OGH 10ObS138/02w

OGH10ObS138/02w16.9.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie durch die fachkundigen Laienrichter Friedrich Heim (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schönhofer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Osman A*****, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei und Rekurses der beklagten Partei gegen das Teilurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen jeweils vom 11. Dezember 2001, GZ 25 Rs 117/01v-46, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. September 2001, GZ 43 Cgs 7/00d-39, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision und dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden abgeändert, der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, sodass die Entscheidung insgesamt zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem 1. 10. 1999 zu gewähren, besteht dem Grunde nach zu Recht.

Der beklagten Partei wird aufgetragen, dem Kläger ab 1. 10. 1999 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheids eine vorläufige Zahlung von 500 EUR monatlich zu erbringen, und zwar die bis zur Zustellung dieses Urteils fälligen vorläufigen Zahlungen binnen 14 Tagen, die weiteren jeweils monatlich im Nachhinein am 1. des Folgemonats."

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 818,80 EUR (davon 136,47 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 25. 11. 1999 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 14. 9. 1999 auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab, weil der Kläger nicht invalid sei.

Mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten, am 13. 1. 2000 eingebrachten Klage begehrt der Kläger, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm die Invaliditätspension ab Stichtag in der gesetzlichen Höhe zu gewähren. Er brachte in der Klage vor, er sei am 1. 5. 1947 geboren und während des maßgeblichen Zeitraums als Estrichleger tätig gewesen. Berufsschutz stehe ihm daher keiner zu. Später behauptete er, Berufsschutz als angelernter Belagsverleger zu genießen und nicht am 1. 5. 1947, sondern am 1. 5. 1940 geboren zu sein.

Die beklagte Partei bestritt und beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie brachte unter anderem vor, im Personalausweis des Klägers sei das Geburtsdatum 1. 5. 1947 eingetragen. Es bestehe kein Grund, am Inhalt dieser ausländischen öffentlichen Urkunde zu zweifeln.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Nach den Eintragungen in seinem Personalausweis wurde der Kläger am 1. 5. 1947 geboren. Während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (1. 10. 1999) erwarb er 128 Beitragsmonate auf Grund einer Beschäftigung bei der Edwin Z***** Gesellschaft mbH in Innsbruck. Er war in diesem Unternehmen, deren Gewerbe auf "Steinholzleger und Spezialestrichhersteller" lautet, mit Estrichverlegungen und Belagsverlegungen befasst. Steinholzlegearbeiten wurden in diesem Unternehmen nicht durchgeführt.

Bis 1980 verlegte der Kläger in seiner Firma nur Estriche. Kernbereich des Berufes "Spezialestrichhersteller" ist das Estrichverlegen. Dieses war mit allen seinen Facetten und mit dem Vorbereiten ein Spezialgebiet des Klägers. In diesem Bereich hatte er Kenntnisse und Fähigkeiten wie jeder Gelernte. Während des Beobachtungszeitraums wurde er bevorzugt für diese Tätigkeiten eingesetzt. Ab 1980 wurde er zunehmend auch für Belagsverlegerarbeiten mitgeschickt, eingeschult und zunehmend eingesetzt, soweit es seinem Fähigkeits- und Kenntnisstand entsprach. Der Kläger war im Jahr 1990 schon viel weiter als in den Jahren 1980 bis 1985. Er arbeitete vor Ort meistens in einer Dreierpartie, der er vorstand. Bis zum Schluss seiner Berufskarriere hatte der Kläger die Kenntnisse eines Belagsverlegers

a) im Handhaben und Instandhalten der zu verwendenden Werkzeuge, Maschinen, Vorrichtungen, Einrichtungen und Arbeitsbehelfe;

  1. b) der Arten des unmittelbaren Untergrunds;
  2. c) des Verlegens von Dämmschichten und des Herstellens von Haftbrücken;

    d) des Schüttens, Planierens, Einwiegens und Verdichtens des nicht monolitischen Untergrunds;

  1. e) des Zubereitens von Spachtelmassen;
  2. f) des Spachtelns;
  3. g) des Schleifens (Estrich, Spachtelmasse und die sonstigen Notwendigkeiten in diesem Zusammenhang wie Mehrfachspachteln und Ausgleichen);
  4. h) des Glättens von Spachtel-, Ausgleichs- und Nivelliermassen;
  5. i) des Schließens von Dehnungs- und Arbeitsfugen;
  6. j) des Klebens und Verlegens;
  7. k) des Versetzens von einfachen Profilen und von Spezialprofilen;
  8. l) des Erstpflegens von Belägen im Rahmen der Verlegung;
  9. m) der Arbeiten im Zusammenhang mit dem Entfernen alter Beläge erworben.

    Die in der Berufsschule vermittelten Grundkenntnisse der sich aus dem Lehrvertrag ergebenden Verpflichtungen, Kenntnis der einschlägigen Sicherheitsvorschriften sowie der sonstigen in Betracht kommenden Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit und Grundkenntnisse der aushangpflichtigen arbeitsrechtlichen Vorschriften hat der Kläger nicht.

    Der Kläger beherrscht nicht das Anfertigen von Verlegeskizzen, das Teil des Berufsbilds des Belagsverlegers ist. In der Praxis der österreichischen Wirtschaft ist es üblich, dass Skizzen nicht von den Arbeitern/Facharbeitern selbst angefertigt werden. Der Kläger war auch nicht mit der Errechnung des Materialbedarfs, mit der Kalkulation bzw mit der Berechnung der Kosten befasst. In der Bodenlegerbranche ist es in Österreich alltägliche Praxis, dass Materialberechnung und Kalkulation nicht von den Arbeitern/Facharbeitern selbst durchgeführt werden. Selbst gelernte Facharbeiter werden in diesem Teilbereich nicht tangiert. Gemessen am Berufsbild des Belagsverlegers schneidet der Kläger bei allen Dingen im Zusammenhang mit den Vorarbeiten auf einer Baustelle sehr gut ab. Er kennt die Verlegetechniken (Spachteln, Vorstrich, Kleber auftragen, Belag einlegen und Anreiben etc). Er beherrscht hier lediglich nicht die Verlegetechniken in Bezug auf Parkett. Dies ist beim Belagsverleger aus praktischer Sicht und aus Sicht der Unternehmen von keiner wichtigen Bedeutung. Er beherrscht aber die Vorarbeiten zum Parkettverlegen. Die Technik des Parkettverlegens, insbesondere von Musterverlegungen, von Verklebungen auf Magnesit oder Anhydrit oder auf Zementestrich oder Gussasphalt, ist ein schwieriges Kapitel. Bei allen Arten muss der Verleger wissen, welchen Kleber er verwendet und wie die Vorarbeiten zu machen sind. Der Kläger kann im Bereich der Parkettverlegung die richtige Kleberauswahl nicht vornehmen.

    Der Kläger ist bestens in der Lage, einfache Verlegearbeiten selbständig zu verrichten, insbesondere Schaumpolsterbeläge, weiche Beläge und Teppichböden. Diese Verlegearbeiten sind aus praktischer Sicht gesehen einfach. Beispielsweise kann das Verlegen eines Schaumstoffpolsters bereits in 100 Stunden angelernt werden. In diesem Bereich beherrscht der Kläger auch das Kleben. Der Kläger kann Linoleum und PVC nicht so verlegen, wie dies ein gelernter Facharbeiter kann. Gummi kann er nur bedingt so verlegen, wie das ein Gelernter in der Praxis verrichtet. Der Kläger hat in diesem Bereich über die Kleber selbst sowie über die notwendigen Temperaturen nicht jene Kenntnisse, die erforderlich wären, damit eine sach- und fachgerechte Verlegung (ohne Mangelfolgeschäden) standardisiert ablaufen kann. Er hat keine ausreichenden Fachkenntnisse über die Kleberstärke und die Kleberarten, die zu den in der Praxis sehr bedeutenden Grundkenntnissen eines Belagsverlegers und eines Bodenverlegers zählen.

    Der Kläger kann eine Musterplatte nicht anfertigen, er kann auch nicht ausmessen, fräsen und verschweißen. Gelernte können das. Zeichnungen kann der Kläger nicht anfertigen. Er kann leichte Pläne lesen und danach arbeiten. Ein leichter Plan ist beispielsweise, das Mittel in einem Raum und schließlich den Randabstand auszumessen, die Abstände von Bahnenbelägen auf die Gleichmäßigkeit eines Raumes hinzutrimmen etc.

    Das (schwierige) Plänelesen beherrscht der Kläger nicht. Dabei handelt es sich um das Pläneausführen beim Bahnenausmessen sowie bei Einlegearbeiten, wo es auf die Maßstabsgetreuigkeit ankommt. Hier fehlen dem Kläger die erforderlichen Kenntnisse, wie sie in der Praxis abgefordert werden. Das Lesen schwieriger Pläne sowie das Arbeiten anhand dieser schwierigen Pläne ist in der österreichischen Praxis nur für ca 10 % der Facharbeiter erforderlich. In der Praxis wird zu 90 % in den Betrieben diese Kenntnis nicht mehr benötigt. Das Einwinkeln, das der Kläger nicht beherrscht, ist in der Praxis nicht so bedeutend. Dem sach- und fachkundigen Fräsen und Verschweißen kommt in der Praxis sehr hohe Bedeutung zu. Der Kläger hat 70 % jenes Kenntnis- und Fähigkeitsstandes erworben, wie er in der österreichischen Praxis von einem gelernten Belagsverleger abgefordert wird. Gemessen am Berufsbild des Bodenlegers sinkt dieser Prozentsatz auf weniger als 70 herab. Auf Grund seiner - im Detail festgestellten - Leiden kann der Kläger unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses noch leichte Arbeiten überwiegend (zu drei Viertel) im Sitzen verrichten. Die restliche Arbeitszeit kann im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen erfolgen. Auch bei einer sitzenden Tätigkeit sollte in stündlichen Intervallen die Möglichkeit eines Haltungswechsels gegeben sein. In Abhängigkeit von der Art der Tätigkeit ist notwendigerweise eine Arbeitsunterbrechung nicht erforderlich. Die Arbeiten sollten nur noch in geschlossenen Räumen unter Vermeidung von Nässe, Kälte- und Zugluftexposition geleistet werden. Ein Achtstunden-Arbeitstag sollte nicht überschritten werden. Über die Mittagspause hinaus muss dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt werden, jeweils in der Mitte des Vormittags und am Nachmittag eine kleine, mitgebrachte Zwischenmahlzeit zu sich zu nehmen. Dabei muss der Arbeitsplatz nicht verlassen werden. Bei Tätigkeiten, bei denen der Wechsel der Körperhaltung - bei sitzender Tätigkeit - eine Arbeitsunterbrechung erfordert, ist diese für einen Zeitraum von fünf Minuten einzuräumen. Das Heben und Tragen von mittelschweren und schweren Lasten, häufiges Bücken und routinemäßiges Bücken oder Arbeiten in gebückter Haltung, Überkopfarbeiten, Tätigkeiten an exponierten Stellen, Leitern und Gerüsten, wiederholtes andauerndes Treppensteigen, alle Arbeiten an rotierenden, laufenden und gefährlichen Maschinen, die eine vollständige freie Beweglichkeit der Arme erfordern und alle Tätigkeiten unter stark Stress erzeugenden Bedingungen wie Nacht-, Schicht-, Akkord- und Fließbandarbeiten oder Arbeiten unter besonderem Termindruck müssen vermieden werden. Es bestehen keine Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschweges zur Arbeitsstätte. Der Kläger kann einen Fußmarsch von 500 m durchaus in 10 Minuten zurücklegen. Krankenstände auf Grund der vorliegenden Gesundheitsstörungen im Gesamtausmaß von 7 Wochen oder mehr pro Jahr sind eher nicht zu erwarten. Der gegenwärtige Zustand kann durch zumutbare Therapien zwar stabilisiert werden, eine Änderung des festgestellten Leistungskalküls ist jedoch dadurch nicht zu erwarten. Bei der Tätigkeit eines Belagsverlegers/Bodenverlegers treten körperlich mittelschwere und teilweise auch schwere Gewichtsbelastungen auf. Die Arbeiten werden im Stehen, Gehen und Knien verrichtet. Sitzen ist nicht möglich. Estrichverlegungsarbeiten sind noch schwerer. Der Kläger kann diese Tätigkeiten nicht mehr verrichten.

    In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, der Kläger habe Mängel in Bereichen, die zum Kernbereich der Berufe bzw Mischberufe zählten. Nehme man die Fähigkeiten und Kenntnisse des Klägers nach ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung im Hinblick auf die übliche Anforderung an die in der Praxis tätigen gelernten Facharbeiter, so ergebe sich, dass der Kläger keinen Berufsschutz genieße. Erschwerend komme hinzu, dass der Maßstab nicht bereits abgeschaffte Lehrberufe seien, sondern ausschließlich Lehrberufe, denen ein derzeit in Kraft stehendes Bundesgesetz zu Grunde liege. Messe man den behaupteten Berufsschutz des Klägers am Berufsbild des "aktuellen" Bodenlegers, ergebe sich schon gar kein Berufsschutz mehr. Der Kläger sei nicht invalid. Er könne auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden. Hier gebe es noch eine Reihe von Beschäftigungen, die mit dem Leistungskalkül des Klägers nicht kollidierten (etwa als Portier, Verpackungsarbeiter, Bürobote, Adjustierer, Parkgaragenkassier, Staplerfahrer, Tischabräumer in Selbstbedienungsrestaurants).

    Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es bestätigte das angefochtene Urteil hinsichtlich der Abweisung des Klagebegehrens für den Zeitraum vom 1. 10. 1999 bis 30. 6. 2000 als Teilurteil. Im Übrigen hob es das angefochtene Urteil auf und sprach aus, dass der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dem Kläger komme ein Berufsschutz nach § 255 Abs 2 ASVG nicht zu, auch wenn man dem Kläger zubillige, dass die nun nicht mehr angebotenen Berufsausbildungen ("Steinholzleger und Spezialestrichhersteller"; "Belagsverleger") weiterhin am allgemeinen Arbeitsmarkt nachgefragt und als gelernte Tätigkeiten eingestuft würden. Dem Kläger fehlten nicht nur die wesentlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die in der Praxis üblicherweise von den auf der Baustelle eingesetzten Facharbeitern nicht abverlangt würden (Kalkulation, Ausmessen, Materialkenntnisse), sondern verstehe es der Kläger auch nicht, Linoleum und PVC-Böden zu verlegen. Auch Gummi könne er nicht so verlegen, wie dies von einem gelernten Facharbeiter abverlangt werde. In diesen Bereichen habe der Kläger nicht die erforderlichen Kenntnisse über die Kleber und die notwendigen Temperaturen. Derartige Kenntnisse und Fähigkeiten seien aber unbedingt erforderlich, um Folgeschäden zu vermeiden. Dem Kläger fehle auch das Fachwissen über die Kleberstärke und die Kleberarten. Dabei handle es sich um Grundkenntnisse eines Belagsverlegers und Bodenverlegers, die auch in der Praxis von besonderer Bedeutung seien. Der Kläger könne auch keine Musterplatte anfertigen, er könne auch nicht ausmessen, fräsen und verschweißen. Dies seien gleichfalls Kenntnisse, wie sie in der Praxis von gelernten Fachkräften verlangt würden. Auch wenn das Anfertigen von Skizzen und Plänen in der Praxis vor Ort von Facharbeitern nicht verlangt werde, werde doch das Lesen auch schwieriger Pläne in der Praxis sehr wohl von angelernten Facharbeitern verlangt. Der Kläger, der nur bei der Estrichverlegung uneingeschränkte Fähigkeiten und Kenntnisse habe, verfüge in gewichtigen Teilbereichen nicht über diejenigen Kenntnisse und Fähigkeiten, wie sie von einem angelernten Facharbeiter nicht nur in der Ausbildung, sondern auch in der Praxis verlangt würden. Am 1. 7. 2000 sei § 255 Abs 4 ASVG in Kraft getreten. Bei dieser Bestimmung handle es sich um einen Sonderfall der Invaliditätspension, der Pflichtversicherten mit Vollendung des 57. Lebensjahres bei Erfüllung der besonderen Voraussetzungen den Zugang zur Invaliditätspension erleichtern solle. Diese Gesetzesänderung während des Verfahrens sei zu berücksichtigen, weil dadurch ein neuer Stichtag ausgelöst worden sei. Der Kläger habe im erstinstanzlichen Verfahren behauptet, im Jahr 1940 geboren zu sein und sohin vor dem 1. 7. 2000 das 57. Lebensjahr erreicht zu haben. Das Erstgericht habe diese Umstände übergangen, sodass dessen Urteil an einem wesentlichen Mangel leide, zumal der Kläger nach den im Anstaltsakt erliegenden Unterlagen die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Stichtag 1. 7. 2000 gerade noch zu erfüllen scheine.

    Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren für den Zeitraum vom 1. 10. 1999 bis 30. 6. 2000 stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagte Partei hat eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet. Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts erhebt die beklagte Partei Rekurs mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und in der Sache im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils zu erkennen.

    Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

    Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei von "Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter" auf deren Gesamtrechtsnachfolgerin "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Nov BGBl I 2002/1). Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionswerber macht geltend, er habe Berufsschutz erworben, weil er durch praktische Arbeit nicht nur qualifizierte Kenntnisse im Lehrberuf "Belagsverleger", sondern auch im Lehrberuf "Steinholzleger und Spezialestrichhersteller" erworben habe und die von ihm ausgeübte Mischtätigkeit dem neuen Lehrberuf Bodenleger entspreche. Es könne ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass er auf dem Gebiet der Kunststoffböden keine (ausreichenden) Kenntnisse habe. Diese habe er nämlich nicht erlernen können, weil sich die gewerbliche Tätigkeit seines Dienstgebers auf Steinholzverlegung und Spezialestrichherstellung beschränkt habe.

Hiezu wurde erwogen: War ein Versicherter überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen tätig, gilt er als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist (§ 255 Abs 1 ASVG). Ein angelernter Beruf im Sinne dieser Gesetzesstelle liegt vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind (§ 255 Abs 2 erster Satz ASVG). Bildet die Berufstätigkeit des Versicherten, die er während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag überwiegend ausübte, einen Teil eines Lehrberufs, so ist zur Lösung der Frage des Berufsschutzes dieser Lehrberuf zum Vergleich heranzuziehen (SSV-NF 13/51). Diese Kenntnisse und Fähigkeiten müssen nicht die eines bestimmten geregelten Lehrberufes sein, allerdings den in einem Lehrberuf erworbenen besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten an Umfang und Qualität entsprechen. Dabei ist nicht der Nachweis des Vorliegens aller Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich, die nach den Ausbildungsvorschriften zum Berufsbild eines Lehrberufs zählen und daher dem Lehrling während der Lehrzeit zu vermitteln sind. Es kommt vielmehr darauf an, dass ein angelernter Arbeiter über die Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die üblicherweise von ausgelernten Facharbeitern des jeweiligen Berufes in dessen auf dem Arbeitsmarkt gefragten Varianten (Berufsgruppen) unter Berücksichtigung einer betriebsüblichen Einschulungszeit verlangt werden. Hingegen reicht es nicht, wenn sich die Kenntnisse und Fähigkeiten auf ein oder mehrere Teilgebiete eines Berufes erstrecken, der von ausgelernten Facharbeitern allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht wird (SSV-NF 3/70, 4/80, 6/69, 7/108, 14/132 ua). Dabei ist es durchaus denkbar, dass sich die Tätigkeit eines Versicherten als Mischtätigkeit von Teiltätigkeiten mehrerer Lehrberufe darstellt und der Versicherte aus jedem Lehrberuf zwar nur einzelne Teiltätigkeiten beherrscht, die Summe dieser Teiltätigkeiten jedoch ein Maß erreicht, das die Annahme des Vorliegens von einem Lehrberuf vergleichbaren Kenntnissen und Fähigkeiten rechtfertigt (SSV-NF 5/76; 10 ObS 221/96m; 10 ObS 372/98y; SSV-NF 14/132 ua). Dabei gehört die Feststellung der Kenntnisse und Fähigkeiten, über die der Versicherte verfügt, zur Tatfrage, die Beurteilung, ob er in einem angelernten Beruf tätig war, zur rechtlichen Beurteilung (SSV-NF 6/69 ua). Der Lehrberuf "Bodenleger" kann seit 1. 1. 1995 erlernt werden. Die Lehrzeit beträgt drei Jahre. Er ersetzt die zweijährigen Lehrberufe "Belagsverleger" und "Steinholzleger und Spezialestrichhersteller" (siehe BGBl 1994/1087). Beide Vorläuferberufe konnten noch bis spätestens 30. 6. 1996 (auslaufend bis 30. 6. 1998) begonnen werden. Personen, die bereits die Lehrabschlussprüfung in einem der Lehrberufe "Belagsverleger" oder "Steinholzleger und Spezialestrichhersteller" erfolgreich ablegten, konnten bis zum Ablauf des 31. 12. 2000 eine Zusatzprüfung im Lehrberuf "Bodenleger" ablegen, die als Lehrabschlussprüfung gilt. Diese Prüfung umfasst die Gegenstände "Prüfarbeit" und "Fachgespräch". Der Gegenstand "Prüfarbeit" ist für Belagsverleger beschränkt auf das "Verlegen eines Holzbodens", für Steinholzleger und Spezialestrichhersteller auf das "Verlegen eines Bodenbelags" (siehe BGBl II 1998/153). Bodenleger stellen fugenlose Fußbodenbeschichtungen ("Estriche") aus Estrichmasse her, die als direkt begehbare Fußbodenbeläge oder als Untergrund für andere Bodenbeläge dienen; weiters verlegen sie alle Arten von Belägen, vor allem Bodenbeläge, Wandbeläge und Sportbeläge (zB Teppichböden, Spannteppiche, Beläge aus Kunststoff, Gummi, Kork usw) sowie Holzfußböden. Zu ihren Aufgaben gehören auch Ausbesserungsarbeiten an Estrichen, Belägen und Holzfußböden; weiters beraten sie die Kunden hinsichtlich Material, Farbe, Qualität und Zweckmäßigkeit sowie über Reinigung und Pflege der Beläge. Bei der Verlegung von Bodenbelägen, einem der wichtigsten Tätigkeitsbereiche der Bodenleger, messen sie zunächst die zu belegende Fläche aus, fertigen eventuell Verlegeskizzen an und berechnen den Materialbedarf. Sie entfernen den alten Bodenbelag und reinigen den Untergrund durch Kehren, Saugen oder durch Waschen mit einem speziellen Reinigungsmittel. Danach sanieren sie den Untergrund, tragen einen Vorstrich auf und verspachteln Unebenheiten mit einer Spachtelmasse. Danach lassen die Bodenleger den Untergrund trocknen und schleifen ihn anschließend mit einer Schleifmaschine ab, um Rückstände des alten Belages und Unebenheiten zu beseitigen. Sie messen die Feuchtigkeit und Temperatur des Unterbodens und der Luft mit speziellen Messgeräten, um festzustellen, ob der Unterboden die für die Verlegung erforderliche Beschaffenheit hat. Der Belag wird entsprechend den erforderlichen Maßen zugeschnitten und auf den Unterboden, auf dem Klebstoff aufgetragen wurde, mit einer Andrückwalze festgepresst. Danach wird der Belag glattgestrichen, um zu vermeiden, dass Luftblasen entstehen. Nach dem Zuschneiden der Ränder des Bodenbelags werden Abschlussleisten montiert. Die Bodenleger schneiden die Leisten zu und kleben bzw nageln sie an die Bodenränder oder Zimmerwände. Danach verschweißen sie die Nahtstellen des Belags, um Wölbungen und Unebenheiten durch Eindringen von Feuchtigkeit zu vermeiden. Abschließend entfernen sie vorstehende Unebenheiten der verschweißten Naht mit einem speziellen Klingenmesser. Beim Verlegen von Holzfußböden bereiten die Bodenleger zunächst den Untergrund vor und stellen die Maße der Fläche und den Materialbedarf fest. Dann schneiden sie die Holzteile zu und verlegen bzw verkleben den Holzboden. Schließlich schleifen sie den Boden mit einer Schleifmaschine ab, montieren Profil-Leisten an den Rädern und versiegeln den Boden mit Siegellack (vgl Berufslexikon Band 1 1997 "Lehrberufe", herausgegeben vom Arbeitsmarktservice Österreich, 58 ff Stichwort "Bodenleger/Bodenlegerin").

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist die Frage, ob der Kläger in einem angelernten Beruf tätig war, nach den Feststellungen zu bejahen, erreicht doch die Summe der vom Kläger beherrschten und im Beobachtungszeitraum überwiegend ausgeübten Teiltätigkeiten aus den seinerzeitigen Lehrberufen "Steinholzleger und Spezialestrichhersteller" und "Belagsverleger" ein Maß, das die Annahme des Vorliegens von einem Lehrberuf vergleichbaren Kenntnissen und Fähigkeiten rechtfertigt. Der Kläger übte seine Mischtätigkeit weit überwiegend während einer Zeit aus, in der es den Lehrberuf "Bodenleger", den Nachfolgeberuf der beiden genannten, ausgelaufenen Lehrberufe, noch gar nicht gab. Deshalb hat sich die Beurteilung, ob der vom Kläger ausgeübte Mischberuf als angelernter Beruf im Sinne des § 255 Abs 2 ASVG zu qualifizieren ist, an den ausgelaufenen Lehrberufen zu orientieren, in denen er Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat (vgl 10 ObS 102/93). Nach den Feststellungen beherrscht der Kläger das Estrichlegen - den wesentlichen Teil des Lehrberufs "Steinholzleger und Spezialestrichhersteller" - in den praktischen Anforderungen perfekt. Wenngleich der Kläger im Lehrberuf "Belagsverleger" - die vom Berufungsgericht genannten - deutlichen Lücken an Kenntnissen und Fähigkeiten aufweist, die einen Berufsschutz als Belagsverleger ausschließen, so beherrscht er doch auch einen großen Teil dieses Lehrberufs (nach den Feststellungen hat er 70 % jener Kenntnisse und Fähigkeiten, die in der österreichischen Praxis von einem gelernten Belagsverleger verlangt werden). Somit liegen im Fall des Klägers solche qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten in Teilbereichen der beiden genannten Lehrberufe vor, die insgesamt die Qualifikation eines gelernten Arbeiters erreichen, weshalb es nicht schadet, dass der Kläger etwa im Bereich des Lehrberufs "Steinholzleger und Spezialestrichhersteller" das Steinholzlegen oder im Bereich des Lehrberufs "Belagsverleger" das Verlegen von Linoleum, PVC-Belägen und Gummi nicht beherrscht; dem Fehlen solcher Kenntnisse kann hier keine entscheidende Bedeutung zukommen (vgl SSV-NF 14/132).

Da der Kläger überwiegend in einem angelernten Beruf tätig war und nach den Feststellungen auf Grund seines Gesundheitszustands Tätigkeiten weder im angelernten Beruf noch in einem Verweisungsberuf mehr verrichten kann, gilt er als invalid iSd § 255 Abs 1 ASVG. Die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung der Invaliditätspension sind nicht strittig. Die Revision hat daher Erfolg. Da die Invalidität des Klägers im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG zu bejahen ist, bedarf es keiner Prüfung, ob der Kläger auch im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG invalid ist und die hiefür geforderte Voraussetzung der Vollendung des 57. Lebensjahres erfüllt. Die Sache ist daher zur Entscheidung reif. Der Oberste Gerichtshof kann gemäß § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO über einen Rekurs gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn die Sache zur Entscheidung reif ist. Im Rekursverfahren gegen berufungsgerichtliche Aufhebungsbeschlüsse gilt das Verschlechterungsverbot (Verbot der reformatio in peius) nicht (SSV-NF 12/169 uva), sodass der Oberste Gerichtshof an die Stelle des Aufhebungsbeschlusses auch auf Rekurs der beklagten Partei ein Urteil auf Klagestattgebung fällen kann (WBl 1992, 166). Der Revision des Klägers und dem Rekurs der beklagten Partei war daher Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und in der Sache selbst im klagestattgebenden Sinn zu erkennen.

Die Invaliditätspension gebührt grundsätzlich längstens für die Dauer von 24 Monaten ab dem Stichtag (§ 256 Abs 1 ASVG). Ohne zeitliche Befristung ist die Pension zuzuerkennen, wenn auf Grund des körperlichen oder geistigen Zustands dauernde Invalidität anzunehmen ist (§ 256 Abs 2 ASVG). Dieser Fall ist hier nach den Feststellungen gegeben, weil eine Änderung des festgestellten medizinischen Leistungskalküls nicht zu erwarten ist. Die Invaliditätspension war daher unbefristet zuzusprechen.

Da die Voraussetzungen für die Anwendung des § 89 Abs 2 ASGG gegeben sind, war die Rechtsstreitigkeit mit dem in dieser Gesetzesstelle vorgesehenen Grundurteil und dem Auftrag zur Erbringung einer vorläufigen Zahlung, die unter sinngemäßer Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO mit 500 EUR monatlich auszumessen war, zu erledigen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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