OGH 10ObS173/03v

OGH10ObS173/03v12.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) Mag. Johann Ellersdorfer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Friedrich M*****, vertreten durch Mag. Reinhard Walther, Rechtsanwalt in Liezen, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich- Hillegeist-Straße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 2003, GZ 7 Rs 265/02y-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. Juni 2002, GZ 21 Cgs 2/02w-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 166,56 EUR (davon 27,76 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 20. 8. 1943 geborene Kläger war seit 6. 5. 1995 teilweise geringfügig und 13 Monate vollversichert und vom 1. 1. 1999 bis 24. 11. 2001 sowie wieder ab 6. 4. 2002 geringfügig als Taxifahrer beschäftigt.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 26. 9. 2001 hat das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen den Anspruch des Klägers gegen die beklagte Partei auf Leistung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß nach § 255 Abs 4 ASVG ab 1. 9. 2000 als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannt und der beklagten Partei aufgetragen, dem Kläger ab 1. 9. 2000 bis zur Erlassung des die Höhe dieser Leistung festsetzenden Bescheids eine vorläufige Zahlung von monatlich 7.900 S unter Abzug aller gesetzlich anrechenbaren Vorleistungen zu erbringen, und zwar die bereits fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen und die künftig fällig werdenden Beträge im Nachhinein am Ersten des Folgemonats. Dem Urteil lag zu Grunde, dass der Kläger den mit den in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag 128 Monate hindurch ausgeübten Tätigkeiten als Kraftfahrer (Zusteller; 115 Monate) und als Taxifahrer (13 Monate) verbundenen mittelschweren Arbeiten nicht mehr entsprechen konnte.

Mit Bescheid vom 21. 11. 2001 sprach die beklagte Partei aus, mit gerichtlichem Urteil vom 26. 9. 2001 werde der Anspruch ab 1. 9. 2000 anerkannt und die Pension könne auf Grund der ausgeübten Tätigkeit nicht anfallen.

Mit weiterem Bescheid vom 22. 1. 2002 setzte die beklagte Partei die auf Grund der Aufgabe der Tätigkeit ab 25. 11. 2001 anfallende monatliche Pension mit 1.112,94 EUR und ab 1. 1. 2002 mit 1.125,18 EUR fest.

Mit seiner gegen den Bescheid vom 21. 11. 2001 gerichteten, am 4. 1. 2002 eingebrachten Klage begehrte der Kläger zuletzt, die beklagte Partei zur Zahlung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß vom 1. 9. 2000 bis 31. 1. 2002 zu verpflichten. Die von ihm ausgeübte geringfügige Beschäftigung als Taxifahrer könne den Anfall der Pension nicht hindern, weil eine geringfügige Beschäftigung den Berufsschutz nicht hätte erhalten können und er die Pension auch nicht auf Grund dieser Tätigkeit, sondern auf Grund der Vollbeschäftigung als Taxifahrer erhalten habe. Seit 1. 2. 2002 werde die Pension angewiesen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Nach den Ergebnissen des Vorverfahrens könne der Kläger die Anforderungen an die von ihm ausgeübte Tätigkeit eines Kraftfahrers in keiner der am Arbeitsmarkt gefragten Varianten erfüllen. Auch wenn der Kläger als Taxifahrer geringfügig arbeite, habe er die Tätigkeit nicht aufgegeben, weshalb der Anfall der Pension gemäß § 86 Abs 3 Z 2 ASVG gehindert sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dem Kläger sei die Pension nach § 255 Abs 4 ASVG auf Grund der Tätigkeit als Taxifahrer und als Lebensmittelzusteller gewährt worden. Dass er gerade diese Tätigkeit ausübe, hindere gemäß § 86 Abs 3 Z 2 ASVG den Anfall der Pension, stelle doch das Bestehen eines geringfügigen, nicht voll versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses keine Aufgabe der Tätigkeit dar.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Unter Berufung auf die Materialien zu § 86 Abs 3 Z 2 ASVG idF des Strukturanpassungsgestzes 1996 und die zu dieser Gesetzesstelle ergangene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vertrat es die Auffassung, diese Bestimmung verlange für den Anfall der Invalidiätspension die vollständige Aufgabe der bisherigen Tätigkeit, die eine formale Lösung des Arbeitsverhältnisses oder die Ausübung einer anderen Erwerbstätigkeit, wenn auch im gleichen Betrieb voraussetze. Bei der geringfügigen Taxifahrertätigkeit handle es um dieselbe Tätigkeit, die zur Gewährung der Invaliditätspension geführt habe, weil der Kläger im nach § 255 Abs 4 ASVG maßgeblichen Zeitraum 115 Monate als Zusteller und 13 Monate als Taxifahrer, die er beim selben Dienstgeber erworben habe, aufgewiesen habe. Eine formale Auflösung des Dienstverhältnisses sei erst mit 24. 11. 2001 erfolgt, weshalb die Pension erst ab 25. 11. 2001 habe anfallen können. Diesem Umstand habe die beklagte Partei mit dem Bescheid vom 22. 1. 2002 ohnehin Rechnung getragen. Auf das Nichtbestehen der Pflichtversicherung, wie es etwa im § 254 Abs 1 ASVG idF vor der 51. ASVG-Novelle normiert gewesen sei, komme es nicht an. Es sei auch nicht von Bedeutung, ob eine geringfügige Beschäftigung neben Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe möglich sei, zumal eine solche nach dem Anfall der Invaliditätspension auch keine Wirkungen auf diese habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, jene im klagestattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat von der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung nicht Gebrauch gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehlt, ob es den Anfall der Invaliditätspension hindert, wenn der Versicherte die Tätigkeit, auf Grund welcher er als invalid gilt, als geringfügig, nicht vollversicherter Beschäftigter ausübt. Sie ist aber nicht berechtigt.

Nach § 86 Abs 3 Z 2 dritter Satz ASVG ist für den Anfall einer Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit zusätzlich die Aufgabe der Tätigkeit, auf Grund welcher der (die) Versicherte als invalid (berufsunfähig, dienstunfähig) gilt, erforderlich, es sei denn, der (die) Versicherte bezieht ein Pflegegeld ab Stufe 3 nach § 4 des Bundespflegegeldgesetzes, BGBl 1993/110, oder nach den Bestimmungen der Landespflegegeldgesetze.

Wie der Senat wiederholt (10 ObS 317/02v = SSV-NF 16/122 mwN) unter Bezugnahme auf die Materialien (EBRV 72 BlgNR 20. GP 247) festgehalten hat, soll durch diese Bestimmung verhindert werden, dass neben dem Bezug einer Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit die bisherige Tätigkeit weiterhin ausgeübt wird. Die Norm bezweckt offenbar, Versicherte vom Leistungsbezug auszuschließen, die zwar objektiv nicht mehr in der Lage sind, ihrer versicherten Tätigkeit nachzugehen, aber auf Kosten ihrer Gesundheit oder aus Entgegenkommen ihres Arbeitgebers ihre bisherige Berufstätigkeit fortsetzen. Die Aufgabe der Berufstätigkeit ist vom Gesetzgeber allerdings nicht als besondere Leistungsvoraussetzung konzipiert. Die Fortsetzung der Tätigkeit, auf Grund der der Versicherte als vermindert arbeitsfähig gilt, bewirkt vielmehr eine Hemmung des Leistungsanfalls. Wird diese Erwerbstätigkeit aufgegeben, fällt die Leistung an. Wird sie nicht aufgegeben, ist bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen vom Pensionsversicherungsträger ein Zuerkennungsbescheid zu erlassen mit der Feststellung, dass die Pension nicht anfällt (10 ObS 317/02v mwN). Da sich die Leistungsanfallbestimmungen für die Invaliditätspension nur auf den erstmaligen Anfall der Leistung, nicht aber auf den Leistungszeitpunkt der einzelnen Pensionsleistungen beziehen, führt eine spätere Wiederaufnahme der Tätigkeit nicht mehr zum Wegfall der Leistung (10 ObS 152/02d = SSV-NF 16/90 mwN).

Der Senat hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass "Aufgabe der Tätigkeit" die vollständige Aufgabe der bisherigen Tätigkeit (auf Grund welcher der Versicherte als vermindert arbeitsfähig gilt) bedeutet und hiezu eine formale Lösung des Arbeitsverhältnisses (also eine Beendigung des Dienstverhältnisses, der eine bloß faktische Nichtausübung der Tätigkeit zB auf Grund eines längeren, ununterbrochenen Krankenstandes oder Urlaubes nicht gleichzusetzen ist) oder die Ausübung einer anderen Erwerbstätigkeit - wenn auch im gleichen Betrieb (Änderungskündigung) - erforderlich ist (10 ObS 317/02v; 10 ObS 314/02b = SSV-NF 16/121 mwN). Das bisherige Beschäftigungsverhältnis darf daher jedenfalls soweit nicht weiter bestehen, als es eine idente Tätigkeit zum Gegenstand hat (10 ObS 317/02v).

Die Rechtsmittelausführungen geben keinen Anlass von der Rechtsprechung, dass der Anfall einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit die vollständige Aufgabe der bisherigen Tätigkeit erfordert, abzugehen. Der Revisionswerber meint, weil bei der "Überprüfung des Berufsschutzes" nur jene Tätigkeiten heranzuziehen seien, die vollversicherungspflichtig seien, könne es sich bei der von ihm ab 1. 1. 1999 ausgeübten geringfügigen Beschäftigung nicht um dieselbe Tätigkeit handeln. Die Tätigkeit als geringfügig Beschäftigter jener des Vollversicherten gleichzuhalten, führe zu einer "Systemwidrigkeit", weil nicht einzusehen sei, dass ein Zuverdienst auf Grund einer geringfügigen Beschäftigung im gleichen Feld der Tätigkeit, auf Grund der die Pension zuerkannt, nicht zulässig sein soll, während eine andere geringfügige Beschäftigung keine sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen habe, die einer Vollversicherung vergleichbar seien.

Dem ist entgegenzuhalten, dass seit der mit 1. 7. 1993 in Kraft getretenen 51. ASVG Novelle der Nichtbestand einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung am Stichtag keine Anspruchsvoraussetzung für die Invaliditätspension ist. Die Ausnahme geringfügig beschäftigter Personen (§ 5 Abs 1 Z 2 ASVG) von der Vollversicherung knüpft allein an die Höhe des aus einem oder mehreren Beschäftigungsverhältnissen gebührenden Entgelts, nicht jedoch an den Inhalt der auf Grund des Beschäftigungsverhältnisses ausgeübten Tätigkeit an. § 86 Abs 3 Z 2 dritter Satz ASVG bindet den Leistungsanfall nicht an das Nichtbestehen von Erwerbseinkommen, sodass die Gründe der behaupteten "Systemwidrigkeit" nicht überzeugen. Es läuft dem schon dargestellten Zweck dieser Norm zuwider, die Ausübung der Tätigkeit, auf Grund der der Versicherte als gemindert arbeitsfähig gilt, in einem Ausmaß, dass das daraus gebührende Entgelt den Betrag nach § 5 Abs 2 ASVG nicht übersteigt, als für den Leistungsanfall unschädlich zu halten, weil auch in diesem Fall die bisherige Berufstätigkeit auf Kosten der Gesundheit oder aus Entgegenkommen des Arbeitgebers fortgesetzt wird, obwohl der Versicherte objektiv dazu nicht in der Lage ist.

Im Übrigen kann auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts zum Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses des Klägers am Stichtag und bis zum 24. 11. 2001, das eine der Pensionsgewährung zu Grunde liegenden idente Tätigkeit zum Gegenstand hatte, und die sich daraus für den Anfall der dem Kläger zuerkannten Leistung ergebenden Konsequenzen verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).

Schließlich meint der Revisionswerber, die in § 86 Abs 3 Z 2 dritter Satz ASVG normierte Ausnahme für Bezieher von Pflegegeld ab Stufe 3 verletze den Gleichheitsgrundsatz, zumal nicht einzusehen sei, warum das Ausmaß des Pflegegelds, bei dem es sich um kein Einkommen handle, den Versicherten anders stellen soll als der Nichtbezug von Pflegegeld. Darauf ist nicht weiter einzugehen, weil die behauptete Verfassungswidrigkeit die Ausnahme, nicht aber den übrigen Teil der Norm betrifft, der im vorliegenden Fall allein präjudiziell ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b und Abs 2 ASGG. Hängt die Entscheidung von der Lösung einer im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO wegen Fehlens einer höchstgerichtlichen Judikatur erheblichen Frage ab, so entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Versicherten die Hälfte der Kosten seines Vertreters zuzusprechen (vgl RIS-Justiz RS0085871).

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