OGH 11Os11/04 (11Os12/04)

OGH11Os11/04 (11Os12/04)9.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. März 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kainz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen DI Christian F***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 StGB, AZ 9 U 475/01t des Bezirksgerichtes Innsbruck, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 18. Juni 2002, ON 39, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Aicher, des Verteidigers Dr. Ortner sowie der Privatbeteiligtenvertreter Dr. Stix und Dr. Weber zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 18. Juni 2002, GZ 9 U 475/01t-39, verletzt das Gesetz

1) in der rechtlichen Beurteilung der DI Christian F***** angelasteten Tathandlung, welche die schwere (§ 84 Abs 1 StGB) Verletzung von sechs Personen und die (nicht qualifizierte) Verletzung einer weiteren zur Folge hatte, als das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB statt als sechs dieser Vergehen und zusätzliches Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB in diesen Bestimmungen;

2) soweit der Verurteilte damit zur Zahlung eines jeweiligen Betrages von 727 EUR an die Privatbeteiligten Johann K*****, Johann W*****, Günther We*****, Franz Fi***** und Franz Ki***** sowie von 2.500 EUR an den Privatbeteiligten Alois H***** verurteilt wurde, in den Bestimmungen der §§ 366 Abs 2, 369 Abs 1, 447 StPO iVm §§ 175 Abs 1, 333 Abs 1 und Abs 4 ASVG.

Das Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, wird in dem unter Punkt 2 angeführten Ausspruch aufgehoben und es werden die Privatbeteiligten Johann K*****, Johann W*****, Günther We*****, Franz Fi*****, Franz Ki***** und Alois H***** mit ihren Ersatzansprüchen gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Text

Gründe:

DI Christian F***** wurde vom Bezirksgericht Innsbruck mit dem im Spruch angeführten Urteil "des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB" schuldig erkannt. Danach hat er am 11. Jänner 2001 in Innsbruck - verkürzt wiedergegeben - fahrlässig schwere Verletzungen von sechs Personen und leichte Verletzungen einer weiteren Person, welche diese durch den Zusammenbruch eines Baugerüstes erlitten, dadurch verschuldet, dass er sie zur Betretung des Baugerüstes veranlasste, dessen Belastbarkeit er falsch einschätzte, zumal er weder über einen statischen Nachweis über die Befestigung noch über andere ausreichende Unterlagen und Informationen verfügte. Nach den Urteilsfeststellungen hatten die I***** AG (IK*****) am 13. November 2000 den T***** (T*****) mit der Prüfung eines von ihren Bediensteten Alois H***** und Günther We***** im Jahre 1997 hergestellten Fanggerüstes beauftragt. DI Christian F***** führte als verantwortlicher Mitarbeiter des T***** am 11. Jänner 2001 eine "praktische Überprüfung" von Teilen dieses Gerüstes durch, wobei ihm eine "Hilfsperson", nämlich Alois H*****, ausdrücklich zur Verfügung gestellt wurde. Dieser montierte auftragsgemäß vier Konsolen des Gerüstes, indem er Ringschrauben in bereits vorhandene Dübel im Mauerwerk des Betriebsgebäudes der IK***** anbrachte und die Konsolen einhängte. Ein statischer Nachweis über die Belastbarkeit der Aufhängevorrichtungen lag nicht vor, worauf DI Christian F***** "überschlagsmäßig im Kopf die entsprechenden Berechnungen durchführte". Weil er das Gerüst einer praktischen Prüfung "unter Arbeitsbedingungen" unterziehen wollte, ordnete er an, dass sich - neben ihm selbst weitere - sieben Personen auf das Gerüst begeben sollten. "Dies wurde sodann in der Weise in Ausführung gesetzt, dass 'man' Franz F*****, Johann K*****, Johann W*****, Günther We*****, Franz Ki***** und Alois H***** auf das Gerüst beorderte, auf welchem sich auch der Beschuldigte und sein Mitarbeiter M***** befanden" (US 15). Durch die Belastung ("Biegebeanspruchungen") - neben den sieben Genannten befand sich auch DI F***** selbst auf dem Gerüst - kam es zum Bruch einer Innengewindehülse und zum Versagen des gesamten Verankerungssystems, sodass alle Personen (aus einer Höhe von rund 7,5 m) zu Boden stürzten und sich die im Spruch des Ersturteils angeführten schweren und leichten (Günther We*****) Verletzungen zuzogen. Die Schuld DI F***** erblickte das Erstgericht (und ihm folgend auch das Berufungsgericht) darin, dass er sich nicht in geeigneter Form über die Unbedenklichkeit der Verankerung vergewissert hatte, bevor er veranlasste, dass sieben weitere Personen das Gerüst betraten.

DI F***** wurde zu einer Geldstrafe und zur Zahlung von Schmerzengeld- und Schadenersatz(teil)beträgen an die verletzten Privatbeteiligten sowie an die IK***** und an den T***** verurteilt. Seiner Berufung wurde, soweit er das Adhäsionserkenntnis angefochten hatte, Folge gegeben und demgemäß die IK***** und der T***** auf den Zivilrechtsweg verwiesen, im Übrigen aber in Stattgebung der Strafberufung der Staatsanwaltschaft die Anzahl der Tagessätze erhöht.

Rechtliche Beurteilung

Durch die Nichtbeachtung des idealkonkurrierenden Zusammentreffens der in jedem einzelnen Verletzungsfall verwirklichten strafbaren Handlungen einerseits und durch den Zuspruch der Privatbeteiligtenansprüche andererseits wurde, wie der Generalprokurator mit seiner deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, das Gesetz verletzt.

1) Nach in Judikatur (SSt 46/65; 13 Os 75, 76/99 = JBl 2000, 237) und Lehre (vgl Burgstaller WK² § 88 Rz 94 mwN) übereinstimmender Auffassung treten bei Verletzungen mehrerer Personen durch ein und dieselbe Tat die jeweils einschlägigen Deliktsfälle des § 88 StGB untereinander sowie mit jenen der §§ 80 bzw 81 und/oder 89 StGB dann in echte Konkurrenz, wenn die Tat neben der Körperverletzung eines Menschen auch noch die Körperverletzung und/oder den Tod und/oder die Gefährdung anderer Menschen nach sich zog. Daher begründet vorliegend die leichte Verletzung des Günther We***** das Delikt des § 88 Abs 1 StGB, weshalb DI F***** dieses Vergehens und wegen der schweren Verletzungen der übrigen Verletzten der damit sechsfach verwirklichten Vergehen nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB schuldig zu erkennen gewesen wäre. Die in der Verurteilung nur wegen "des Vergehens" nach § 88 Abs 1 und Abs 4 StGB demnach gelegene Gesetzesverletzung wirkt sich jedoch nicht zum Nachteil des Verurteilten aus, weshalb es insoweit mit ihrer Feststellung das Bewenden haben muss.

2) Ein Zuspruch im Adhäsionsverfahren setzt voraus, dass der Verletzte aus dem erlittenen Nachteil einen Anspruch gegen den Verurteilten ableiten kann, dessen Berechtigung nach den Ergebnissen des Strafverfahrens mit Zuverlässigkeit beurteilt werden kann (§ 369 Abs 1 StPO), widrigens der Privatbeteiligte auf den Zivilrechtsweg zu verweisen ist (§ 366 Abs 2 StPO). Vorliegend kommen nach dem Urteilssachverhalt aus nachstehenden Gründen gesetzliche Haftungsbefreiungen in Betracht, die zwar noch nicht abschließend bejaht werden können, eben deshalb aber einen Zuspruch der geltend gemachten Schmerzengeld- und Ersatzforderungen nicht zulassen. Voranzustellen ist, dass § 333 Abs 1 (iVm Abs 4) ASVG die Haftung des Dienstgebers (oder eines ihm Gleichgestellten, di eines gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertreters oder eines Aufsehers im Betrieb) für den Ersatz des aus einer Körperverletzung des Versicherten bei einem Arbeitsunfall resultierenden Schadens auf den Fall der vorsätzlichen Verursachung des Arbeitsunfalles einschränkt. Diese Einschränkung erstreckt sich - mit der hier nicht in Betracht kommenden Ausnahme des § 333 Abs 3 ASVG (Arbeitsunfall durch ein Verkehrsmittel) - auf sämtliche zivilrechtliche Schadenersatzansprüche, einschließlich jener auf Schmerzengeld, die aus einem nach §§ 4 ff ASVG der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegenden Arbeitsunfall resultieren, soweit sie Personenschäden betreffen, weil § 333 ASVG diese Ansprüche abschließend regelt und damit alle anderen Haftungsgründe - insbesondere auch solche nach §§ 1325 ff ABGB - ausschließt (vgl 14 Os 130/00; Teschner/Widlar ASVG § 333 Anm 5). Gemäß § 176 Abs 1 Z 6 ASVG sind den Arbeitsunfällen solche Unfälle gleichgestellt, die sich bei einer betrieblichen Tätigkeit des Verletzten ereignen, wie sie sonst ein nach § 4 ASVG Versicherter ausübt, auch wenn dies nur vorübergehend und für kurze Zeit geschieht. Für die Anwendung dieser Norm, deren Heranziehung für die Haftungsbegünstigung des § 333 Abs 1 ASVG trotz Kritik im Schrifttum (vgl Grillberger in JBl 1988, 457; Dittrich/Tades ABGB36 § 333 ASVG E

87a) von der Judikatur bejaht wird (vgl 2 Ob 33/87), ist erforderlich, dass es sich um eine ernstliche, dem Unternehmen dienende Tätigkeit handelt, die dem mutmaßlichen oder wirklichen Willen des Unternehmers entspricht und die ihrer Art nach üblicherweise von Personen verrichtet wird, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen. Ob dadurch ein persönliches oder wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis begründet wird, ist nicht entscheidend (vgl 2 Ob 33/87); wesentlich ist nur, dass die maßgebliche Tätigkeit nicht zum eigenen betrieblichen Aufgabenbereich des Verletzten gehört (Lauterbach Unfallversicherung3 159 Rz 100). Selbst bei nur vorübergehenden Gefälligkeits- und sogar Freundschaftsdiensten kann der Versicherungsschutz (als Voraussetzung der Haftungsbefreiung für den Schädiger) nicht versagt werden; es genügt für die Annahme einer Eingliederung des Helfenden in das Unternehmen, wenn der Helfende im ausdrücklich oder stillschweigend zum Ausdruck kommenden oder nach der Sachlage zu vermutenden Einverständnis des Unternehmers handelt, ja sogar, wenn er unaufgefordert und ohne vorherige Absprache aus eigenem Entschluss helfend mit der Zielsetzung eingreift, dem Unternehmen, dem seine Hilfe gilt, zu dienen (10 ObS 126/95; SZ 68, 138; Lauterbach aaO 160 Rz 101).

Um diese Hilfstätigkeit als betriebliche Tätigkeit iSd § 176 Abs 1 Z

6 ASVG einzustufen, muss sie für den Betrieb förderlich sein (vgl 8

Ob 225/75), was wiederum nicht aus einer nachträglichen

Betrachtungsweise heraus beurteilt werden kann, sondern aus dem Zweck

der geleisteten Tätigkeit erschlossen werden muss (SZ 60/96 = EvBl

1988/18 = JBl 1988, 457 [Grillberger]; SZ 52/66; SSV-NF 2/133;

Lauterbach aaO 158/1 Rz 99 zu § 539 RVO mwN).

Entscheidende Bedeutung kommt daher dem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang zu, in dem im konkreten Fall die helfende Tätigkeit, die arbeitnehmerähnlich ist, verrichtet wird. Vorliegend liegt ein Unfall im Betrieb des T***** vor, der sich (nach den Urteilsfeststellungen) im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden "Beschäftigung" (nämlich der praktischen Prüfung des Gerüstes in Dachhöhe) ereignete und durch welchen - mit Ausnahme des Mag. M***** - Dienstnehmer der IK***** verletzt wurden. Damit käme DI F***** grundsätzlich das Dienstgeberprivileg des § 333 Abs 1 ASVG dann zugute, wenn er bevollmächtigter Vertreter oder aber "Aufseher im Betrieb" (des T*****) iS des Abs 4 des § 333 ASVG war (Schwimann Praxiskommentar zum ABGB2 § 333 ASVG Rz 69 f; 89) und die Hilfeleistung der Privatbeteiligten als betriebliche Tätigkeit iSd § 176 Abs 1 Z 6 ASVG zu qualifizieren ist.

Wenn zwei Unternehmen als Vertragskontrahenten - wie hier die IK***** als Auftraggeber und der T***** als beauftragtes Unternehmen - einander gegenüberstehen, wird die Haftung des einen Unternehmens (bzw seines Aufsehers) bei Verletzung eines Betriebsangehörigen des anderen Unternehmens nicht durch § 333 ASVG ausgeschlossen, wenn jedes der beiden Unternehmen innerhalb der Sphäre des eigenen Betriebes tätig bleibt und (hier) der Arbeitnehmer des Auftraggebers nicht im beauftragten Betrieb eingegliedert wird (4 Ob 621/88 mwN). Der Haftungsausschluss kann hingegen dann eingreifen, wenn der dann Verletzte die Sphäre seines eigenen Betriebes verlässt und sich dem Aufgabenbereich des anderen Unternehmens, wenn auch nur kurzfristig, einordnet (SZ 52/66 mwN).

Ob dem Verurteilten gegenüber einem anderen Dienstnehmer desselben Dienstgebers (hier: einem - allenfalls - eingegliederten Dritten) die Stellung eines Aufsehers im Betrieb iSd § 333 Abs 1 und Abs 4 ASVG zukommt, hängt nach stRspr davon ab, ob er die "Verantwortlichkeiten für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte" trägt, andere Betriebsangehörige, einen (wenn auch kleinen) Teil des Betriebs oder wenigstens eines Betriebsvorgangs überwacht und zur Zeit des Unfalls einen Arbeitsgang einer Arbeitspartie leitet, wobei ihm eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung, verbunden mit Weisungsbefugnis und Fürsorgepflicht, zukommt (vgl SZ 51/128; EvBl 1979/44 uva). Da diese Fragen nach den Urteilsannahmen, die sich im oben wiedergegebenen Wortlaut (US 15) erschöpfen, nicht zweifelsfrei beantwortet werden können, weil etwa nicht eindeutig geklärt ist, ob die Privatbeteiligten als Dienstnehmer der IK***** über Anordnung eines Verantwortlichen dieses Unternehmens in dessen Interesse, zB aus Kostenersparnisgründen, sich für die Belastungsprobe zur Verfügung stellten und damit die Sphäre ihres eigenen Arbeitsbereiches gerade nicht verlassen hatten, und somit nicht einwandfrei feststeht, ob der Verurteilte Aufseher im Sinn des § 333 Abs 1 und Abs 4 ASVG war oder nicht, widersprach der Privatbeteiligtenzuspruch den Bestimmungen der §§ 366 Abs 2 und 369 Abs 1 StPO. Weil diese Gesetzesverletzung dem Verurteilten zum Nachteil gereichte, war das Adhäsionserkenntnis im aufgezeigten Umfang aufzuheben und die Privatbeteiligten waren auf den Zivilrechtsweg zu verweisen.

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