OGH 13Os38/07y

OGH13Os38/07y2.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Mai 2007 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz und Dr. Schwab, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Mag. Lendl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Frizberg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rüstem T***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde, die Berufung und die Beschwerde (§ 498 Abs 3 StPO) des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 14. September 2006, GZ 23 Hv 118/06v-29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der zu 3. genannten Taten nach § 106 Abs 1 Z 2 und 3 StGB und im Strafausspruch sowie der zugleich ergangene Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen. Mit ihren gegen den Strafausspruch ergriffenen Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Zur Entscheidung über die gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche ergriffene Berufung werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet. Dem Angeklagten fallen auch die, die Erledigung seiner Nichtigkeitsbeschwerde betreffenden Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Rüstem T***** wurde des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (1), einer unbestimmten Zahl von Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (2), dreier Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 2 und 3 StGB (3) und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (4) schuldig erkannt.

Danach hat er zu - mit Ausnahme von 2/b und 4 - nicht näher genannten Zeitpunkten zwischen 10. September 2005 und 9. Jänner 2006 in T***** die Emel T*****

1. mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie an den Haaren packte, dadurch festhielt und zum Oralverkehr zwang;

2. am Körper verletzt, und zwar

a) durch Faustschläge und Ohrfeigen sowie dadurch, dass er sie an den Haaren packte und ihren Kopf gegen einen Schrank schlug, wodurch sie Verletzungen am ganzen Körper, insbesondere Hämatome, erlitt;

b) am 9. Jänner 2006 durch Schläge mit der flachen Hand und der Faust gegen den Kopf, Fußtritte gegen die Beine und Würgen, wodurch sie mehrfache Prellungen mit Hämatomen am rechten Oberschenkel und am linken Unterschenkel, eine Prellung des rechten Knies sowie eine Zerrung der Halswirbelsäule erlitt;

3. mit Gewalt zu Duldungen genötigt, „wodurch diese längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurde und wobei die Duldungen besonders wichtige Interessen der Emel T***** verletzten", und zwar

a) „indem er sie bei zwei Vorfällen am Hals festhielt und würgte und sie dadurch dazu nötigte, sich von ihm in den Mund" bzw „in das Gesicht urinieren zu lassen";

b) „indem er sie festhielt, mit seinen Fingern über seinen Anus fuhr und sodann mit den gleichen Fingern über ihre Zähne fuhr";

4. am 9. Jänner 2006 durch die Äußerung, er werde sie in der Türkei gegen 5.000 Euro umbringen lassen, mit dem Tod gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Rechtliche Beurteilung

Der aus Z 4, 5, 5a, „9" und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Im Ergebnis zu Recht abgewiesen wurden die in der Hauptverhandlung gestellten Anträge auf „Übersetzung des restlichen Tagebuches, welches die Zeugin Emel T***** im Vorverfahren im Rahmen der kontradiktorischen Einvernahme bei sich hatte, insbesondere der AS 163, dies zum Beweis dafür, dass die bisher vorgelegten Auszüge aus dem Tagebuch, da sie offenbar nicht aus dem vorliegenden Kalender stammen, nicht authentisch sind, dies im Sinne, dass sie chronologisch Tag für Tag niedergeschrieben worden wären", sowie „ergänzende Einvernahme der Zeugin Emel T***** zur Frage des Inhaltes der von ihr im Rahmen der kontradiktorischen Einvernahme genannten Vereinbarung, welche sie als Ehevertrag bezeichnete, dies zum Beweis, dass der Inhalt der Vereinbarung ihr Verhalten den Eltern des Angeklagten und dem Angeklagten selbst gegenüber maßgeblich beeinflusst hat" (S 347).

Entgegen der Auffassung des Schöffengerichtes ist eine Beweisführung über die Glaubwürdigkeit von Belastungszeugen, mithin die Beweiskraft von Beweisen, gar wohl zulässig (RIS-Justiz RS0120634, RS0028345); dass es dazu in der Regel keiner Hilfestellung durch einen Sachverständigen bedarf, spricht nicht gegen die Relevanz anderer Kontrollbeweise (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 340, 350). Allerdings ließ der Antrag auf „Übersetzung des restlichen Tagebuches" nichts erkennen, was geeignet gewesen wäre, die Glaubwürdigkeit der Zeugin in Frage zu stellen. Warum dann, wenn sowohl Kalenderpapier als auch nicht derart strukturierte Seiten zur Führung tagebuchartiger Aufzeichnungen verwendet wurden, die Verlässlichkeit der mündlichen Angaben der Zeugin in Frage stünde, war dem Antrag nämlich nicht zu entnehmen.

Da sich Emel T***** unter Berufung auf § 152 Abs 1 Z 2a StPO der Aussage in der Hauptverhandlung berechtigt entschlagen hat, zielte der weitere Antrag auf eine undurchführbare Beweisaufnahme. Zudem blieb offen, welcher die Glaubwürdigkeit der Zeugin in Frage stellende Umstand durch deren Vernehmung über den Inhalt einer als Ehevertrag bezeichneten Vereinbarung unter Beweis hätte gestellt werden sollen.

Neues Rechtsmittelvorbringen ist schließlich unbeachtlich, weil allein der Antrag den Gegenstand der Verfahrensrüge bildet. Gegen das Vorkommen der übersetzten Teile der von Emel T***** gemachten Aufzeichnungen hat sich der Angeklagte schließlich nicht zur Wehr gesetzt, sodass die im Rechtsmittel geäußerte Kritik an der Tatsache, gehindert gewesen zu sein, Fragen dazu an die Zeugin zu stellen, ins Leere geht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 365). Dazu kommt, dass die Zeugin bereits bei ihrer kontradiktorischen Abhörung darauf hingewiesen hatte, einen Teil des Tagebuchs bei sich, einen anderen Teil aber zuhause zu haben und bei dieser Gelegenheit „festgehalten" wurde, „dass der Privatbeteiligtenvertreter eine Kopie des Tagebuches dem Gericht zukommen lassen wird" (S 81, 103), ohne dass der anwesende Verteidiger trotz der bereits zuvor abgegebenen Erklärung der Zeugin, in der Hauptverhandlung auf ihr Entschlagungsrecht nicht verzichten zu wollen (S 79), an dieser Vorgangsweise Anstoß genommen hätte.

Soweit der Angeklagte schließlich nach Urteilsfällung eingetretene Neuerungen andeutet, sind diese nicht Gegenstand des Verfahrens über eine Nichtigkeitsbeschwerde, vielmehr eines allfälligen Antrages auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens (§ 353 StPO).

Der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben die Tatrichter die Aussage des Ali T*****, wonach sich Emel T***** ihm „nie anvertraut" habe, gar wohl erörtert (US 13). Auch wurde mitnichten übergangen, dass die als Zeugen vernommenen Verwandten des Angeklagten von den Taten nichts wahrgenommen haben wollen (US 11 ff, 20 f). Ob in den übersetzten Teilen der von Emel T***** geführten Aufzeichnungen von einem Oralverkehr die Rede war, bedurfte angesichts des Gebots zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) keiner gesonderten Erwähnung. Da das Gericht nicht verhalten ist, sich mit allen denkbaren Schlussfolgerungen auseinanderzusetzen, war auch die Erörterung der Gründe entbehrlich, warum Emel T***** nicht früher Anzeige erstattet oder ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hat.

Warum im Hinblick auf die Aussage des Zeugen Ü***** (vgl US 19 f) ein angeblicher Streit über einen AMS-Befreiungsschein hätte erörtert werden müssen, wird schließlich nicht klar.

Aus Divergenzen zwischen den Angaben der Zeugin Emel T***** vor der Polizei und dem Untersuchungsrichter ergeben sich für den Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen (Z 5a). Andere gegen den Schuldspruch sprechende Beweisergebnisse führt die Tatsachenrüge nicht ins Treffen. Mit dem spekulativen Hinweis, wonach es sich bei der auf S 89 festgehaltenen Aussage, wonach der Angeklagte die Zeugin „einmal an den Haaren gepackt" und „zum Blasen gezwungen" habe, um einen Übersetzungsfehler handeln müsse, wird kein aktenkundiges Beweismittel benannt. Ob in den übersetzten Teilen der tagebuchartigen Aufzeichnungen der Zeugin Emel T***** alle Tatumstände des ergangenen Schuldspruchs erwähnt wurden, ist auch unter dem Aspekt der Tatsachenrüge ohne Bedeutung.

Zwar verzichtet die Subsumtionsrüge (nominell Z „9" und 10, der Sache nach nur Z 10) auf jede Begründung für die angebliche Verdrängung der nach den Feststellungen mit den Verbrechen der schweren Nötigung real konkurrierenden strafbaren Handlungen nach § 83 Abs 1 StGB (vgl demgegenüber Schwaighofer in WK2 § 105 Rz 100 und § 106 Rz 34, wonach Scheinkonkurrenz nur bei Körperverletzungen, die „aus der Gewaltanwendung bei einer Nötigung resultieren", in Frage kommt). Zu Recht aber kritisiert sie das Fehlen von Feststellungen, welche eine Subsumtion der zu 3. genannten Nötigungen unter § 106 Abs 1 Z 2 StPO ermöglichen würden, beschränken sich die Entscheidungsgründe doch auf die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts ohne konkreten Sachverhaltsbezug in Betreff des qualvollen Zustandes. Welche konkreten, besonders wichtigen Interessen des Tatopfers durch die zu 3. genannten Taten verletzt worden sein sollen, ist den Entscheidungsgründen gleichfalls nicht zu entnehmen, was - ungerügt - von Amts wegen aufzugreifen war (vgl US 6; §§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 281 Abs 1 Z 10 StPO).

Aufhebung der angenommenen Qualifikation nach § 106 Abs 1 Z 2 und 3 letzter Fall StGB sowie des damit verbundenen Strafausspruchs einschließlich der Widerrufsentscheidung samt Rückverweisung an das Erstgericht in diesem Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sind die Folge (§§ 285e erster Satz, 288 Abs 2 Z 3 zweiter SatzStPO).

Vorerst wird jedoch das Oberlandesgericht Innsbruck über die gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche ergriffene Berufung zu entscheiden haben.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO. Sie umfasst nur die Erledigung seiner Nichtigkeitsbeschwerde, nicht die amtswegig getroffene Maßnahme (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12).

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