OGH 14Os71/04

OGH14Os71/0413.7.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Juli 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fuchs als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mokhtar L***** wegen der teilweise in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 StGB) gebliebenen Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 17. März 2004, GZ 5 Hv 5/04h-59, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mokhtar L***** der teilweise in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 StGB) gebliebenen Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und des Verbrechens der versuchten absichtlich schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB als Beitragstäter (richtig Bestimmungstäter) nach § 12 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Graz

I. von Jänner bis Ende September 2003 den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, in Verkehr gesetzt und teilweise in Verkehr zu setzen versucht, indem er in einer unbekannten Anzahl von Angriffen an nicht näher bekannte Personen eine Menge von 8.000 Gramm Cannabiskraut zu einem Preis von 6 Euro pro Gramm verkaufte bzw zu verkaufen versuchte,

II. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem 29. September 2003 die abgesondert verfolgten Mohamed A***** und Khalid L***** dazu bestimmt, dem Youssef B***** absichtlich eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zuzufügen, wobei die Tat beim Versuch blieb (Prellungen, Riss der Nasenschleimhaut).

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

In der Verfahrensrüge (Z 4) bekämpft der Beschwerdeführer die Nichterledigung seines Antrags auf Einholung eines medizinischen Gutachtens "zur Klärung der Suchtmittelabhängigkeit des Angeklagten" im Hinblick auf seine Angaben, einmal pro Woche Cannabis konsumiert zu haben (S 17 f/II). Dieser Beweisantrag zielte darauf ab, eine weitere Aufklärung von entscheidungswesentlichen Umständen zu bewirken, und strebte damit einen unzulässigen Erkundungsbeweis an (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330 f). Darüber hinaus verneinte der Schöffensenat beweiswürdigend (US 8) die Grundlage für eine Befundaufnahme des Sachverständigen, nämlich einen regelmäßigen Suchtgiftkonsum des Angeklagten, sodass die angestrebte Begutachtung nicht mehr geboten war (vgl aaO Rz 347).

Der weitere, vom erkennenden Gericht ebenfalls nicht erledigte Antrag auf Einholung eines Gutachtens zum Beweis dafür, dass Cannabisprodukte im Harn selbst maximal fünf bis sechs Tage nach der Konsumation festgestellt werden können, lässt die gebotene Darstellung vermissen, inwieweit dieses Beweisergebnis für die Schuld- oder Subsumtionsfrage von Bedeutung sein könnte, zumal darauf aufbauend (also unter Zugrundelegung einer jedenfalls die letzten sechs Tage vor seiner Verhaftung [= Tag der Harnuntersuchung; vgl S 385/I] umfassenden Abstinenz von Cannabisprodukten), kein die Suchtgiftergebenheit des Angeklagten (§ 28 Abs 3 zweiter Satz SMG) unter Beweis stellendes Verfahrensergebnis zu gewinnen war. In der Mängelrüge (Z 5) behauptet der Beschwerdeführer unter bloßem Verweis auf seine eigene Einlassung eine unzureichende Begründung zum Umfang des in Verkehr gesetzten Suchtgifts. Er legt aber nicht dar, weshalb die Erwägungen der Tatrichter den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widersprechen. Diese haben das Vorbringen des Angeklagten zu einer geringeren Menge weitergegebenen Suchtgifts zwar berücksichtigt, sich aber bei der Mengenberechnung darauf gestützt, dass in den bei L***** sichergestellten Verpackungen jeweils 1.000 Gramm Cannabiskraut von der bei ihm vorgefundenen Konsistenz Platz haben und daher angesichts von acht aufgefundenen, mit Cannabisrückständen behafteten Packungen 8.000 Gramm Cannabiskraut zum Inverkehrsetzen zur Verfügung standen (US 7 f).

Gleiches gilt für den Einwand einer fehlenden Begründung der vom erkennenden Gericht unter Hinweis auf einen negativen Harntest sowie auf die zeitbezogen unrealistisch große Menge des behaupteten Eigenkonsums verneinten Suchtgiftabhängigkeit (§ 28 Abs 3 zweiter Satz SMG) des Angeklagten (US 8).

Der wiederholte Vorwurf fehlender Begründung zur Gewerbsmäßigkeit hinwieder übergeht die auf das Geständnis und die detailliert erörterte professionelle Vorgangsweise abstellende Beweiswürdigung des Erstgerichts (US 8). Soweit der Angeklagte in diesem Zusammenhang eine Aktenwidrigkeit reklamiert, weil er nie zugegeben habe, in der Absicht gehandelt zu haben, durch den Drogenhandel seinen Lebensunterhalt finanzieren zu wollen, genügt der Hinweis auf seine geständige Einlassung in der Hauptverhandlung vom 17. März 2004 (S 19/II).

Die gegen die Bestimmungstäterschaft zum Verbrechen der absichtlich schweren Körperverletzung vorgebrachten Bedenken erschöpfen sich darin, die - vom Schöffengericht wohl erwogene (US 9) - leugnende Einlassung des Mokhtar L***** in den Vordergrund zu rücken, ohne einen Mangel iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO darzutun.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) wiederholt lediglich Argumente der Mängelrüge, ohne damit sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet einen Mangel an Feststellungen zur subjektiven Tatseite des Angeklagten, die abgesondert verfolgten Mohamed A***** und Khalid L***** dazu bestimmt zu haben, dem Youssef B***** absichtlich eine schwere Körperverletzung zuzufügen. Sie übergeht dabei jedoch verfahrensvorschriftswidrig die dazu getroffenen Konstatierungen (US 6, 9 und 12 f).

Zu den in der Subsumtionsrüge (Z 10) vorgebrachten Mängeln an Feststellungen zum gewerbsmäßigen Inverkehrsetzen von Suchtgift ist der Beschwerdeführer wiederum auf die konkret darauf abstellenden Urteilsannahmen (US 5 f, 8 f und 12) zu verweisen.

Die geltend gemachten materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgründe, die ein striktes Festhalten an den Urteilsannahmen voraussetzen, werden daher nicht prozessordnungsgemäß dargestellt.

Weshalb das erkennende Gericht im Hinblick auf die angenommene Gewerbsmäßigkeit zusätzliche Feststellungen zum Mietaufwand des Angeklagten sowie zu seinem Einkommen aus Gelegenheitsarbeiten zu treffen gehabt hätte, sagt das Rechtsmittel nicht, sodass die Nichtigkeitsbeschwerde insoweit nicht deutlich und bestimmt ausgeführt wird.

Die teils offenbar unbegründete, teils nicht dem Gesetz gemäß ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalprokurators, jedoch entgegen einer dazu gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Graz zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Angemerkt wird:

1. Das Erstgericht ging im Umfang der tatsächlichen Weitergabe von 6.885,4 Gramm Cannabiskraut von einem 2 %-igen Reinheitsgrad des Suchtgifts aus (US 10 f). Demzufolge wurde das Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG sechsfach vollendet. Hinsichtlich der verkauften restlichen 885,4 Gramm (im Hinblick auf den angenommenen Reinheitsgrad von 2 % entspricht dieses Quantum dem 0,8854fachen der Grenzmenge iSd § 28 Abs 6 SMG) und in Bezug auf weitere, in der Wohnung des Angeklagten sichergestellte, für den Verkauf bestimmte 1.104 Gramm Cannabiskraut mit einem festgestellten Reinsubstanzgehalt von 83 (+/- 3,1) Gramm Delta-9-THC (US 5; diese Menge hatte daher einen Reinheitsgrad von ca 7,5 %), ging das Schöffengericht hingegen vom Versuch (§ 15 StGB) der Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG aus, ohne Konstatierungen zu treffen, wonach der Beschwerdeführer im Umfang des noch nicht verkauften, zu Hause gelagerten Suchtgifts seinen Entschluss, eine (unter Berücksichtigung der bereits verkauften 885,4 Gramm) weitere große Menge in Verkehr zu setzen, schon durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt hatte (vgl 13 Os 10/03, EvBl 2003/133, 616; 14 Os 34/04; 14 Os 29/04; 14 Os 166/03).

Als schon ausführungsnahe Handlung iSd § 15 Abs 2 StGB, § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG kommt bei - wie im vorliegenden Fall - mehraktigem Inverkehrsetzen aber nur eine Tathandlung in Betracht, bei welcher der Täter in der Lage und willens ist, in Summe die Grenzmenge nach § 28 Abs 6 SMG zu erreichen. Der Besitz von Suchtgift in einer solchen Menge allein reicht für eine Tatbestandsmäßigkeit im Sinne des § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG noch nicht aus. Vielmehr muss die Weitergabe eines auf die große Menge fehlenden Suchtgiftquantums an konkrete Abnehmer zeitlich unmittelbar bevorstehen (vgl 14 Os 34/04). Kann - wie im vorliegenden Fall, bei dem der Angeklagte mit dem noch nicht für den Straßenverkauf portionierten Suchtgiftvorrat zu Hause angetroffen und dort festgenommen wurde (S 75 ff/I) - eine solche zeitliche Nähe von Verkaufsaktivitäten betreffend ein Quantum, mit dem eine weitere große Suchtgiftmenge erreicht würde, nach der Aktenlage auch in einem zweiten Rechtsgang mängelfrei nicht festgestellt werden (vgl aaO § 288 Rz 24), so liegen im Umfang der gewerbsmäßigen sukzessiven Weitergabe der die Grenzmenge übersteigenden "Restmenge" (womit der nach gedanklichem Abzug der in der Gesamtmenge enthaltenen "großen" Mengen [= Grenzmengen] verbleibende Überrest des in Verkehr gesetzten Suchtgiftes gemeint ist) mehrere Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2 erster Fall SMG vor. Hinsichtlich der zu Hause aufbewahrten (solcherart bloß besessenen), für ein künftiges Inverkehrsetzen bestimmten und ein Mehrfaches der Grenzmenge umfassenden Suchtgiftmenge verwirklicht der Angeklagte hingegen das Vergehen nach § 28 Abs 1 SMG. Die (mangels ausreichender, im zweiten Rechtsgang auch nicht mängelfrei nachholbarer Feststellungen) rechtsirrige Subsumtion des Inverkehrsetzens von 885,4 Gramm Cannabisprodukten und des Bereithaltens von 1.104 Gramm Cannabiskraut zum Verkauf als weitere zwei (angesichts des festgestellten Reinheitsgrades bei der zuhause gelagerten Suchtgiftmenge konsequenterweise vier) im Versuchsstadium gebliebene Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG gereichte dem Angeklagten nicht zum Nachteil und konnte daher auf sich beruhen, weil das Zusammentreffen von (unter Berücksichtigung des Schuldspruchs II. insgesamt) sieben Verbrechen mit mehreren Vergehen gleicher und verschiedener Art sowie die vierfache Überschreitung der Grenzmenge beim Vergehen nach § 28 Abs 1 SMG ebenfalls als erschwerend zu werten ist, zugleich aber der Milderungsgrund eines bloßen Versuchs zweier Suchtgiftverbrechen entfällt, ohne dass sich durch diese unrichtige rechtliche Beurteilung angesichts der zutreffend angenommenen Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG der heranzuziehende Strafsatz ändern würde (vgl 11 Os 71/02; Fabrizy StPO9 § 290 Rz 6; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 669, § 290 Rz 22 ff). Für ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 StPO bestand daher kein Anlass.

Sieht sich der Oberste Gerichtshof unter ausdrücklichem Hinweis auf eine verfehlte Subsumtion mangels eines darüber hinausgehenden konkreten Nachteils für den Angeklagten nicht zu amtswegigem Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO veranlasst, so besteht bei der Entscheidung über die Berufung, bei der das Berufungsgericht an die in der Rechtsmittelschrift vorgetragenen Berufungsgründe nicht gebunden ist (vgl 13 Os 122/02), insoweit auch keine (dem Berufungswerber zum Nachteil gereichende) Bindung an den Ausspruch des Erstgerichtes über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO (vgl 13 Os 21/04; 13 Os 7/04).

2. Das Erstgericht wertete bei der Strafbemessung u.a. als erschwerend das Zusammentreffen von neun Verbrechen (achtmal jenes nach §§ 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG, 15 StGB und einmal jenes nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB) und zusätzlich "die die Qualifikation übersteigende Suchtgiftmenge" (gemeint jene nach § 28 Abs 2 SMG iVm § 28 Abs 6 SMG). Dieses Vorgehen widerspricht dem Verbot der Doppelverwertung (§ 32 Abs 2 StGB), weil das mehrfache Erreichen der Grenzmenge iSd § 28 Abs 6 SMG für die dem entsprechend dann mehrfach begangenen Straftaten nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG vorausgesetzt wird. Auch dieser - vom Beschwerdeführer nicht geltend gemachte Nichtigkeitsgrund (§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO) - bedarf keiner amtswegigen Wahrnehmung gemäß § 290 Abs 1 StPO, weil der Angeklagte eine Berufung ergriffen hat und daher das gemäß § 285i StPO über dieses Rechtsmittel zu befindende Oberlandesgericht diesen Verstoß bei seinem Sanktionsausspruch zu berücksichtigen haben wird (vgl Ratz, WK-StPO § 285i Rz 6).

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