OGH 7Ob303/03i

OGH7Ob303/03i14.1.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Österreichische Bundesbahnen, 1020 Wien, Nordbahnstraße 50, vertreten durch Weissborn & Wojnar Kommandit-Partnerschaft, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei G*****, vertreten durch Dr. Klaus Altmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 20. August 2003, GZ 39 R 214/03i-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 9. März 2003, GZ 10 C 155/02p-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird keine Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihrer Vertreter binnen 14 Tagen die mit EUR 300,10 (hierin enthalten EUR 50,02 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei ist seit März 1998 Mieterin der Geschäftslokale ***** und ***** im Bereich des Bahnhofs Wien Nord (Praterstern). Die Parteien vereinbarten in ihrem unbefristet abgeschlossenen schriftlichen Bestandvertrag vom 2./11. 3. 1998, dass die Bestandsache zur Führung eines Buffets und eines Lebensmittelkleinhandels benützt werden sollte. Kündigungsgründe wurden in den Vertrag nicht aufgenommen. In einem Zusatzvertrag vom 4./10. 5. 2000 vereinbarten sie, dass der Umbau des Bahnhofs einen wichtigen Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 13 MRG darstelle.

Beim Gastronomiebetrieb der beklagten Partei handelt es sich um einen Imbissstand ohne Sitzplätze, der hauptsächlich von Stammkunden, teilweise auch von Straßenbahnkunden frequentiert wird. Man erreicht ihn über zwei Zugänge, nämlich von der Straßenbahnstation Ausstellungsstraße aus sowie von einer "quasi hinter dem Geschäft liegenden Passage (Durchgang)". Der Gastronomiebetrieb liegt hiebei "nicht im Bahnhofgebäude selbst", sondern muss man hiezu ins Freie treten und benötigt insgesamt rund vier Minuten, um vom Bahnsteig (gemeint: der Schnellbahn) zum Lokal zu gelangen.

Der genannte Bahnhof, bei dem seit den 60er-Jahren "nie etwas saniert" wurde, soll umgebaut werden, wobei mit dem Umbau 2004 begonnen werden soll. Grund hiefür ist nicht nur der "nicht mehr aktuelle Standard" der Anlage insgesamt, sondern auch der künftige Verlauf der U-Bahn U 2. Bezüglich des Umbaus steht derzeit zumindest fest, dass sich einige wasserdurchlässig gewordene und daher zu sanierende Säulen (die mangels Sanierung "irgend wann einmal zusammenbrechen werden") einer Brücke ("quasi im ersten Stock") auf der Gleise (vorwiegend der Schnellbahn) verlaufen, im Bereich des Geschäftslokals der beklagten Partei befinden und dieses damit von den Umbauarbeiten betroffen sein wird. Mündlich wurde "der beklagten GmbH vom Kläger" versichert, dass allerdings der Umbau nicht vor Ende 2005 stattfinden werde.

Die klagende Partei kündigte das Bestandverhältnis per 31. 12. 2003 auf, wobei das Bestandobjekt als "im beiliegenden Lageplan rot eingezeichnete Fläche im Ausmaß von 25,81 m² im Bahnhof Wien-Nord..." näher bezeichnet wurde. Die klagende Partei brachte vor, dass das MRG nicht anwendbar sei, weil der Vertrag im Rahmen ihres Betriebes als Verkehrsunternehmen abgeschlossen worden sei. Die Vermietung habe der Versorgung der Reisenden gedient. Sollte das MRG doch heranzuziehen sein, liege der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 13 MRG im Sinne des Zusatzvertrages vor, weil der Bahnhof grundlegend umgebaut werde und ab Anfang 2004 bestandfrei sein müsse. Dadurch sei gleichzeitig auch § 30 Abs 2 Z 29 MRG erfüllt (dringender Eigenbedarf aus der Baufälligkeit des Bahnhofs samt notwendiger Umgestaltung aus verkehrstechnischen Gründen).

Die beklagte Partei führte in ihren Einwendungen aus, dass das MRG anzuwenden sei, weil die Vermietung nicht im Rahmen des Betriebes erfolgt sei. Geschäftszweck der klagenden Partei sei die Beförderung von Kunden und nicht die Verabreichung von Speisen; die nachträgliche Vereinbarung von Kündigungsgründen sei unzulässig. außerdem sei ihr zugesichert worden, dass der Umbau nicht vor 2005 stattfinden werde.

Das Erstgericht sprach aus, dass die Aufkündigung unwirksam sei und wies das Räumungsbegehren ab. Es beurteilte den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, dass der Vertrag nicht unter § 1 Abs 2 Z 1 MRG falle. Da das vier Minuten vom Bahnsteig entfernte Lokal außerhalb des Bahnhofsgebäudes liege, fehle der notwendige Konnex; die Geschäftsräume seien vielmehr bloß Teil der weitläufigen Fläche des Gesamtgeländes, nicht aber Teil der Fläche des eigentlichen Bahnhofsgebäudes. Die nachträgliche Vereinbarung eines Kündigungsgrundes sei unzulässig. Auch der Kündigungsgrund des Eigenbedarfes liege nicht vor, weil der Bedarf an den gekündigten Räumen selbst bestehen müsse.

Das Berufungsgericht gab der von der klagenden Partei erhobenen Berufung Folge und änderte die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer Rechtswirksamkeit der gerichtlichen Aufkündigung samt Stattgebung des Räumungsbegehrens ab (wobei es das Bestandobjekt als "Geschäftslokal ***** und WC ***** im Bereich des Bahnhofs Wien-Nord...." bezeichnete). Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht (zusammengefasst) aus, dass der vorliegende Mietvertrag unter die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 2 Z 1 MRG zu subsumieren sei, was zur Folge habe, dass die gerichtliche Aufkündigung nach § 1116 ABGB rechtmäßig erfolgt sei. Im Hinblick auf die über den bloßen Kernbereich der Güter- und Personenbeförderung hinausgehende Definition des Geschäftszweckes der klagenden Partei im § 1 Bundesbahngesetz könne es nicht zweifelhaft sein, dass auch der Abschluss von Mietverträgen über im Bahnhofsgelände gelegene Geschäftsräume, in denen ein Buffet und ein Lebensmittelkleinhandel geführt werde, in deren Geschäftsbereich fiele. Dies gelte generell für Mietverträge im Zusammenhang mit Serviceleistungen, die von Passagieren erwartet würden, und sei vom Gesetzgeber durch die Novellierung im Rahmen des 3. WÄG, wodurch auch die Flughafenbetriebsunternehmen in den Ausnahmekatalog des § 1 Abs 2 Z 1 MRG aufgenommen wurden, noch erhärtet (bzw ausgeweitet) worden. Durch die Entfernung von drei bis vier Gehminuten von den Bahnsteigen im ersten Stock falle der räumliche Zusammenhang mit dem Bahnhof nicht weg; ebenso nicht durch den Umstand, dass sich im Bahnhof selbst noch andere Gastronomiebetriebe befänden. Gerade durch die enge räumliche Verknüpfung von Schnellbahn, U-Bahn und Straßenbahn lasse sich eine exakte Trennung zwischen Schnellbahnkunden (der ÖBB und damit klagenden Partei) einerseits und solchen der übrigen öffentlichen Verkehrsmittel kaum durchführen.

Das Berufungsgericht erklärte überdies die ordentliche Revision für zulässig, und zwar einerseits im Hinblick auf die Häufigkeit derartiger Mietverträge im Zusammenhang mit Verkehrsunternehmen und andererseits den Umstand, dass eine oberstgerichtliche Entscheidung zur Frage fehle, ob ein außerhalb des eigentlichen Bahnhofsgebäudes betriebenes Buffet und ein Lebensmittelkleinhandel, in dem (auch) Reisende mit Proviant versorgt werden, im Rahmen des Betriebes des Verkehrsunternehmens erfolge, und es sich hiebei um eine über die Entscheidung im Einzelfall hinausgehende erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO handle; hiebei sei insbesondere auch auf das obiter dictum in der Entscheidung immolex 1998/120 verwiesen, in welcher der Oberste Gerichtshof offensichtlich eine einschränkende Interpretation des im Ausschussbericht (1268 BlgNR 18. GP, 9) wiedergegebenen Telos des Gesetzgebers intendiere.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, in Stattgebung ihres Rechtsmittels die Kündigung aufzuheben (und damit das Ersturteil wieder herzustellen); hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, dem gegnerischen Rechtsmittel keine Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Die Ausführungen der Rechtsmittelwerberin wiederholen im Wesentlichen ihren bereits wiedergegebenen Prozessstandpunkt vor den unterinstanzlichen Gerichten, insbesondere zur Nichtanwendbarkeit des MRG. Außerdem habe das Berufungsgericht durch die spruchmäßige und amtswegig vorgenommene (bei der Wiedergabe weiter oben durch Fettdruck hervorgehobene) Umformulierung eine unzulässige Veränderung des Kündigungsgegenstandes vorgenommen. Schließlich habe sich das Berufungsgericht nicht mit der bindenden Zusage eines befristeten Kündigungsverzichtes auseinandergesetzt und sprächen auch "allgemeine Billigkeitsgründe" gegen die Wirksamkeit der Kündigung.

Darauf ist im Hinblick darauf, dass der Oberste Gerichtshof die rechtliche Begründung der zweitinstanzlichen Entscheidung sowohl ihrer Ableitung als auch ihrem Ergebnis nach für zutreffend erachtet und billigt (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO), Folgendes zu erwidern:

Rechtliche Beurteilung

Nach § 1 Abs 2 Z 1 MRG in der hier maßgeblichen Fassung des 3. WÄG BGBl 1993/800 fallen in den Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes ua nicht Mietgegenstände, die im Rahmen des Betriebes eines Verkehrs- oder Flughafenbetriebes vermietet werden. Strittig ist im vorliegenden Fall hiezu (nur), ob durch die speziellen örtlichen und geographischen Gegebenheiten des Bestandobjektes (Lage nicht direkt im Bahnhofsgebäude selbst, sondern rund vier Gehminuten vom Gleisbereich entfernt) der innere Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zur "typischen Infrastruktur" eines solchen Betriebes (so die Materialien zum 3. WÄG - AB 1268 BlgNR 18. GP, 9; abgedruckt auch in Prader, MRG Anm 12 zu § 1) gewahrt und damit die Anwendbarkeit dieser Ausnahmebestimmung auf das vorliegende Bestandverhältnis (im Sinne der Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz) zu bejahen oder (so das Erstgericht und ihm folgend die Revisionswerberin) zu verneinen ist. Zutreffend hat hiezu das Berufungsgericht zunächst auf den aus dem geltenden § 1 Abs 3 des Bundesbahngesetzes 1992 BGBl 1992/825 abzuleitenden Betriebszweck der "Sicherstellung einer modernen und leistungsfähigen Verkehrsbedienung" hingewiesen, der - so wiederum die Materialien (RV 652 BlgNR 18. GP, 11) - ausdrücklich "auch solche Tätigkeiten beinhaltet, die nicht unmittelbar unter Verkehrsleistungen subsumiert werden können", aber "zumindest mittelbar zur Erfüllung dieser Aufgabe notwendig sind". Im Hinblick auf diese weite und vom Gesetzgeber selbst formulierte Umschreibung kann es nach Auffassung des erkennenden Senates keinem vernünftigen Zweifel unterliegen (und wird auch von der Revisionswerberin hiegegen nichts grundsätzlich Stichhaltiges ins Treffen geführt), dass auch das Anbot von einschlägigen Serviceleistungen im Infrastrukturbereich selbstredend darunter fällt; dazu zählt auch die Zurverfügungstellung von Proviant und Getränken zur Abdeckung derartiger Bedürfnisse der Kunden und Passagiere des Verkehrsbetriebes, weshalb dann aber auch der Abschluss derartiger Verträge mit einschlägigen Professionisten bzw Gewerbetreibenden ebenso "in den Betrieb des Verkehrsunternehmens" fällt. Dass dabei auch nicht - wie in der Revision argumentativ, jedoch insoweit isoliert in den Vordergrund gerückt - auf das Moment der (unmittelbaren) Nähe zum Bahn(Gleis)körper abzustellen ist, hat der Gesetzgeber ebenfalls selbst - durch die Einbeziehung der Flughafenbetriebsunternehmen in denselben Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 1 MRG im Rahmen des bereits zitierten 3. WÄG - vollzogen, und in den Materialien hiezu (1268 BlgNR 18. GP, 9) eine Gleichstellung zwischen Bahnhof und Flughafen ausdrücklich als "sachlich gerechtfertigt" bezeichnet; Mietverhältnisse über speziell Gastbetriebe zählen hier wie dort "zur typischen Infrastruktur" und sollen daher generell "nicht vom Geltungsbereich des MRG erfasst" sein. Da - bekanntermaßen (§ 269 ZPO) - am Gelände von Flughafenanlagen solche Betriebe in der Regel (um nicht zu sagen generell) oftmals lange Wegstrecken vom Flugsteig (Gate) entfernt situiert sind, ohne dass sich aus der (bloßen) Entfernung und Länge der Wegzeit eine Ausnahme von der Ausnahme(regelung) ableiten ließe, kann es auch im vorliegenden Fall nicht schaden, wenn der von der beklagten Partei betriebene Kiosk (Buffet) gerade vier Gehminuten vom Bahnsteig entfernt liegt (die Bezeichnung "fernab" in der Revision muss in diesem Zusammenhang wohl als sachlich nicht rechtfertigbare Übertreibung qualifiziert werden). Wäre dieses (Zeit-Weg-)Kriterium tatsächlich ausschlaggebend, dann wäre damit auch die Einbeziehung solcher typischer infrastruktureller Betriebe in einer Flughafenanlage ausschließbar, was aber - wie gezeigt - vom Gesetzgeber selbst gerade nicht erwünscht wird. Gerade durch die - ebenfalls gerichtsbekannte (§ 269 ZPO) - enge räumliche Verknüpfung mehrerer Verkehrsbetriebe und damit Verkehrsmittel im Rahmen des Wiener Nordbahnhofs ist damit auch hier der Zusammenhang mit dem Rahmen des Betriebes der klagenden Partei als gewahrt anzusehen, weil die Vermietung eben (auch) der typischen Infrastruktur des Bahnbetriebes (insgesamt) entsprach und entspricht (vgl SZ 70/270 = immolex 1998/120, in welcher Entscheidung der Oberste Gerichtshof - entgegen dem Zulassungsausspruch des Berufungsgerichtes - insoweit keine einschränkende Interpretation der Zielsetzungen des Gesetzgebers des 3. WÄG vorgenommen hat).

Damit unterliegt aber das gegenständliche Bestandverhältnis nicht dem MRG. Auf einen befristeten mündlichen Kündigungsverzicht vermag sich die Beklagte in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht mit Erfolg zu berufen, weil die diesbezügliche Feststellung des Erstgerichtes bloß dahin lautet, dass der (als wichtiger Grund im Sinne des § 30 Abs 2 Z 13 MRG nachträglich vereinbarte) Umbau nicht vor Ende 2005 stattfinden werde; nachdem es aber auf diesen (gesetzlichen) Kündigungsgrund ohnedies - mangels Anwendbarkeit des MRG - nicht ankommt, ist auch eine Rücksichtnahme darauf (und einen daraus abgeleiteten Verzicht auf die Relevierung bzw Geltendmachung dieses gesetzlichen Kündigungsgrunde) hinfällig. Schließlich hat sich die beklagte Partei im Verfahren erster Instanz aber auch nie auf einen Kündigungsverzicht im nunmehr relevierten Sinn und Umfang berufen. Welche "allgemeinen Billigkeitsgründe" gegen die Wirksamkeit der Kündigung sprechen sollen, bleibt ebenfalls unerfindlich; die (angeblich) an einen Vormieter bezahlte "hohe Ablöse" vermag im ausschließlich zweipersonalen Vertragsverhältnis zwischen den nunmehrigen Streitteilen keine rechtliche Relevanz zu entfalten. Die geringfügige Umbezeichnung des von der Kündigung betroffenen Bestandobjektes durch das Berufungsgericht ist ebenfalls nicht zu beanstanden, weil zwischen den Parteien nie Zweifel über das aufgekündigte Bestandobjekt bestanden und auch sonst keine prozessualen Schranken durch diese Vorgangsweise überschritten wurden (vgl etwa ausführlich 8 Ob 60/02k).

Der Revision war damit keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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