European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2003:E68876
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.754,82 (darin EUR 292,47 an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Mit Gesellschaftsvertrag vom 24. 4. 1992 errichteten der Beklagte (Stammeinlage S 250.000), dessen Ehegattin (S 600.000), der Kläger (S 50.000) sowie ein vierter Gesellschafter (S 100.000) eine GmbH, die in der Folge im Firmenbuch eingetragen wurde. Mit Notariatsakt vom selben Tag bot der Kläger dem Beklagten die Abtretung seines Geschäftsanteils zu einem (wertgesicherten) Abtretungspreis in Höhe der übernommenen Stammeinlage von S 50.000 an.
Mit Notariatsakt vom 25. 5. 2000 erklärte der Beklagte, das Abtretungsanbot des Klägers zu dem infolge der Wertsicherungsklausel auf rund S 58.000 erhöhten Abtretungspreis anzunehmen. Der Verkehrswert der Geschäftsanteile des Klägers lag zu diesem Zeitpunkt weit über S 116.000.
Das Erstgericht gab dem auf den Tatbestand der Verkürzung über die Hälfte gestützten Eventualbegehren des Klägers Folge und sprach aus, dass der Abtretungsvertrag über den Geschäftsanteil des Klägers an der GmbH aufgehoben werde. Beim Abtretungsanbot des Klägers vom 24. 4. 1992 handle es sich um einen Optionsvertrag, durch den dem Beklagten das Gestaltungsrecht auf Abschluss des Abtretungsvertrags eingeräumt worden sei. Nach der neueren Judikatur des Obersten Gerichtshofs sei für die Frage, ob ein Missverhältnis zwischen den gegenseitigen Leistungen im Sinne des § 934 ABGB vorliege, auf den Zeitpunkt der Ausübung des Optionsrechts abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt sei ein von § 934 ABGB verpöntes Missverhältnis vorgelegen, weil der Abtretungspreis von rund S 58.000 nicht einmal die Hälfte des Verkehrswerts des Geschäftsanteils ausgemacht habe.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Auch die Vereinbarung einer Wertsicherungsklausel ändere nichts daran, dass auf das Wertverhältnis zum Zeitpunkt der Ausübung des Optionsrechts abzustellen sei. Durch die Wertsicherung würden Änderungen des Geldwerts, nicht aber Änderungen "im Vermögen der Gesellschaft" erfasst. Auch die vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung 4 Ob 159/01p beurteilte Option habe eine Wertsicherungsklausel enthalten. Das Berufungsgericht schließe sich dieser Entscheidung an, deren Rechtssätze der Beklagte nicht in Frage gestellt habe. Die ordentliche Revision sei zulässig, da die maßgebliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs uneinheitlich sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Vorauszuschicken ist, dass sich die Revision auf die Frage beschränkt, ob für die Beurteilung des Wertverhältnisses im Rahmen des § 934 ABGB auf den Zeitpunkt der Optionsvereinbarung oder jenen des Abschlusses des "Hauptvertrags" durch Ausübung des Optionsrechts abzustellen ist.
Der Beklagte beruft sich in diesem Zusammenhang auf die zu 2 Ob 17/97g (= SZ 70/28) ausgesprochene Rechtsauffassung, auf die auch in der Entscheidung 7 Ob 232/97m ‑ allerdings ohne eigene inhaltliche Stellungnahme ‑ verwiesen wurde. Dort wurde ausgeführt, gemäß § 943 Satz 3 ABGB werde das Missverhältnis des Wertes zwar nach dem Zeitpunkte des geschlossenen Geschäftes bestimmt, doch bleibe es dann, wenn in Vollziehung eines Vorvertrags der Hauptvertrag geschlossen wurde, wegen des gleichbleibenden Leistungsverhältnisses beim Abschlusszeitpunkt des Vorvertrags. Da Optionsverträge im ABGB nicht geregelt seien, seien die Bestimmungen über das verwandte Institut des Vorvertrags in weitem Umfang anzuwenden. Sei daher der Kaufvertrag in Ausübung einer Option geschlossen worden, dann sei der Zeitpunkt der Einräumung der Option für die Beurteilung des Missverhältnisses der gegenseitigen Leistungen maßgebend. Daran ändere nichts, dass die Verjährungsfrist, anders als beim Vorvertrag, erst mit dem Zustandekommen des auf Grund der Option geschlossenen Vertrags zu laufen beginne.
Dieser Auffassung ist der 4. Senat in seiner ausführlich begründeten Entscheidung zu 4 Ob 159/01p (= JBl 2002, 243 = EvBl 2002/41 = RdW 2002, 148 ua) unter anderem mit folgenden Erwägungen entgegengetreten:
"Die Option ist ein Vertrag, durch den eine Partei das Recht erhält, ein inhaltlich vorausbestimmtes Schuldverhältnis in Geltung zu setzen. Sie gewährt also ein Gestaltungsrecht. Anders als der Vorvertrag gibt sie nicht bloß ein Recht auf Abschluss eines Hauptvertrags; ihre Ausübung begründet schon unmittelbar die vertraglichen Pflichten (F. Bydlinski in Klang IV/2, 791 mwN; Koziol/Welser I11 125; Aicher in Rummel, ABGB³ § 1072 Rz 33). Die Stellung des Optionsberechtigten entspricht hinsichtlich des Hauptvertrags der eines Offertempfängers; auch der letztere hat nämlich ein rechtsbegründendes Gestaltungsrecht, weil es von seinem einseitigen Willensentschluss abhängt, ob der Vertrag zustandekommt oder nicht (F. Bydlinski aaO unter Ablehnung von Georgiades, Optionsvertrag und Optionsrecht, FS Larenz 1973). Die Option wird deshalb manchmal auch als Offerte mit verlängerter Bindungswirkung bezeichnet (Koziol/Welser aaO).
Das Rechtsinstitut der laesio enormis (§ 934 ABGB) beruht auf dem Gedanken der objektiven Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung. Eine Aufhebung des Vertrags soll demnach dann möglich sein, wenn das Verhältnis der objektiven Werte zueinander außergewöhnlich gestört ist (Koziol/Welser II11 82). Die Werte der Leistungen sind für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses festzustellen (Reischauer in Rummel, ABGB³ § 934 Rz 5 mwN; Binder in Schwimann, ABGB² § 934 Rz 13; SZ 60/37; RdW 1999, 18 = ecolex 1999, 15 mwN).
Nach Ansicht des erkennenden Senats greift es im Fall der Einräumung einer Option zu kurz, in der Frage des Bewertungszeitpunkts der beiderseitigen Leistungen (§ 934 ABGB) allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Optionsvertrags abzustellen und der Optionserklärung in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zuzumessen. Diese Auffassung lässt nämlich unberücksichtigt, dass sich das Hauptvertragsverhältnis sowohl auf die Optionsrechtsausübung als auch auf den Optionsvertrag gründet. Entstehungsgrund des endgültigen Vertrags ist nämlich der Optionsvertrag zusammen mit der einseitigen rechtsgestaltenden Erklärung der Optionsausübung, welche die durch den Optionsvertrag geschaffene lex contractus erst in Geltung setzt. Beide Akte sind zwar zwei selbständige Rechtsgeschäfte, gehören jedoch insofern zusammen, als sie zusammen Tatbestandsmerkmale des Hauptvertrags sind (Georgiades aaO 423 f).
In diesem Sinne vertritt auch Henrich (Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, 276) die Auffassung, der Hauptvertrag komme erst mit der Ausübung des Optionsrechts zustande, weil die Optionserklärung keine rückwirkende Kraft habe. Das bedeute aber, dass in den Fällen, in denen das Gesetz den Zeitpunkt des Vertragsschlusses für maßgeblich erkläre (etwa ob eine Leistung von Anfang an unmöglich sei), unter Vertragsschluss der Zeitpunkt des Zugangs der Optionserklärung zu verstehen sei (vgl den Hinweis bei Henrich aaO FN 13 auf eine gleichartige Regelung im französischen Recht).
Es handelt sich beim Vertragsabschluss auf Grund einer Option also in Wahrheit um einen zweiaktigen Vorgang, der einem Offert und der nachfolgenden Annahmeerklärung ähnlicher ist als einem zweiseitig verpflichtenden Vorvertrag, ist doch der Optionsgeber allein aus dem Optionsvertrag noch zu keiner Leistung verpflichtet. Bei der Beurteilung des Missverständnisses (wohl Missverhältnisses) des Werts (§ 934 Satz 3 ABGB) ist es daher (entgegen der in SZ 70/28 vertretenen Ansicht) sachgerechter, die objektiven Werte der gegenseitigen Leistungen erst für den Zeitpunkt der Ausübung des Optionsrechts festzustellen; erst dann erlangt nämlich das (von den Parteien im Optionsvertrag zunächst bloß in Aussicht genommene) Rechtsgeschäft volle Wirksamkeit, löst wechselseitige Leistungspflichten aus und kann damit als "abgeschlossen" iSd § 934 Satz 3 ABGB angesehen werden.
Die Richtigkeit dieser Auffassung zeigt sich besonders dann, wenn zwischen Optionsvertrag und Leistungsaustausch nach Optionsausübung ein ungewöhnlich langer Zeitraum (hier: mehr als 20 Jahre) liegt: Der Gesetzeszweck, die objektive Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung in einem gewissen Rahmen zu gewährleisten, verlangt, dass man für den Bewertungszeitpunkt nicht auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Optionsvertrags abstellt, in welchem noch völlig ungewiss ist, ob und wann ein Leistungsaustausch erfolgen wird, sondern auf den Zeitpunkt der Optionsausübung, mit welcher Erklärung die in ihrem Wert zu beurteilenden wechselseitigen Vertragspflichten des angestrebten Hauptvertrags ja überhaupt erst entstehen. Erst dann ist eine sichere Beurteilung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Geschäfts möglich, also die Prüfung, ob die Parteien für ihre eigene Leistung eine annähernd gleichwertige Gegenleistung erhalten haben".
Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Gerade im vorliegenden Fall zeigt sich besonders deutlich, dass eine Analogie zur Offerte mit langer Bindungsdauer im gegebenen Zusammenhang zu einem sachgerechteren Ergebnis führt als eine Orientierung am Rechtsinstitut des Vorvertrags, der ‑ anders als eine Offerte bzw eine Option - beide Vertragspartner zum Abschluss des Hauptvertrags verpflichtet. Formal betrachtet liegt ein bloß einseitiges Vertragsoffert (Abtretungsanbot) des Klägers vor, das dem Beklagten die Möglichkeit einräumt, durch eine zu einem beliebigen Zeitpunkt abgegebene Annahmeerklärung den Abtretungsvertrag entstehen zu lassen. Bei einer solchen Konstruktion könnte nicht der geringste Zweifel daran bestehen, dass von einem "geschlossenen Geschäft" im Sinne des § 934 ABGB erst im Zeitpunkt des Zugangs der Annahmeerklärung gesprochen werden kann; nur auf diesen Zeitpunkt wäre dann die Bewertung von Leistung und Gegenleistung zu beziehen.
Es erscheint nun durchaus sachgerecht, die gleichen Rechtsfolgen auch bei einer Konstruktion wie der hier vorliegenden eintreten zu lassen, bei der das "Abtretungsanbot" des Klägers in erster Linie über Initiative des Beklagten ‑ nämlich bereits im Zusammenhang mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags ‑ abgegeben wurde, somit auf einer Willensübereinstimmung der Streitteile beruht und damit von den Vorinstanzen zutreffend als Optionsvereinbarung beurteilt wurde. Auch hier war ganz unabsehbar, wie sich der Wert des Geschäftsanteils des Klägers im Zeitraum bis zu einer allfälligen Ausübung des Optionsrechts durch den Beklagten entwickeln würde. Auch hier lag es allein in der Hand des Beklagten, bei günstiger Entwicklung des Unternehmenswerts von seinem Optionsrecht Gebrauch zu machen oder aber davon Abstand zu nehmen, sofern etwa der Wert des Geschäftsanteils unter den vereinbarten Abtretungspreis absinken sollte. Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers kann diese Rechtsposition mit jener der Partei eines Vorvertrags nicht verglichen werden, die bei einer für sie ungünstigen Entwicklung das Zustandekommen des Hauptvertrags nicht gegen den Willen des Vertragspartners (durch bloße Untätigkeit) verhindern kann.
Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO.
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