OGH 1Ob119/03m

OGH1Ob119/03m27.5.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner sowie Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Cornelia J*****, geboren am 24. April 1986, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Magistrats der Stadt Wien (Amt für Jugend und Familie), gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. Jänner 2003, GZ 42 R 16/03v-92, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 2. Dezember 2002, GZ 23 P 139/02v-88, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurswerberin irrt, soweit sie meint, die Entscheidung hänge von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der zur Wahrung der Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukomme, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Sie übersieht dabei, dass der Oberste Gerichtshof in einem gleichgelagerten Fall (7 Ob 2151/96s = EFSlg 81.259 = ÖA 1997, 129) bereits entschieden hat, die Übertragung der Aufgaben eines Jugendwohlfahrtsträgers auf einen anderen (§ 215a ABGB) könne, nicht bloß bei Wechsel des schlichten Aufenthalts des Minderjährigen, sondern auch bei einem Wechsel des ständigen Aufenthalts bzw des Wohnsitzes gegen den Willen des anderen Jugendwohlfahrtsträgers durch gerichtlichen Beschluss - und zwar durch Enthebung des einen und Bestellung des anderen Jugendwohlfahrtsträgers - erfolgen.

Es ist davon auszugehen, dass das Gesetz, sieht es eine Regelung für den schlichten Aufenthaltswechsel vor, diese umso mehr auf die stärkere Ausformung des Wechsels des gewöhnlichen Aufenthalts angewendet wissen will (vgl Knoll in RZ 1992, 249 f). Rechtsgrundlage hiefür ist jedoch nicht § 215a ABGB, sondern das allgemeine Aufsichtsrecht des Pflegschaftsgerichts gegenüber den mit der Obsorge betrauten Personen und Sachwaltern (Nachweise bei Stabentheiner in Rummel³, ABGB, Rz 4 zu § 215a). Der Meinung Schwimanns (in Schwimann, ABGB² § 215a Rz 3), mit Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in ein anderes Bundesland trete der Zuständigkeitswechsel zum Jugendwohlfahrtsträger dieses Bundeslandes ex lege ein, ist nicht beizutreten: Wurde die Obsorge des (ersten) Jugendwohlfahrtsträgers durch gerichtlichen Beschluss begründet, so gebietet es die Rechtssicherheit, dass auch die Übertragung auf einen anderen durch eine nach außen hin in Erscheinung tretende Gerichtsentscheidung erfolgt.

Ein zwingender Übergang der Zuständigkeit auf den anderen Jugendwohlfahrtsträger ist bei Wechsel des ständigen Aufenthalts aber nicht vorgesehen. Die Umbestellung hat vielmehr nach Zweckmäßigkeitsgründen zur Wahrung des Wohles des Kindes zu erfolgen. Einer Zustimmung des Jugendwohlfahrtsträgers bedarf es nicht (Nachweise etwa bei Stabentheiner in Rummel³, ABGB, Rz 3 zu § 213; EFSlg 71.954).

Im Regelfall ist die Bestellung desjenigen Jugendwohlfahrtsträgers zweckmäßig, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen ständigen Aufenthalt hat; im Einzelfall kann jedoch aufgrund besonderer Umstände bei einem Wechsel des ständigen Aufenthalts des Minderjährigen in den Sprengel eines anderen Jugendwohlfahrtsträgers die Aufrechterhaltung der Zuständigkeit des bisher mit der Obsorge betrauten Jugendwohlfahrtsträgers im Kindeswohl gelegen sein. So können etwa der Grundsatz der Erziehungskontinuität (EFSlg 75.180) oder der Stetigkeit und Dauer der Obsorge (1 Ob 572/91 = EvBl 1991/168) die Beibehaltung der bisherigen Obsorgeregelung geraten sein lassen.

Ob die Übertragung der Obsorge im vorliegenden Fall Zweckmäßigkeitskriterien entspricht, ist eine Frage der Einzelfallbeurteilung, die mangels Erheblichkeit iSd § 14 Abs 1 AußStrG nicht geeignet ist, die Zulässigkeit des Revisionsrekurses zu begründen.

Darüber hinaus wurde von der Revisionsrekurswerberin im vorangegangenen Verfahren (vgl ON 87) kein Umstand vorgebracht, der für eine Beibehaltung der bisherigen Obsorgeregelung als zweckmäßig spräche. Das Argument, auch ohne Obsorgeübertragung wäre eine allenfalls notwendige Befassung im Zuge der "Amtshilfe" rasch und verlässlich zu lösen gewesen, findet sich erstmals im Revisionsrekurs und stellt eine unzulässige Neuerung dar. Es wäre aber an der Revisionsrekurswerberin - in deren Sprengel sich die Minderjährige nunmehr ständig aufhält - gelegen vorzubringen, warum im vorliegenden Fall die Beibehaltung der Zuständigkeit des bisher obsorgeberechtigten Jugendwohlfahrtsträgers zweckmäßig und im Kindeswohl gelegen wäre.

Wie bereits das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, ist es für die Beurteilung der Frage, ob bzw wem die Obsorge zu übertragen ist, nicht von Bedeutung, wer die Kosten für die Betreuung der Minderjährigen zu tragen hat. Die Regelung der Obsorge einerseits und allfällige Unterhaltspflichten andererseits stehen miteinander nicht im direkten Zusammenhang und sind unabhängig voneinander zu beurteilen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte