OGH 1Ob240/03f

OGH1Ob240/03f12.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Ehrlich-Rogner & Schlögl, Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei O*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Armster, Rechtsanwalt in Maria Enzersdorf, wegen 182.487,50 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Juli 2003, GZ 4 R 64/03s-21, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

1.) Vorauszuschicken ist, dass im Revisionsverfahren nur mehr die von der beklagten Partei bis zur Höhe der Klagsforderung eingewendeten Gegenforderung strittig ist; der Ausspruch über das Zurechtbestehen der Klagsforderung wurde bereits im Berufungsverfahren nicht mehr bekämpft.

2.) Die beklagte Partei machte einen Schadenersatzanspruch wegen entgangenen Gewinns geltend, weil die klagende Partei von ihr höhere Preise als von Mitbewerbern verlangt und den Markt abgeschottet habe. Das Berufungsgericht vertrat dagegen die Ansicht, ein solches Verhalten sei nur dann verpönt, wenn die klagende Partei verpflichtet gewesen wäre, ihre Vertragspartner gleich zu behandeln; eine solche Verpflichtung treffe aber grundsätzlich nur ein marktbeherrschendes Unternehmen. Dies trifft - wie die Revisionswerberin richtig aufzeigt - nur für den im Art 82 EGV geregelten Missbrauch zu, nicht aber auch für Art 81 EGV, dessen Inhalt nicht voraussetzt, dass die dort genannten Vereinbarungen, Beschlüsse bzw abgestimmten Verhaltensweisen im Rahmen der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem gemeinsamen Markt stattgefunden hätten. Damit ist aber für die beklagte Partei nichts gewonnen:

Rechtliche Beurteilung

Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen im Sinne des Art 81 EGV sind durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet (EuGH in WBl 2001, 70). Nun behauptet die beklagte Partei gar nicht, die klagende Partei habe nach Art 81 EGV verbotene Maßnahmen in Willensübereinstimmung mit ihrer Muttergesellschaft getroffen, vielmehr führt sie aus, die klagende Partei habe als 100 %-ige Tochtergesellschaft "die Weisung ihrer Mutter befolgt" (S 4 der Revision) und daher mit dieser gemeinsam gegen Art 81 und 82 EGV verstoßen. Die selbst nach den Behauptungen der beklagten Partei somit einseitige Vorgangsweise der Muttergesellschaft der klagenden Partei fällt aber nicht unter Art 81 EGV; in der bloßen Befolgung der Weisung der Muttergesellschaft ist auch keine stillschweigende Zustimmung zu deren Verhalten zu erblicken. Sofern er keine beherrschende Stellung missbraucht - wozu noch Ausführungen folgen werden - und keine Willensübereinstimmung mit seinen Großhändlern besteht, kann ein Hersteller die Lieferpolitik verfolgen, die er für erforderlich hält, selbst wenn die Umsetzung dieser Politik auf Grund ihrer natürlichen Zielsetzung - wie insbesondere die Erschwerung von Parallelimporten - zu Wettbewerbsbeschränkungen führen und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann (WBl 2001, 70).

3.) Die beklagte Partei verkennt den Begriff der "Durchgriffshaftung". Der Grundgedanke für eine solche Haftung liegt darin, dass sich niemand der Rechtsform einer juristischen Person zu dem Zweck bedienen dürfe, um Dritte zu schädigen oder Gesetze zu umgehen (SZ 56/101; 7 Ob 272/02d). Als Durchgriff pflegt man eine Methode zu bezeichnen, mit der die rechtliche Selbständigkeit einer Rechtsperson beiseite geschoben, also gleichsam hinwegfingiert wird (SZ 74/65). Der "Durchgriff" soll unter gewissen Umständen gestatten, auf die "hinter" der juristischen Person stehende (natürliche oder juristische) Person durchzugreifen und diese zur Erfüllung der Verbindlichkeit heranzuziehen, die die juristische Person nicht erfüllen kann (RdW 1983, 43). Im vorliegenden Fall steht "hinter" der Vertragspartnerin der beklagten Partei - der klagenden Partei - nach den Ausführungen der beklagten Partei die Muttergesellschaft der klagenden Partei, die verbotene Maßnahmen nach Art 81 bzw 82 EGV getroffen haben soll. Nur dieser gegenüber könnte der sogenannte "Durchgriff" stattfinden, nicht aber gegen die klagende Partei, die ohnehin aus dem Titel der Vertragshaftung von der beklagten Partei in Anspruch genommen werden kann. Es käme also nur ein Haftungsdurchgriff von der Tochtergesellschaft auf die Muttergesellschaft in Betracht, sofern diese bei der Einflussnahme auf die Tochtergesellschaft rechtswidrig gehandelt hätte (RdW 2003, 268; SZ 74/65). Die klagende Partei als Tochtergesellschaft trifft aber keine erhebliche Verantwortung für einen allfälligen Verstoß ihrer Muttergesellschaft gegen Art 81 EGV, weil ihr - nach dem Vorbringen der beklagten Partei - die Vertragsbedingungen von der Muttergesellschaft vorgeschrieben wurden (vgl EuGH in WBl 2001, 471); dann kann sie aber auch nicht zum Schadenersatz wegen allfälliger Verstöße der Muttergesellschaft gegen Art 81 und 82 EGV herangezogen werden.

Der Anregung der Revisionswerberin, eine Vorabentscheidung des EuGH zum Thema "Durchgriffshaftung" herbeizuführen, ist aus den angeführten Gründen und wegen ohnehin vorliegender Judikatur dieses Gerichtshofs nicht näher zu treten.

4.) Im Ergebnis ist dem Berufungsgericht auch darin beizupflichten, dass die beklagte Partei zur angeblich marktbeherrschenden Stellung der klagenden Partei kein ausreichendes Vorbringen erstattet hat. Marktbeherrschend ist ein Unternehmen dann, wenn es im Verhältnis zu den anderen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat, wobei insbesondere die Finanzkraft, die Beziehungen zu anderen Unternehmen, die Zugangsmöglichkeiten zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten sowie die Umstände zu berücksichtigen sind, die den Marktzutritt für andere Unternehmer beschränken (WBl 2002, 232). Um ein Unternehmen als marktbeherrschend qualifizieren zu können, ist es nötig, den sachlich und örtlich relevanten Markt zu bestimmen. Der sachlich relevante Markt wird nach dem "Bedarfsmarktkonzept" ermittelt; dabei gehören Produkte, die - aus Sicht der Marktgegenseite - nicht der Deckung desselben Bedarfs dienen, nicht demselben sachlich relevanten Markt an. Entscheidend ist die (funktionelle) Austauschbarkeit der Waren bzw Leistungen aus der Sicht der Marktgegenseite (WBl 2003, 238; WBl 2002, 232). Nur solche Erzeugnisse und Dienstleistungen sind in den "sachlich relevanten Markt" einzubeziehen, die aus Sicht des durchschnittlichen Nachfragers als gegeneinander austauschbar angesehen werden, also marktgleichwertig sind. Im Einzelfall können Produkte allein auf Grund ihrer Eigenschaften, ihrer Preislage oder ihres Verwendungszwecks einen besonderen Markt bilden, was insbesondere dann gilt, wenn sich für sie Verbraucherpräferenzen gebildet haben. Eine überragende Marktstellung eines Unternehmens im Verhältnis zu seinen Abnehmern kann etwa dadurch begründet sein, dass diese von der Belieferung mit einem bestimmten Warensortiment abhängig sind. Dabei kommt es auf die Ausweichmöglichkeiten an, also inwieweit für die Abnehmer (oder Lieferanten) auf dem relevanten Markt alternative Bezugs-(oder Absatz-)möglichkeiten bestehen (WBl 2002, 530 mwN). Für die Beurteilung der marktbeherrschenden Stellung sind verschiedene Faktoren wie Marktstruktur oder Charakteristika eines Unternehmens maßgebend; von besonderer Bedeutung ist dabei die Größe des Marktanteils (WBl 1999, 475).

Im vorliegenden Fall bestand die Geschäftsbeziehung zwischen den Streitteilen lediglich darin, dass die klagende Partei der beklagten Partei Toner, also Kopiergerätezubehör, lieferte. Der sachlich relevante Markt ist hier demnach mit dem "Kopiergerätezubehörmarkt" umgrenzt, allerdings nicht abgestimmt auf das Produkt eines bestimmten Herstellers, sondern ganz allgemein auf dieses Zubehör, gleich von welchem Hersteller es stammt. Der Zuschnitt des sachlich relevanten Marktes auf das Produkt eines bestimmten Herstellers wäre nur dann gerechtfertigt, wenn gerade dieses Produkt für sich marktbeherrschende Stellung hätte, also anderes Kopiergerätezubehör nur in vernachlässigbarer Form auf dem relevanten örtlichen Markt wäre. Diesbezüglich mangelt es an entsprechendem Vorbringen der beklagten Partei, die nur auf die Markenprodukte der klagenden Partei abstellt und insoweit einen "besonderen Markt" behauptet. Die Verwendung der Markengeräte, die von der Muttergesellschaft der klagenden Partei erzeugt werden, bedingt bekanntermaßen nicht die Verwendung ausschließlich solchen Verbrauchsmaterials, das ebenfalls von diesem Unternehmen hergestellt ist. Es geht nicht an, den sachlich relevanten Markt auf ein bestimmtes Markenprodukt zu beschränken, sofern - wie hier - grundsätzlich Austauschbarkeit der Ware aus Sicht der Marktgegenseite besteht (WBl 2002, 232). Die Besitzer von Markengeräten sind entgegen der Ansicht der beklagten Partei nicht davon abhängig, Toner aus dem Erzeugungsbereich der Muttergesellschaft der klagenden Partei beziehen zu können; sie hat übrigens Derartiges auch nicht behauptet. Sie stellt lediglich unsubstantiiert in den Raum, der Käufer eines solchen Markengeräts werde schon wegen der vom Erzeuger gewährten Garantie nur einen Toner derselben Marke verwenden und das Erzeugerunternehmen weise auch darauf hin, dass nur Verbrauchsmaterial des Erzeugers verwendet werden dürfe, um einen störungsfreien Betrieb garantieren zu können. Dies kann für sich allein nicht ausreichend sein, um einen "besonderen" sachlich relevanten Markt nur für von der Muttergesellschaft der klagenden Partei hergestellte Produkte annehmen zu können, hätte es doch sonst jedes Erzeugerunternehmen in der Hand, den sachlich relevanten Markt nach seinem Gutdünken zu bestimmen.

Im Ergebnis hat daher das Berufungsgericht zu Recht eine marktbeherrschende Stellung der klagenden Partei im Bezug auf die Auslieferung von Kopiergerätezubehör verneint.

5.) Insgesamt zeigt die beklagte Partei keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, weshalb deren außerordentliche Revision zurückzuweisen ist.

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