OGH 3Ob128/04a

OGH3Ob128/04a26.8.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* AG, *, vertreten durch Dr. Frank Kalmann und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Philipp * T*, vertreten durch Dr. Walter Suppan, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 11.000 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 5. Februar 2004, GZ 4 R 255/03g‑11, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 11. September 2003, GZ 23 Cg 42/03s‑7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2004:E74473

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 686,88 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 114,48 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

 

Der Beklagte ist der Großvater eines im Dezember 1992 geborenen ruhigen, besonnenen und folgsamen Mädchens, mit dem er im September 2001 eine Kirchtagsveranstaltung besuchte. Er gab dem Kind Geld, was es für den Ankauf von Naschwerk und Feuerwerksgegenständen verwendete. Es waren dies mit "Feuerwirbel", "Tolle Biene", "Feuer‑Wespe" und "Silberwirbel" bezeichnete Gegenstände, auf deren Verpackungen sich der Hinweis befand, dass es sich um Gegenstände der "Klasse I" handle und dass die Abgabe an Personen unter 18 Jahren erlaubt sei. Die Gebrauchsanweisungen enthalten den Hinweis, den Kreisel auf den Boden zu legen, am äußersten Ende der Zündschnur anzuzünden und sich rasch zu entfernen. Bei den "Feuer‑Wespen" wird weiters darauf verwiesen, dass der Gegenstand mit den Flügeln nach oben auf den Boden zu legen sei und nur im Freien zu verwenden wäre. Es wird auf eine Unbedenklichkeitsbescheinigung BAM 1281/93 verwiesen und gewarnt: "Vorsicht, Gegenstand steigt auf!". Die "Feuer‑Wespen" sind zylindrisch gebaut, etwa 3 cm lang und haben einen Durchmesser von 6 mm. Sie sind mit einer etwa 4 cm langen Zündschnur versehen; Flügel aus Karton sind angeklebt. Eine Packung mit fünf Stück kostete 10 ATS.

Der Beklagte hat während der Kirchtagsveranstaltung andere Kinder mit derartigen Gegenständen spielen gesehen und wahrgenommen, dass sich diese nach dem Entzünden in einer Höhe von 10 bis 20 cm über dem Boden bewegten.

Nachmittags besuchte der Beklagte mit dem Kind dessen Tante (seine Tochter). Er nahm mit dieser vor dem Eingang des Wohnhauses Platz, während das Kind im anschließenden gepflasterten Hof spielte. In einer Entfernung von 5,8 m zum Wohnhaus befindet sich dort ein Wirtschaftsgebäude, dessen Unterbau bis auf eine Höhe von etwa 3 m gemauert ausgeführt ist. Der obere Teil dieses Gebäudes ist aus Holz errichtet und mit Betondachsteinen gedeckt.

Das Kind zeigte seiner Tante die bei der Kirchtagsveranstaltung erworbenen Gegenstände. Obwohl diese davon ausging, dass diese Gegenstände dem Kind erlaubterweise verkauft worden sind, überprüfte sie anhand der Beschriftungen auf den Packungen, ob dem Kind die Verwendung solcher Gegenstände angesichts seines Alters bereits gestattet ist.

Das Kind probierte anschließend einen der erworbenen Gegenstände aus, der Beklagte erlaubte dies, verwies das Kind aber an das Ende des Hofs, wo der gepflasterte Bereich in eine Wiese übergeht, zumal im unmittelbaren Bereich zwischen Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude Fahrzeuge abgestellt waren. Die Tante händigte dem Kind ein Feuerzeug aus. Sowohl sie als auch der Beklagte beobachteten das spielende Kind. Der von ihm entzündete Feuerwerksgegenstand bewegte sich lediglich am Boden dahin und verflüchtigte sich sehr schnell. Anschließend entzündete das Kind wieder mit Erlaubnis des Beklagten eine "Feuer‑Wespe", die nach dem Entzünden hochstieg. Dieser Feuerwerksgegenstand verursachte auf der dem Hof zugewandten Seite des mit Betonsteinen gedeckten Wirtschaftsgebäudes einen Brand, bei dem das Wirtschaftsgebäude sowie das darin verwahrte Inventar vernichtet wurde.

Der Beklagte hat die vom Kind erworbenen Gegenstände nicht näher betrachtet. Er hatte keine Bedenken, dem Kind das Entzünden der Gegenstände zu erlauben, weil er zum einen das Kind im gepflasterten Hofbereich zur angrenzenden Wiese spielen ließ und zum anderen das angrenzende Wirtschaftsgebäude bis in eine Höhe von 3 m gemauert ausgeführt war. Er ging aufgrund des geringen Preises der vom Kind erworbenen Gegenstände ‑ im Gegensatz zu teuren Silvesterraketen und Knallkörpern ‑ davon aus, dass diese völlig ungefährlich seien.

Die klagende Versicherung begehrte vom Beklagten den Ersatz der von ihr an den Geschädigten erbrachten Versicherungsleistung von zumindest 11.000 EUR mit dem Vorbringen, der Beklagte habe damit rechnen müssen, dass durch einen Feuerwerkskörper ein Brand entstehen könne, weil der Oberbau des Wirtschaftsgebäudes aus Holz errichtet gewesen sei. Er wäre daher verpflichtet gewesen, seiner Enkelin das Spiel mit den Feuerwerkskörpern im Bereich dieses Wirtschaftsgebäudes zu untersagen. Er wäre auch verpflichtet gewesen, die Gebrauchsanweisungen zu lesen. Aufgrund des Vermerks "Vorsicht, Gegenstand steigt auf" hätte er dem Kind das Entzünden der "Feuer‑Wespen" untersagen müssen.

Der Beklagte wendete ein, er habe seine Aufsichtspflicht nicht verletzt. Er habe davon ausgehen können, dass an seine neunjährige Enkelin keine gefährlichen Feuerwerkskörper verkauft worden seien. Es sei nicht vorherzusehen gewesen, dass diese Gegenstände nach dem Entzünden eine Höhe erreichen könnten, die eine Gefahr für das Nachbargebäude darstellen werde. Aus der Gebrauchsanweisung gehe nicht hervor, welche Höhe der Feuerwerksgegenstand erreichen könne. Für ihn sei die Sicherheit der Umgebung dadurch gewährleistet gewesen, dass das Wirtschaftsgebäude bis in eine Höhe von 3 m mit Beton gemauert gewesen sei.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Die vom Kind entzündeten Gegenstände seien pyrotechnische Gegenstände der Klasse I (PyrotechnikG 1974), deren Besitz und Verwendung keiner Beschränkung unterliege. Eine Haftung wegen Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 1309 ABGB setze voraus, dass der Beklagte die ihm obliegende Aufsichtspflicht schuldhaft vernachlässigt habe. Das Maß der Aufsichtspflicht bestimme sich nach dem, was nach Alter, Entwicklung und Eigenart des Kinds und in Vorhersehbarkeit eines schädigenden Verhaltens von verständigen Eltern in Berücksichtigung ihrer eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse und ihrer Geschäfts‑ und Berufspflichten erwartet werden könne. Die Aufsichtspflicht dürfe nicht überspannt werden. Höhere Anforderungen seien nur dann zu stellen, wenn nach den konkreten Verhältnissen, sei es nach den Eigenschaften des Aufsichtsbefohlenen, sei es nach der konkreten Gefahrenlage, mit der Möglichkeit eines schädigenden Verhaltens des Kindes gerechnet werden müsse. Ziehe man in Betracht, dass der Beklagte bereits zuvor während des Kirchtagsbesuchs die Verwendung der legal erworbenen Gegenstände durch andere Kinder beobachtet und dabei lediglich ein Kreisen dieser Gegenstände in geringer Höhe wahrgenommen habe, begründe das Unterlassen des genauen Studiums der auf den Verpackungen enthaltenen Hinweise kein Verschulden. Es würde ein Überspannen der Aufsichtspflicht bedeuten, würde man vom Beklagten verlangen, dass er die Gebrauchsanleitung und Gebrauchshinweise der vom Kind erworbenen Gegenstände einer eingehenden Prüfung unterziehe, dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass er wahrgenommen habe, dass diese Gegenstände sich nur in geringer Höhe und in geringem Radius am Boden bewegen. Der Beklagte habe davon ausgehen können, dass es sich bei den vom Kind verwendeten Gegenständen um gefahrlose Sachen handle. Es könne dem Beklagten nicht zum Vorwurf gereichen, dass er dem Kind das Entzünden der Gegenstände in verbautem Gebiet erlaubt habe. Die vom Kind verwendeten Gegenstände der Klasse I seien solche, von denen an sich keine große Schadenswahrscheinlichkeit oder Gefahr ausgehe.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision wegen über den Einzelfall hinaus bedeutenden Rechtsfragen zulässig sei. Das PyrotechnikG 1974 schließe für Gegenstände der Klasse I nicht einmal die Verwendung in geschlossenen Räumen aus. Es verbiete lediglich ‑ aus Lärmschutzgründen ‑ jede Verwendung in unmittelbarer Nähe von Kirchen und Gotteshäusern, Krankenanstalten, Kinder‑, Alters‑ und Erholungsheimen und ordne an, dass derartige Gegenstände nicht anders als einzeln gezündet werden dürfen. Die Bestimmungen des PyrotechnikG 1974 über die Überlassung, den Besitz und die Verwendung von pyrotechnischen Gegenständen, welche Schutznormen iSd § 1311 ABGB seien und welche den zufälligen Personen‑ und Sachschäden vorzubeugen suchten, unterstellten den zur Klasse I gehörenden pyrotechnischen Gegenständen, die als Feuerwerksscherzartikel oder Feuerwerksspielwaren bezeichnet werden, somit nur ein sehr geringes Gefährdungspotenzial. Wenngleich Schadensfälle dieser Art nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Beschränkungen des PyrotechnikG beurteilt werden dürften, sondern auch die Bestimmungen des ABGB zum Schadenersatzrecht mit zu berücksichtigen seien und demnach im Sinne des allgemeinen Ingerenzprinzips auch zu bedenken sei, dass jemand, der die Abwendung einer Schädigung absolut geschützter Güter Dritter unterlasse, rechtswidrig handle, wenn er die Gefahrensituation verursacht habe, könne dennoch kein haftungsbegründendes Fehlverhalten des Beklagten erkannt werden. Er habe aufgrund der Tatsache, dass die Feuerwerksspielwaren an Kinder abgegeben werden dürfen, und seinen eigenen Wahrnehmungen über die Harmlosigkeit derartiger Scherzartikel nach dem Entzünden nicht damit rechnen müssen, dass ein Gegenstand dieser Art in der Lage sein werde, ein Wirtschaftsgebäude der festgestellten Art in Brand zu setzen. Selbst wenn er den nicht näher konkretisierten Warnhinweis auf der Verpackung (Vorsicht, Gegenstand steigt auf!) gelesen hätte, wäre für ihn nicht vorhersehbar gewesen, dass ein derartiges Feuerwerksspielzeug von der Position des Kinds am Rand des gepflasterten Hofs mehrere Meter in die Höhe steigen und auf dem Dach des Wirtschaftsgebäudes einen Brand verursachen werde. Aus der Unterlassung des Lesens der Gebrauchsanweisung sowie eines an das Kind gerichteten Verbots, die Feuerwerksspielwaren nicht im Nahbereich des Wirtschaftsgebäudes zu entzünden, könne dem Beklagten daher kein Vorwurf gemacht werden. Das Kind habe schließlich auch einige Meter Abstand vom Wirtschaftsgebäude gehalten. Dass der Beklagte seine Enkelin wegen im unmittelbaren Bereich zwischen Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude geparkten Fahrzeugen in den entfernteren Hofbereich verwiesen habe, zeige deutlich, dass er nicht jede Vorsicht außer Acht gelassen habe, sondern bestrebt gewesen sei, die seiner Einschätzung nach mögliche Gefährdung von Sachen Dritter zu vermeiden.

Die Revision der klagenden Partei ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen haben im Einklang mit der stRsp des Obersten Gerichtshofs festgehalten, dass sich das Maß der Aufsichtspflicht gegenüber Kindern nach § 1309 ABGB nach dem bestimmt, was nach Alter und Entwicklung des Kinds von verständigen Eltern in Berücksichtigung ihrer eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse und ihrer Geschäftspflichten sowie Berufspflichten erwartet werden kann, wobei entscheidend ist, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihre Kinder zu verhindern, welchen konkreten Anlass zu bestimmten Aufsichtsmaßnahmen sie hatten (RIS‑Justiz RS0027323, RS0027339 und RS0027353). Höhere Anforderungen an die Aufsichtspflicht sind dann zu stellen, wenn nach den konkreten Verhältnissen, sei es nach den Eigenschaften des Aufsichtsbefohlenen, sei es nach der konkreten Gefahrenlage, mit der Möglichkeit eines schädigenden Verhaltens des Aufsichtsbefohlenen gerechnet werden muss (stRsp; RIS‑Justiz RS0027463, RS0027319 [Zündhölzer, Waffe], RS0027458, RS0027434 [Pfeil und Bogen]).

Die Bestimmung von Art und Umfang der den Obsorgepflichtigen treffenden Aufsichtspflichten ist also von den jeweiligen konkreten Verhältnissen des Einzelfalls abhängig. Nur nach den jeweils vorhandenen objektiven und subjektiven Gegebenheiten lässt sich beurteilen, ob eine Aufsichtspflichtverletzung vorliegt und dies dem Obsorgepflichtigen auch vorgeworfen werden kann. Eine derartige Einzelfallentscheidung ist für den Obersten Gerichtshof aber nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm korrigiert werden müsste (stRsp; RIS‑Justiz RS0044088, RS0042936 und RS0042776). Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung im oben erwähnten Sinn vermag die Revisionswerberin allerdings nicht aufzuzeigen.

Dass eine Rsp des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt, bedeutet keineswegs, dass die Entscheidung von der Lösung einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt (RIS‑Justiz RS0102181).

Da im vorliegenden Fall keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zu beurteilen ist, ist die Revision der klagenden Partei zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO; der Beklagte hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hingewiesen.

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