beklagten aber auch nicht gelungen. Die außerordentliche Revision der Beklagten ist mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig:

Rechtliche Beurteilung

1. Zum Wahrheitsbeweis:

Auch die gebotene Beurteilung nach dem Gesamtzusammenhang des Artikels führt hier nicht zum Ergebnis, dass der maßgebliche verständige Durchschnittsleser nicht die Klägerin, sondern die Hochschülerschaft an der Universität Wien als Adressaten der Kritik der Beklagten erkennt. Die Hochschülerschaft an der Universität Wien wird im Artikel kein einziges Mal erwähnt. Die Tatsachenbehauptungen sind auch nicht schon deshalb im Kern als richtig anzusehen, wenn der Werbeauftritt der Hochschülerschaft an der Universität Wien durch sein Logo und die Verwendung der Bezeichnung „ÖH Universitätsvertretung" für den unkundigen Leser irreführend auf die Klägerin hingewiesen haben sollte.

2. Zum Entlastungsbeweis hinreichender Gründe für die Annahme der Wahrheit:

Das Berufungsgericht hat den Entlastungsbeweis im Sinne der Ansicht Reischauers (in Rummel ABGB³ Rz 17 zu § 1330) bei einer Veröffentlichung in einem Massenmedium für unzulässig erachtet. Diese Meinung steht im Widerspruch zur Judikatur, wonach der Presse der objektive Nachweis der Einhaltung der journalistischen Sorgfalt offensteht (6 Ob 291/00p; 6 Ob 52/01t; RIS-Justiz RS0031856). Dadurch können sich die Revisionswerber aber nicht für beschwert erachten, weil das Berufungsgericht ohnehin den Sachverhalt auch in diese Richtung geprüft hat, allerdings zutreffend zur Ansicht gelangt ist, dass den Beklagten der Entlastungsbeweis nicht gelungen ist.

3. Zum Gutglaubensbeweis:

Die Beklagten hätten nachzuweisen gehabt, dass sie gute Gründe für die Annahme der Wahrheit ihrer Behauptungen hatten (RIS-Justiz RS0031811). Zur Herstellung des Tatbestandes des § 1330 ABGB genügt schon Fahrlässigkeit (RS0031775). Die von den Revisionswerbern vorgetragenen Argumente (ihre Internetrecherchen; Nachfrage bei der Klägerin; „diffizile" Unterscheidung zwischen Österreichische Hochschülerschaft und Hochschülerschaft an der Universität Wien; „konturlose Vermischung dieser Institutionen in ihrem öffentlichen Auftreten") reichen nicht aus, um ein Verschulden an der Unkenntnis des wahren Sachverhalts verneinen zu können. Die Existenz zweier unterschiedlicher und voneinander völlig getrennter juristischen Personen des öffentlichen Rechts ergibt sich schon aus dem Gesetz (§ 2 Hochschülerschaftsgesetz 1998 - HSG 1998, BGBl I 22/1999 idgF). Daraus hätte sich die Verschiedenheit der Rechtsstellung und der Aufgaben der beiden Selbstverwaltungskörper und ihre wechselseitige Unabhängigkeit erkennen lassen. Der Hinweis der Revisionswerber, die Klägerin hätte auf eine irreführende Namensverwendung (§ 43 ABGB) der Hochschülerschaft an der Universität Wien rechtlichen Einfluss gehabt, mag zutreffen, entscheidend kann hier aber nur sein, dass die Klägerin keine rechtliche Möglichkeit hat, das von den Beklagten kritisierte Verhalten der Hochschülerschaft an der Universität Wien abzustellen, weil sich die Rechtsstellung der Hochschülerschaften von der in der Entscheidung 6 Ob 291/03t behandelten Rechtsstellung von Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft wesentlich unterscheidet. Wenn die Vorinstanzen beim festgestellten Sachverhalt und der dargelegten Gesetzeslage den Irrtum der beklagten Journalisten als fahrlässig beurteilten, liegt darin keine im Rahmen eines außerordentlichen Rechtsmittels aufgreifbare rechtliche Fehlbeurteilung.

4. Zur Repräsentantenhaftung:

Die Revisionswerber vermissen Feststellungen zur Funktion der beklagten Journalisten im Unternehmen der Medieninhaberin bzw Verlegerin. Damit sprechen sie die Haftung einer juristischen Person bloß für ihre Organe und die diesen gleichzuhaltenden Repräsentanten (leitende Angestellte) an. Abgesehen von der möglichen Haftung der juristischen Person gemäß § 1315 ABGB, wenn sie die ihr obliegenden Aufgaben einem in untergeordneter Stellung Tätigen ohne Kontrolle überträgt (6 Ob 220/99t), ist den Revisionswerbern die Haftung des Verbreiters von ehrverletzenden Tatsachenbehauptungen entgegenzuhalten, worunter die Weitergabe von Äußerungen Dritter zu verstehen ist (RS0031781). Wenn beispielsweise eine politische Partei nur für Äußerungen ihrer Organe und ihrer wesentlichen Repräsentanten haftet (RS0107916), nicht aber für die Äußerungen untergeordneter Mitarbeiter oder Mitglieder, so liegt der Unterschied zum hier vorliegenden Fall auf der Hand: Die politische Partei verbreitet die strittige Behauptung des Dritten nicht selbst, der Medieninhaber aber schon, sodass er für sein eigenes Verhalten einzustehen hat. Dass die Erstbeklagte und die Zweitbeklagte sich im Sinne der sogenannten Zitatenjudikatur vom Artikel ihrer Journalisten distanziert hätten, geht aus dem Text des Artikels nicht hervor und wird zu Recht auch nicht behauptet.

Insgesamt zeigen die Revisionswerber keine erheblichen Rechtsfragen auf. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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