OGH 10ObS97/03t

OGH10ObS97/03t8.4.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Holper (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Walter P*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr. Sergej Raits, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. November 2002, GZ 12 Rs 218/02v-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. Mai 2002, GZ 20 Cgs 92/01d-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei amtswegig von "Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVGNov BGBl I Nr 1/2002).

Rechtliche Beurteilung

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache, dass der nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 ASVG tätig gewesene Kläger nicht als invalid im Sinn des Abs 3 dieser Gesetzesstelle anzusehen ist, ist zutreffend, weshalb es nach § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO ausreicht, auf deren Richtigkeit hinzuweisen.

Den Revisionsausführungen ist noch Folgendes entgegenzuhalten:

Nach § 255 Abs 3 ASVG können Versicherte, die nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig waren, auf sämtliche Tätigkeiten verwiesen werden, "die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet" werden. Nach den Ausführungen des Erstgerichtes können Versicherte mit dem Leistungskalkül des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch Verweisungstätigkeiten, wie die eines Adjustierers, Verpackungsarbeiters leichter Werkstücke, Parkgaragenkassiers oder Museumaufsehers ohne Beschränkungen verrichten. Das Berufungsgericht hat unter Anwendung des § 269 ZPO, wonach beim Gericht offenkundige Tatsachen keines Beweises bedürfen, - nach Erörterung der entsprechenden Berufsbilder in der mündlichen Berufungsverhandlung (vgl 10 ObS 273/02y ua) - die Richtigkeit dieser Ausführungen des Erstgerichtes ausdrücklich bestätigt. Die Feststellung oder Nichtfeststellung dieser Tatsachen - dass der Kläger offenkundig in der Lage ist, den Anforderungen in den genannten Verweisungsberufen zu entsprechen - resultiert aus der freien Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden kann (10 ObS 259/02i ua; RIS-Justiz RS0040046). Die Revisionsausführungen zu dieser Frage stellen daher den unzulässigen Versuch einer Bekämpfung der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen dar. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist bei der Beurteilung der Verweisbarkeit nach § 255 ASVG auf die konkreten Anforderungen in den einzelnen noch in Betracht kommenden Verweisungsberufen abzustellen.

Soweit der Revisionswerber verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bestimmung des § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG, wonach "als überwiegend im Sinne des Abs 1 solche erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten gelten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2) ausgeübt wurden", geltend macht, kann seinen Ausführungen ebenfalls nicht gefolgt werden.

Während ungelernte Arbeiter auf sämtliche Tätigkeiten verwiesen werden können, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet werden (§ 255 Abs 3 ASVG), besitzen gelernte und angelernte Arbeiter Berufsschutz (§ 255 Abs 1 ASVG). Wenn sie während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (= Beobachtungszeitraum) einen oder mehrere gelernte oder angelernte Berufe in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate ausgeübt haben, können sie nur mehr auf solche Berufstätigkeiten verwiesen werden, die ähnliche Ausbildung und gleichwertige Fähigkeiten und Kenntnisse erfordern und am Arbeitsmarkt noch bewertet werden. Der Berufsschutz kann daher verloren gehen, wenn der Versicherte seinen erlernten Beruf aus gesundheitlichen Gründen (zB als Folge eines Arbeitsunfalls) aufgeben musste und anschließend längere Zeit nichtqualifizierte Arbeit geleistet hat (Tomandl, Grundriss des österreichischen Sozialrechts5 Rz 257 f mwN ua). Wer einen Beruf erlernt hat, diesen aber im Beobachtungszeitraum nicht oder nicht überwiegend ausgeübt hat, genießt daher keinen Berufsschutz. Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber der Ausbildung allein noch keine privilegierende Wirkung zubilligt. Es kommt vielmehr darauf an, dass der Versicherte das Erlernte in der Praxis auch anwendet. Dass es in der Frage des Berufsschutzes letztlich nur auf den tatsächlichen Einsatz bestimmter Kenntnisse und Fähigkeiten ankommt, zeigt auch die Gleichstellung angelernter Tätigkeiten. Ein angelernter Beruf im Sinn des § 255 Abs 2 ASVG liegt vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben (vgl Schrammel, Zur Problematik der Verweisung in der PV und UV, ZAS 1984, 83 ff [88] ua).

Es wird vom Revisionswerber die Verfassungsmäßigkeit der Differenzierung in den Anspruchsvoraussetzungen für die Zuerkennung einer Invaliditätspension nach den Absätzen 1 und 3 des § 255 ASVG nicht in Zweifel gezogen (vgl SSV-NF 2/14; 6/56 ua; RIS-Justiz RS0054049). Es erscheint aber entgegen der Ansicht des Revisionswerbers auch keineswegs unsachlich, dass der Gesetzgeber in der Frage des Berufsschutzes der Berufsausbildung allein noch keine privilegierende Wirkung zubilligt, sondern darauf abstellt, ob der erlernte Beruf auch überwiegend ausgeübt wurde. Als überwiegend ausgeübt gelten erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt worden sind. Diese Regelung folgt den Grundsätzen für die Feststellung der Leistungszugehörigkeit in der Pensionsversicherung (§ 245 ASVG), berücksichtigt aber naturgemäß, da eine Berufstätigkeit beurteilt werden muss, nur die Beitragsmonate, nicht aber auch Ersatzmonate (wie beispielsweise Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges nach § 227 Abs 1 Z 5 ASVG), da während dieser Zeit eine Berufstätigkeit nicht ausgeübt wird (SSV-NF 4/27 ua; Teschner in Tomandl, SV-System 14. ErgLfg 370). Selbst wenn also der Kläger den Berufswechsel nur deshalb vorgenommen hätte, weil er als gelernter Maurer nach einem Arbeitsunfall nicht mehr arbeitsfähig gewesen wäre, könnte dies an der dargelegten Beurteilung nichts ändern, weil die Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit vorliegen, nach den Verhältnissen am Stichtag vorzunehmen ist, der durch den dem Eintritt des Versicherungsfalles nachfolgenden Pensionsantrag ausgelöst wird (SSV-NF 7/51 mwN). Entschließt sich daher ein Versicherter trotz Eintritt der Invalidität weiterhin berufstätig zu bleiben, insbesondere um weitere Versicherungszeiten zu erwerben und damit die Versicherungsleistung entweder überhaupt erst zu ermöglichen oder diese der Höhe nach zu verbessern, so ist die Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit vorliegen, ausschließlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der (späteren) Antragstellung abzustellen (SSV-NF 3/27; 4/87; 4/107 ua).

Geht man von diesen Grundsätzen aus, dann kommt dem Kläger, der nach seinen eigenen Angaben gegenüber den medizinischen Sachverständigen seinen erlernten Beruf als Maurer bereits im Jahr 1980 aufgegeben hat, kein Berufsschutz zu und er ist auch, da er noch auf eine Reihe von Tätigkeiten verwiesen werden kann, nicht invalide im Sinn des § 255 Abs 3 ASVG. Gegen dieses Ergebnis bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weshalb sich der erkennende Senat nicht veranlasst sieht, beim Verfassungsgerichtshof einen Gesetzesprüfungsantrag zu stellen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Eine Kostenentscheidung hatte zu unterbleiben, weil Kosten nicht verzeichnet wurden.

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