OGH 9ObA104/04s

OGH9ObA104/04s13.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Univ. Doz. Dr. Bydlinski sowie durch die fachkundigen Laienrichter Gerhard Taucher und Dr. Reinhard Drössler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Johannes B*****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei s***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Hans Pircher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anfechtung einer Entlassung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juni 2004, GZ 10 Ra 76/04a-45, mit dem die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13. Februar 2004, GZ 23 Cga 36/03m-39, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat ihre Rekurskosten selbst zu tragen.

Text

Begründung

In seiner fristgerecht erhobenen Anfechtungsklage begehrte der Kläger, die von der beklagten Partei erklärte Entlassung für rechtsunwirksam zu erklären. Es seien keine Entlassungsgründe vorgelegen. Durch die Entlassung würden wesentliche Interessen beeinträchtigt, insbesondere sei es ihm nicht möglich, in absehbarer Zeit auch nur eine annähernde gleichwertige berufliche Position zu finden; er sei gegenüber drei Personen unterhaltspflichtig.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die beklagte Partei habe sich der geltend gemachten Entlassungsgründe durch ihr vorangegangenes Verhalten verschwiegen. Die vom Kläger behauptete Sozialwidrigkeit liege nicht vor. Wenngleich auch die Interessen des Klägers durch die Auflösung des Dienstverhältnisses geringfügig beeinträchtigt seien, so sei dennoch die Auflösung durch Umstände, die in seiner Person liegen und die betriebliche Interessen nachteilig berühren, begründet.

Das Berufungsgericht wies die dagegen von der beklagten Partei erhobene Berufung als mangels Beschwer unzulässig zurück. Die beklagte Partei sei durch die ihrem Urteilsgegenantrag entsprechende Klageabweisung weder formell noch materiell beschwert. Aus den Entscheidungsgründen allein könne eine Beschwer nicht abgeleitet werden. Lediglich ein in einem Vorverfahren zwischen den Parteien als Hauptfrage entschiedener Anspruch schaffe Bindungswirkung für ein späteres Verfahren. Eine zwei Entscheidungsgegenständen gemeinsame Vorfrage könne in zwei Prozessen verschieden beurteilt werden. Für die Beurteilung der Qualität als Hauptfrage komme es ausschlaggebend darauf an, ob ein bestimmtes Rechtsverhältnis als Ganzes Gegenstand der Entscheidung im ersten Prozess sei. Es reiche nicht aus, das eine im Vorprozess relevante Vorfrage auch eine solche eines späteren Prozesses ist. Allein das Bedürfnis nach Entscheidungsharmonie vermöge die Grenzen der materiellen Rechtskraft nicht auszuweiten.

Hauptgegenstand des vorliegenden Verfahrens sei, ob die Entlassung "und in der Folge die Kündigung" aufzuheben sei. Werde im Anfechtungsprozess ausgesprochen, dass die Entlassung rechtswirksam sei, könne in einem Folgeprozess nicht von einer rechtsunwirksamen Entlassung ausgegangen werden. Die Frage, ob Entlassungsgründe (bzw in der Folge: Kündigungsgründe) vorliegen, stelle hingegen nur eine Vorfrage dar, der keine Bindungswirkung zukomme. Der Oberste Gerichtshof habe in einem vergleichbaren Fall entschieden, die Annahme im Vorprozess, das Arbeitsverhältnis sei aufgrund unberechtigten Austritts aufgelöst worden, stelle nur eine der Rechtskraft nicht fähige Vorfrage dar, wenn das Klagebegehren im Vorprozess auf die Feststellung des Bestehens des Dienstverhältnisses gerichtet war. Im vorliegenden Fall sei der Anspruch, über den zu entscheiden sei, das Gestaltungsrecht; die anderen Fragen fielen lediglich in den Vorfragenbereich. Der Entscheidung zu 8 ObA 87/99y könne sich das Berufungsgericht nicht anschließen. Auch dort sei die Frage der Wirksamkeit der Kündigung nicht Hauptfrage, sondern Vorfrage im Anfechtungsprozess gewesen. Auch im vorliegenden Fall sei die Frage des Vorliegens eines Entlassungsgrundes oder in der Folge des Vorliegens von Kündigungsgründen eine Vorfrage für das Rechtsgestaltungsbegehren, sodass den Feststellungen des Erstgerichts dazu keine Bindungswirkung in einem Folgeprozess zukommen könne. Mangels Bindungswirkung sei jedoch eine Beschwer der beklagten Partei zu verneinen, weil sie in einem Folgeprozess sehr wohl noch die Möglichkeit habe, das Vorliegen von Entlassungsgründen nachzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Rekurs der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Zutreffend hat das Berufungsgericht die in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs entwickelten Grundsätze zur Unterscheidung zwischen Hauptfrage und bloßen Vorfragen sowie zur mangelnden Bindung an Vorfragenbeurteilungen dargelegt und durch Judikaturzitate belegt, sodass es ausreicht, darauf zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Eine Notwendigkeit der Heranziehung der Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs stellt sich im vorliegenden Fall nicht, sodass auf die dazu erstatteten Rekursausführungen nicht eingegangen werden muss. Ebenso geht die Berufung auf die zu 8 ObA 87/99y (= ZAS 2001, 10) ergangene Entscheidung ins Leere, weil der dort zu beurteilende Sachverhalt sich vom hier vorliegenden wesentlich unterscheidet. Dort war das Anfechtungsbegehren deswegen abgewiesen worden, weil das Erstgericht den Standpunkt vertreten hatte, der Arbeitgeber habe gar keine auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtete Willenserklärung abgegeben. Hier steht der Ausspruch einer Entlassung hingegen fest. Strittig war, ob die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, die Beendigungswirkung der Entlassungserklärung durch positives Rechtsgestaltungsurteil ungeschehen zu machen.

Gemäß § 106 Abs 2 ArbVG kann eine Entlassung bei Gericht (erfolgreich) angefochten werden, wenn ein Anfechtungsgrund iSd § 105 Abs 3 ArbVG vorliegt und der betreffende Arbeitnehmer keinen Entlassungsgrund gesetzt hat. Die genannten Voraussetzungen müssen somit kumulativ vorliegen. Bereits das Fehlen einer der beiden Voraussetzungen führt zur Klageabweisung. Hauptfrage in einem derartigen Anfechtungsprozess ist somit, ob das Arbeitsverhältnis durch die Entlassungserklärung aufgelöst wurde oder aber - wegen der Rückwirkung einer erfolgreichen Anfechtung - als fortbestehend anzusehen ist. Als (bloße) Vorfragen zu beurteilen sind hingegen, ob ein gesetzlicher Anfechtungsgrund (hier: Sozialwidrigkeit) vorliegt und ob der Arbeitnehmer keinen Entlassungsgrund gesetzt hat.

Steht - wie im vorliegenden Fall - fest, dass der vom Arbeitnehmer ins Treffen geführte Anfechtungsgrund nicht vorliegt, ist die Klage abzuweisen, ohne das es erforderlich wäre, auf die zweite für einen Klageerfolg notwendige Voraussetzung, nämlich das Fehlen von Entlassungsgründen, einzugehen. Allein der Umstand, dass das Erstgericht - ohne dass dies als Begründung für die Klageabweisung erforderlich gewesen wäre - auch zur Frage des Vorliegens von Entlassungsgründen Stellung genommen hat, vermag eine Beschwer der beklagten Partei als Arbeitgeberin nicht zu begründen, zumal es sich dabei um eine reine Vorfragenbeurteilung handelt. Die in manchen Entscheidungen verwendete Formulierung, im Anfechtungsverfahren nach § 106 ArbVG sei "zunächst" zu prüfen, ob ein Entlassungsgrund vorliegt (RIS-Justiz RS0108448, zuletzt 9 ObA 1/03t), kann in dieser Allgemeinheit nicht aufrecht erhalten werden, auch wenn sich diese Reihenfolge im Regelfall als zweckmäßig erweisen wird. Wird eine Rechtsfolge an das kumulative Vorliegen mehrerer Voraussetzungen geknüpft, ist die Sache im Sinne einer Verneinung dieser Rechtsfolge bereits spruchreif, wenn nur eine dieser Voraussetzungen fehlt. Auch eine ungerechtfertigte Unterlassung beendet ja das Arbeitsverhältnis endgültig, sofern kein Anfechtungsgrund vorliegt (SZ 63/68).

Mit dem - vom Kläger nicht bekämpften - Urteil des Erstgerichts steht somit zwischen den Parteien lediglich bindend fest, dass die Entlassungserklärung der beklagten Partei zu einer (sofortigen und endgültigen) Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Nur diese Frage wurde vom Kläger im Rahmen seines Anfechtungsbegehrens als Hauptfrage an das Gericht herangetragen. Durch die Klageabweisung ist die beklagte Partei weder formell noch materiell beschwert. Es ist ihr unbenommen, einem allfälligen zukünftigen Begehren auf Kündigungsentschädigung das Vorliegen von Entlassungsgründen entgegenzuhalten, zumal deren Beurteilung durch das Erstgericht für den Ausgang des Verfahrens gar nicht entscheidend war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 2 Abs 1 ASGG, 50 Abs 1, 40 Abs 1 ZPO.

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