OGH 7Ob2151/96s

OGH7Ob2151/96s26.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Julia P*****, geboren am 12.April 1989, und Michael P*****, geboren am 16.Mai 1990, wegen Obsorgeübertragung infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Bezirkshauptmannschaft S***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 27. März 1996, GZ 21 R 30/96z-65, womit der Rekurs gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Neumarkt bei Salzburg vom 20.Dezember 1995, GZ P 1990/95y-62, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung

Zuletzt wurde mit rechtskräftigem Beschluß des damals noch zuständigen Bezirksgerichtes H***** vom 18.1.1995 (ON 48), bestätigt durch den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 29.3.1995 (ON 51), die Obsorge über die beiden Minderjährigen zur Gänze dem Jugendwohlfahrtsträger des Landes O*****, und zwar der Bezirkshauptmannschaft B*****, übertragen. Am 9.6.1995 stellte diese den Antrag, die Obsorge über die beiden Minderjährigen der Bezirkshauptmannschaft S***** zu übertragen, weil die gesamte Familie einschließlich der beiden Minderjährigen ihren Wohnsitz nach S*****, R*****gasse 2, verlegt habe, die Bezirkshauptmannschaft S***** aber nicht zur Obsorgeübernahme bereit sei. Vom nunmehr zuständigen Pflegschaftsgericht, dem Bezirksgericht N***** bei S*****, zur Stellungnahme aufgefordert, erklärte die Bezirkshauptmannschaft S*****, daß eine Übertragung der Obsorge über die beiden Minderjährigen an deren Mutter befürwortet werde. Daraufhin wies das Erstgericht den Antrag der Bezirkshauptmannschaft B*****, das Land O***** von der Obsorge zu entheben und die Bezirkshauptmannschaft S***** damit zu betrauen, "wegen der nunmehr vorliegenden Zustimmung der Bezirkshauptmannschaft S***** zur Übertragung bzw. Übernahme der Obsorge" unter Berufung auf § 215a ABGB zurück.

Das Rekursgericht wies den von der Bezirkshauptmannschaft S***** gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs mangels Beschwer zurück. Die Rekurswerberin mache nur ein wirtschaftliches, d.h. arbeitstechnisches, aber kein rechtliches Interesse geltend, es mangle ihr daher an der erforderlichen Rekurslegitimation. Der Rekurs sei daher ohne meritorische Überprüfung zurückzuweisen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung von der Bezirkshauptmannschaft S***** erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

§ 215a ABGB regelt die örtliche Zuständigkeit der Jugendwohlfahrtsträger wie folgt: "Soferne nichts anderes angeordnet ist, fallen die Aufgaben dem Jugendwohlfahrtsträger zu, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt, mangels eines solchen im Inland seinen Aufenthalt hat. Wechselt der Minderjährige seinen Aufenthalt in den Sprengel eines anderen Jugendwohlfahrtsträgers, so kann der Jugendwohlfahrtsträger seine Aufgaben dem anderen mit dessen Zustimmung übertragen. Hievon ist das Gericht zu verständigen, wenn es mit Angelegenheiten des Minderjährigen bereits befaßt war." Der so zuständige Jugendwohlfahrtsträger ist nach § 212 Abs.3 ABGB "Kann-Sachwalter" in allen von der "Muß-Sachwalterschaft" nicht erfaßten Angelegenheiten des Kindes, wobei seitens des gesetzlichen Vertreters ein Ersuchen oder eine Zustimmung, seitens des Jugendwohlfahrtsträgers aber eine Erklärung der Bereitschaft hiezu vorliegen muß. Die Bereitschaftserklärung des Jugendwohlfahrtsträgers ist formfrei und kann auch konkludent erfolgen, zB durch Tätigwerden als gesetzlicher Vertreter innerhalb dieser anderen Angelegenheiten des Kindes. Einen zur Übernahme dieser Sachwalterschaft nicht bereiten Jugendwohlfahrtsträger kann niemand dazu zwingen; auch nicht seine dienstliche Oberbehörde. Abhilfe ist bei Gericht zu suchen, das den Jugendwohlfahrtsträger nach § 213 ABGB auch gegen seinen Willen zum Sachwalter bestellen kann. Die im § 215a ABGB geregelte Übertragung der Aufgaben eines Jugendwohlfahrtsträgers auf einen anderen geschieht entweder - auch über die Grenzen des Bundeslandes hinweg - mit Zustimmung des zweiten Jugendwohlfahrtsträgers oder auch gegen dessen Willen durch Gerichtsbeschluß, und zwar durch Enthebung des einen und Bestellung des anderen Jugendwohlfahrsträgers als Vormund oder Sachwalter (vgl. Pichler in JBl 1989, 677 ff insbes. 681 und 684). Die im § 215 Abs.1 ABGB vom Gesetz gebrauchte Wendung "hat ... zu beantragen" begründet nur die subjektive Pflicht zum Tätigwerden des Jugendwohlfahrtsträgers, Parteistellung und Rechtsmittellegitimation stehen ihm als solchem aber nicht zu. Anderes gilt, wenn der Jugendwohlfahrtsträger in Sachen dieses Kindes bereits Amtsvormund, Sachwalter kraft Gesetzes oder bestellter Vormund oder solcher Sachwalter ist, all dies im Rahmen seiner diesbezüglichen Befugnisse (vgl. Pichler in Rummel ABGB2 § 215 Rz 2).

Die Bezirkshauptmannschaft S***** hat in ihrem Schreiben vom 29.11.1995 trotz Aufforderung, zum Obsorgeübertragungsantrag der Bezirkshauptmannschaft B***** Stellung zu nehmen, nur über einen Hausbesuch berichtet und eine Obsorgeübertragung auf die Mutter der beiden Minderjährigen befürwortet (vgl. AS 239). Dies stellt keine Zustimmung dar.

Das Erstgericht ging bei seiner Entscheidung davon aus, daß durch eine (allerdings tatäschlich nicht vorliegende) Zustimmung des Landes Salzburg, das durch seinen Jugendwohlfahrtsträger, die Bezirkshauptmannschaft S***** repräsentiert wird, die Obsorge über die beiden Kinder zu übernehmen, diese formlos vom Land O***** auf das Land S***** bereits übergegangen sei. Da es sich bei der Ausübung der Obsorge über einen Minderjährigen nicht um Agenden der Muß-Sachwalterschaft des Jugendwohlfahrsträgers handelt, wird bei einer Übertragung der Obsorge auf ihn ohne seine Zustimmung sehr wohl in seinen Rechtsbereich wie auch in den des Minderjährigen eingegriffen und ist allein schon aus diesem Grund eine Beschwer der rechtsmittelerhebenden Behörde gegeben. Da das Schreiben der Bezirkshauptmannschaft S***** vom 4.12.1995, ON 61, zur Frage der Übertragung der Obsorge auf sie nicht Stellung nimmt - in der Befürwortung der Übertragung der Obsorge auf die Mutter kann eine Ablehnung noch nicht gesehen werden -, wird sie vom Erstgericht neuerlich zu einer entsprechenden Stellungnahme aufzufordern sein. Sollte die Bezirkshauptmannschaft S***** einer Übertragung der Obsorge auf sie nicht zustimmen, wird das Erstgericht eine Entscheidung über den Antrag der Bezirkshauptmannschaft B***** zu treffen haben. Im Falle einer Zustimmung wird diese vom Erstgericht lediglich zur Kenntnis zu nehmen sein.

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