OGH 8ObA90/03y

OGH8ObA90/03y23.1.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Gerhard Loibl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gottfried L*****, vertreten durch Grießer Gerlach Gahleitner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei V*****, vertreten durch Gugerbauer & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert EUR 21.801,85 sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Juni 2003, GZ 8 Ra 51/03h-24, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Im Zuge der Ausgliederung der Beklagten wurde der seit 1994 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten angestellte Kläger zum Alleingeschäftsführer der Beklagten bestellt und erhielt ab 30. 1. 2001 einen neuen auf drei Jahre befristeten Anstellungsvertrag mit einem 14 x jährlich auszubezahlenden monatlichen Entgelt von S 85.000,-- brutto zuzüglich einer Gewinnbeteiligung. Im Zuge der Ausgliederung hatte der Kläger auch die Verhandlungen über den Mietvertrag betreffend die Betriebsräumlichkeiten der Beklagten zu führen, wobei sichergestellt werden sollte, dass die Beklagte bis Ende 2002 das Mietobjekt weiter benützen kann. Seitens der Gesellschafter wurde auf eine gewisse Flexibilität für eine beabsichtigte Übersiedlung Wert gelegt. Auch die Vermieterin beabsichtigte das Objekt bis Ende 2002 zu verkaufen und alle Mietverhältnisse bis spätestens zu diesem Zeitpunkt zu beenden. Nach der entsprechenden Regelung des Mietvertrages wurde das Mietverhältnis zuerst nur für die Dauer von 1. 1. bis 30. 6. 2001 befristet abgeschlossen und sollte ohne Kündigung enden, wobei jedoch die Vermieterin der Mieterin das Recht auf eine jeweils monatliche Verlängerung des Mietverhältnisses bis längstens 31. 12. 2002 einräumte. Zur Ausübung dieses Rechtes wurde im Vertrag festgehalten, dass die Mieterin der Vermieterin in schriftlicher Form spätestens zwei Wochen vor Ablauf des jeweiligen Kalendermonates die Verlängerung des Mietverhältnisses um einen Monat anzuzeigen hat, widrigenfalls das Mietverhältnis als nicht verlängert angesehen wird und dadurch mit dem Ende des jeweils laufenden Kalendermonats ohne Notwendigkeit einer Kündigung endet. Der Kläger hatte damals mit den Vertretern der Vermieterin, mit denen er ja auch jahrelang gemeinsam beschäftigt war aus seiner Sicht eine freundschaftliche Gesprächsatmosphäre. In weiterer Folge unterließ es der Kläger, schriftliche Anzeigen über die Verlängerung des Mietverhältnisses vorzunehmen, auch weil er meinte, dass die Vermieterin ohnehin ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Mietvertrages bis Jahresende 2002 habe. Die Vermieterin reagierte vorweg darauf nicht. Ende 2001 kam es aber zu Mietrückständen in Höhe von S 600.000,- -, weil die Beklagte im Hinblick auf finanzielle Forderungen der Muttergesellschaft unter anderem gegen die Vermieterin Mietzinse einbehielt. Im Mietvertrag hatte die Mieterin allerdings auf die Kompensation gegen Mietzinsforderungen verzichtet, worauf sich die Vermieterin jedoch nicht berufen hatte. Am 17. 12. 2001 richtete der Kläger dann ein Schreiben an die Vermieterin, in dem er bekanntgab, dass das Mietverhältnis vorerst bis 31. 3. 2002 verlängert werde und sich die Beklagte eine weitere Verlängerung vorbehalte. Dieses Schreiben war nur von ihm als Geschäftsführer unterfertigt, obwohl er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr alleinvertretungsbefugt war. Es sollte nur der Information der Vermieterin dienen, da der Kläger damit rechnete, dass die Beklagte bis März 2002 neue Räumlichkeiten finden werde. Als Reaktion auf das Schreiben des Klägerin vertrat die Vermieterin den Standpunkt, dass dieses Schreiben, das der Vermieterin erst am 21. 12. 2001 zugegangen war, keine rechtzeitige Anzeige der Verlängerung des Mietverhältnisses im Sinne des Mietvertrages sei und dieser sohin zum 31. 12. 2001 ende. Sie forderte auch gleichzeitig die offenen Mietentgelte und sonstige Entgelte in Höhe von über S 1 Mio ein. Daraufhin wurde der Kläger entlassen.

Die Vorinstanzen haben übereinstimmend die Entlassung des Klägers als berechtigt angesehen und das auf Feststellung des aufrechten Bestandes des Arbeitsverhältnisses gerichtete Klagebegehren abgewiesen.

Die gegen dieses Urteil des Oberlandesgerichtes erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Eine vom Kläger gerügte Aktenwidrigkeit könnte dann gegeben sein, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen wurden, also wenn der Inhalt entsprechender Beweisergebnisse unrichtig wiedergegeben und infolge dessen eine fehlerhafte Sachverhaltsgrundlage der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde. Soweit es um Überlegungen der Vorinstanzen geht, warum ein Sachverhalt als erwiesen angenommen wird sowie bestimmte Feststellungen getroffen werden, handelt es sich um eine Frage der Beweiswürdigung, nicht aber der Aktenwidrigkeit. Zusätzlich ist für das Vorliegen des Revisionsgrundes des § 503 Z 3 ZPO auch noch erforderlich, dass diese Aktenwidrigkeit von wesentlicher Bedeutung ist, also geeignet ist, die Entscheidungsgrundlage zu ändern (vgl insgesamt RIS-Justiz RS0043347 insb OGH 10 ObS 194/99y; zur Veränderung der Entscheidungsgrundlage RIS-Justiz RS0043271). Soweit nun die Revision als Aktenwidrigkeit geltend macht, dass das Berufungsgericht davon ausgeht, dass dem erstgerichtlichen Urteil nicht entnommen werden könne, dass der Kläger jahrelang gute Dienste für die Beklagte geleistet habe, so handelt es sich dabei um eine Frage der rechtlichen Beurteilung, da das Berufungsgericht ja offengelegt hat, dass es als maßgeblich erachtete, dass der Kläger erst mit Wirkung vom 1. 1. 2001 als Geschäftsführer angestellt wurde und er noch am Ende dieses Jahres entlassen wurde.

Wenn der Kläger grundsätzlich zutreffend die Aktenwidrigkeit des Urteils des Berufungsgerichtes insoweit rügt, als entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichtes der Zeuge Mag. Thomas M***** in seiner Einvernahme nicht ausgeführt habe, dass es bei der Beklagten im Hinblick auf das Verhalten des Klägers bei der Suche nach einem Ersatzobjekt zu großem Zeitdruck und zu Verunsicherungen in der Branche gekommen sei, so ist ihm entgegenzuhalten, dass das Berufungsgericht diese Feststellungen auch nicht als rechtlich relevant erachtete, da das tatsächliche Vorliegen eines Schadens keine Voraussetzung für die Annahme einer Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 dritter Tatbestand AngG darstellt. Zu den weiteren Ausführungen der Revision, dass das Berufungsgericht einerseits davon ausgehe, dass das Mietverhältnis mit Ablauf des 31. 12. 2001 geendet habe, andererseits aber auch ausführe, dass das Mietverhältnis per 30. 6. 2001 "erloschen sei", ist darauf hinzuweisen, dass das Berufungsgericht vorweg nur festgehalten hat, dass die Vermieterin in ihrem Schreiben zu Recht davon ausging, dass das Mietverhältnis mit 31. 12. 2001 ende, weil eben der Mietvertrag entsprechend seinen Bestimmungen bereits per 30. 6. 2001 erloschen gewesen sei. Soweit die Revision im Folgenden ausführt, dass sich damit das Berufungsgericht offensichtlich den Ausführungen der Beklagten angeschlossen habe, wonach durch die Nichtausübung der Verlängerungsoption das Mietverhältnis bereits mit 30. 6. 2001 beendet gewesen sei, tatsächlich aber das Mietverhältnis über den 30. 6. 2001 ohne jede Reaktion des Vermieters fortgesetzt wurde, handelt es sich um keine Frage der Aktenwidrigkeit, sondern der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes. Inwieweit eine relevante Aktenwidrigkeit darin liegen soll, dass das Berufungsgericht terminologisch nicht zwischen der Rechtsmeinung des Alleingeschäftsführers der Alleingesellschafterin der Beklagten und dem "Eigentümer" der Beklagten differenziert, ist nicht ersichtlich. Dass entgegen den Regelungen des Mietvertrages eine Kompensation mit den behaupteten Gegenforderungen durch diesen Alleingesellschafter der Muttergesellschaft und zweiten Geschäftsführer der Beklagten erfolgte, wurde ohnehin zugrundegelegt.

Soweit der Kläger die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes bekämpft, wonach der Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 letzter Fall AngG verwirklicht sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Beurteilung dieser Frage nur anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles erfolgen kann. Geht das Berufungsgericht dabei von den bereits durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes herausgearbeiteten Grundsätzen aus und wendet diese nur im Einzelfall an, so vermag diese Beurteilung dieser Einzelfälle regelmäßig keinen Beitrag zur Rechtsfortentwicklung oder Rechtseinheit im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu leisten (vgl auch Kodek in Rechberger ZPO2 § 502 Rz 3). Eine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO könnte also nur insofern vorliegen, als die Beurteilung durch das Berufungsgerichtes eine so krasse Fehlbeurteilung darstellte, dass sie im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO als Beeinträchtigung der Rechtssicherheit anzusehen wäre. Davon kann aber hier im Ergebnis nicht ausgegangen werden.

Es entspricht nun der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes, dass unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 letzter Satz AngG solche Handlungen und Unterlassungen eines Angestellten fallen, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkungen auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen lassen, weil dieser befürchten muss, dass der Angestellte seine Pflicht nicht entsprechend erfüllt und dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet werden (vgl RIS-Justiz RS0029547 mwN; zuletzt 8 ObA 17/03p). Für die Verwirklichung des Entlassungsgrundes der Vertrauensunwürdigkeit ist weder ein Schadenseintritt noch eine Schädigungsabsicht erforderlich, sondern es genügt schon die Fahrlässigkeit des Angestellten (vgl RIS-Justiz RS0029531 mwN; zuletzt etwa auch OGH 9 ObA 191/02g unter Hinweis auf das Ausmaß des Schuldvorwurfes). Die Vertrauensunwürdigkeit wird dabei nicht nach dem subjektiven Empfinden des einzelnen Arbeitgebers beurteilt, sondern es ist an das Gesamtverhalten des Angestellten ein objektiver Maßstab anzulegen, wobei sämtliche Begleitumstände des einzelnen Falles zu berücksichtigen sind (vgl RIS-Justiz RS0029833 mwN). Im vorliegenden Zusammenhang hervorzuheben ist aber auch die Rechtsprechung, dass das erforderliche Vertrauen zum Angestellten und damit auch die Frage der Vertrauensunwürdigkeit von der Position des Angestellten im Betrieb, insbesondere auch dessen Verfügungsmöglichkeiten über Betriebsmittel abhängig ist (vgl allgemein RIS-Justiz RS0029726 mwN; zuletzt 9 ObA 120/02s). Dementsprechend werden im Allgemeinen Angestellte in leitender Stellung strengere Anforderungen gestellt, weil aus dem allfälligen Fehlverhalten typischerweise für den Arbeitgeber auch schwerwiegendere nachteilige Konsequenzen entstehen können (vgl nicht nur wie bereits zitiert RIS-Justiz RS0029726 mwN, sondern auch RIS-Justiz RS0029652 mwN, zuletzt 9 ObA 192/02d).

Betrachtet man den vorliegenden Fall, so geht es darum, dass der Kläger durch ein vertragswidriges Fehlverhalten die wesentliche Existenzgrundlage der Beklagten, und zwar deren Betriebsräumlichkeiten in einer für die Beklagte auch finanziell besonders schwierigen Zeitspanne in Gefahr gebracht hat.

Wenn die Vorinstanzen übereinstimmend darin ein Verhalten gesehen haben, das den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 AngG erfüllt, so kann in der Abweisung des hier konkret gestellten Klagebegehrens (vgl dazu Martinek/Schwarz/Schwarz, AngG, 392) eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende relevante Fehlbeurteilung im dargestellten Sinne nicht erblickt werden. Ob es dem Vermieter auch aus anderen Gründen frei gestanden wäre, das Bestandverhältnis aufzulösen, ist im Hinblick auf die markante Verschlechterung der Rechtsposition der Beklagten durch das Verhalten des Klägers ohne Relevanz. Dies gilt auch hinsichtlich der nunmehr erstatteten Darlegungen zu einer stillschweigenden Erneuerung des Mietvertrages im Sinne des § 1114 ABGB bzw einer schlüssigen Abänderung der Voraussetzungen des Mietvertrages unter Setzung einer Nachfrist, weil der wesentliche Vorwurf ja dahin geht, dass der Kläger es generell - also bereits von Anbeginn an - unterlassen hat, die in diesem Mietvertrag vorgesehene Anzeige der Verlängerung vorzunehmen. Die Ausführungen der Revision, dass der Vorbehalt über die Beendigung des Mietverhältnisses im alleinigen Interesse des Mieters vereinbart worden sei, entfernen sich von den getroffenen Feststellungen.

Insgesamt vermag die Revision ausgehend von der Abweisung des konkreten Klagebegehrens keine relevante Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO darzustellen.

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