OGH 15Os9/03

OGH15Os9/0315.5.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mayer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Wilmont F***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 29. August 2002, GZ 024 Hv 4375/01-189, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Aicher, des Angeklagten und seiner Verteidigerin Dr. Lenzi, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, dass im Übrigen unberührt bleibt, im freisprechenden Teil aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem einer getrennten Erledigung iSd § 289 StPO (s 13 Os 38/07) zugänglichen Teil des angefochtenen Urteils, das auch einen unbekämpften Strafausspruch zum Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 36 Abs 1 Z 1 WaffG 1986 (ON 60) enthält, wurde Wilmont F***** (im iudicium rescissorium) von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe in Wien am 12. Oktober 1994 Tericha P*****, die er unter Vorspiegelung, Fotos von ihr machen zu wollen, in seine Wohnung gelockt hatte, dadurch, dass er seine Wohnungstüre absperrte, wodurch die Genannte die Wohnung nicht verlassen konnte, sohin durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung des Beischlafes und dem Beischlaf gleichzusetzender Handlungen, nämlich dazu, dass Tericha P***** einen Oralverkehr an sich durchführen ließ, sowie durch Gewalt, indem er die Genannte festhielt, gegen die Bettbank drückte und sie an den Haaren zurückzog, zur Duldung des Beischlafes genötigt, und hiedurch das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Staatsanwaltschaft aus Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich im Ergebnis als zielführend.

Die Verfahrensrüge (Z 4) wider das Zwischenerkenntnis des Schöffengerichtes (S 509/II), mit dem ein in der Hauptverhandlung am 29. August 2002 gestellter Antrag der öffentlichen Anklägerin (zusammenfassend) auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit sowie der Wahrhaftigkeit der Zeugin Manuela H***** (in Hinblick auf den eingestandenen langjährigen Suchtmittelmissbrauch) abgelehnt wurde, ist verfehlt. Denn eine - wenn auch an sich nicht ausgeschlossene - psychologische Exploration ist grundsätzlich an die Zustimmung des Zeugen gebunden (Mayerhofer

StPO4 § 150 E 39, 41; SSt 58/36; 15 Os 82/05 = ÖJZ-LSK 1996/106 bis

108 = JUS-Extra OGH-St 1985; 15 Os 121/98; 15 Os 64/02). Weder wurde

die Zeugin von der öffentlichen Anklägerin in der Hauptverhandlung vom 8. November 2001 (ON 168) nach einer derartigen Zustimmung befragt, noch sonst ein Antragsvorbringen zu dieser Beweisvoraussetzung erstattet.

Mit Recht reklamiert die Anklagebehörde jedoch Unvollständigkeit der Urteilsbegründung (Z 5) zur Nötigung zum Beischlaf sowie einer diesem gleichzusetzenden Handlung durch "Entziehung der Freiheit" und "mit Gewalt", weil das Schöffengericht entscheidende Umstände aus den Aussagen der Zeuginnen Manuela H***** und Manuela Po***** unberücksichtigt gelassen und - in Hinblick auf die Aussage der Zeugin Tericha P***** zur Gänze - mit Stillschweigen übergangen hat, welche gerade für die Beurteilung der objektiven Tatseite maßgebend sind und bei deren Berücksichtigung eine andere Lösung der Beweisfrage denkbar ist (Mayerhofer aaO § 281 Z 5 E 63). Beweiswürdigend beschränkte sich das Schöffengericht im Kern nur auf das allgemein gehaltene Resümee, "Gewaltanwendung" - ohne Eingehen auf deren mehrfache Differenzierung - sei nicht zu verifizieren gewesen, wobei es sich auf die (Gewalt in irgendeiner Form bestreitenden) Aussagen der Zeugin Manuela H***** im Wiederaufnahmsverfahren und in "der Hauptverhandlung" stützte (US 5). Hinsichtlich der Zeugin Po***** wog es lediglich deren Behauptung im Vorverfahren, der Angeklagte sei auch ihr gegenüber brutal gewesen, mit der des "lachenden" Zeigens der 1.000 S Banknote durch Tericha P***** gegeneinander ab, ließ jedoch alle näheren Details, unter welchen Umständen es zum Aufsuchen der Wohnung kam (vgl S 47, 321/I; 501/II), dass Tericha P***** nach dem Aufenthalt in der Wohnung "total durchgedreht" war, "lachte" und sodann zu weinen begann (S 330/I) sowie gegenüber Manuela Po***** angab, vergewaltigt worden zu sein (S 331/I; 503/II), gänzlich unerörtert und ungewürdigt. Wenn der Angeklagte sich weiters zu einem wesentlichen Indiz der Willensbeugung der Tericha P*****, deren Weinen während des Geschlechtsverkehrs, mit derselben Geschehensvariante verantwortet (S 140, 314/I, 393/II) und die ihn massiv belastende (durch Verlesung eingebrachte) Zeugenaussage der Genannten (S 61, 162/I) vorliegt, aus der sich gravierende Hinweise für die Erfüllung der objektiven (und auch der subjektiven) Tatseite des angeklagten Verbrechens ergeben, hätte der Gerichtshof formale Begründungsmängel im Sinne des relevierten Nichtigkeitsgrundes nur vermeiden können, indem er - fallbezogen in erster Linie - alle bedeutsamen Aussageteile auch dieser Belastungszeugin ausführlich erörtert, kritisch gewürdigt sowie zureichend und nachvollziehbar dargelegt hätte, aus welchen Gründen er zur Feststellung mangelnder Tatbegehung gelangte (US 7 dritter Absatz).

Die aufgezeigte Mangelhaftigkeit der Urteilsbegründung macht die Verfahrenserneuerung in erster Instanz unumgänglich. In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der Argumentation der Verteidigung gemäß § 35 Abs 2 StPO - das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in dem von der Anfechtung betroffenen Freispruch aufzuheben und insoweit an das Erstgericht zur Verfahrenserneuerung zurückzuverweisen, welches im Falle eines Schuldspruchs und einer danach zu verhängenden Strafe §§ 31, 40 StGB in Bezug auf den verbleibenden Strafausspruch zu beachten haben wird.

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