Spruch:
Der Konzern ist nicht rechtsfähig
Text
OGH 16. 6. 1983, 6 Ob 579/83 (OLG Wien 1 R 218/82; HG Wien 34 Cg 145/82)
Für die Lieferung von Waren schuldet die beklagte Partei - nach einer Teilzahlung - der klagenden Partei ebenso den Betrag von 804 368.60 S wie die S-Werke GesmbH der beklagten Partei.
Die klagende Partei nimmt die beklagte Partei auf Zahlung dieses Betrages in Anspruch.
Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wendete ihre Forderung gegen die S-Werke mit der Behauptung aufrechnungsweise ein, die klagende Partei und die S-Werke seien gemeinsam mit fünf weiteren Gesellschaften Mitglieder des "F-Konzerns", mit dem allein die beklagte Partei verhandelt und abgeschlossen habe. Daß von einer oder an eine der Gesellschaften des Konzerns fakturiert worden sei, sei "rein zufällig" und für die Geschäftsabwicklung nicht bedeutsam gewesen. Der Konzern habe die Gegenforderung der beklagten Partei auch anerkannt. Überdies hätten die Gesellschaften zumindest mit Anscheinsvollmacht des Konzerns gehandelt, dessen Gründung im übrigen dann sittenwidrig sei, wenn mit dieser Maßnahme eine Insolvenz verzögert würde oder Gläubiger benachteiligt würden.
Das Erstgericht sprach aus, daß die eingeklagte Forderung mit 804 368.60 S zu Recht besteht, wies die Aufrechnungseinrede der beklagten Partei ab und gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es verneinte die Rechtspersönlichkeit des Konzerns, der lediglich das wirtschaftliche Verbundenheitsverhältnis rechtlich selbständig bleibender Unternehmen anzeige. Es wäre somit rechtlich bedeutungslos, sollte der Konzern als solcher aufgetreten sein und die Forderung der beklagten Partei anerkannt haben. Er könne im Außenverhältnis für die einzelnen Gesellschafter weder Rechte noch Pflichten begrunden.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil, wobei es die Auffassung vertrat, in der Lehre werde nirgends der Standpunkt vertreten, daß dem Konzern rechtliche Selbständigkeit zukomme. Es führte aus, dies gelte für jede Art Konzern, sodaß Feststellungen darüber, in welcher Weise die klagende Partei und die sechs übrigen Gesellschaften zu einem Konzern verbunden seien, entbehrlich seien. Zur Behauptung, der F-Konzern sei eine Erwerbsgesellschaft iS der §§ 1175 ff. ABGB, habe die beklagte Partei kein ausreichendes Vorbringen erstattet. Die Behauptung, für sie sei der Anschein einer Bevollmächtigung der jeweiligen Verhandlungspartner durch den Konzern gegeben gewesen, habe die beklagte Partei in der Berufung nicht mehr aufgegriffen, sodaß darauf nicht mehr einzugehen gewesen sei. Ihr allgemeingehaltener Hinweis, die Konzerngrundung könne unter Umständen sittenwidrig sein, sei nicht als konkreter Einwand des § 879 ABGB aufzufassen. Sie haben auch dieses Vorbringen in der Berufung nicht mehr erörtert.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Eine gesetzliche Umschreibung des Konzernbegriffes findet sich lediglich im § 15 AktG 1965 und neuerdings seit dem Bundesgesetz vom 2. 7. 1980, mit dem das Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung abgeändert wurde (BGBl. 1980/320), mit demselben Wortlaut auch im § 115 GmbHG. Danach ist der Konzern eine Verbindung rechtlich selbständig bleibender Unternehmen, die zu wirtschaftlichen Zwecken unter einheitlicher Leitung zusammengefaßt sind; die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen (Abs. 1). Steht ein rechtlich selbständiges Unternehmen unter dem beherrschenden Einfluß eines anderen Unternehmens, gelten das herrschende und das abhängige Unternehmen zusammen als Konzern und einzeln als Konzernunternehmen (Abs. 2). Der Konzern ist demnach - gleichviel ob er auf vertraglicher Grundlage oder auf faktischem Zusammenschluß beruht - keine Gesellschaft, sondern zeigt bloß ein bestimmtes "Verbundenheitsverhältnis" zwischen Unternehmen an, die zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefaßt sind (Kastner, Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechts[3] 26). Für den Konzern entscheidend ist es, daß die zusammengefaßten Unternehmen trotz des Zusammenschlusses ihre rechtliche Selbständigkeit bewahren und demnach befähigt bleiben, für sich Rechte zu erwerben und Pflichten zu übernehmen. Die einzelnen Konzernunternehmen stehen bloß tatsächlich unter einheitlicher Leitung, und der Konzern verfolgt auch lediglich wirtschaftlich, technisch oder finanziell orientierte Ziele, etwa den Zusammenschluß der Konzernunternehmen zu Gewinngemeinschaften (Hämmerle - Wünsch, Handelsrecht[3] II 527).
Der Ansicht der beklagten Partei, dem gesellschaftsrechtlichen Konzernbegriff müsse über eine bloße Legaldefinition hinaus in dem Sinne Bedeutung beigemessen werden, daß das Gesetz damit dem Konzern selbst Rechtsfähigkeit zubillige, kann nicht beigepflichtet werden. Wie in der Revision selbst ausgeführt wird, knüpft das Aktiengesetz 1965 vielmehr an die Begriffe "Konzernunternehmen", "abhängiges Unternehmen" und "beherrschendes Unternehmen" bestimmte Rechtsfolgen (zB in den §§ 51, 66, 80, 95, 112, 114, 128, 131 und 137), sodaß es deshalb dieser Begriffsbestimmung bedurfte. Die Bestimmungen des Aktiengesetzes 1965 über das Wesen des Konzerns wurden deshalb "zur Klarstellung" (AB 421 BlgNR 15. GP 3) in das Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung übernommen, weil gewisse aktienrechtliche Vorschriften (zB über das Rechnungswesen), die auf die Eigenschaft als Konzernunternehmen Bezug nehmen, durch die Neufassung des § 23 Abs. 1 Z 1 bis 3 GmbHG auch in dieses Gesetz Eingang gefunden haben.
Ebenso wie aus diesem Gesichtspunkt läßt sich auch mit der Lehre von der Interesseneinheit nichts für den Standpunkt der beklagten Partei gewinnen, daß der Konzern selbst Rechtspersönlichkeit genieße. Danach kommt bloß solchen Verbänden Rechtssubjekteigenschaft zu, die infolge ihrer Organisation besondere Interesseneinheiten bilden und bei denen die Interessen des Verbandes deutlich von jenen der einzelnen Mitglieder gesondert werden können (Ostheim, Zur Rechtsfähigkeit von Verbänden 15 ff., 23). Das trifft bei den körperschaftlich organisierten Gesellschaften zu. Unter körperschaftlicher Organisation ist eine Verfassung zu verstehen, nach der nicht alle Mitglieder gemeinsam handeln, sondern Organe die Verwaltung besorgen, die vom Mehrheitsprinzip getragen wird, sodaß nicht notwendig Identität zwischen den Interessen aller Mitglieder und denen der Gesellschafter besteht (Koziol - Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts[6] I 57 mwN). Gerade das trifft auf den Konzern nicht zu, weil die einzelnen Konzernunternehmen nicht etwa kraft Verbandsverfassung, sondern bloß zu wirtschaftlichen Zwecken unter einheitlicher Leitung zusammengefaßt werden; im übrigen ist der Konzern nicht von eigenständigen, vom Mehrheitsprinzip getragenen Interessen bestimmt, sondern einzig von jenen des beherrschenden Unternehmens oder doch der von außen einwirkenden Konzernspitze. Dem Konzern mangelt sohin die körperschaftliche Organisation, sodaß ihm auch aus diesem Gründe die Rechtsfähigkeit nicht zugebilligt werden könnte. Die Übertragung der konzernrechtlichen Bestimmungen des deutschen Aktiengesetzes (§§ 15 ff., 308 ff.) auf die österreichischen Verhältnisse verbietet sich schon deshalb, weil dem österreichischen Recht eine solche Ausgestaltung fremd ist.
Abgesehen davon, daß die beklagte Partei ihre Behauptung, die einzelnen Konzernunternehmen hätte lediglich im Vollmachtsnamen des Konzerns - allenfalls kraft Anscheins- oder Duldungsvollmacht - gehandelt, in ihrer Berufung nicht mehr weiter verfolgt hatte, ist diesem Vorbringen bei Verneinung der Rechtsfähigkeit des Konzerns - die beklagte Partei bezeichnet ihn selbst in der Berufung als "nicht eine juristische Person im eigentlichen Sinne" - der Boden entzogen.
Zutreffend bemerkte das Gericht zweiter Instanz, die beklagte Partei habe erstmals in der Berufung die Behauptung aufgestellt, daß die F-Gruppe wenn schon keine juristische Person, so doch eine Interessengemeinschaft und "handelsrechtliche" Erwerbsgesellschaft iS der §§ 1175 ff. ABGB sei, der sowohl die eingeklagte Forderung als auch die der Gegenforderung entsprechende Verbindlichkeit zugerechnet werden müßten. Die beklagte Partei hat weder einen ausdrücklichen Gesellschaftsvertrag behauptet noch Umstände vorgebracht, die auf das stillschweigende Zustandekommen eines solchen Vertrages schließen lassen. Da Gesellschaftsverträge Verträge der wirtschaftlichen Organisation sind, genügt es nicht, daß mehrere Personen am Eintritt eines bestimmten Erfolges interessiert sind oder zueinander in einfacher Rechtsgemeinschaft stehen. Vielmehr muß eine, wenngleich lose Gemeinschaftsorganisation vereinbart sein, die jedem Partner gewisse Einwirkungs- und Mitwirkungsrechte einräumt (JBl. 1982, 330 mwN). Gerade letzteres trifft auf die konzernmäßige Verbindung, von der allein die beklagte Partei auf das Vorhandensein eines Gesellschaftsverhältnisses schließen will, deshalb nicht zu, weil die Willensbildung nicht von ihren Mitgliedern oder deren Mehrheit getragen wird, sondern allein von der Konzernspitze ausgeht. Andere Umstände hat die beklagte Partei in erster Instanz nicht dargetan.
Schließlich beruft sich die beklagte Partei erneut darauf, daß solche dem Gläubigerschutz abträglichen Verbindungen von Unternehmen sittenwidrig sein können. Daß die "F-Gruppe" die "Aufsplitterung" in mehrere Unternehmen zumindest auch deshalb vorgenommen habe, um "ihre" Gläubiger zu schädigen, hat die beklagte Partei nicht einmal behauptet; sie beschränkte sich vielmehr auf den allgemein gehaltenen Hinweis, eine solche Aufsplitterung könne, sofern die Gläubiger hiedurch benachteiligt würden, iS des § 879 ABGB sittenwidrig sein.
Die beklagte Partei könnte mit ihren Hinweisen auf denkbare Verstöße gegen § 879 ABGB auch die "Durchgriffshaftung" im Auge haben, deren Vereinbarkeit mit der österreichischen Rechtsordnung von der Rechtsprechung bisher noch nicht untersucht wurde. Der Grundgedanke dieses - von der deutschen Lehre entwickelten und etwa im deutschen Aktiengesetz verwirklichten - selbständigen Haftungsgrundes ist darin zu erblicken, daß sich niemand der Rechtsform einer juristischen Person dazu bedienen dürfe, dritte Personen zu schädigen oder Gesetze zu umgehen. Unter gewissen Umständen gestattet dieser Haftungsgrund, auf die "hinter" der juristischen Person stehende (natürliche oder juristische) Person durchzugreifen und diese zur Erfüllung der Verbindlichkeit heranzuziehen, die die juristische Person nicht erfüllen kann (vgl. § 309 Abs. 4 dAktG). Nun sind Konzernunternehmen selbständige Unternehmen, weshalb auch das beherrschende Unternehmen (die Konzernspitze) grundsätzlich keine Haftung treffen kann (vgl. GesRZ 1973, 82). Ob in der Aufteilung des Geschäftsbereiches der "F-Gruppe" auf mehrere rechtlich selbständig bleibende Gesellschaften ein offenbarer Rechtsmißbrauch liegen könnte, der die Gläubiger berechtigte, die Mitglieder des Konzern rechtlich als Einheit zu behandeln, braucht hier nicht untersucht zu werden, weil die beklagte Partei, wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausführte, keine konkreten Umstände vorgebracht hat, die auf einen solchen Rechtsmißbrauch schließen lassen könnten.
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