OGH 2Ob296/02x

OGH2Ob296/02x24.4.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 25. Mai 1988 geborenen Julia K*****, vertreten durch die Mutter Gabriele K*****, über den Revisionsrekurs des Vaters Werner S*****, vertreten durch Dr. Arnold Köchl und Mag. Christian Köchl, Rechtsanwälte in Villach, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 25. September 2002, GZ 2 R 272/02f-57, womit infolge Rekurses des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichtes Villach vom 22. August 2002, GZ 10 P 2228/95w-54, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden, soweit sie nicht mangels Anfechtung des erstgerichtlichen Beschlusses in Rechtskraft erwachsen sind, in Ansehung der für den Zeitraum zwischen 1. 5. 1999 bis 28. 2. 2002 zugesprochenen Unterhaltserhöhung auf insgesamt EUR 580 aufgehoben.

In diesem Umfang wird die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen. Im Übrigen wird der Revisionsrekurs, soweit er sich gegen die Unterhaltsfestsetzung für den Zeitraum ab 1. 3. 2002 richtet, zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Vater war aufgrund des Beschlusses vom 6. 7. 1998 (ON 44) zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 6.500 an seine Tochter in Obsorge der Mutter lebende Tochter verpflichtet. Der Unterhaltsbemessung lag zugrunde, dass die Minderjährige zwar einen höheren Unterhaltsanspruch behauptet, aber nur einen solchen in der festgelegten Höhe begehrt hatte. Das Kind beantragte am 30. 4. 2002 die Erhöhung des vom Vater zu leistenden Unterhaltes rückwirkend ab 1. 5. 1999 auf monatlich EUR 580. Der Vater habe bereits seit dem Jahre 1999 im Monatsdurchschnitt zumindest S 40.000 verdient, was den Erhöhungsantrag rechtfertige. Im ersten Unterhaltsbemessungsverfahren sei ein Monatseinkommen von S 36.000 angenommen worden. Das Erstgericht setzte die Unterhaltsverpflichtung des Vaters wie folgt fest:

Vom 1. 5. 1999 bis 28. 2. 2002 auf monatlich EUR 580 sowie ab 1. 3. 2002 auf monatlich EUR 525.

Es traf dabei folgende Feststellungen:

Der Vater bezog im Jahr 1999 ein monatliches Durchschnittseinkommen von EUR 3.277,55, im Jahr 2000 ein solches von EUR 3.691,40, im Jahr 2001 ein solches von EUR 3.873,75. Das Nettoeinkommen für Jänner 2002 betrug EUR 3.176,05 und für Februar 2002 EUR 4.557,89. Seit 1. 3. 2002 betrug das durchschnittliche Nettoeinkommen monatlich EUR 2.808. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die Unterhaltsverpflichtung des Vaters sei nach der Prozentmethode mit rund 20 % seines Einkommens auszumessen. Es sei zwar richtig, dass jeder neuen Unterhaltsfestsetzung auch die Umstandsklausel innewohne; diese stehe einer neuerlichen Unterhaltsbemessung dann nicht entgegen, wenn der Kindesunterhalt seinerzeit mit Beschluss festgesetzt worden sei. Dies liege hier vor, weshalb trotz der am 6. 7. 1998 erfolgten Unterhaltsfestsetzung der Unterhalt dem tatsächlichen Einkommen des Vaters entsprechend neu festgesetzt werden habe können. Der für die Vergangenheit begehrte monatliche Unterhalt von EUR 580 erreiche weder den prozentmäßigen Unterhaltsanspruch noch führe er zu einer Überalimentation des Kindes. Der ab 1. 3. 2002 zu leistende Unterhalt von EUR 525 erreiche ebenfalls nicht den prozentmäßigen Unterhaltsanspruch des Kindes. Der Vater erhob gegen diesen Unterhaltsbemessungsbeschluss lediglich Rekurs gegen die rückwirkende Unterhaltserhöhung für den Zeitraum 1. 5. 1999 bis 28. 2. 2002 von EUR 472,37 auf EUR 580 und ließ die Unterhaltsbemessung ab dem 1. 3. 2002 ausdrücklich unbekämpft. Bei der Unterhaltsbemessung sei auf die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes vom 27. 6. 2001 (B 1285/00) und 19. 6. 2002 (G 7/02) Rücksicht zu nehmen und die Familienbeihilfe zu berücksichtigen.

Das Rekursgericht bestätigte den angefochtenen Teil des erstgerichtlichen Beschlusses und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Eine rückwirkende Unterhaltserhöhung sei nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zulässig, weil sich das Kind aus Anlass der Unterhaltsbemessung vom 6. 7. 1998 auf einen Teil des ihm zustehenden Unterhalts beschränkt habe. Nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung sei die Familienbeihilfe nicht auf den Unterhalt des Kindes anzurechnen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Frage, welche Auswirkungen das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 19. 6. 2002 auf den Unterhaltsanspruch habe, noch nicht geklärt sei. Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, den Unterhaltserhöhungsantrag für den Zeitraum 1. 5. 1999 bis 28. 2. 2002 abzuweisen und ab 1. 3. 2002 den monatlichen Unterhalt auf EUR 387 zu reduzieren.

Das Kind hat dazu keine Stellungnahme abgegeben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist teilweise berechtigt, teilweise jedoch unzulässig.

Im Revisionsrekurs des Vaters einerseits wird geltend gemacht, die Mutter sei über die Einkommenssituation des Vaters immer informiert gewesen, eine Bedarfssteigerung sei nicht einmal behauptet worden. Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Neufestsetzung des Unterhalts seien daher nicht gegeben. Im Übrigen sei seit den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes vom 27. 6. 2001 und 19. 6. 2002 die Familienbeihilfe zur Gänze auf den Unterhalt des Kindes anzurechnen.

Soweit sich der Revisionsrekurs andererseits auch gegen die Unterhaltsfestsetzung ab dem 1. 3. 2002 richtet, ist er unzulässig, weil der Vater diesen Teil des erstgerichtlichen Beschlusses ausdrücklich unbekämpft ließ. Insoweit steht dem Revisionsrekurs die Rechtskraft des erstgerichtlichen Beschlusses entgegen, weil auch Unterhaltsbemessungsbeschlüsse der materiellen und formellen Rechtskraft unterliegen. Einem im außerstreitigen Verfahren gefassten, nicht angefochtenen oder durch ein Rechtsmittel nicht mehr anfechtbaren Unterhaltsbemessungsbeschluss kommt somit die gleiche Rechtskraft zu, wie einem nach den Vorschriften der ZPO ergangenen Urteil oder Beschluss; er entfaltet die aus der Rechtskraft erfließende Einmaligkeits- und Bindungswirkung (RIS-Justiz RS0007171; 1 Ob 122/97s).

Eine rückwirkende Neufestsetzung der Unterhaltspflicht (auch Unterhaltsherabsetzung; RIS-Justiz RS0047398) setzt eine Veränderung seit der letzten Unterhaltsentscheidung voraus. Eine Änderung der Verhältnisse liegt aber nicht nur dann vor, wenn seit einer Entscheidung eines Gerichtes neue Tatsachen eingetreten sind, sondern auch dann, wenn Tatsachen, die zur Zeit der früheren Entscheidung bereits eingetreten sind, aber dem Gericht nicht bekannt waren, später zu Tage gekommen sind (RIS-Justiz RS00007148). Später bekanntgewordene Tatsachen sind aber nur dann zu berücksichtigen, wenn im Vorverfahren nur über ein Teilbegehren, nicht aber dann, wenn über den gesamten Unterhaltsanspruch abschließend entschieden wurde. Im ersten Fall ist eine Entscheidung über den Restanspruch zulässig, weil darüber im Vorverfahren gar nicht entschieden wurde (Reischauer, Unterhalt für die Vergangenheit und materielle Rechtskraft JBl 2000, 421 [423] mwN; RIS-Justiz RS0007165). Mit einem solchen neuen Unterhaltsantrag wird dann ein Anspruch geltend gemacht, der noch nicht Verfahrensgegenstand war (6 Ob 159/02d).

Hier wurde, wie bereits ausgeführt, dem ersten Unterhaltsbemessungsverfahren ein monatliches Einkommen des Vaters von S 36.000 zugrundegelegt, während das tatsächliche Nettoeinkommen deutlich höher war. Nach den oben dargestellten Grundsätzen war daher die rückwirkende Geltendmachung des restlichen Unterhaltsanspruchs zulässig.

Zur Frage der Auswirkung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 19. 6. 2002, G 7/02, ist auszuführen:

Der Verfassungsgerichtshof hat mit diesem Erkenntnis in § 12a FLAG die Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, die aufgehobene Wortfolge sei nicht mehr anzuwenden, frühere gesetzliche Bestimmungen träten nicht wieder in Wirksamkeit. Der Verfassungsgerichtshof hat damit seine schon im Erkenntnis vom 27. 6. 2001, B 1285/00, erläuterte Ansicht fortgeschrieben, es hätte nicht nur die Absetzbeträge (Unterhalts- und Kinderabsetzbetrag), sondern auch die Familienbeihilfe der steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen zu dienen.

Bis zu den beiden bereits zitierten Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofs ging die oberstgerichtliche Rechtsprechung entsprechend dem Wortlaut des § 12a FLAG davon aus, dass die Familienbeihilfe (und der Kinderabsetzbetrag) zur Gänze dem Haushalt zukommen solle, indem das Kind betreut wird, um die Betreuungslast wenigstens teilweise abzudecken. Die Familienbeihilfe sei daher nicht auf die Unterhaltspflicht anzurechnen (1 Ob 218/00s mwN). Im Erkenntnis vom 27. 6. 2001 vertrat der Verfassungsgerichtshof die gegenteilige Ansicht, die er in seinem zweiten Erkenntnis vom 19. 6. 2002 fortschrieb. Der Oberste Gerichtshof hat in zahlreichen, nach dem zweiten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ergangenen Entscheidung die nach Aufhebung der Wortfolge in § 12a FLAG eingetretenen neue Rechtslage bei der Unterhaltsfestsetzung berücksichtigt (RIS-Justiz RS0117015) und zwar im Sinne seiner Anträge auf Gesetzesaufhebung ausschließlich aufgrund der nun durch den Verfassungsgerichtshof geänderten Gesetzeslage. Eine Änderung der Gesetzeslage ist ebenso wie eine tiefgreifende Änderung der bisherigen, den Unterhaltstitel bestimmenden Rechtsprechungsgrundsätze (RIS-Justiz RS0047398) einer geänderten Sachlage gleichzuhalten (8 Ob 663/92 mwN, 6 Ob 159/02d). Einer Änderung der Unterhaltsfestsetzung für die Vergangenheit steht allerdings die materielle Rechtskraft der vorangegangenen Unterhaltsentscheidung entgegen. Bei einer nur in die Zukunft wirkenden Änderung der Verhältnisse kann für die Zeit nach der Erlassung der Vorentscheidung auch rückwirkend eine Unterhaltserhöhung oder Herabsetzung begehrt werden. Stichtag der Bindungswirkung ist im außerstreitigen Verfahren der Tag der Erlassung des erstinstanzlichen Beschlusses (SZ 62/54, 6 Ob 159/02d). Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 19. 6. 2002 keine rückwirkende Aufhebung des Teilsatzes im § 12a FLAG angeordnet sondern ausgesprochen, dass mit Wirkung ab Kundmachung die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden ist und frühere Bestimmungen nicht in Wirksamkeit treten. Eine Fristsetzung für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Wortfolge wurde ausdrücklich unterlassen, weil der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis davon ausging, dass Zivilgerichte schon nach dem Erkenntnis, B 1285/00, berechtigt gewesen seien, die Familienbeihilfe im verfassungsrechtlich gebotenen Ausmaß auf die Unterhaltsverpflichtung des Geldunterhaltsverpflichteten anzurechnen. Dem folgend wurde bereits ausgesprochen, dass in Verfahren über Unterhaltsherabsetzungsanträge, die im Zeitpunkt der Kundmachung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits anhängig waren, die neue Rechtslage anzuwenden ist (3 Ob 81/02m; 4 Ob 266/02z; 6 Ob 159/02d).

Auch der erkennende Senat folgt dieser Ansicht.

Die gegenteilige Entscheidung 7 Ob 174/02 nimmt auf die in diesem Zeitpunkt bereits anhängigen Verfahren nicht Bezug. Da hier die Vorentscheidung vom 6. 7. 1998 stammt und der strittige Zeitraum (1. 5. 1999 bis 28. 2. 2002) nach diesem Zeitpunkt liegt und nach den oben dargestellten Grundsätzen die neue Rechtslage zu berücksichtigen ist, wird das Erstgericht die in der Rechtsprechung entwickelte Formel (4 Ob 52/02d uva) zu berücksichtigen haben. Der (wie bisher nach der Prozentwertmethode berechnete) zu leistende Geldunterhalt dividiert durch 2, mal verminderter Grenzsteuersatz des Geldunterhaltspflichtigen (höchstens 40 %), minus Unterhaltabsetzbetrag, ergibt jenen (Teil-)Betrag der Transferleistungen, der auf die Geldunterhaltspflicht anzurechnen ist (es macht dabei keinen Unterschied, wenn die Halbierung statt beim Unterhalt erst beim abgesenkten Grenzsteuersatz vorgenommen, also zunächst der [ganze] Geldunterhalt mit dem halben abgesenkten Grenzsteuersatz [höchstens 20 %] multipliziert wird). Der jeweilige Grenzsteuersatz ist jeweils um etwa 20 % abzusenken, weil das Einkommen typischerweise auch steuerlich begünstigte oder steuerfreie Einkünfte umfasst und auch die steuerliche Entlastung die Leistungsfähigkeit des Geldunterhaltspflichtigen erhöht. Bei einem Grenzsteuersatz von 50 % gelangt man damit zu einem Steuersatz von 40 %; bei einem Grenzsteuersatz von 41 % zu einem solchen von 33 % und bei einem Grenzsteuersatz von 31 % zu einem solchen von 25 % (4 Ob 52/02d).

Im vorliegenden Fall erzielte der Vater ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 3.277,55 im Jahr 1999, EUR 3.691,40 im Jahr 2001 und EUR 3.866,97 im Jänner und Februar 2002, sein Bruttoeinkommen ist nicht festgestellt. Von diesem aber (ohne 13. und 14. Gehalt; siehe Zorn, Kindesunterhalt und Verfassungsrecht, SWK 2001, 1289 [1294]) hängt aber ab, wie hoch der auf das Einkommen des Vaters angewandte Grenzsteuersatz ist. Da der Kindesunterhalt jeweils den höchsten Einkommensteilen des Unterhaltspflichtigen zuzuordnen ist (siehe Zorn, aaO, 1294), muss bei der Berechnung der notwendigen steuerlichen Entlastung darauf Bedacht genommen werden, ob der Unterhaltsbeitrag im Wesentlichen zur Gänze im höchsten Einkommensteil Deckung findet, oder für einen Teilbetrag der nächst niedrigere Grenzsteuersatz maßgebend ist (4 Ob 46/02x). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat auch im vorliegenden Fall die Festsetzung des Unterhalts im Wege einer (teilweisen) Anrechnung der Familienbeihilfe zu erfolgen. In welchem Ausmaße dies zu geschehen hat, kann aber auf Grund der Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden, weil lediglich das monatliche Nettoeinkommen festgestellt wurde. Nur in den Fällen, in denen schon aufgrund der bekannten Höhe des Nettoeinkommens die Höhe des Grenzsteuersatzes des Unterhaltspflichtigen und der Umstand, dass der Unterhaltsbeitrag zur Gänze im höchsten Einkommensteil Deckung findet, evident ist, kann eine ausdrückliche Feststellung betreffend die Tatsache des anzuwendenden Grenzsteuersatzes entbehrlich sein; ansonsten ist es dem Obersten Gerichtshof aber verwehrt, diesen Umstand zu erforschen und dementsprechende Feststellungen zu treffen. Dies ist dem Erstgericht aufzutragen. Dieses wird das Verfahren durch Feststellung des Jahresbruttoeinkommens des Vaters ohne 13. und 14. Gehalt zu ergänzen haben, um die notwendige steuerliche Entlastung nach den oben wiedergegebenen Grundsätzen berechnen zu können.

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