Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Pflegschaftssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Rekursgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung
Nach der am 1. 2. 1995 erfolgten Scheidung der Ehe der Eltern des mj Hannes kam es zum Streit darüber, welchem Elternteil die Obsorge für den Minderjährigen zukommen solle. Der Vater machte (schon damals) geltend, die Mutter sei erziehungsunfähig, weil sie an Bulimie leide, psychisch angeschlagen, depressiv und suizidgefährdet sei. Nach einem umfangreichen Verfahren, in dem ua auch die Gutachten dreier Sachverständiger eingeholt wurden, wurde die Obsorge für den Minderjährigen der Mutter übertragen.
Mit der Behauptung der Gefährdung des Kindeswohles zufolge psychischer Erziehungsunfähigkeit der Mutter stellte der Vater im Jänner 2002 Anträge, der Mutter die Obsorge zu entziehen. Nachdem der Minderjährige bei einer gerichtlichen Vernehmung am 5. 8. 2002 deponiert hatte, dass es ihm sowohl bei der Mutter als auch bei den mütterlichen Großeltern, aber auch im Internat (das er mittlerweile seit 1991 besuchte) gefalle und er mit seinem Vater (nachdem er dessen Anträge gelesen habe) nicht mehr zusammentreffen wolle, zog der Vater seinen Antrag auf Obsorgeübertragung "vorläufig" zurück. In der Folge stellte er aber am 19. 3. 1993 sodann erneut den - nunmehr gegenständlichen - Antrag, der Mutter die Obsorge für den Minderjährigen zu entziehen und ihm zu übertragen. Die Mutter sei nicht in der Lage, die physische und psychische Last der Erziehung des Minderjährigen zu tragen. Dies habe sie offenbar auch selbst erkannt, da sie das Kind wegen eigener Berufstätigkeit bei ihren Eltern untergebracht habe. Sie sei erschreckend stark abgemagert und erscheine einem Laien als magersüchtig. Sie kümmere sich nicht besonders um den Minderjährigen und besuche ihn lediglich bei den Großeltern.
Die Mutter bestritt dieses Vorbringen. Zwischen ihr und dem Minderjährigen bestehe eine tiefe Beziehung. Der Minderjährige halte sich gern bei seinen Großeltern auf und sie habe nicht die Absicht, dies zu stören. Die Erziehung und Obsorge sei für sie keine Last. Magersüchtig sei sie nicht.
In einer vom Erstgericht eingeholten Stellungnahme führte der Jugendwohlfahrtsträger ua aus, die ständig wiederkehrende Befassung mit der gleichen Fragestellung (der Obsorgeübertragung) stelle eine unzumutbare Belastung für den Minderjährigen dar, die mit dem Kindeswohl nicht vereinbar sei. Ein Obsorgewechsel scheine nicht im Interesse des Minderjährigen gelegen. Der vom Erstgericht mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Sachverständige Univ. Prof. Dr. Max H. Friedrich kam nach Befragung der Mutter und des Sohnes zum Ergebnis, dass sich der Minderjährige somatisch, intellektuell, emotional und sozial lebensalterstypisch gereift zeige. Es lägen keine Anzeichen einer Mangelversorgung oder Verwahrlosung vor und er sei in allen Dimensionen gut gefördert. Die Mutter erweise sich in allen Erziehungsdimensionen geeignet; eine Einschränkung ihrer Obsorge erscheine nicht notwendig. Das Kindeswohl sei bei einer Beibehaltung der bisherigen Obsorgesituation in keiner Weise gefährdet.
Das Erstgericht wies daraufhin den Antrag des Vaters ab und dessen weiteren Antrag auf Einholung von Gutachten medizinischer Sachverständiger aus den Fachgebieten der internen Medizin sowie der Neurologie und Psychiatrie über den Gesundheitszustand der Mutter zurück. Mangels einer erkennbaren Gefährdung (des Kindeswohles) lägen die Voraussetzungen für einen Obsorgewechsel gemäß § 176 Abs 1 ABGB nicht vor. Die Mutter, deren Erziehungssuffizienz mehrfach überprüft und festgestellt worden sei, sei als Obsorgeberechtigte befugt, den Minderjährigen in einem Internat unterzubringen und ihm zu gestatten, sich in seiner Freizeit häufig bei seinen Großeltern aufzuhalten. Das vom Vater angerufene Rekursgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Kernfrage der Rekursentscheidung sei die (vom Antragsteller als Verfahrensmangel gerügte) objektive Notwendigkeit, die Mutter einer weiteren medizinischen Untersuchung aus dem Fachgebiet der inneren Medizin zu unterziehen und ein psychiatrisches Gutachten einzuholen. Ob Anlass zu diesen Untersuchungen bestehe, obliege der pflichtgemäßen Einschätzung des Gerichtes, aber auch des beigezogenen Sachverständigen, der als Arzt die Notwendigkeit der Einholung weiterer Befunde erkennen können müsse. Seinem Gutachten sei diesbezüglichen aber nichts zu entnehmen. Dem Akt sei auch nicht entnehmen, ob der Erstrichter eine aktuelle Wahrnehmung betreffend die Mutter machen habe können. Deshalb sei das Verfahren vor dem Rekursgericht durch Befragung der Mutter ergänzt worden. Der gemäß § 382 ZPO amtswegig von der Mutter gewonnene Eindruck, der für die Beurteilung der Notwendigkeit der Einholung eines internistischen Gutachtens von Bedeutung sei, beeinflusse die verfahrensrechtliche Situation des Vaters völlig unabhängig von seiner Anwesenheit dabei. Seiner Beiziehung habe es auch deshalb nicht bedurft, weil ihm die Mutter ohnehin bekannt sei. Die Befragung der Mutter habe einen zwar etwas reduzierten Ernährungszustand, aber eine offenbar psychisch und physisch völlig unbeeinträchtigte Persönlichkeit ergeben. Dies entspreche dem aus dem Sachverständigengutachten ersichtlichen Befund, aber auch der Befindlichkeit des Minderjährigen, der keinerlei sekundäre Beeinträchtigungen zeige. Soweit die Mutter berufsbedingt nicht in der Lage sei, die Obsorge ununterbrochen selbst auszuüben, stehe es ihr gerade auf Grund ihrer Obsorgebefugnis zu, die Betreuung ihren Eltern zu überlassen und den Sohn zum Teil in einem Internat unterzubringen, was von ihm gut akzeptiert werde. Bereits der Jugendwohlfahrtsträger habe darauf hingewiesen, dass diese Art der Betreuung zufolge der zwischen den Eltern bestehenden Konfliktsituation dem Kindeswohl entspreche. Auf Grund der im Rahmen des Rekursverfahrens vorgenommenen Verfahrensergänzung bestünden keinerlei Bedenken gegen die Richtigkeit des Sachverständigengutachtens und die Beweiswürdigung des Erstgerichtes und somit auch nicht gegen die aus dem Gutachten abgeleiteten Tatsachenfeststellungen. Der Beschluss des Erstgerichtes erweise sich daher als der Sach- und Rechtslage entsprechend richtig. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, da keine Rechtsfrage im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG zu beantworten gewesen sei.
Gegen den Beschluss des Rekursgerichtes richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters, der Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben "und das Verfahren der ersten Instanz zum Zwecke der Verfahrensergänzung durch Bestellung eines Sachverständigen aus dem Gebiet der inneren Medizin zur Feststellung des physischen Zustandes der Kindesmutter und dessen Folgen für deren Obsorgetauglichkeit aufzutragen".
Die Mutter stellt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Äußerung zum Rechtsmittel des Vaters den Antrag, dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben.
Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichtes, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 16 Abs 3 AußStrG), aus den folgenden Erwägungen zulässig und im Sinne des vom Revisionsrekurswerber gestellten Aufhebungsantrages (Zurückweisung allerdings nicht an das Erstsondern an das Rekursgericht) auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurswerber macht im Wesentlichen geltend, der angefochtene Beschluss sei nichtig, da ihn das Rekursgericht vom Erkenntnisverfahren ausgeschlossen und ihm damit verweigert habe, vor Gericht zu verhandeln. Es sei ihm nicht einmal das betreffende Protokoll zugestellt worden. Das Rekursgericht habe zwar richtig erkannt, dass das erstinstanzliche Verfahren mangelhaft geblieben sei; es habe die Mangelhaftigkeit aber gesetzeswidrig behoben, sodass auch eine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens gegeben sei. Das Rekursgericht habe rechtsirrig den verfahrensrechtlich einzig richtigen Weg, den erstinstanzlichen Beschluss aufzuheben und die Rechtssache zur Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens aus dem Gebiet der inneren Medizin an die erste Instanz zurückzuverweisen, nicht beschritten. Diese Ausführungen des Revisionsrekurswerbers sind insofern nicht zutreffend, als im Außerstreitverfahren im Allgemeinen und im Pflegschaftsverfahren im Besonderen die Beteiligung der Parteien an den Beweisaufnahmen nicht vorgeschrieben ist (vgl SZ 25/223; SZ 54/124 ua) und der Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht gilt (SZ 39/101; SZ 54/124 mwN). Dass der Vater der am 6. 7. 2004 stattgefundenen "Befragung" der Mutter nicht beigezogen wurde, stellt daher noch keinen Verfahrensmangel, geschweige denn eine Nichtigkeit dar. Auch dadurch, dass die Vernehmung nur durch den Berichterstatter als beauftragten Richter (ohne Beisein auch der weiteren Mitglieder des Rekurssenates) erfolgte, ist das zweitinstanzliche Verfahren nicht mangelhaft geblieben (vgl SZ 54/124 mwN; vgl auch EvBl 1998/87 = ecolex 1998, 397).
Zu Recht wird aber vom Revisionsrekurswerber - erschließbar - auch moniert, dass er vor der Entscheidung der zweiten Instanz mit den - in einem Aktenvermerk vom 6. 7. 2004 (ON 326) - festgehaltenen Ergebnissen dieser "Befragung" nicht konfrontiert wurde und ihm nicht die Möglichkeit geboten wurde, dazu Stellung zu nehmen. Mangels Kenntnis von der vom Rekursgericht zur Behebung eines Mangels des erstinstanzlichen Verfahrens vorgenommenen Verfahrensergänzung war es dem Vater daher auch nicht möglich, durch eine entsprechende Stellungnahme das Rekursgericht allenfalls zu einer von ihm angestrebten Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bzw zu einer Korrektur der Sachverhaltsbasis zu veranlassen. Die Unterlassung der Information des Vaters über die vom Rekursgericht vorgenommene Verfahrensergänzung stellt zwar entgegen der Ansicht des Revisionsrekurses noch keinen Nichtigkeitsgrund dar (vgl ÖA 1989, 51; NZ 1990, 14 mwN). Liegt doch ein solcher iSd § 477 Abs 1 Z 4 ZPO nur bei Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, nicht aber schon dann, wenn ein Beteiligter zu einzelnen Beweisergebnissen nicht gehört wurde (RIS-Justiz RS0006002 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen, zuletzt etwa 7 Ob 100/00g und 7 Ob 216/01t). Dadurch, dass das Rekursgericht den Vater hinsichtlich der von ihm vorgenommenen "Befragung" (auch im Sinne einer Begutachtung der Mutter im Hinblick auf deren vom Vater behaupteten psychischen Erkrankung) vor seiner Entscheidung nicht informiert und Gelegenheit zur Stellungnahme geboten hat, ist das Rekursverfahren aber mangelhaft geblieben, zumal nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine entsprechende Stellungnahme und Beweisanbot des Vaters das Rekursgericht veranlassen hätte können, seine Beweiswürdigung zu überdenken und allenfalls doch die von ihm angestrebte Einholung ergänzender Gutachten vorzunehmen. Der Verfahrensmangel erscheint daher grundsätzlich nicht ungeeignet, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache iSd § 15 Z 2 AußStrG verhindert zu haben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Das Rekursgericht wird den Vater im aufgezeigten Sinne über seine im Aktenvermerk vom 6. 7. 2004 festgehaltene ergänzende Beweisaufnahme umfassend in Kenntnis zu setzen und ihm Gelegenheit zu geben haben, dazu Stellung zu nehmen. Da der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist, vermögen die Ausführungen des Vaters im Revisionsrekurs eine solche, gegenüber dem Rekursgericht zu erstattende Stellungnahme nicht zu ersetzen.
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